Eugenie Schwarzwald
1872 - 1940
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Projekt Semmeringschule
Eugenie Schwarzwald:Die Semmeringschule
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Die Semmeringschule.
Wie bekannt, ist es mir gelungen, eine Gesellschaft von Freunden der Jugend für die Gründung einer Schul-und Erziehungsanstalt auf dem Semmering zu gewinnen. Es soll in 1000 m Seehöhe inmitten der berühmten Nadelwälder, unweit der steirischen Grenze, zwei Eilzugsstunden von Wien, an windgeschützter Stelle auf sonnigem Plateau Unterkunft für 200 Zöglinge und die erforderlichen Lehrer und Erzieher geschaffen werden. Den Kern der Schule selbst soll ein achtklassiges Realgymnasium (nach Bedarf mit humanistischer Parallelergänzung) bilden; angegliedert wird eine vierklassige Vorschule sowie eine Haushaltungsschule für junge Mädchen. Der Schulbetrieb wird durch Handwerksunterricht, Gartenbau und etwas Landwirtschaft (nach Neigung und Fähigkeit der Schüler) ergänzt werden. Lage der Schule und der ganze Betrieb werden also darauf angelegt sein, den Zöglingen eine glückliche, sich frei und reich ergehende Jugend zu sichern und ihnen für das weitere Leben neben solidem Wissen auch Kraft und Gesundheit, unverbogene Geradheit und Charakterstärke mitzugeben.Schon vor acht Jahren habe ich einem kleinen Kreise von Freunden einer Schulreform meine Gedanken über die Errichtung einer Schule auf dem Lande vorgetragen. Es handelte sich darum, englische Erziehungsgrundsätze und die der deutschen Landerziehungsheime des Dr. Hermann Lietz passend in unsere österreichischen Verhältnisse zu ubertragen. Damals scheiterte die Sache nicht nur am Mangel an Mitteln, sondern vor allem, weil wir keinen geeigneten Platz zur Ausführung finden konnten.Vor zwei Jahren habe ich den Gedanken wieder aufgenommen, als ich den Platz hinter der Südbahnmeierei auf dem Semmering als für uns passend erkannte. Ich vergewisserte mich der Zustimmung der Gemeinde Breitenstein-Semmering, die sich mit Recht große Vorteile von der Gründung verspricht. Man sicherte mir Unterstützung und Förderung jeglicher Art zu, und so ging ich an das schwere Werk, Freunde für die Semmeringschule zu werben.Es ist besser gegangen, als man vermuten durfte, und wenn man bedenkt, daß der größte Teil der Arbeit in eine bewegte, unruhige und finanziell beengte Zeit fiel, so kann man sogar von Erfolg sprechen.Wir haben bisher mehr als hundert Persönlichkeiten gefunden, die etwa 300000 Kronen gezeichnet haben. Es ist niemand dabei, der auf Gewinn ausgeht. Zwar wird die Anstalt eine entsprechende Verzinsung bieten, doch soll diese statutengemäß nicht höher als bis zu 6 Prozent gehen. Man darf aber auf höhere Einkünfte {insbesondere aus dem Ferienheim) rechnen, und man wird sie nötig haben, um Verbesserungen, Erweiterungen und Freiplätze daraus zu bestreiten. Es soll der nicht allzu häufig vorkommende Fall eintreten, daß eine Geschäftsunternehmung aus eigenen Mitteln eine für die Gesamtheit segensreiche Kulturleistung vollbringt.Erleichtert wird die Aufgabe dadurch, daß uns die Südbahngesellschaft, die aus moralischen und materiellen Gründen an der Entstehung der Anstalt Interesse hat, nicht nur den Bauplatz von etwa 20000 m2 zu einem sehr bescheidenen Preise überlassen, sondern auch sonst weitgehende Unterstützung zugesagt hat. Für diese Mitarbeit an unserem Werke schulden wir bisher insbesondere Herrn Generaldirektor v. Weeber und Herrn Verwaltungsrat Professor Dr. Landesberger Dank.Ein weiterer Vorteil erwächst uns aus der Möglichkeit, an die Baustelle anstoßende vier Hektar Wiesengrund zur Einrichtung von Spielplätzen pachtweise zu übernehmen.
Grund- und Aufriß der Semmeringschule, entworfen von Adolf Loos
Auch in der Wahl des Architekten hatten wir Glück. Adolf Loos, dessen beinahe zwanzigjährigem Kampf gegen Unnatur, Unwahrheit, Überladung und Unechtheit in Architektur und Inneneinrichtung man schon so viel verdankt, ist gerade der rechte Mann für ein Bauwerk, dessen Hauptreiz in der Einfachheit und Zweckmäßigkeit liegen muß. Seine ganz auf unsere Zeit eingestellte Natur, die jedem veralteten Schnörkel abhold ist, voll Verständnis für neuzeitliche Erziehungsfragen, hat rasch alle Bedürfnisse begriffen und seine Entwürfe diesen vollkommen angepaßt.Die Ausführung des Baues wird der angesehenen Firma Westermann & Cie. übertragen, die in regem Interesse für die Unternehmung sich der Sache sorgfältig und umsichtig annimmt.Unsere oberste Unterrichtsbehörde hat der neuen Schule alle mögliche Förderung zugesagt. Diese soll (bei Erfüllung der vorgeschriebenen Bedingungen) das Öffentlichkeitsrecht und das Recht, Reifeprüfungen abzuhalten, bekommen; auch sollen gegebenenfalls staatlich angestellte Professoren zur Dienstleistung auf dem Semmering beurlaubt werden.Hervorragende Lehrer und Mitarbeiter sind bereits gewonnen. Es sind dies für die Sache begeisterte und ihr ganz sich hingebende Persönlichkeiten, die alle Gewähr für die Verwirklichung unserer Ideen bieten. Die Persönlichkeit ist das Entscheidende, nicht nur bei den Lehrern und den sonstigen der Jugend zugesellten Mitarbeitern, sondern bei allen im Hause Tätigen. Wäre ich nicht sicher, darin gut und mit Erfolg wählen zu können, hätte ich mich nicht an das große Werk gewagt.Schon jetzt, ehe der erste Spatenstich getan ist, zeigt das Publikum großes Interesse. Beinahe täglich laufen aus Österreich (insbesondere aus der Provinz), aber auch aus Deutschland, Skandinavien und Amerika Nachfragen nach dem Eröffnungstermin ein. Es besteht also gegründete Hoffnung auf sehr zahlreichen Zuspruch. Das Internat wird viel von der Provinz und vom Ausland besucht sein, das Ferienheim hauptsächlich von Wiener Kindern. Als Externschüler kommen alle Kinder aus dem ganzen Semmeringgebiet in Betracht, da ja dieses keine einzige höhere Schule besitzt.Es gibt ja so viele Kinder, die gar kein Elternhaus haben oder deren Eltern an einem Orte ohne Schule zu leben genötigt sind, auch Familienverhältnisse, die die Entfernung der Kinder nahelegen; in allen solchen Fällen wird man die Freiluftschule der Stadtschule vorziehen. Ausländer, die ihre Kinder deutsch lernen lassen wollen, Offiziere und Beamte, die viel von Ort zu Ort ziehen, Landwirte werden unser Publikum sein.Vor allem aber wird das Ferienheim einem dringenden Bedürfnis genügen. Wie bequem und erfreulich für Eltern, die ihre Kinder in den Ferienwochen nicht bei sich haben können, ihnen in solcher Gegend ein sorgsam geleitetes und doch ungebundenes Jugendleben mit Handarbeit, Gartenarbeit und Sport in freier und gesunder Natur verschaffen zu können!Unsere sehr sorgfältigen Erhebungen haben ergeben, daß wir auf je zehn zahlende Internatsschüler zwei halbe und einen ganzen Freiplatz vergeben können. Im Ferienheim, welches geringere Kosten verursacht, werden auf zehn zahlende Kinder schon drei ganze Freiplätze kommen können. Das ist nicht nur vom Standpunkte des Menschenfreundes sehr erfreulich, sondern auch für die pädagogische Seite der Sache von großem Wert. Sorgfältig nach Charakter und Intelligenz ausgesuchte Kinder aus ordentlichen, wenn auch materiell beschränkten Verhältnissen gereichen den Erziehungszwecken, wie ich aus eigener Erfahrung weiß, zu großem Vorteil. –Warum gerade auf dem Semmering? bin ich oft gefragt worden. Die Antwort ist leicht zu geben. Wir brauchen ein Klima, in dem der Winter die schönste Jahreszeit ist, denn das ist unsere intensivste Arbeitszeit. Dieses bietet uns nahe von Wien nur der Semmering. Denn wir können nie die Mittel aufbringen, einen bisher unbelebten Platz zu erschließen. Wir brauchen fertige Straßen, Wasser, elektrisches Licht, eine Schnellzugsverbindung. Wir müssen in der Lage sein, einzelne Lehrer aus Wien kommen zu lassen; auch künstlerische Veranstaltungen wollen wir uns ermöglichen. Auch können wir an einem freien Tag in Wien vormittags eine Sammlung, nachmittags eine Theateraufführung besuchen, dabei doch abends auf dem Semmering schlafen. Die Haushaltungsschülerinnen, die meist aus Wien sein werden, sollen einem Ruf aus dem Elternhause leicht folgen können. Es würde zu weit führen, alle Vorzüge, die ein der Großstadt nahegelegener Platz bietet, aufzuzählen. –Die Semmeringschule kann ein Kinderparadies werden, ich glaube fest daran.Das gibt mir Mut zum Werke. Denn ich kann nicht verschweigen, daß ich in dieser Sache schon sehr viel gelitten habe und noch leiden werde. Aber ich fühle mich stark genug. Denn so oft mich Bosheit oder Kargheit wegschicken, Rückständigkeit und Beschränktheit mich durch törichte Fragen peinigen, oder gar jene eigentümliche wienerische Unlust gegen gute Neuerungen mich zur Verzweiflung treiben will, brauche ich mir nur unseren schönen, geschlossenen Hofraum vorzustellen, erfüllt von strahlenden, gesunden und lebensvollen Kindern. Immer wieder sehe ich sie im Nacht- und Tagtraum. Und ich höre sie singen: O Täler weit, o Höhen, du schöner grüner Wald...Mit dieser Melodie im Ohr kann man weit kommen und wird nie müde.
Im Juli 1913.Eugenie Schwarzwald. |