Kurt Tucholsky
1890 - 1935
Das Lächeln der Mona Lisa
Seite 381-382 der Erstausgabe
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Der Graben
Mutter, wozu hast du deinen aufgezogen?Hast dich zwanzig Jahr mit ihm gequält?Wozu ist er dir in deinen Arm geflogen,und du hast ihm leise was erzählt?Bis sie ihn dir weggenommen haben.Für den Graben, Mutter, für den Graben.
Junge, kannst du noch an Vater denken?Vater nahm dich oft auf seinen Arm.Und er wollt dir einen Groschen schenken,und er spielte mit dir Räuber und Gendarm.Bis sie ihn dir weggenommen haben.Für den Graben, Junge, für den Graben.
Drüben die französischen Genossenlagen dicht bei Englands Arbeitsmann.Alle haben sie ihr Blut vergossen,und zerschossen ruht heut Mann bei Mann.Alte Leute, Männer, mancher Knabein dem einen großen Massengrabe.
Seid nicht stolz auf Orden und Geklunker!Seid nicht stolz auf Narben und die Zeit!In die Gräben schickten euch die Junker,Staatswahn und der Fabrikantenneid.Ihr wart gut genug zum Fraß für Raben,für das Grab, Kamraden, für den Graben!
Werft die Fahnen fort! Die Militärkapellenspielen auf zu euerm Todestanz.Seid ihr hin: ein Kranz von Immortellen –das ist dann der Dank des Vaterlands.
Denkt an Todesröcheln und Gestöhne.Drüben stehen Väter, Mütter, Söhne,schuften schwer, wie ihr, ums bißchen Leben.Wollt ihr denen nicht die Hände geben?Reicht die Bruderhand als schönste aller Gabenübern Graben, Leute, übern Graben –!
Zuerst erschienen in: Das Andere Deutschland, 20.11.1926 unter dem Pseudonym Theobald Tiger |