BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Kurt Tucholsky

1890 - 1935

 

Das Lächeln der Mona Lisa

 

Seite 363-364 der Erstausgabe

 

____________________________________________________

 

 

 

Träumerei auf einem Havelsee

 

 

Ich bin Prokurist einer Wäschefabrik,

Sternberg, Guttmann &. Sohn.

Mein Segelboot heißt ‹Heil und Sieg›,

zwei Stunden lieg ich hier schon

und seh auf die Kiefern und in das Wasser hinein –

auf meinem Boot ganz allein.

 

Urlaub hatte ich im August,

ich war in Norderney,

mit Lilly . . . ihre linke Brust

sieht aus wie ein kleines Ei.

Wenn man sie da kneift, dann wird sie gemein –

auf meinem Boot ganz allein.

 

Graske ist ein gemeiner Hund,

ein falsches Aas – er tut bloß so . . .

er weiß, der Alte ist nicht ganz gesund;

wenn mans merkt, bleibt er länger im Büro.

Und dem Junior kriecht er jetzt auch hinten rein –

auf meinem Boot ganz allein.

 

Mutter wird alt. Wie alt . . . warte mal:

vierundsechzig, nein: achtundsechzig, genau.

Grete soll ganz still sein; sie pöbelt mit ihrem Personal

Ich frage mich: muß eigentlich Verwandtschaft sein?

auf meinem Boot ganz allein.

 

Ich habe es schließlich zu was gebracht,

ich geh auf den Presseball;

auf Reisen fahr ich Zweiter; die Jacht

hier hieß früher ‹Nachtigall›.

Quatsch. Jetzt heißt sie richtig. Manchmal lade ich Willi und Ottmar ein

– nein, Ottmar nicht, der hat mich bei den jungen Aktien

nicht mitgenommen – schließlich werd ich dem Affen doch

nicht nachlaufen, das hab ich nicht nötig; stehen jetzt 192,

193 . . . wo ist denn die Zeitung? –

auf meinem Boot ganz allein.

 

Das ist meine liebste Erholungszeit,

auf meinem Boot ganz allein.

Kein Mensch ist zu sehen weit und breit –

kann man einsamer sein?

Eine Welle gluckst. Ich bin einsam. Zwar

die Inventur beginnt morgen,

wie eine Schlächtersfrau.

und wie die Sirenen mit schwimmendem Haar

ziehn im See meine Sorgen:

 

Lilly, Mama und die Wäschefabrik,

die Reparatur von ‹Heil und Sieg›,

Graske und Ottmar, der Egoist;

wer im Silbenrätsel ‹Fayence-Maler› ist –;

der Krach mit dem Chef von der Expedition;

die Weihnachtsgratifikation –

sonst aber schwimme ich hier im märkischen Sonnenschein –

auf meinem Boot ganz allein.

 

 

Zuerst erschienen in: Die Weltbühne, 11.09.1928, Nr. 37, S. 413

unter dem Pseudonym Theobald Tiger