Eugenie Schwarzwald
1872 - 1940
Projekt Semmeringschule
Eugenie Schwarzwald:Auszug aus dem Prospektder Semmeringschule
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Auszug aus dem Prospekt der Semmeringschule.
Der Gedanke, Schulen aufs Land und in die freie Natur zu verlegen und den herkömmlichen Schulunterricht in erziehlich wichtigen Richtungen zu erweitern, ist nicht neu und von hervorragenden begeisterten Männern in England (C. Reddie) und Deutschland (Landerziehungsheime des Herrn Dr. Hermann Lietz) verwirklicht worden. Etwas Verwandtes wird für den Semmering in Aussicht genommen.Die geplante Anstalt soll ein Realgymnasium für Knaben mit vorbereitender Elementarschule (also für die Altersstufen von 6 bis 18 Jahren) sein. Die Elementarklassen (6 bis 10 Jahre) werden für Koedukation (Knaben und Mädchen) eingerichtet. Es bleibt vorbehalten, nach Bedürfnis durch Parallelklassen auch für humanistische Gymnasialstudien zu sorgen. Auch wird sich eine Haushaltungsschule für junge Mädchen anschließen.Das Eigentümliche der Anstalt soll vor allem darin bestehen, daß die Schulhaltung – sonst eine städtische Einrichtung – in die freie Natur verlegt wird. Die Jugend wird aus dem kultivierten und hyperkultivierten Treiben und den unhygienischen Verhältnissen der Stadt herausgenommen, die Kinderzeit, die körperliche und geistige Reifung werden mit ländlicher Lebensweise, mit den natürlichen Urquellen der Gesundheit und normalen Entwicklung, mit den Gewohnheiten, Bedürfnissen und Arbeiten der ländlichen Umgebung, mit den lebendigen Eindrücken, den großen Dimensionen und der elementaren Frische der freien Natur in intime Berührung gebracht. Damit werden die wichtigsten Vorbedingungen für eine gerade und gesunde Entwicklung von Körper und Geist geschaffen.Sodann wird mit der Schule ein vielfach verzweigter Arbeitsunterricht verbunden. Garten- und Gemüsebau, Handwerk und primitive Technik sind Unterrichtszweige, die, je nach Kraft, Neigung und Anlage des Zöglings, praktisch geübt, ein Gegengewicht liefern sollen gegen einseitig intellektuelle Bildung, um möglichen Schäden für Körper und Geist vorzubeugen und eine harmonische Entwicklung aller Anlagen und Kräfte zu ermöglichen.Die Natur und die praktische Arbeit wirken aber auf den theoretischen Unterricht auch tiefer zurück und ermöglichen eine Art von Wissensmitteilung, die den Interessen der Jugend und ihrem Bedürfnis nach Anschaulichkeit entgegenkommt und damit das Lernen zu einer natürlichen Betätigung, zu einer Freude des Wachstums, zu einer genußvollen Arbeit macht. Das physikalische Gesetz wird in der Natur und in der Werkstatt entdeckt, geprüft, bestätigt und angewendet; Winkel werden an den Wiesen, Feldern, Bergspitzen und Sternen gemessen und zur Distanzberechnung benützt; die physiologischen und biologischen Geheimnisse der Tier- und Pflanzenwelt enthüllen sich ungezwungen und spannend dem jugendlich scharfen und wachsamen Blick auf Spaziergängen, in der Gartenarbeit; Wind und Wetter, Jahreszeiten, Vogelflug, Berg und Tal sind unmittelbare Erlebnisse, von den Bemerkungen des Lehrerfreundes zu Stücken wohlgegründeter Welt- und Naturkenntnis ausgestaltet. In der ländlichen Einsamkeit, von der Arbeit, dem Sport, dem geselligen Treiben untereinander heben sich die Erzählungen von den Taten und Leiden der großen Männer und der Völker der Geschichte als wahre, innig nachempfundene Erlebnisse der aufnahmefähigen und geschichtshungrigen Jugend ab. Sokrates, Cincinnatus, Cato, Brutus sind den Jungen unter solchen Verhältnissen etwas anderes als Anlässe zu grammatischer Gymnastik, und Copernicus, Galilei, Kepler und Robert Mayer werden anders verstanden, ja sie erwecken lebendige Sympathie und Leidenschaft, wenn man selbst eben erst an der Natur als Objekt eigenen Forschens und Denkens dasselbe erfahren und gewürdigt hat, was jene Geister als Rätsel beschäftigte und von ihnen zum Heil der Menschheit bewältigt worden ist.Bei solcher Gestaltung des jugendlichen Lebens und Lernens findet sich erst der Schwerpunkt des ganzen Schulbetriebs, der bei den gewöhnlichen Schulanstalten künstlich arg verschoben ist, in seine natürliche Lage gebracht. Die übliche Lernanstalt behandelt die Schüler allzusehr als Mittel zu einem Zweck, statt als Selbstzweck. Die Jugend soll sich Kenntnisse aneignen, um nach vollendeter Reife beruflich tätig sein zu können. Indes darf darüber nicht übersehen werden, daß die Arbeit des Lernens eine natürliche Funktion des jugendlichen Alters ist. Die Jugend lernt schon von Natur wegen, aus Bedürfnis. Das Wachstum ist auch geistig von selbst gegeben. Wie es sich körperlich vollzieht, so ist die geistige Aneignung des Wissenswerten ein ganz natürlicher Vorgang, der von Lust und Freude begleitet sein sollte. Die Jugend ergreift mit Begierde das dargebotene Neue. Das Lehren hat daher wesentlich darauf aus zu sein, dem natürlichen Bedürfnis anleitend und orientierend entgegenzukommen, damit das Lernen, die Aneignung des Wissens und Könnens, eine freie Tätigkeit, eine genußvolle Bewährung der eigenen Kräfte bleibe. Die Jugend hat schon um ihrer selbst willen ein Recht auf Anerkennung und Befriedigung; der Schwerpunkt ihrer Betätigung liege daher in ihrem eigenen Bedürfnisse und ihrem eigenen Glück. Dieses darf nicht künftigen Aufgaben oder Zwecken aufgeopfert werden.In der Semmeringschule nun soll das Leben des jungen Zöglings infolge harmonischer Befriedigung aller natürlichen Anlagen und jugendlichen Triebe eine Periode ungetrübten Wohlseins, glücklichen Gefühls des normalen Wachstums sein. Die sich entwickelnden Kräfte üben sich an den Schwierigkeiten körperlicher Arbeit sowie in mannigfachem Sport und Spiel; die Sinne schärfen und bereichern sich im Beobachten, Erforschen und Begreifen der freien Natur; der Verstand erprobt und entwickelt sich in der Anstrengung geistiger Tätigkeit. Der wachsende Mensch genießt so die Freuden der harmonischen Entwicklung und wird ins Leben im Vollbesitz aller Kräfte eintreten, welche Natur und Abstammung in ihn gelegt haben und die modernen Kulturmittel aus ihm entwickeln konnten.Bisher ist von Erziehung nicht die Rede gewesen; mit Recht: denn in einem solchen System braucht es davon nicht viel. Das gesellige Zusammenleben mit zahlreichen Altersgenossen und Lehrern und älteren Gesellschaftern (nicht "Präfekten") wird ungezwungen das alles an Rücksicht, Freundschaft, Wohlwollen, Teilnahme, Beistand, Takt und Höflichkeit mit sich bringen, worüber unter anderen Verhältnissen mit viel pedantischer Schulmeisterei und wohlweiser Belehrung geredet wird. Das Moralische versteht sich von selbst, das muß das stillschweigend vorausgesetzte Prinzip sein. Im übrigen darf man dort, wo beständige Tätigkeit und Rührigkeit voll freudevoller Abwechslung herrschen, ruhig auf die guten Anlagen der Menschheit vertrauen. Die seltenen Fälle unausrottbarer Schlechtigkeit müssen alsbald ausgeschieden werden.Dies sind in kurzen Zügen Ziele und Mittel einer guten Schul- und Erziehungsanstalt. Was sie in weiterem Zusammenhange bedeuten, darüber noch einige Bemerkungen.Die Stadt hat die Intellektualität, die geistigen Güter und die Anstalten, die den jungen Menschen damit bekanntmachen, hervorgebracht; darüber hat sich aber die kultivierte Menschheit und insbesondere der Städter von der Natur und damit von den Grundlagen der Gesundheit, inneren Harmonie und Zufriedenheit, seiner allseitigen Entwicklung und seines ihm eingepflanzten Gefühls für Weltzusammenhang entfernt. Nun wäre die höchste Aufgabe der Kultur, mit den durch die Jahrhunderte errungenen Mitteln den Weg zur Urmutter zurückzufinden und jene innige Vereinigung von Natur und Mensch, von Stadt und Land anzubahnen, von der so viele große Geister seit Rousseau geträumt haben, nach der Dichter und Denker seufzen. Einer der größten nationalökonomischen Denker (Carey) hat schon vor achtzig Jahren der wirtschaftenden Menschheit die Verknüpfung von Stadt und Land als das rationelle Ziel vorgeschrieben. Die übertriebene Scheidung der städtischen Industrie und der ländlichen Urproduktion wird bei fortschreitender Bevölkerungsvermehrung einer allgemeinen Verpflanzung der Gewerbetätigkeiten in die Landwirtschaft und einer gleichzeitigen Durchdringung der ländlichen Wirtschaft mit den technischen und kulturellen Errungenschaften der Stadt Platz machen. Stadt und Land haben sich zu vereinigen, und die technische und wirtschaftlich notwendige Arbeitsteilung ist mit örtlich naher Kooperation zu verknüpfen.Diese aus rein wirtschaftlichen Gesetzen entworfene Dezentralisierung der Städte und, man kann in gewissem Sinne sagen, neue Zivilisierung des Landes hat nun augenscheinlich ihre weit über das bloß Ökonomische hinausreichende Bedeutung. Die widernatürliche Zusammenpferchung großer Menschenmassen mit ihren gewaltigen Schäden für Gesundheit des lebenden und Existenz der künftigen Geschlechter wird rückgängig gemacht, der gewerblich und geistig arbeitende Mensch der Natur, der Ackerbauer und Viehzüchter der Kultur näher gebracht und damit eine Überbrückung sozialer Gegensätze angebahnt, die heute die schwierigsten gesellschaftlichen und staatlichen Probleme in sich schließen.Unsere Zeit hat uns nun zahlreiche Ansätze und Übergänge zu dieser Entwicklung der Zukunft gebracht. Der Zug der Städter nach dem Lande wird immer größer; die in der Industrie gewonnenen Kapitalien und Organisierungsfähigkeiten wenden sich immer häufiger der Landwirtschaft zu; Sport und Touristik gehören als Anzeichen dieser Rückkehr zur freien Natur gleichfalls hierher.Solchen Neigungen, Zielen und künftigen Notwendigkeiten soll die neue Anstalt entgegenkommen. Nichts haftet nachhaltiger, als die Eindrücke des Kindesalters; was man in der Jugend erfahren und als Gewohnheit angenommen, ist entscheidend für die weitere Gestaltung des Lebens. Eine in der freien Natur, in Garten, Feld und Wald aufgewachsene Jugend wird, wo immer sie der Beruf und das Schicksal einst hinstellen, niemals die wohltätige Sehnsucht nach der ländlichen Weite und unverschränkten Natur verlieren. Sie wird der städtischen Kultur und Überfeinerung mit der nötigen Kritik gegenüberstehen und in ihren Unternehmungen und Plänen, aber auch unwillkürlich in allen ihren Betätigungen zu jener Rückauflösung der Stadt ins Ländliche oder, wie man will, zur Verstaatlichung des Landes beitragen, die eine Gesundung unserer Rasse und unserer Kultur allein ermöglicht und von den höchsten Geistern als Programm der Zukunft entworfen ist.Das wäre also eine ideale Unterrichtsanstalt, die auch eine Art landwirtschaftlich-handwerkerlicher Kolonie oder Siedlungsgenossenschaft wäre, in der jeder Zögling, je nach Alter, Kräften und Fähigkeiten, in praktischer Arbeit tätig ist. Die Natur wäre für ihn nicht bloß Umgebung, Quelle von Gesundheit und Heiterkeit, sondern auch Objekt für seine Arbeit, und er würde ihre Stoffe und schaffenden Kräfte genau kennen lernen, indem er in Garten, Feld und Wald wirtschaftet. Er würde Viehfutter, Gemüse, Blumen ziehen, er würde graben, düngen, pflanzen, jäten und ernten. Er würde den Stoffwechsel des Bodens kennen lernen, die Abfallstoffe der menschlichen Behausung und Wirtschaft verwenden, die Wirksamkeit der Naturkräfte erforschen, die meteorologischen Vorgänge nicht mit nur theoretischer oder sportlicher Teilnahme, sondern mit der Leidenschaft des Gemüse- und Blumenzüchters verfolgen und sich darnach richten.In der neuen Schule wird für die notwendigen Werkstätten gesorgt sein, damit die Schüler auch mit Werkzeug und Materialien umgehen lernen. Nicht mehr oder weniger spielerische Handfertigkeit, sondern wirkliches Handwerk wird getrieben. Tischlerei, Drechslerei, Metallbearbeitung, Korbflechten, Buchbinderei u. dgl. werden fachmännisch gelehrt und geübt. Die nötigen Ausbesserungen werden von den Zöglingen besorgt, sie schaffen sich eine Menge von Geräten und Gebrauchsgegenständen selbst, sie verfertigen viele der Demonstrations- und Experimentierobjekte für das physikalische und chemische Laboratorium, sie bauen sich etwa gar Schlafhütten, Villenhäuschen etc. Damit wird zweierlei erreicht. Zunächst einmal wird die einseitige Intellektualität, das fast unvermeidliche schädliche Ergebnis unseres gewöhnlichen Schulbetriebs, gründlichst vermieden. Der Spaten, der Hobel sind dem Jungen ebenso vertraut, wie der Zirkel und das Wörterbuch; ja sie werden ihm oft genug zweckmäßiger und interessanter vorkommen, als die Instrumente des Unterrichts. Sodann aber wird der Zögling Verständnis für die Gegenständlichkeit und Technik der ihm geläufigen Kultur gewinnen, das dem heutigen Stadtkind durchaus fremd ist und vom Erwachsenen nur in den seltensten Fällen nachträglich erworben wird. Der Schüler hat die Früchte der Arbeit schätzen gelernt; er weiß welche Aufwendungen an Kräften und Stoffen, welche Überlegungen, welche Sorgfalt in all den zahllosen Dingen stecken, die er heute gedankenlos kauft und konsumiert: im Getreide und Brot, im Gemüse, im Fleisch u.s.w. Er wird alle Materialien, aus denen die Objekte seines täglichen Gebrauchs bestehen, mit gedankenreicherem Blick betrachten, denn er weiß, wie das Holz beim Hobeln, schnitzen, Leimen und Zusammenfügen behandelt werden muß, wie wertvoll Metall, Leder, Ton und Glas sind. Er kennt die Eigentümlichkeiten jedes Stoffs, seine Verwendbarkeit, seine Vorzüge und Mängel. Er wird die Gebrauchs- und Luxusgegenstände, alle Erzeugnisse der Industrie mit dem kritischen Blick des Kenners und Praktikers betrachten, wird jede Art von Arbeit und Fähigkeit zu schätzen wissen. Er ist nicht mehr von jedem Handwerker und Verkäufer abhängig, um über die Dinge nach Wert, Zweckmäßigkeit und Schönheit urteilen zu können, ja, er wird in gewissem Sinne jedem Spezialisten überlegen sein: denn in ihm vereinigt sich die höhere allgemeine Bildung mit der Sachverständigkeit des Handarbeiters.Nun würdige man aber auch die sonstigen sozialen Folgen einer solchen Erziehung: das Verständnis für die Leistungen des Handarbeiters, für den Zusammenhang der sozialen Schichten und der verschiedenen Produktionen, die Wertung der Produkte und die damit verknüpfte Abneigung gegen jede Art von Vergeudung, die Würdigung der verschiedenen Befähigungen und Genialitäten – und man wird absehen, welche Kulturfolgen eine Umgestaltung der Jugendbildung in der angegebenen Art bei einiger Verallgemeinerung haben könnte.Die frühzeitige freie Übung aller Fähigkeiten und Erprobung der natürlichen Anlagen wird auch die besten Voraussetzungen schaffen für die hochwichtige Entscheidung über den künftigen Beruf. Früh schon werden sich einerseits die Neigungen aussprechen, anderseits die Aneignung der Kenntnisse und Fertigkeiten schon einigermaßen im Hinblick auf die künftigen Lebensziele differenzieren lassen.Dem Zögling der Semmeringschule ist der Aufenthalt im Freien, das Leben in der Natur das Normale; unter Dächer zieht er sich nur zu gewissen Arbeiten und zum Schlafen zurück, und auch dabei ist freier Luftzutritt das Selbstverständliche. Spiel und Sport, Arbeit im Freien haben ihn luft- und wetterfest gemacht, die tausend Kränklichkeiten und Zimperlichkeiten der Städter sind ihm fremd. Seine Sinnesorgane sind frisch und scharf, das Auge, beständig mit freien Entfernungen vertraut, hat seine natürliche Akkomodationsfähigkeit nicht verloren und dient beim Lesen wie beim Schießen mit gleicher Sicherheit. Der Geruchsinn wird von dumpfer Stubenluft sogleich ebenso beleidigt, wie von den unnatürlichen Parfüms der Mode, das Ohr ist durch den Straßenlärm der Stadt nicht abgestumpft. Der Vollbesitz aller Kräfte ist die Vorbedingung für unerschrockenen Mut, mit dem der ehemalige Zögling in allen Lebenslagen seinen Mann zu stellen wissen wird.In der Anstalt wird nicht etwa übertriebene Freiheit oder gar Anarchie herrschen, vielmehr werden die freie Übung von Spiel und Sport und die Rücksicht auf Neigungen und Anlagen ihr notwendiges Gegengewicht in straffer Organisation und Ordnung finden. Diese ist natürlich schon mit dem systematischen Klassenunterrichte in gewissem Maße gegeben. Daneben wird regelrechtes Exerzieren und Marschieren geübt werden. Chorsingen, Orchestermusik, Selbstregierung der Schüler u. dgl. sind ebenso wie die gemeinsamen Mahlzeiten weitere Gelegenheiten zur Gewöhnung an Disziplin. Der Kulturmensch ist nicht allein ein Individuum, das ein Recht auf freie Entwicklung hat, ihm soll auch bekannt und geläufig sein, daß die höheren Kulturziele nur durch Verbindung mit Gleichen, durch Ein- und Unterordnung, durch Hingabe und persönliche Opfer zu erreichen sind. Freiheit und Ordnung haben sich zu ergänzen. Dem Zögling wird deshalb auch – was nicht gering zu schätzen – die Erfüllung der dereinstigen Militärpflichten leicht fallen. Er wird aber auch sonst im weiteren Leben ebenso gutzweckmäßig zu leiten und zu organisieren, wie rechtzeitig und sachlich zu gehorchen verstehen.Der Semmering eignet sich aus vielen Gründen besonders für die geplante Anstalt. Er ist einerseits, wie sehr notwendig, genügend von dem Treiben der Städte und Industrieplätze entfernt, anderseits aber an einem wichtigen Verkehrsstrang gelegen, so daß Ausflüge der Zöglinge nach den Kulturstätten und Besuche der Eltern bei ihren Kindern leicht auszuführen sind. Damit wird auch der nun einmal unvermeidliche Übelstand, daß die Kinder dem Elternhaus entzogen werden, einigermaßen gelindert. Der Semmering bietet durch sein berühmtes mildes Winterklima die nötigen Voraussetzungen dafür, den größten Teil des Jahres im Freien verbringen zu können; die winterlichen Sportgelegenheiten sind bekanntlich die denkbar günstigsten. Das Heim wird auf sonniger Wiese, mitten zwischen herrlichen Wäldern, auf einem Platze, den die k. k. privilegierte Südbahngesellschaft in entgegenkommender Weise zu günstigen Bedingungen überlassen hat, gelegen sein. Es wird enthalten: Schul-, Wohn-, Arbeits-und Spielräume, Werkstätten, Speisesäle, Konzert- und Theatersaal, eine kleine Sternwarte, Lehrerwohnungen. Garten- und Gemüsebeete, Plätze für Fußball und Tennis, Bade- und Schwimmanstalt sind zugehörige Anlagen. Die Pläne dazu sind bereits durch den bekannten modernen Architekten Adolf Loos ausgearbeitet.Die Schulen werden, wie eingangs schon erwähnt, nach den offiziellen Lehrplänen eingerichtet, und es wird nichts im Wege stehen, daß sie vom Staate das Öffentlichkeitsrecht erhalten. Tüchtige, erfahrene, charaktervolle Pädagogen von moderner Lebensanschauung werden den Unterricht leiten.Der Garten-, Handfertigkeits- und Handwerksunterricht werden Fachleuten anvertraut. Sportübungen und Spiele, Musikunterricht, Gymnastik werden wesentliche Bestandteile des Unterrichtssystems bilden.Bei der Qualität der in Aussicht genommenen Leistungen und Einrichtungen wird das Schulgeld kein sehr mäßiges sein können. Immerhin wird es nicht namhaft über das sonst bei Internaten übliche Ausmaß hinausgehen. Ein wichtiger Grundsatz wird sein, daß das festgelegte Entgelt alle Nebenauslagen in sich schließen wird. Die sonst in Internaten gesondert berechneten Kosten für Wäsche, Bücher, Musik- und Nachhilfeunterricht, Arzt, Apotheke, Taschengeld u. dgl. werden im Gesamtschulgeld inbegriffen sein, um keinerlei Ungleichheit unter den Zöglingen aufkommen zu lassen.Die relativ beträchtliche Höhe des Schulgeldes legt das Bedenken nahe, die Anstalt könnte den einseitigen Charakter einer Luxusunternehmung für Reiche annehmen. Es ist nach dem Vorangegangenen selbstverständlich, daß planmäßig und energisch dafür gesorgt werden wird, daß sie in einem durchaus anderen Geiste geführt werde. Doch wird immerhin und trotz der zahlreichen Freiplätze, die in Aussicht genommen werden, in der Tat nicht zu vermeiden sein, daß eine solche Anstalt zunächst überwiegend den Kindern der besitzenden Klassen zu gute kommt. Soll aber deswegen, weil nicht gleich den Kindern aller Schichten Freilufterziehung zu teil werden kann, nicht versucht werden, sie einigen zu verschaffen? Und ist die Frage der rationellen Bildung und Erziehung jener jungen Menschen, die einst als Fabrikanten, Bank- und Kaufleute, Politiker, Ärzte, höhere Beamte und Rechtsanwälte die politische, soziale und wirtschaftliche Leitung und Bestimmung des ganzen gesellschaftlichen Körpers, die Bildung des öffentlichen Geistes und die Führung der Unternehmungen jeder Art entscheidend in Händen haben werden, nicht mindestens ebenso wichtig, wie die Frage der allgemeinen Volkserziehung? Die Gliederung der Gesellschaft in Klassen besteht nun einmal und wir können, soweit abzusehen, nichts daran ändern. Wer aber dazu beiträgt, daß in die leitenden und herrschenden Klassen gerechte und gute Gesinnung, fester Wille zum Guten, aufrechter Mut und Tatkraft komme, der hat für die ganze Gesellschaft etwas Nützliches und Bedeutendes unternommen, und an der nächsten Generation so Erzogener wird es dann sein, für das Glück der Jugend weiterer Kreise so zu sorgen, wie für das ihrige einst gesorgt worden ist!
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Um eine solche Anstalt auf dem Semmering für etwa 200 interne Zöglinge zu schaffen, ist für Ankauf von Grund und Boden, Errichtung und innere Einrichtung der Gebäude, Anlage der Spielplätze, Gärten u.s.w. nach den Voranschlägen ein Kapital von etwa 1 Million Kronen erforderlich.Davon wird ein großer Teil durch Hypotheken bedeckt werden, der Rest soll durch Zeichnung von Anteilen aufgebracht werden. Um ein weiteres Publikum heranzuziehen, werden nunmehr auch Zeichnungen auf Beträge von 200 Kronen an entgegengenommen.Wer sich für die weitere Entwicklung und den Ausbau unseres Erziehungs- und Schulwesens tatkräftig interessiert und einer höchst aussichtsreichen Unternehmung zum Leben verhelfen will, wird eingeladen, durch Zeichnung von Anteilen zur Beschaffung der materiellen Unterlagen beizutragen. Die Begründung dauernder oder mehrjähriger Stiftplätze wäre natürlich eine besonders willkommene Form der Förderung.
Semmering-Schulgesellschaft, Frau Dr. Eugenie Schwarzwald,
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