BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Hugo Salus

1866 - 1929

 

Das blaue Fenster

 

Novellen

 

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Anhang

 

Von Hugo Salus erschienen bisher:

 

Novellen des Lyrikers. Dritte Auflage. Egon Fleischel & Co., Berlin.

Gedichte. Zweite Auflage. Albert Langen, München.

Neue Gedichte. Albert Langen, München.

Reigen. Gedichte. Zweite Auflage. Albert Langen, München.

Ehefrühling. Fünftes bis siebentes Tausend. Buchschmuck von Heinrich Vogeler-Worpswede. Eugen Diederichs, Leipzig.

Susanna im Bade. Buchschmuck von Wilhelm Scholz. Albert Langen, München.

Christa. Ein Evangelium der Schönheit. Buchschmuck von Emil Orlik. Zweite Auflage. Wiener Verlag.

Ernte. Gedichte. Zweite Auflage. Albert Langen, München.

Neue Garben. Gedichte. Albert Langen, München.

 

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Verlag von Egon Fleischel & Co. / Berlin W 35

 

Novellen des Lyrikers

von

Hugo Salus

 

Preis geh. M. 2.-; geb. M. 3.-

 

Aus den Besprechungen:

 

Dresdner Anzeiger: Mit dem Begriff Novelle im klassischen Sinne, im Geiste Maupassants etwa, darf man freilich nicht an diese überaus zarten Stimmungsbilder herantreten. Das Improvisierte, bisweilen Skizzenhafte des Rahmens, in dem uns ein Eindruck, subjektiv empfunden, lyrisch ausgesponnen, entgegentritt, ist von dem Greifbaren, ja Plastischen, das der Epiker geben will, himmelweit verschieden. Das aber gerade macht das ganze Freie, Urpersönliche des Verfassers aus, der ja nirgends den Lyriker verleugnen will, und dem epische Versuche im herkömmlichen Sinne gar nicht gelingen. Durch die lyrische Stimmung, die er in den besten Stücken ganz einheitlich festzuhalten weiß, durch eigenen Ton, der so gar nichts literarisch Gewolltes, oder gar Konventionelles hat, schlägt er uns in Bann. Es kommt Salus gar nicht auf die äußeren Geschehnisse, sondern auf das innere Erleben an. Ganz wundervoll ist das einem echten Dichtergemüt entsprungene Märchen: «Wo kommen die Kinder her?»

 

Hamburger Nachrichten: Einen besseren Titel hätte der Dichter seiner Novellen-Sammlung nicht geben können, denn aus jeder seiner Erzählungen spricht so unverkennbar der Lyriker, der zartbesaitete Gefühlsmensch, dem alles, was er sieht, viel weniger in realer Gestalt als vom Hauch der Poesie verklärt erscheint, daß man oft Verse und nicht Prosa zu lesen glaubt. Wenn man auch in manchen Dingen anders – nüchterner und deshalb vielleicht klarer – urteilt als Hugo Salus, immer achtet und schätzt man den feinsinnigen Poeten, dessen Bilder in wohltuender Reinheit vor uns erstehn, dessen Sprache den Stoff meistert und ihn beschwingt.

 

Heimgarten, Graz: Seltsame kleine Geschichten eines wahren Dichters in der feinen rhythmischen Sprache, an die uns Salus in seiner Lyrik bereits gewöhnt hat. Aus unscheinbaren, den profanen Blicken meist wertlosen Dingen und Geschehnissen erträumt sich seine Muse ihre wunderlichen Abenteuer und gestaltet sie zu kleinen Novellen, die man allerdings nicht «spannende Geschichten» nennen kann im landläufigen Sinn, die aber feineren Lesern ein willkommener Genuß sein werden in ihrer tiefen Symbolik und ihrem demütigen Gefühl für die Wunder des Lebens.

 

Das Literarische Echo: Der Lyriker, der uns diesmal Novellen darbietet, hat einmal in seinem ersten Versbuche ein sehr sinniges und schönes Sonett geschrieben, das nunmehr verleugnet ist. Damals sagt er:

Zu schmal ist meines Dichterhauses Schwelle,

Die Tür zu niedrig. Des Gewandes Falten

Muß selbst die Lyrik eng zusammenhalten

Will sie besuchen mich, die sonnighelle.

Doch für mein Ideal, für die Novelle,

Ist schon die Tür zu eng. – – –

Nun hat sie dennoch Eingang gefunden. Wenn man will, durch ein Hinterpförtchen, denn unter den schematischen Begriff der Epik lassen sich die zarten, duftigen Geschichten nicht so leicht einfügen, weil sie Bilder und Träume, spinnwebfeine Fabeleien und verlockende Plaudereien sind – Novellen des Lyrikers und nicht Novellen schlechthin. Der epische Kothurn fehlt; Salus sitzt nicht am Vorlesetisch, sondern näher, viel näher. Ein anheimelndes Gefühl, eine liebliche und vertrauliche Art liegt in der persönlichen Diktion – gleichsam als säße man freundschaftlich mit zusammengerückten Stühlen um einen Tisch, und einer, irgend einer, aber ein Kluger und Feiner, begänne mit einem Male eine Geschichte zu erzählen mitten in eine Plauderei hinein oder in ein Schweigen.

Jene schöne Mühelosigkeit, die das leichte und doch so geschickt gesponnene Gefüge von Salus Weisen uns lieb und wert macht, verleiht diesen Geschichten eine unliterarische, würzige Frische, eine Lebendigkeit und Beweglichkeit, die das Absichtsvolle, das ja in jeder belletristischen Schöpfung fühlbar wird, möglichst unterdrückt.... Nicht einen Neuen gewinnt man mit diesem Buche lieb, sondern den lyrischen Fabulanten, den klugen, geschmackvollen und feinsinnigen Dichter des Lebens, Hugo Salus, der selbst in der kleinsten Facette das Bild der großen Kräfte zu spiegeln weiß.

 

Die Zeit: In dem neuen Buche von Hugo Salus haben mich die Titelnovelle und «Das Register» entzückt. Die erste Novelle sollte die dramatisch bewegte Geschichte einer verratenen Frauenseele werden. Salus hatte die feste Absicht, es auf der «ehrenwerten Landstraße der Sprache, die auch einmal zwischen Kornfeldern und Kartoffeläckern dahinführt,» zu versuchen. Doch er ist Lyriker, und – «man ist nicht ungestraft zwanzig Jahre seines Lebens Lyriker, bloß Lyriker!» Er schweift von der ehrenwerten Landstraße immer ab, in «Blumengärten und feierlich rauschende Haine», die Stimmungen lenken ihn ab, das Singen der Worte verführt ihn. Eine «echte, epische Novelle», eine ordentliche Geschichte wird's eben nicht. Aber in diesem Bekenntnis liegt so viel Feinheit und eine so liebenswürdige Ironie, in diesem spielerischen Vortrag ein so lebendiger und biegsamer Geist, daß ich die «Novellen des Lyrikers» für ein Kabinettstückchen der Prosa halte. Über den Titel freilich und besonders über den bestimmten Artikel darin ließe sich streiten. Die Storm, Keller und Meyer waren bekanntlich auch Lyriker, und auf der «ehrenwerten Landstraße» der Sprache haben sie dennoch mit viel Vergnügen und großem Erfolg getrabt. Es mag ihnen ja manchmal schwer geworden sein, die Zügel etwas straffer anzuziehen, aber sie haben es verstanden. Und schließlich versteht es auch – Hugo Salus selbst, wie «Der Handschuh», «Der Becher der Mensane» und «Der Toast» beweisen. Nur weiß er, daß ihn alle Welt als den Sänger kennt, durch dessen Lieder die Sehnsucht mit prinzessinnenhafter Grandezza schreitet und aus dessen Versen Amoretten kichern. Darum glaube ich, daß er den Titel aus einer gewissen Koketterie hingeschrieben hat, wenn diese auch nicht frei von Wehmut ist. Als künstlerisches Eingeständnis kommt mir die erste Novelle jedenfalls ungemein interessant vor. Und nun möchte ich schnell über all die hübschen Stücke, die jedem etwas bringen, über all die ergreifenden Liebesgeschichten, phantastischen und sinnigen Erklärungen, übermütigen Nordseebilder und glückseligen Italienfahrten, zu der kleinen reizenden Novelle «Das Register» eilen. (Folgt Inhalt.) – Es ist ja nur ein zierlicher Einfall, dieses Geschichtchen. Aber mit der Kunst eines echten – Lyrikers erzählt. Bei dem närrischen, sentimentalen und liebreizenden Dialog der beiden Mädchen mußte ich an die Mädchengestalten denken, die Klimt auf seinem Schubert-Bild gemalt hat.

 

Die Zukunft: Die Leute, die zu tun haben, wenn andere dichten, streiten sich jetzt weidlich herum, ob diese «Novellen des Lyrikers» auch wirklich «Novellen» sind oder nicht. Sollte man's heutzutage noch für möglich halten? So hängt uns also noch immer das Zöpfchen hinten und Schablonisieren und Kategorisieren ist noch immer die Seele von Tantchen Kritik? Salus hat doch deutlich gesagt, daß er «Novellen eines Lyrikers» geschrieben hat, und dieser famose Titel kann wohl allenfalls eine neue Richtung für Prosawerke schaffen, schließt aber doch von vornherein jede Taxierung und jeden Vergleich aus. Zum Glück ist man bei Bezopften und Unbezopften so ziemlich darüber einig, daß es sich hier um wahrhaftige Kunstwerke handelt, ob sie nun das Novellenpatent besitzen oder nicht. Eigentümlich ist diesen seinen Ich-Geschichten, die so persönlich anmuten, daß sie wie aus einem großangelegten Tagebuch herausgeschnitten scheinen, ihre Entwickelung aus dem Symbol. Dichterseelen sind hellsehend und für Salus sind die seltsamen Zusammenhänge zwischen den Dingen und ihren Wirkungen, zwischen dem Stoff und dem Geist eine märchenreiche Domäne, in der seine starke Phantasie sich – fast möchte man sagen: «mit Behagen» – ergeht. Das ist es auch, was diesen Dichtungen in Prosa ihre besondere Tiefe und Nachwirkung verleiht: Salus fabuliert in einem Lande, das nicht auf der Oberfläche der Empfindungen liegt; man muß gewillt sein, ihm ins Symbolische und oft auch bis ins Mystische zu folgen. Das gilt allerdings nicht von allen Stücken seines Buches; bei manchen herrscht scharfe Deutlichkeit und die Erzählung fließt sicher dahin wie ein wohleingedämmtes Bächlein. Bei anderen Stücken aber tritt die Symbolik in ihr Recht, der Phantasie des Lesers (wenn er eine hat) ist dann ein wohltuender Spielraum geboten, und er kann auch gewissermaßen (wenn er's kann) ein bißchen mitdichten. In dieser intensiven Mitbeschäftigung des Lesers liegt dann die dauernde künstlerische Nachwirkung.

Eine Schwalbe, die in den Rachen eines hölzernen Todes fliegt, als dieser eben, als Spielzeug einer Turmuhr, zum Stundenschlag die Kinnladen öffnet, und die nun im Innern des Todes gefangen bleibt, bis die nächste Stunde sie wieder befreit: ein prächtiges Gleichnis für eine am Leben irrgewordene, verzweifelte Jünglingsseele, die eine Stunde lang den Schauern der Vernichtung preisgegeben ist, bis sie, mit neugewonnenem Lebensmut, wieder dem Licht und der Freiheit entgegenfliegt. In dieser Erzählung von der Schwalbe (und nicht in dieser allein) kommt Salus unserem lieben Meister Gottfried Keller in wunderliche Nähe. Noch bezeichnender für den Erzähler Salus ist wohl aber die feine und seltsame Geschichte «Hände», in der sich uns ganz neue Empfindungsgebiete erschließen. Zu einem Sterbenden wird in der Nacht der Arzt und der Priester gerufen; und nun stehen beide an seinem Lager und jeder tut das Seine. Da bricht der Mond mit gespenstischem Leuchten durch das Fenster und nun reden die salbenden Hände des Priesters, die forschenden Hände des Arztes und die stillen, vergehenden Hände des Sterbenden im fahlen Mondlicht eine tief ergreifende Sprache. Drei einander fremde und ferne Welten, drei ungeheure Reiche aus dem Weltall der menschlichen Seele berühren sich in diesen Händen. Solches Hervorzaubern großer Ausklänge aus alltäglichen Geschehnissen ist für Salus sehr charakteristisch. Die tiefen Wirkungen dieser von der Frömmigkeit eines wahren Dichters verklärten Erzählungen entschleiern sich freilich eher einem naiv empfänglichen Gemüt als einem kritischen Kopf.

 

Leipziger Tageblatt: Mag er der großen und kleinen Kinder Frage: «Wo kommen die Kinder her?» beantworten oder von der jungen «Schwalbe» erzählen, die im Rachen der Turmuhr verschwindet und dabei zur Offenbarung für ihn wird, oder in «Der Becher der Mensane» ein Märlein aus der Landsknechtszeit dichten, in «Toast» tiefstes Frauenleid offenbaren, in «Hände» eine sinnige Betrachtung über der Menschen Sterben geben und in «Das Symbol des Lebens» ein Bild von hinreißender Schönheit und Tiefe, immer überwiegt das Lyrische, immer taucht der Erzähler seine Figuren und Geschehnisse in den Glanz und den Schimmer der Poesie. Aber der Leser darf dessen schon zufrieden sein, denn der auf diese Weise von dem Buche ausgehende Stimmungsreiz ist ein ganz außerordentlicher, und einen ebenso großen Genuß gewährt die künstlerisch ausgearbeitete, vornehme Sprache. Und als Drittes kommen das Licht und die Wärme der Darstellung in Betracht: die jauchzende Frohlaune in «Seebad», die tiefe Innigkeit in den schon erwähnten Novellen «Wo kommen die Kinder her?» und «Das Symbol des Lebens»; empfängliche Gemüter werden davon bis in die Tiefe der Seele gepackt werden und sich nur schwer von dem Buche losreißen können.

 

Nord und Süd (Breslau): (Inhalt.) Wir dürfen nach solchem Wurf mit hohen Erwartungen den weiteren Prosaschöpfungen des Prager Poeten entgegensehen, dessen Persönlichkeit in ihrer echten Vornehmheit, sympathischen Liebenswürdigkeit und inneren Reinheit eine doppelt erfreuliche Erscheinung ist in einer Zeit, da selbst begabte Frauen – bei denen wir Männer anfragen müßten, was sich ziemt – wüste Dirnenlieder zu singen keine Scheu tragen.

 

Westermanns Monatshefte (Berlin): Manchmal sagt ein einziger Buchtitel zur Charakteristik einer Literatur- oder Geschmacksrichtung mehr als lange Untersuchungen und Abhandlungen. Wie mit Zauberschlag erleuchtet er ein ganzes Gebiet, das für das kritische Auge bisher im Dunkeln schwamm, das weder rechte Form noch rechte Farbe zu haben schien. Das war der Fall, als der Prager Schriftsteller Hugo Salus vor kurzem eine Sammlung kürzerer Erzählungen unter dem Titel: Novellen des Lyrikers erscheinen ließ. – Auf einmal wußte man, was eins der entscheidendsten, wenn nicht das Kennzeichen der jungösterreichischen Novellistik ist: der starke lyrische Einschlag, der allen ihren Geweben eigen. Arthur Schnitzler, J. J. David, Hugo Salus, Felix Salten, Karl Federn, Emil Ertl – sie alle verleugnen selbst da, wo sie, wie David in seinem «Übergang», modern-naturalistische Stoffe ergreifen, die starke lyrische Ader nicht, die ihrem künstlerischen Organismus erst das Blut zuführt. Fast überall taucht Salus seine kleinen und großen Handlungen in Glanz und Schimmer, gibt in Prosa aufgelöste Rhythmen und hebt die Welt seiner Menschen mit zärtlichen Armen über das Alltägliche hinaus. Stoffe und Schauplätze der Salusschen Novellen sind so verschieden wie möglich: ein zartes, sinniges Märchen, das Kindern den Ursprung der Kinder mit naturwissenschaftlicher Wahrheitsliebe und doch feinem Herzenstakt deutet, steht neben einer geschehnisfrohen, in toller, überschäumender Lebenslust schwelgenden Landsknechtgeschichte; eine Landschafts-studie vom Strande von Westerland steht neben einer kleinen Novelle, die ganz durchglüht ist von der sehnsuchtsvollen Freude an Italien, neben einem Stück Selbstbiographie, das ein Bild aus dem modernen Prag zeichnet, damit zugleich aber tief in die Geschehnisse einer menschlichen Seele hinableuchtet. Doch nirgends ist es eigentlich das Was, fast überall ist es das künstlerische Wie, das den Leser anzieht und fesselt, wie der Dichter selbst sich augenscheinlich weit mehr von den Worten und Tönen, von den Farben und Formen, von den Bildern und Symbolen als von der sachlichen Handlung und dem Fluß des äußeren Geschehens hat ergreifen lassen. Freunden romanhafter Ereignisse sind die «Novellen des Lyrikers» deshalb weniger zu empfehlen als artistischen Feinschmeckern und Liebhabern erlesener Kleinkünste.

Dr. Friedrich Düsel.

 

Buchdruckerei Roitzsch, G. m. b. H., Roitzsch.