Hugo Salus
1866 - 1929
Buchbesprechung
1896
in:Journal Archives of Dermatological ResearchVolume 34, Number 1 / December, 1896, 156-159Publisher Springer Berlin / Heidelberg
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F. Hueppe, Naturwissenschaftliche Einführung in die Bacteriologie.Wiesbaden, C. W. Kreidel's Verlag 1896.Angezeigt von Dr. Hugo Salus in Prag.
Das neue Werk Hueppe's, dessen «Methoden der Bacterien-forschung» noch immer als das classische Lehrbuch der Bacteriologie gelten dürfen, ist nicht etwa als eine Art von Baedecker in das Reich der Mikroorganismen, als ein Vademecum für alle, die Bacteriologen werden wollen, aufzufassen; es ist vielmehr für fertige Bacteriologen geschrieben, es verlangt eine gute Kenntniss Alles für einen Bacterienforscher Wissenswerthen und macht sich über die jetzigen Erfahrungen. und Kenntnisse Gedanken. Wie wir gleich vorweg feststellen wollen, kluge und bedeutende Gedanken, wie man sie von einem so genialen Forscher nicht anders erwarten kann. Es sind in diesem Buche nicht so die einzelnen bisher gesicherten Thatsachen aus dem kleinen Gebiete der Bacterienkunde als solche erläutert, sondern diese Bereicherungen unserer Erkenntniss werden vom Standpunkte des Naturforschers behandelt und kritisirt; es wird der lobenswerthe Versuch gemacht, die Bacteriologie, die sich in oft kindischer Weise in Erforschung unwichtiger Einzelthatsachen zersplitterte, zu dem höheren Range der Naturforschung zu erheben. Viele werden daher, wenn sie naiv eine Verherrlichung der jungen Wissenschaft von dem neuen Werke Hueppe's erwarten, enttäuscht sein; aber geistige Anregung und Erweiterung des wissenschaftlichen Horizontes werden Alle dem Buche verdanken, die unbeeinflusst von irgend einer Richtung sich in das Gebotene vertiefen.Von den Formen der Bacterien ausgehend, bespricht H. die Lebensäusserungen der Mikroorganismen, ihre Beeinflussung durch äussere Einflüsse, den Chemismus der Nährsubstrate und kommt – nach einem kurzen Ueberblicke über die Verwendung der Bacterien in der Technik – zu dem begründeten Schlusse, dass die Arten der Bacterien nicht im naturhistorischen Sinne Arten sind, sondern Anpassungs-, Ernährungsmodificationen. Damit stellt sich H. in bewussten, directen Gegensatz zur Schule Koch's, der specifische krankheiterregende und gährungerzeugende Bacterien als Ursachen bestimmter Krankheiten und Gährungen annimmt. Der Begründung dieses seines gegnerischen Standpunktes sind die folgenden Abschnitte gewidmet. Diejenigen, die seinen Vortrag auf der Naturforscher-versammlung in Nürnberg 1893 kennen, werden sich freuen, zu der ersten etwas schwerverständlichen Fassung seiner Ideen von damals jetzt einen erklärenden und klaren Commentar zu finden: die Capitel, in denen er von den Ursachen, ihrer Aequivalenz mit den Wirkungen, Hemmungen und äusseren Bedingungen spricht, sind tief durchdacht und in jedem Satze bedeutend. Und wenn sein Zorn gegen die unwissenschaftliche Auffassung der Krankheitsursachen immer wieder durchbricht, so ist es der Zorn eines Ueberzeugten und nicht Verstandenen. Nicht die Krankheitserreger sind nach Hueppe die specifischen Ursachen der Krankheiten, sondern die Art der getroffenen Organe, Gewebe oder Zellen; nur von deren innerer Einrichtung hängt die Krankheit ab. Die Krankheitserreger sind nicht specifisch: Staphylococcus aureus zum Beispiel bildet auf dem Nährboden eine prachtvolle gelbe Farbe, ist also chromogen, er erregt aber auch in einer Zuckerlösung Säurebildung und auf dem lebenden Nährboden Eiterung. Und ebenso passen die anderen Bacterien nicht in die ihnen von Cohn aufgedrängten Eintheilungsrubriken als entweder pathogene, oder chromogene, oder zymogene Kleinlebewesen.Die «specifischen Krankheitserreger» sind nicht specifisch, denn sie verlieren unter gewissen Bedingungen ihre Fähigkeit, überhaupt als Krankheitserreger zu wirken; sie bringen – als weiteres Argument gegen ihre Specificität – nicht auf verschiedenen Thieren immer wieder dieselben Krankheiten hervor; und verschiedene Bacterien bewirken in denselben Organen die gleichen Krankheiten; alle möglichen Arten von Bacterien erzeugen Eiterung, Endocarditis, Septikaemie.Der «Riesenfortschritt der Bacteriologie über Koch hinaus» besteht in der Feststellung der Thatsache, dass nur bei gleichen Bedingungen gleiche Wirkungen durch die Bacterien erzielt werden, dass es also keine specifischen Krankheitserreger gibt, «dass die Krankheitserreger als auslösende Anstösse nur das auslösen, was als Krankheitsanlage irgendwie nach Mass und Art im Menschen vorhanden ist».Es gehört viel Muth und ehrliche Ueberzeugnng dazu, einen solchen Satz – er bildet eigentlich den Inhalt des ganzen Werkes – zu einer Zeit auszusprechen, in der die geistige Trägheit sich mit dem Erfolge glücklich fühlte, endlich für so viele Krankheiten ihre specifischen Erreger gefunden zu haben; in einer Zeit, die sich im Abfangen und Vernichten der kleinen, grossen Feinde des Menschengeschlechtes nicht genug thun konnte und die freudig begann, gegen die specifischen Krankheitsursachen specifische Heilmittel zu ersinnen, Dass Hueppe diesen Bestrebungen entgegentritt, ist nach dem vorhin Gesagten selbstverständlich. Er redet der directen Beeinflussung des Organismus das Wort und wendet sich lebhaft gegen die Bacillentödter und zwar, was die Form seiner Sprache anlangt, in geradezu classischer Weise. Ein specifisches Heilserum gibt es nicht und kann es nicht geben; der Organismus des Menschen verfügt an sich über kräftige zellulare und von den stabilen Gewebs- und den beweglichen Wanderzellen mittelbar oder unmittelbar abhängige chemische Abwehrkräfte, welche ihn befähigen, mit Saprophyten, aber auch mit Parasiten und deren Giften fertig zu werden; die Heilsera, die nicht specifisch wirken, sind nur Eiweissreizmittel und activiren Kräfte des Organismus, die in latentem Zustande schon vorhanden waren.Die Anhänger Hueppe's werden sich gern von ihm überzeugen lassen; die Skeptiker werden eine Fülle von Anregungen aus seinen verneinenden Lehrsätzen schöpfen; die Anhänger der «specifischen Richtung» aber werden wenigstens zugeben müssen, dass sie es mit einem bedeutenden Gegner zu thun haben und werden in einer Epoche wissenschaftlichen Streites, in der das Wort Heilserum schon eine Art suggestiver Wirkung ausübt, stutzig werden und von dem kleinlichen Standpunkte ihrer Sonderuntersuchungcn, die sie sehr wichtig dünkt, auf den allgemeinen Naturforscherstandpunkt hingewiesen, der von einem höheren Gesichtspunkte aus die Resultate sichtet und ordnet. Jedenfalls werden sie den apodiktischen Forderungen Hueppe's, im nächsten Abschnitte des neuen Werkes: «lieber die Verhütung der Seuchen durch Bekämpfung der Krankheitsursachen» umsomehr zustimmen, als darin nach dem Bacteriologen der Hygieniker und zwar der mit gesundem Menschenverstande ausgerüstete nicht verblendete Hygieniker zum Worte kommt, der mit wehmüthigem Humor über die verkehrten Massregeln der Bacterienvernichtung lächelt und die Aerzte und Behörden wieder an die praktisch durchführbaren Massregeln zum Seuchenschutze erinnert.Das neue Buch Hueppe's wird Aufsehen erregen; möge dies Aufsehen nicht nur in dem originellen, negirenden Standpunkte Hueppe's seinen Grund haben, sondern so wirken, wie es gedacht ist: befruchtend und klärend. |