BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Hugo Salus

1866 - 1929

 

Das blaue Fenster

 

Novellen

 

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Das Meerweibchen

 

I.

Diese Geschichte könnte also beginnen: Es war einmal ein wunderschönes Meerweibchen, das an der Küste von Grönland lebte und das von Schiffsleuten in einer klaren Mondnacht, da es just auf den Klippen ruhte und auf den Silbersaiten der Mondesstrahlen sein Lied begleitete, gefangen ward und das dann in die Welt geschickt und allerorten als ein Wunder angestaunt und gepriesen wurde, bis es in Prag ....

Aber dann würde jeder glauben daß diese Geschichte von einem Lügner und Aufschneider erfunden worden sei, und ernste Menschen würden sie überhaupt nicht weiterlesen. Deshalb soll diese wahrhafte und beglaubigte Geschichte einen anderen Anfang bekommen, damit jeder ruhige und nachdenkliche Mensch sie unbesorgt lesen könne, denn es ist eine durchaus verbürgte Geschichte und ist in den alten Büchern der königlichen Hauptstadt Prag aufgeschrieben, und jeder Zweifler kann sie dort suchen. Und in der Karlsgasse in Prag steht noch jetzt das Haus, das zu dieser Geschichte gehört; ein steinernes Meerweibchen, dem leider im Laufe der Jahrhunderte der Kopf abgefallen, ist sein Schmuck und es ist als das Haus zum Meerweibchen im Grundbuche eingetragen. Was aber von dem steinernen Meerweibchen erhalten blieb, zeugt dafür, daß es eine wunderschöne Seejungfrau gewesen sein muß, die dem Steinmetz als Vorbild gedient hat, Hals und Busen und Haltung sind edel, und nur der schuppige, etwas schematisch gemeißelte Fischschwanz, der – in dem Lande des zweischwänzigen Löwen nicht auffällig – in zwei schön geringelten, stilisierten Teilen endigt, beweist, daß Nacken und Brust einem Wunderwesen angehört haben. Das Haus selbst ist jetzt ein wenig verfallen und sieht altersschwach und engbrüstig genug aus. Aber es paßt gut in die altertümliche Karlsgasse und in diesen Teil des herrlichen Alt-Prag, in dem man weniger zufügender als abblendender Phantasie bedarf, um sich in die vergangenen Jahrhunderte versetzt zu fühlen; man muß nur die Gaslaternen und Telephondrähte, die Fahrräder und elektrischen Glühlichter in den Schaufenstern vergessen, um sich, wie in einem Traum, im Mittelalter zu befinden und zwischen den seltsamsten Häusern mit Giebeln und Erkern, mit wunderlichen Verzierungen und verwegenen Dächern dahinzuwandeln und verwundert zum Frühlingshimmel emporzuschauen, der wie eine blaue Patina das herrlichseltsame Bild nach oben abschließt.

Im Mittelalter aber spielt diese Geschichte nicht, sondern im Beginn des siebzehnten Jahrhunderts. Da es aber eine, sozusagen, historische Erzählung ist, die hier mitgeteilt wird, so ist wohl die Anmerkung gestattet, daß gar bald ohnehin die Notwendigkeit sich einstellen wird, das Ende des Mittelalters weiter in die Neuzeit herein zu verlegen; die Neuzeit gebiert doch immer neue Zeiten, und wir, die es so herrlich weit gebracht haben, gehören schon längst nicht mehr in die Neuzeit des sechszehnten und siebzehnten Jahrhunderts! Dazu sind wir denn doch zu aufgeklärt und vorgeschritten, zu ....... Aber genug der Einleitung! Also mag diese Geschichte immerhin als eine mittelalterliche gelten, umsomehr als sie in der altertümlichen Karlsgasse anhebt und endigt.

Dort ward damals eben das Haus aufgebaut, das vorhin geschildert wurde. Es war noch nicht unter Dach, sollte aber in wenigen Wochen vollendet sein. Es gehörte dem zu Ansehen und Reichtum gelangten Prager Bürger und Kaufmann Wenzel Werkmeister, der den Grund vor Jahren um ein Billiges gekauft hatte und dessen Lieblingsidee war, für seinen Sohn und dessen einstige Ehefrau ein eigenes Haus zu bauen, auf daß er als ein bodenständiger Bürger und Kaufmann hier lebe und dem Namen Werkmeister zu Bedeutung und immer größerer Würde verhelfe. Denn er selbst war aus bescheidenen Anfängen zu einem begüterten Kaufmann geworden und liebte auf Erden niemanden inniger als seinen Sohn Karolus, der die einzige Hinterlassenschaft seiner treuen Ehefrau Veronika vorstellte. Er hatte ihn etwas Ordentliches lernen lassen, war sogar mit ihm einmal in Wien gewesen, um ihm die Welt zu weisen, und sah ihn nun unter seinen Augen zu einem tüchtigen und ehrsamen Manne emporwachsen. So war Karolus vierundzwanzig Jahre alt geworden und war ein gesitteter, stiller, bescheidener Jüngling, schlank, mit sanften, etwas schüchternen Augen, wie sie seine verstorbene Mutter gehabt hatte und aus denen eine empfindsame und träumerische Seele in die Welt schaute. Dem Vater war Karolus sogar zu bescheiden, zu sanft und schüchtern, denn er wußte, was sein Sohn alles gelernt hatte, nicht nur, was das Geschäft anlangt, sondern auch von den freien Wissenschaften und Künsten, und er hätte wohl seinen Sohn ein weniges stolzer und selbstbewußter gewünscht. Karolus aber liebte die Gesellschaft seiner Altersgenossen nicht sonderlich, er war ein Leser und Träumer und freute sich tagsüber auf den Abend, da er zu seinen Büchern zurückkehren konnte. Das wehrte ihm der Vater auch nicht, da Karolus im Geschäfte still und sicher seine Arbeit tat und bei den Kunden beliebt und geachtet war.

Eine tüchtige Hausfrau wird ihm schon sein allzu sanftes Geblüt auffrischen! dachte der Vater und schaute darum fleißig unter den Bürgertöchtern um, welche ihm wohl am besten für seinen Einzigen tauglich schiene. Und bis zum Herbste, bis zur Dachgleiche, hoffte er eine bestimmte Wahl getroffen zu haben.

Nun waren aber Karolus' Beziehungen zum weiblichen Geschlechte bisher mehr theoretischer Natur gewesen; er hatte den Dichtern ihre Lobpreisungen der Frauen aufs Wort geglaubt und sich gewöhnt, die Frauen mit den Augen der schreibenden, nicht der liebenden Dichter anzusehen, ohne doch je eine innere Nötigung zu empfinden, ihre Hymnen und Romane am eigenen Herzen zu erproben; das Weib war ihm etwas Hohes und Hehres, über dem Alltag Stehendes und jeder Liebreiz war auf sie ausgegossen; ihre Wänglein waren Pfirsichblüten, ihre Lippen Kirschen, ihre Augen leuchtende Kohlen oder liebliche Vergißmeinnichtblümlein, ihr Gang war wie das Hüpfen der Sonnenstrahlen über blumige Auen, aber, daß man die Wangen streicheln, die Lippen küssen könne, daß man die zierliche Gestalt umarmen dürfe, fiel ihm gar nicht bei und nichts trieb ihn dazu, aus seiner literarischen Verehrung der Frauen herauszutreten und einmal einem lebenswarmen, blühenden Kinde herzhaft ans Kinn zu greifen.

Und nur ein einziges Mal hatte er eine Art von Verliebtheit gefühlt; das war an einem Sonntag nachmittag, als er auf der Kleinseite drüben unter der Königsburg, dem Hradschin, durch die schattigen Gassen lustwandelte und plötzlich vor einem herrlichen, schmiedeeisernen Gittertor stand und in einen wundervollen, adeligen Garten geschaut hatte: große Rasenflächen dehnten sich behaglich im Sonnenscheine, ein rundes Wasserbecken erglänzte im Sommerlichte und ein feiner Springbrunnen plätscherte in das bewegte Wasser herab. Der Garten aber dehnte sich weit, weit aus bis an die steil abfallende Lehne des Hradschin, und die grandiose Königsburg mit dem herrlichen Dome war wie eine phantastische Krönung des grünen, blühenden, weit ausgestreckten Gartens. In dem Garten aber wandelte in einem weißen Sommerkleide eine schlanke, biegsame Frau, und die Sonne schien selbst in sie verliebt zu sein, so jubelnd sammelte sie all ihren Glanz um die feine Gestalt der Dame, so golden ließ sie ihr blondes Haar aufleuchten. Es war, als ob eine der Marmorgöttinnen, die im Garten in den grünen Gebüschen standen, von ihrem Postamente herabgestiegen sei und nun im Sonnenlichte sich zwischen den Beeten ergehe. Mit weit offenen Augen schaute Karolus ihr lange nach, er hatte den Hut vom Kopfe genommen und ihm schien es, als ob die Dame ihm zulächle. Er stand noch auf dem Flecke vor dem Eisengitter lange, nachdem das Wunder in den Büschen verschwunden war, und starrte in den Sonnenschein, bis er die Lider senken mußte. Erst als er Stimmen neben sich hörte, wachte er auf und schaute erstaunt um sich. Und er glaubte sich's später selbst nicht mehr, daß er eine lebende Dame im Garten gesehen habe, er war überzeugt, daß er nur ein wunderschönes Märchen von einer lieblichen Prinzessin geträumt habe, etwa das Märchen von der weißen Frau Medulina, die mit Blumen und Früchten in den Händen durch die Auen schreitet. Einige Tage träumte er noch davon und war glücklich darüber, daß er auch bei Tage nach eigenem Willen den schönen Traum erneuern konnte; er errötete, wenn er sich immer wieder dabei ertappte, wie er gleich einem Puppenspieler die schöne, fürstliche Dame immer von neuem den Kopf neigen und dem Lauscher vor dem Gitter liebreich zuwinken ließ. Es hatten sich aber auch zu liebliche, blonde Ringellöckchen über ihrem blühweißen Nacken gekräuselt.

In diese Zeit seines angenehm erregten Herzens fiel nun die Ankunft des grönländischen Meerweibchens in Prag. Zwei phantastisch aufgeputzte Trommler hatten ihr Erscheinen angezeigt und waren durch mehrere Tage auf allen Plätzen und allen Straßenecken gestanden und hatten nach einem aufrührerischen Trommelwirbel den p. t. Adel und Bürgerschaft der königlichen Hauptstadt Prag auf das große Wunder aufmerksam gemacht, das in den nächsten Tagen eintreffen werde. Lalanda, die grönländische Meerjungfrau, das schönste Seeweibchen, das je gefangen worden, die Dame mit dem Fischschwanze, von allen Gelehrten der Welt bewundert und als neues Weltwunder angestaunt und gepriesen, werde in den nächsten Tagen in Prag zu sehen sein. Große Bilder wurden in den Straßen herumgetragen, darauf Lalanda, die grönländische Seekönigin, abgeschildert war, und überall folgte eine Menge Neugieriger den Trommlern, die eine beträchtliche Aufregung in der Stadt verursachten. Auch verteilten sie ein fliegendes Blatt, darauf der Fang der Seejungfrau genau berichtet und auch ein zierliches Gedicht abgedruckt war, so die Schönheit der Dame mit dem Fischschweife in lieblichen Versen pries. Sie werde auf dem Altstädter Ring in einem der großen Verkaufsgewölbe unter den Lauben zu sehen sein und in ihrer Sprache singen, sie spreche aber auch, wenn sie ihre gute Stunde habe und freundliche Menschen sehe, deutsch zu ihnen, da sie eine erstaunliche Klugheit und ein unerhörtes Gedächtnis besitze. Und sei schöner, als je ein Mädchen auf dem Festlande gewesen.

Nun waren gerade damals ruhige Zeitläufte, und Prag, die Stadt, die von Zeit zu Zeit wie ein Kind ihr Fieber durchmachen muß, um sich ihrer schädlichen Gärungsstoffe zu entledigen und ihr Blut für einige Jahre zu reinigen, erfreute sich eben einer behaglichen Erholung nach Kämpfen und Bürgerzwisten, so daß Lalanda den richtigen Zeitpunkt getroffen hatte, um allgemeinem Interesse zu begegnen. Die Laufburschen und Lehrjungen aus dem Werkmeisterschen Geschäfte, die ihre überschüssige Lebhaftigkeit sonst bei den Straßenaufläufen ausgetobt hatten, benützten jetzt jeden freien Augenblick, hinter den Trommlern einherzulaufen und immer frische Zettel mit dem Lalanda-Gedichte heimzubringen, und die älteren Herren Kommis und die beiden Buchhalter in der Schreibstube führten die ausgiebigsten Gespräche über das Meerweibchen, und es gab keine Lebensäußerung eines erwachsenen Menschen, die sie nicht in ernst- und in scherzhafte Beziehung zu dem wunderbaren Körperbau des Grönländischen Mirakels gebracht hätten. Sie übertrafen sich gegenseitig in der Erfindung neuer Fragen: ‹ob sie wohl auch› und ‹wie mag bei ihr›, nur mußten sie sich vor Herrn Karolus in acht nehmen, dessen Zartgefühl zu schonen eine schweigende Übereinkunft im Hause Werkmeister war. Der hatte natürlich auch die Trommler gehört und ihren Zettel gelesen. Aber er hatte noch keinen richtigen Standpunkt zu dem Meerweibchen gefunden, nur die Tatsache, daß ein Wunder zu sehen sein werde, beschäftigte ihn und er hatte beschlossen, sich gleich am nächsten Sonntage, dem ersten Tage, da Lalanda ausgestellt werden sollte, durch den Augenschein zu überzeugen, wie weit den Ankündigungen zu glauben sei.

 

II.

 

Es gibt wenige Plätze auf Erden, die sich an Schönheit mit dem Altstädter Ring in Prag messen können, herrliche Paläste umrahmen ihn, seltsame Häuser, denen man die Freude der Erbauer an ihrer Phantasie anmerkt, schauen auf sein Pflaster nieder, das alte Rathaus beherrscht eine Seite mit seiner ernstheiteren Loggia und dem zierlichen Türmchen, das die wunderbare astronomische Uhr beherbergt, und die grandiose Teinkirche mit ihren beiden ragenden Türmen, die ernst gen Himmel weisen, schaut über die giebeligen, mit Laubengängen versehenen Häuser der anderen Seite stolz auf den Platz herab, auf dem sich viel große und inhaltreiche Historia abgespielt und dessen Boden edles und unedles Menschenblut getrunken hat. Sie schaut gleichmütig auf den Ring hernieder und wundert sich über die winzigen Menschlein, die über den Platz wimmeln, sie kann immer noch ihre Hast und irdische Geschäftigkeit nicht begreifen und streckt wie zwei warnende Finger ihre Türme bedeutungsvoll gegen den Himmel.

Aber die Menschen achten der Türme kaum; denn da sie immer gleichmäßig in steinerner Ruhe in ihrer Stellung verharren, machen sie längst keinen Eindruck mehr auf der Menschen Gemüt, da diesen nur das wunderbar erscheint, was von der Gleichmäßigkeit abweicht, was anders ist, als ihre trägen Vorstellungen.

Lalanda aber war ein Wunder! So etwas war noch nicht dagewesen, denn sie war schön und seltsam zugleich, und an jenem Sonntag strömten die Prager Bürger zu Hunderten in den Laden auf dem Altstädter Ring, um das nie Dagewesene, Unglaubliche anzustaunen. Und tausend Bürger und Bauern, Neugierige und Befriedigte standen auf dem Platze und tauschten ihre Meinungen über das Meerweibchen aus oder lauschten den Glücklichen, die Lalanda, die schöne Grönländerin, schon gesehen hatten.

Die Trommler aber standen vor dem Eingange des Gewölbes, und alle Viertelstunden dröhnte ihr Trommelwirbel durch die Luft, zum Zeichen, daß frischen Besuchern der Einlaß gewährt werde; dann strömten die erledigten Zuschauer aus der Ladentür auf den Ring heraus und ein neuer Schwarm von Neugierigen, die geduldig auf ihrem Posten gewartet hatten, wurde eingelassen.

«Es ist wirklich ein Wunder,» sagten die Heraustretenden, und selbst ein berühmter Professor der Universität, der unter den ersten Besuchern gewesen war, ging kopfschüttelnd und scheinbar aufs höchste überrascht, schweigend und auf seinen Stock gestützt, durch die Reihen der ehrfürchtig Grüßenden.

«Es ist wunderbar, fürwahr höchst wunderbar,» sagte er dann zu einem Bekannten, der begierig zu ihm getreten war. «Gar manchen Bericht über Meerweibchen (Sirenen) habe ich mit Verwunderung und einigem Mißtrauen gelesen, aber, nun ich diese Lalanda gesehen, muß ich wohl daran glauben. Hat doch die Natur manchmal Launen, wie ein, Gott verzeihe mir die Sünde, wie ein übermütig, spielerisch Kind, das aus Wachs oder Teig seltsame oder unmögliche Formen bildet! Nun aber gehet selbst und staunet! Ich will in mein Museum, in Eusebii miraculis naturae nachzulesen, was dieser unterrichtete Autor bei dieser Materie berichtet.»

Und er ging, kopfschüttelnd und in tiefes Nachdenken versunken, von dannen.

In dem matterhellten Gewölbe aber drängten sich die Neugierigen, um Lalanda deutlicher zu sehen und besser zu hören. Da war ein großer Wasserbottich aufgestellt, so daß er bis an die rückwärtige Wand des geräumigen Gewölbes reichte und sich noch in das nächste Zimmer zu erstrecken schien; denn vom Wasserspiegel aufwärts sah man eine Tür in ein Nebengemach, Schilf umsäumte sie, und mit Schilf waren die Wände der großen Kufe verkleidet, also daß sie wie ein kleiner Teich aussah. Auch waren große Steinblöcke bis an die Wände des Teiches herangelegt, so daß ein breiteres Ufer gebildet war, auf dem Moos und grüner Rasen lag. In der Mitte des Teiches aber war ein Felsen aus Steinen aufgebaut und eine seltsam geformte Harfe lag auf dieser klippigen Insel. Und nun, da die Besucher einen Augenblick atemlos auf den Beginn der Vorstellung gewartet hatten, öffnete sich die Tür an der Rückwand, der Teich schien auch ins Nebengemach sich zu erstrecken und durch das Wasser kam Lalanda hereingeschwommen, blond, mit aufgelöstem Haare und mit anmutigen, schön geschwungenen Bewegungen schwamm sie einmal die Ufer des Teiches entlang, mit großen, erstaunten Augen die Menschen grüßend. Sie war jung und schön, Seerosen lagen in einem blühenden Kranze auf ihrem Haupte, ihre Augen waren rund und die weißen Hügel ihres jungfräulichen Busens hoben sich aus dem Ausschnitte ihres goldschimmernden, schuppenbedeckten Mieders. Von den Hüften nach abwärts aber verlief ihr schlanker Leib in einen sich ringelnden, schuppigen, im Lichte schimmernden Fischschwanz, der anmutig, wie ein goldenes Steuer, die Bewegungen ihres Körpers zu lenken schien und manchmal wie übermütig das Wasser peitschte. So schwamm sie mit fast feierlicher Ruhe um den Teich herum, ruhte wohl auch einen Augenblick aus, indem sie sich an den Borden des Teiches festhielt und ein paar weiche, ringgeschmückte Finger aus dem Wasser hob. Sie schwang sich dann auch ein wenig aus dem Wasser und legte den schuppigen Schweif zierlich auf den Rand des Teiches und erlaubte lächelnd mit blitzenden Zähnchen, daß ein paar neugierige Hände ihren kühlen Fischleib berührten. Nur, wenn die Berührungen etwas kühner werden wollten, ließ sie sich rasch ins Wasser gleiten und lachte, wenn die aufspritzenden Tropfen den allzu Kecken schreckten. Dann schwamm sie ruhig weiter und wandte sich von den Ufern gegen die Klippe, auf die sie sich emporschwang, einige Augenblicke zu veratmen. Sie griff auf den Saiten der Harfe einige verlorene, wie fernher klingende Akkorde, ihre Augen wurden verträumt und sehnsüchtig und, wie aus dieser Heimwehstimmung heraus, erklang zart und doch ergreifend ihr seltsames, unverständliches Lied. «Lalanda, Lalanda» verklang es. Sie legte die Harfe aus der Hand, schaute noch einmal aus ihren großen Kinderaugen im Kreise umher und ließ sich dann still ins Wasser gleiten. Die Tür im Hintergrunde des Zimmers öffnete sich und mit anmutigen und runden Armbewegungen teilte sie das Wasser und entschwand den Blicken.

Die Zuschauer starrten ihr sprachlos nach; denn sie war wirklich schön in ihrer Ruhe und Jugend, und mancher, der hereingekommen war, zu spotten und zu höhnen, schüttelte bewundernd den Kopf und ging gläubigen Herzens von dannen.

«Das ist ein wirkliches Wunder,» sagte ein angesehener Bürger, der ganz vorne am Ufer des Teiches stand.

«Und wäre es auch,» sagte ein Nachbar, «ein Wunder an Anmut und Schönheit, wenn sie den Fischschwanz nicht hätte!»

«Mir tut es wahrhaftig leid,» sagte ein anderer und wischte sich dabei mit dem Sacktuche seinen arg bespritzten Rock vorsichtig ab, «mir tut es leid, daß ich mein Ehgemahl nicht mitgenommen habe; die hier kann jede ehrsame Frau ohne Erröten sich anschauen.»

«Nur würdet Ihr sie in Anwesenheit Eurer Frau nicht so gründlich betasten dürfen!» spottete einer. «Wischt Euch nur erst Euren Sonntagsrock gehörig ab, daß sie nichts merke!»

Die anderen lachten und schoben sich langsam dem Ausgange des Gewölbes zu.

An der Wand aber stand Karolus Werkmeister, sprachlos, ohne Besinnung; er starrte immer noch nach der Tür, durch welche das blonde Wunder verschwunden war, seine Augen waren weit offen und sahen doch nicht, seine Lippen zuckten, als ob er weinen wollte, und doch hüpfte das Herz in seiner Brust wie ein Vogel, der nach dunkler Nacht das Sonnenlicht schaut. So stand er allein in dem Gewölbe, er wußte gar nicht, daß Menschen um ihn gewesen waren, daß er hier auf dem Altstädter Ring in einem Laden stand, er hätte seinem Vater nicht geglaubt, wenn er ihm gesagt hätte, daß Lalanda ein herumreisendes Wunder sei, ein so unermeßliches Glücksgefühl, ein solcher Jubel erfüllte ihn, ohne daß er ihm einen Namen hätte geben können.

Da faßte ihn eine Hand etwas unsanft am Ärmel und eine näselnde Stimme weckte ihn aus seinen Träumen:

«Herr, die nächste Vorstellung wird eben beginnen, mit einem Eintrittsgeld darf man nicht zweimal zuschauen!»

Karolus fuhr zusammen, seine Augen verloren ihren träumerischen Glanz, seine Wangen wurden glühendrot, er wagte nicht, dem Störer etwas zu erwidern, wie ein ertappter Dieb schlich er aus dem Gewölbe. Und ohne aufzuschauen, ohne sich an die Zurufe der Neugierigen auf dem Altstädter Ring zu kehren, eilte er wie im Traume von dannen.

Er war berauscht, er ging durch die Gassen und wußte nichts davon, ihm war, als wären seine Augen geblendet, und so kam er unbewußt auf die Kleinseite und stand plötzlich vor dem schönen Gitter unter dem Hradschin, darin ihm unlängst die weiße Frau Medulina erschienen war. Aber der Garten war heute leer und nur der Springbrunnen plätscherte melancholisch durch die Stille. Lalanda, so plätscherte er, Lalanda; es war das Lied, das die Herrliche vorhin gesungen hatte, er hörte ganz deutlich ihre Stimme durch den Tropfenfall und glaubte nun auch sie selbst auf dem Rande des Marmorbeckens sitzen zu sehen, sie winkte ihm liebreich und anmutig, wie einst die holdselige, weiße Frau ihm zugewinkt hatte. Da riß er sich los, die Stimme lockte ihn zurück, er mußte ihr folgen und bald stand er wieder auf dem Altstädter Ring, er drängte sich durch die Menge und stand tiefatmend dicht an der Tür des Wunderladens, ungeduldig den Augenblick ersehnend, bis sie sich wieder öffnen würde. Er wartete gar nicht ab, bis alle Zuschauer herausgetreten waren, und stellte sich ganz dicht an den Rand des Teiches. Ach, und an diesem Tage ging der betörte Karolus Werkmeister nicht mehr aus dem Laden, er stand wie festgewurzelt auf seinem Posten, bezahlte immer von neuem und wartete immer wieder mit Herzklopfen darauf, daß sich die Tür im Hintergrunde des Teiches öffne, daß sie, die Helle, die Wunderbare, hereinschwimme und ihm ihre freundlichen Märchenaugen zuwende. Und sie bemerkte ihn, bei jedem neuen Öffnen der Tür suchten ihre dankenden Blicke immer wieder die seinen, und er stand auf seinem Platze wie ein im Sonnenscheine leuchtender Baum und seine Aste loderten ihr entgegen. Und als der Abend kam, als Lalanda zum letzten Male an diesem Tage ihr betörendes Lied gesungen hatte, da schwamm sie noch einmal an das Ufer des Teiches heran, gerade zu der Stelle, da Karolus stand, und reichte ihm eine Seerose aus ihrem Haare und sprach mit ihrer klangvollen Stimme: «Auf Wiedersehen morgen!»

Und es war seit Jahren das erste Mal, daß Karolus nicht zur Zeit nach Hause kam, er konnte heute nicht nach Hause, sondern irrte in den Feldern vor der Stadt ruhelos umher........

 

III.

 

So war denn endlich für Karolus das große Wunder gekommen, es mußte ein wirkliches, wunderbares Wunder sein, um in seinem Herzen die Sehnsucht zu wecken; ein Meerweibchen aus dem hohen Norden, eine Seekönigin mußte nach Prag kommen, um das Lämpchen in seiner Brust zu entzünden; und Lalanda, Lalanda mußte sie heißen, damit seine Träume in den Tag hinein dauern konnten, damit endlich seine Seele ihren Frieden verliere. In den kurzen Stunden in jener Sonntagsnacht, da ein leiser Schlummer seine Lider schloß, träumte er davon, wie er auf einer fernen Insel säße und auf den Mondschein warte, mit dem auch seine Meergöttin aus den Wellen auf sein Eiland zugeschwommen komme.

Da wurden die Wogen stille, aus dem Schaume, eine zweite Aphrodite, schwang sich die Lichte, Liebliche auf seinen Felsen und hielt ihre Harfe in Händen; und schon erklang ihr Lied: ‹Lalanda, Lalanda.› Aber er schmiegte sich an sie, ihr Körper ward warm vom Mondenscheine, und ihr Busen, weißer als die Mondesstrahlen, hob und senkte sich bei ihrem Gesange. Er aber sprach kein anderes Wort zu ihr als ‹Lalanda›, und doch verstand sie ganz genau, was er sagen wollte, ihre Augen winkten ihm liebreich zu und ihre Hände lagen still in den seinen. Und als die Sonne fern-fernher ihre Strahlen über die Wellen schickte, da glitt sie sanft vom Felsen ins Meer, das rot aufleuchtete, eine Seerose aber ließ sie ihm zurück und die duftete milder und süßer, als je eine Rose aus dem Garten geduftet hatte. Er wachte auf und hielt die Seerose in Händen und mußte in staunender Verwirrung lange, lange nachdenken, ob er wirklich auf dem Felsen liege, wieso die Seerose in seine Hand gekommen sei. Dann aber erinnerte er sich an die Worte Lalandas vom gestrigen Abend, da sie ihm die Blume gereicht hatte, er drückte sie leidenschaftlich an die Lippen, ein Hauch ihres Wesens duftete ihm aus der Seerose entgegen und glückselig lächelte er vor sich hin.

«Lalanda,» sagte er fast feierlich. Da bemerkte er erst seinen Vater, der zu Häupten seines Bettes stand und verwundert und besorgt auf ihn blickte, der gestern abend so spät nach Hause gekommen war. O, wie errötete Karolus vor seinen Blicken, er hätte am liebsten geweint, denn er wußte nicht, was er dem Vater sagen sollte. Der aber grüßte ihn mild und, wie in einem tiefen Verstehen, sprach er von den Geschäften, die heute zu erledigen waren. So stand denn Karolus auf und machte sich rasch fertig. Er ging ins Geschäft und arbeitete eifrig und angestrengt bis zum Mittag, er wollte keinen Augenblick leer haben, er ging aus der Schreibstube, als die beiden Buchhalter von ihrem Sonntagnachmittag zu sprechen anfingen, er lief aus dem Laden, da die Kommis von dem Wunder zu reden begannen, und half lieber dem Hausknecht, der im Keller arbeitete. Mittags aber eilte er zur Moldau hinunter, wo er einen Gärtner wußte, von dem kaufte er Blumen, Rosen und Lilien, denn Seerosen waren keine da, und dann ging er klopfenden Herzens auf den Altstädter Ring. Es war eben eine Pause in den Vorstellungen eingetreten, aber er durfte eintreten, da er die Blumen vorwies, und so trat er in das Gewölbe.

Das Gewölbe war leer und eine angenehme Kühle empfing ihn und eine Dunkelheit, in der er sich erst langsam zurechtfand. Da sah er auf den Bänken an der Wand die beiden Trommler liegen, sie hatten ihre Trommeln auf den Boden gestellt und lagen nun schlafend in ihren bunten Wämsern ausgestreckt und schnarchten, als ob sie kleine Trommeln im Munde hätten. Der kleine Mann, der ihn gestern mit seiner näselnden Stimme angesprochen und aus den ersten Träumen gestört hatte, kam aus dem Nebengemache, er schaute Karolus mit argwöhnischen, lauernden Blicken an, ein häßliches Lächeln war um seine Lippen, da er die Blumen in der Hand des Jünglings sah. Er sprach nichts, er weidete sich an der Verlegenheit des Gastes und auch Karolus schwieg einige Augenblicke lang, da er gehofft hatte, Lalanda zu sehen und ihr mit einer stummen Verbeugung die Blumen zu überreichen. Denn ihm schwebte die Erinnerung an eine Erzählung vor Augen, in der ein Prinz Erik aus dem Dänenreiche vor einer sagenhaften Königin des Nordens stand, deren Sprache er nicht verstand und deren Liebreiz ihn gefangen hielt: der beugte stumm die Kniee und senkte das Haupt, wie es in der Geschichte hieß, ‹als ob er erst durch sie den Ritterschlag der Liebe sollte empfahen.› Nun störte ihn das Schnarchen der Trommler, nun schien ihm der kleine, höhnische Mann, der ihm gegenüber stand, wie ein häßlicher Zwerg, der den Zugang zur Grotte seiner Meergöttin neidisch bewacht, und verwirrte ihn. Endlich aber besann er sich und übergab ihm die Blumen.

«Sind die für mich?» fragte der Zwerg spöttelnd.

«Für Lalanda,» sagte Karolus errötend, «von dem, der ihre Seerose bewahrt.»

Da machte der Zwerg eine übertrieben-höfliche Verbeugung, es lag viel Spott und Hohn in der Bewegung seines großen Kopfes, und dann ging er ins Nebengemach. Da Karolus sich umwandte, um aus dem Gewölbe zu treten, niedergeschlagen, weil er sich den Besuch bei seiner Meerkönigin schöner und poetischer gedacht hatte, da öffnete sich rasch die Tür im Hintergrunde, und, wie ein Schwan, kam Lalanda hereingeschwommen.

Sie sprach einige unverständliche und doch wie ein seltsames Deutsch klingende Worte zu ihrem Behüter, der ihr demütig die Blumen übergab und dann aus dem Gewölbe trat. Und mit den Blumen in der Hand wartete Lalanda am Ufer des Teiches, daß Karolus sich ihr nähere.

Und Karolus trat langsam zu ihr hin, ach, er trat langsam zu ihr hin, denn das Herz hämmerte in seiner Brust und die Kehle war ihm wie zugeschnürt. Wie eine schwere Last lag der Gedanke auf seinem Herzen, daß er nun mit der Wunderbaren allein sei, daß er mit dieser Auserlesenen, Königlichen sprechen solle; er fühlte, wie klein, wie nichtig er war, er, der Kaufmannssohn, der Unbedeutende, der ihr so gar nichts Absonderliches zu bieten hatte, der so durchaus gewöhnlich war, indes sie, eine Königin des Meeres, ihm wie eine Halbgöttin, wie aus einer anderen Welt erschien! Wie ein Hirt erschrecken mag, dem bei seinen Schafen auf einmal Diana auf ihrem Jagdzuge erscheint, um mit ihm zu sprechen, oder wie ein einsamer Schiffer, vor dem plötzlich Poseidon aus dem Meere aufsteigt. Wenn er doch wenigstens die Blumen noch in Händen gehabt hätte, daß er sie ihr mit einer stummen Verbeugung hätte darreichen können! So trat er zögernd an den Rand des Teiches, seine Augen hatten sich schüchtern und doch voll Sehnsucht zu Lalanda emporgewagt, und ihm fiel nichts ein, was er ihr hätte sagen können. Da blitzte es schelmisch in ihren Augen, sie reichte ihm die Rechte hin, indes sie sich mit der linken Hand am Rande des Teiches festhielt, und, da er ihre Hand nicht zu ergreifen wagte, sagte sie mit ihrer freundlichsten, sanftesten Stimme:

«Ihr fürchtet Euch wohl, meine Finger zu berühren, weil sie naß und kühl vom Wasser sind? Sie werden warm, wenn Ihr sie einen Augenblick in Euren Händen haltet!»

Da beugte sich der verwirrte Karolus auf ihre Hand nieder, ihm war, als ob er jetzt ‹den Ritterschlag der Liebe› empfangen solle, und seine Seele ward frei, da er die Königin so liebreich sprechen hörte. Und es schien ihm ein neues Wunder zu sein, daß die Herrliche, die wohl seit ewigen Zeiten in ihrem Kristallpalaste auf dem Grunde des Meeres gewohnt haben mochte, nun so huldreich und so deutsch zu ihm sprach, er küßte ihr nochmals die Hand und sprach dann, wie erleichtert:

«Ich danke Euch, daß Ihr so freundlich zu mir sprecht! Ich hätte nie geglaubt, daß ich Worte finden würde, um Euch für Eure Schönheit zu danken, und nun kann ich es, weil Ihr auch gut seid! Verzeiht nur, daß ich Euch keine Seerosen gebracht habe, die Euch besser zugesagt hätten, und nehmet heute diese schlichten Blumen gnädig an. Morgen will ich, wenn Ihr mir diese Gunst gewährt, die schönsten Seerosen bringen, die zu finden sind!»

Lalanda schaute Karolus lange prüfend an, als ob sie sich erst darüber klar werden müßte, ob sein seltsames Pathos ernst zu nehmen sei oder nicht. Dann aber lächelte sie kaum merkbar, schwang sich aus dem Wasser auf das Ufer des Teiches, nahe, ganz nahe an Karolus, der ehrfurchtsvoll zurückwich und begann die Rosen und Lilien zu einem Kränzlein zu winden. Als es fertig war, legte sie die bunte Zier schelmisch auf ihren blonden Scheitel, schaute Karolus siegreich und doch flehend von der Seite an und fragte:

«Gefall ich Euch nicht auch mit diesem Kranze aus Rosen und Lilien, Ihr Anspruchsvoller? Gefall ich Euch?»

Da war es Karolus, als ob eine weiche und kühle Hand sein Herz presse, ihm ward ganz eng in der Brust und er wußte keine andere Antwort auf ihre Frage, als die, daß er diese Hand küßte, die noch eben sein Herz fast schmerzlich bedrängt hatte. Sie aber blitzte ihn verführerisch aus den Augenwinkeln an und verstand die Kunst, die Lider nicht eher zu schließen, als bis er fassungslos und ohne Besinnung seine Augen senken mußte. Dann sprach sie – und legte dabei den triefenden Fischschweif näher an Karolus heran, aber ohne ihn zu berühren:

«Noch weiß ich nicht, wie Ihr Euch nennet und von wem ich träumen soll, wenn ich nachts auf dem Grunde dieses abscheulichen Wassers schlafe oder wenn ich auf den Felsen steige, mein Nachtlied zu singen. Denn hier in der Nähe muß ein großer, gewaltiger Dom stehen, mit mächtigen Glocken, das fühle ich, und um Mitternacht dröhnt der Boden hier von dem Klange ihrer sehnsüchtigen Träume. Dann steige ich aus dem Wasser und nehme mein Spiel zur Hand und singe. Ich möchte dann Euren Namen in meinem Liede haben!»

O, das war der richtige Ton für Karolus! Er schnappte nur so nach Luft bei ihren poetischen Worten, nun war er ganz besiegt, die flatternde Seele in seiner Brust legte die Flügel zusammen und ward feierlich und zufrieden still in ihrer Haft, wie ein Vöglein im warmen Käfig. Er sagte ihr mit geschwollenen Worten, wer er sei und wie er heiße, wie er sich in all den Jahren nach einer Lalanda gesehnt habe, und sagte dies alles trotz des Pathos in einem so aufrichtigen und ehrlichen Tone, daß Lalanda vor Vergnügen jauchzte und daß ihr Karolus wirkliche Freude bereitete. Und als er ihr nun von seinem Glücke sprach, daß er sie nun endlich gefunden habe, daß sie, die Herrliche, ihm endlich erschienen sei, da lehnte sie ihr schönes, blondes Haupt zärtlich an seine Schulter und sah ihn von unten her so verheißend und gewährend an, daß er sich beinahe ein Herz gefaßt und sie geküßt hätte. Aber er tat es nicht, er vergaß nicht, daß sie die Meerkönigin war und er nur der einfache, nichtssagende Kaufmannssohn, und küßte sie nicht. Er schaute sie nur dankbar an, ein kalter Schauer rieselte ihm über den Rücken und seine Lippen wurden trocken. Und er fühlte es wie eine Erleichterung, als ihm die Frage einfiel, woher sie so schön deutsch spreche. Sie ließ ihr Haupt an seiner Brust liegen, sie nahm spielend seine Finger in die ihren, ihre Blicke wurden sehnsuchtsvoll und dann erzählte sie, wie sie oft an deutschen Küsten geschwommen sei und deutschen Schiffern gelauscht habe, wenn sie nachts in ihren Kuttern sich ihre Mären erzählten oder ihre schwermütigen Lieder sangen.

«Und da wurde mein Herz weit bei ihrem Gesange, ich verstand ihre Sprache und lernte sie gebrauchen. Und oft, wenn ich auf dem Grunde des Meeres vor meinem Palaste saß und ein deutsches Lied nachsang, so klang es den Schiffern oben wie ein fernes, fernes Echo ihrer Gesänge, ich sah sie droben sich über den Rand ihrer Boote neigen und in den wundersamen Spiegel niederschauen; und manch einen faßte das Heimweh so mächtig, wenn er mein Lied hörte, daß es ihn am Bord seines Schiffes nicht länger litt und er ins Wasser stieg, dem Klange nachzugehen. Ich aber habe nie, das schwöre ich, nie Männer zu mir ins Meer locken wollen! Wer zu mir kommen will, der muß freiwillig kommen. Und wenn ich wüßte, daß Ihr, lieber Karolus, oben auf dem Meere in Eurem Boote meinem Liede lauschtet, und wenn Euer liebes Antlitz sich über den Rand des Bootes neigte, ich würde nicht weiter singen, würde verstummen, damit Euch kein Leids geschehe!»

Sie schaute ihn wieder mit ihren schönen, glänzenden Augen an, innig und lang, bis er ganz sinnlos von ihren Worten und wie aus einem Traume heraus sagte:

«Ich stiege von selbst zu Euch hernieder, o Lalanda, und Ihr müßtet mich in Euren weißen Armen auffangen; und ich möchte mein Leben lang neben Euch sitzen und Euren Liedern lauschen!»

«Wie lieb, wie gut Ihr seid!» hauchte Lalanda, ein Schauer des Glücks schien ihren Leib zu erschüttern und sie senkte verwirrt die Blicke. Da trat aber der häßliche Zwerg ins Gewölbe, er ging mit lauten Schritten, die seiner kleinen Gestalt gar nicht entsprachen, auf die Trommler zu und weckte sie.

«Auf, ihr Faulenzer, es ist Zeit, die Stunde ist um! Macht fertig!» Da glitt Lalanda hastig ins Wasser, sie reichte noch einmal Karolus die Hand und sagte ihm mit einem langen Blick: «Auf Wiedersehen! Auf Wiedersehen heute abend!»

Und langsam mit rückgewandtem Haupte schwamm sie aus dem Zimmer. Die Tür schloß sich hinter ihr, und zwischen den Trommlern, die ihre Instrumente umgehängt hatten, verließ Karolus betäubt und fassungslos den Raum. Und der harte Trommelwirbel verfolgte ihn über den Altstädter Ring und höhnte ihm nach, als er schon weit von seinem Paradiese entfernt war.

 

IV.

 

Die folgenden Tage verlebte Karolus in einem Märchen; die Stunden im Geschäfte zählten für ihn nicht, er verbrachte sie nur in Sehnsucht nach dem Mittag und den kurzen Stunden am Abend, wenn die letzten Gäste aus dem Gewölbe auf dem Altstädter Ring geschieden waren und Lalanda nur für ihn noch einmal aus ihrem Ruhezimmer hereingeschwommen kam. Und es war Mittwoch und Donnerstag geworden, zwei kurze Tage blieb Lalanda noch in Prag, dann mußten die Liebenden scheiden. Denn es war kein Zweifel, Karolus mußte sich's in seinem zitternden Herzen selbst gestehen, Lalanda, die Meerkönigin, die Göttliche, die Wunderbare, liebte ihn und neigte sich seinen schlichten Worten. Sie hatte es ihm heute abend selbst gesagt, daß sie die Minuten zähle, bis er wieder zu ihr kommen könne, daß ihr das Leben schal und unerträglich scheine, wenn er nicht mehr am Wasser stehen und mit ihr sprechen könne.

«Schau, bin ich nicht warm wie eure Mädchen,» sagte sie, «pocht mein Herz nicht ebenso stark in meiner Brust? Fühlst du es, fühlst du es schlagen, Karolus? Und nun muß ich Unglückliche wieder von dannen ziehen, ewig, von Stadt zu Stadt, und den häßlichen Menschen mich darbieten! Ich bin unglücklich, Karolus, unselig, denn ich bin eine Gefangene und möchte so gerne in Freiheit leben, lieben und lachen und weinen, wie ihr Menschen, mich an dich schmiegen, Karolus, und dir in die Augen schauen. Und doch wird keine Macht der Erde mich erlösen!»

Und Karolus hatte unter ihrem Mieder, unter ihrem weißen schimmernden Busen das Herz klopfen gefühlt, gleichmäßig und ruhig, denn sie war ja trotz ihrer Erregung ein kühlerblütiges Meerweibchen und ein unendliches Mitleid mit der armen, gefangenen Seekönigin füllte seine Augen.

«Flieh mit mir,» rief er ihr zu, wie Kandalus im Romane, «flieh mit mir, ich will dich gegen eine Welt verteidigen!»

Da deutete sie stumm und traurig auf ihren Fischschwanz und seine Hoffnungen zerrannen.

«Ich will irgendwo an einem Meere oder See ein Häuschen für uns bauen, dann sollst du in deinem Wasser leben können und doch in meiner Nähe sein und sollst mit mir Zwiesprache halten und des Nachts –» Er schwieg, er errötete.

«Küsse mich,» sagte Lalanda, «küsse mich recht vom Herzen!»

Und er preßte die Lippen auf ihren Mund und fühlte, wie auch ihre Lippen heiß wurden, heißer als er es geahnt hätte; denn es glühte ihm bis ins Herz hinab und sein Mund war noch in der Nacht brennend heiß von ihrem Kusse. Und als sie gar ihre weißen, nackten Arme um seinen Hals schlang und ihn an sich preßte und nicht loslassen wollte, da schloß er die Augen, er umarmte sie und drückte sie noch fester an sich und vermeinte sterben zu müssen.

«Ich muß dich retten, du mußt mein werden!» sagte er, tief Atem schöpfend, «mein für immer!»

Da huschte ein Lächeln, ein siegreiches Lächeln über ihr Gesicht, sie wiederholte ihre heißen Umarmungen, dann schlüpfte sie rasch ins Wasser, denn der Zwerg war ins Gewölbe getreten, um die Tore zu schließen.

«Denk an dein Versprechen!» rief sie dem Scheidenden nach. Er aber stand auf dem Altstädter Ring, er hob die Rechte wie zum Schwure gegen den sternenbesäeten Himmel und sprach feierlich in den Abend hinein: «Ich schwöre!»

In dieser Nacht, als endlich ein unruhiger Schlummer seine Augen schloß, träumte Karolus wieder, er stehe auf dem Strande. Der Mondschein lag in einem breiten, schimmernden Streifen auf den ewig bewegten Wellen und mitten in dem breiten Streifen Mondlichtes kam vom Rande des Horizontes Lalanda auf ihn zugeschwommen. Er sah ganz deutlich in der Ferne ihr blondes, weiches Haar, ihr Kopf hob sich wie eine große, phantastische Blume aus dem bläulich-flimmernden Wasser. Sie kam näher und näher und nun streckte sie ihm die Arme entgegen und winkte ihm. Und ganz deutlich hörte er ihre Stimme angstvoll rufen: «Karolus, Karolus, rette mich!» Er aber stand auf dem Ufer, er schaute verzweifelnd auf die Geliebte, die mit den Wogen rang, er wollte sich ins Meer stürzen, aber ein schrecklicher Gedanke hielt ihn zurück. «Ich kann nicht schwimmen!» sagte er erst tonlos vor sich hin, dann sagte er es lauter und immer lauter, er schrie es Lalanda zu: «Ich kann nicht schwimmen!»

Da schallte ein höhnendes, entsetzliches Lachen aus dem Meere zu ihm hin, Lalanda hob sich noch einmal hoch aus den Wellen, dann sank sie ins Meer. Und nur einige Seerosen und Lilien schwammen hilflos und armselig auf den Wellen und bezeichneten die Stelle, an der Lalanda verschwunden war.

Karolus erwachte aus seinem Traume, der Angstschweiß stand auf seiner Stirn. Der Vater war an sein Bett getreten, das Schreien seines Karolus hatte ihn geweckt.

«Was hast du nur für böse Träume, Karolus?» fragte er.

«Gottlob, daß es nur Träume sind,» sagte sein Sohn. «Ich habe einen schrecklichen Traum gehabt!»

Als er mit dem Vater beim Frühstück saß, da übermannte ihn plötzlich sein Herz und er wollte dem Vater alles beichten. Und er fing auch zu sprechen an und sagte: «Vater!...»

Aber mehr brachte er nicht über die Lippen; er wußte nicht, wie er dem Vater auch hätte sagen sollen, daß ein Wunder geschehen sei, daß ihn eine Meerkönigin erwählt habe!

«Vater,» sagte er, und als sein guter Vater teilnahmsvoll ihn anschaute, da schlossen sich seine Lippen, eine dunkle Röte färbte seine Wangen und seine Lider senkten sich.

«Was willst du von mir?» fragte der Vater und alle Güte seines Herzens, alle Liebe zu seinem Einzigen war in seinen Worten: «Was gäbe es, was ich dir nicht gewähren könnte?»

Aber Karolus Blicke irrten im Zimmer umher, er schaute für Sekunden ängstlich den Vater an, aber er fand keine Worte.

«Brauchst du Geld?» fragte ihn der Vater.

Da nickte Karolus mit dem Kopfe, ja, Geld werde er brauchen, aber der Vater möge ihm verzeihen, wenn er noch nicht sagen könne, wofür.

Da gab ihm der Vater, der gewöhnt war, seinem Sohne unbedingt zu vertrauen, da er dessen Bravheit und Tugend kannte, Geld, mehr, als Karolus erwartet hatte. Er nahm es mit innigem Danke an, er hatte das dunkle Gefühl, er werde zu Lalandas Entführung Geld, viel Geld brauchen, und damit wollte er nicht sparen. ‹Ich will arbeiten wie ein Knecht,› sagte er zu sich, ‹ich will mir die Hände blutig arbeiten; aber erst muß ich sie erretten!›

Mittag, den letzten Mittag, der ihm gegönnt war, brachte er Lalanden nebst den Seerosen ein schmales Ringlein, ein Herz hing an einem Kettchen daran, und er steckte ihr den Reif feierlich an den schlanken Finger, ohne etwas zu sprechen. Sie umarmte und küßte ihn stürmisch, noch heißer als gestern und sah ihm noch tiefer in die Augen, und mit einer Stimme, die zärtlich und doch ganz anders, wahrer und herzlicher als früher klang, sagte sie zu ihm:

«Nimm mich fort von hier, nimm mich mit dir, ich will dein sein für immer, nur errette mich von diesem Zwerge, errette mich aus dem Wasser hier, ich sterbe vor Scham und Ekel bei diesem Herumziehen in der Welt, bei diesem Ausgestelltsein, ich sehne mich nach Frieden und Glück, ich beneide die anderen Mädchen, ich sehne mich nach einer ......» Häuslichkeit wollte sie sagen, die Seejungfrau aus dem dunklen Norden, und sie dachte dabei wohl an ihren schimmernden, herrlichen Kristallpalast auf dem Grunde des Meeres. Aber sie hielt inne, da sie bei diesem Worte angelangt war, sie schaute Karolus rasch von der Seite an, forschend und fast ungeduldig. Er aber blickte sie voll Mitleids an und nickte langsam mit dem Kopfe. «Du weißt nicht,» sagte sie traurig, «was ich schon alles erdulden mußte, wieviel Schande und Elend, wie satt ich dieses Leben habe!»

Und Karolus streichelte ihr in innigem Mitgefühl die Arme, er streichelte ihr die Wangen und er seufzte bei dem melancholischen Gedanken, daß dieser herrlichen, edlen, königlichen Seejungfrau das Elend des Irdischen nicht erspart geblieben sei, daß sie leiden müsse und gewiß das Elend schmerzlicher fühle als ein Menschenkind. Und sein Finger glitt mitleidig und doch ehrfurchtsvoll über die Schuppen ihres Fischschweifes, der zierlich auf dem Rande des Teiches lag.

«Hast du mich denn wirklich lieb?» fragte Lalanda.

«Ich verehre dich!» antwortete Karolus, und als wäre dieses ‹ich verehre dich› noch zu kühn, setzte er die Worte hinzu, die Baronzo im ‹Unvergeßlichen Liebhaber› zu Graziosa sagt: «Meine Nacht ist voll von deiner Sonne und mein Tag voll von deinem Mondlicht, du Königin!»

Da erscholl plötzlich vor der Tür der Trommelwirbel der beiden Spielleute, grausam und empörend nahe, und schon stand auch der Zwerg im Laden. Karolus wandte sich zum Gehen; er drückte nur rasch dem Zwerg ein Goldstück in die Hand. Als er sich dann noch einmal umkehrte, hob Lalanda die Hand aus dem Wasser, das Ringlein glänzte an ihrem Finger wie ein Stern in der Nacht, dann entschwand sie. Und schon traten die ersten Besucher in das Gewölbe.

 

V.

 

Am Nachmittag, in all den kleinen Geschäftigkeiten des Geschäftes mußte Karolus immer wieder an den Abend denken. Aber seine Pläne und Entführungsgedanken kamen nicht über die Worte: ‹heute abend› hinaus, er wußte nicht, was dann geschehen werde, er konnte sich nicht so weit sammeln, um einen bestimmten Plan fertigzustellen. Einmal fiel ihm ein, er werde sie fassen, sie sollte ihre runden, glatten Arme um seinen Hals schlingen, und so wollte er sie bis zur Moldau, zum Flusse, hinabtragen, um sie dort ihrem Elemente zu übergeben; er selbst wollte dann in einem Kahne neben ihr herfahren, bis sie irgendwo außerhalb Prags eine ruhige Zuflucht finden würden. Aber er verwarf diesen Gedanken, die Stadtsoldaten würden ihn sicher auf dem Wege festnehmen, oder die Schiffer an der Moldau drunten würden ihn ergreifen und auf die Wachstube führen. Auch verzweifelte er an seiner Kraft, das süße, holde Geschöpf bis an die Moldau tragen zu können. Er wollte jedenfalls gegen neun Uhr abends einen Wagen auf dem Altstädter Ring warten lassen, er dachte einen Augenblick daran, eine Wasserkufe in den Wagen zu stellen, aber auch das würde auffallen. Was dann weiter geschehen solle, das mußte er dem Schicksal überlassen, der Gott der Liebenden würde sie sicher beschirmen und ihnen gnädig sein. Er ging Nachmittag nach Hause, um seinen großen Radmantel zu holen, den er Lalanda um den Leib legen wollte, wenn er sie zum Wasser trüge. Er steckte das Geld zu sich, zählte eine runde Summe ab, um nötigen Falles den Zwerg damit zu bestechen und nahm dann gegen Abend zwei Flaschen des schwersten Ungarweines in die Taschen, die beiden Trommler zu berauschen, falls sie wach wären. ‹Das ist das beste Mittel!› sagte er zu sich und dachte an eine Stelle in einem Räuberroman, wo des Kerkermeisters Töchterlein den Ritter befreit. Er verabschiedete sich still, aber mit einem langen Händedruck von seinem Vater, der ihm kopfschüttelnd nachschaute, und ging, eilte, lief durch die Gassen, die beiden Flaschen an die Brust gedrückt, bis er fast atemlos auf dem Altstädter Ring anlangte.

Er kam noch zu früh, und doch lag der Platz wie in einem ersten Dunkel da, nur aus einigen Geschäften und Wirtsstuben drang ein matter Lampenschein fahl in die Dämmerung. Der Himmel hatte sein Leuchten verloren, er war blaugrau, aber ohne Farbe, fast wolkenlos. Nur ein kleines schmales Wölkchen schien sich an der Spitze des Teinturmes gefangen zu haben und hing droben wie eine melancholische Fahne, mit welcher der Wind spielt.

Auch aus Lalandas Fenster fiel ein matter Lichtstrahl ins Dunkel unter der Laube, aber es schien, als ob noch eine Schar Neugieriger vor ihrer Tür stehe. Jetzt erklang auch noch einmal ein schwacher Trommelwirbel durch die Stille, dann hörte Karolus, der im Schatten der Häuser umherschlich, wie die Stimme des Zwerges sich erhob und verkündete, daß noch ein einziges Mal der Eintritt gestattet sei, wer das Wunder noch einmal zu sehen wünsche, müsse jetzt eintreten, dann schließe sich die Türe für immer. Dann sah Karolus mit bebendem Herzen noch eine Menge Leute in das Gewölbe treten und stand fröstelnd und sehnsuchtsvoll, wie auf sein Stichwort harrend, auf seinem dunklen Posten. Er schaute die Tür an, er stellte sich tiefatmend vor, wie er die Geliebte, Einzige, Wunderbare in einer kurzen halben Stunde über die Schwelle tragen werde, hier bei dem schmalen Teingäßchen werde der Wagen warten und rasch mit ihnen von dannen fahren. Wohin? Das wußte Karolus jetzt selbst noch nicht, die Unterredung mit Lalanda werde Gewißheit bringen, wohin, ach, jedenfalls in eine glückliche Zukunft.

«Ich hätte einen Dolch mitnehmen sollen!» fiel ihm ein, und seine Finger ballten sich zusammen, als ob sie schon den Griff eines Dolches hielten und zustoßen müßten. «Denn viel Gefahr wartet auf mich und manches Abenteuer gilt's zu bestehen! Wenn die Trommler nicht weichen wollen!» Er griff nach den Flaschen in seinem Mantel, «wenn der Zwerg nicht zu bestechen ist!»

In diesem Augenblicke öffnete sich die Tür zu Lalandas Laden und der Streifen des Lichtes fiel greller und breiter ins Dunkel. Dann kamen lärmend die befriedigten Neugierigen aus dem Gewölbe heraus, sie standen noch in Gruppen beieinander, ein säumiger Nachzügler kam als Letzter über die Schwelle. Dann traten auch die beiden Trommler vor die Tür, sie nahmen die großen Bilder Lalandas, die zu beiden Seiten des Einganges aufgehängt waren, herunter und trugen sie in den Laden, dann kamen sie noch einmal mit ihren Trommeln und gingen über den Altstädter Ring nach Hause.

«Gott sei Dank,» sagte Karolus, «die werden nicht wachen!» Und dann, er traute seinen Augen kaum, dann trat auch der Zwerg in die Tür, er schaute sich mißtrauisch um, als ob er auf jemanden warte, dann öffnete er noch einmal die Tür und sprach einige Worte ins Gewölbe hinein. Und dann – Karolus hatte sich noch tiefer ins Dunkel zurückgezogen – dann ging auch der von dannen.

‹Allein!› jubelte es in Karolus Seele, ‹sie ist allein, sie wartet auf mich, sie liebt mich, ich werde sie erretten, sie wird mein sein!› Er schaute dem Zwerge nach, bis er im Dunkel verschwand. Ein letzter Verdacht stieg lähmend in ihm auf, der Zwerg könnte die Tür hinter sich gesperrt haben! Er lief eilig der Tür zu, mit verschwendeter Kraft drückte er die Klinke nieder, die Tür öffnete sich weit und er stürzte in das Gewölbe.

Auf dem Rande der Kufe, seiner harrend, lag Lalanda, im Scheine der Lampe leuchtete ihr weißer Busen aus dem dunklen Mieder hervor und ihre Augen lachten ihn an, da sie die Arme ihm entgegenstreckte.

«Endlich,» sagte sie, «endlich kommst du! Ich hatte schon Angst, du kämest nicht!»

Er stürzte in ihre Arme, sie faßte seinen Kopf und übersäte seinen Mund mit heißen Küssen. «Liebst du mich?» fragte sie immer von neuem zwischen den glühenden Küssen. «Liebst du mich wirklich?»

Und sie reckte sich empor, daß sein Mund ihren Hals und den feinen Ansatz ihres Busens küssen mußte. Er bog den Kopf zurück, er erschrak bei der Berührung der weichen, warmen Sammethaut, als müsse er sich entschuldigen, daß er ein Heiligtum berührt habe. Dann legte er den Radmantel ab, wies auf die beiden Flaschen Weins in den Taschen und sagte: «Die waren für die beiden Trommler, falls sie uns gestört hätten, oder für den Zwerg, wenn sein Neid uns nicht allein gelassen hätte. Gottlob, sie sind fort, und nun laß uns beraten, Lalanda, wie ich dich errette. Ein Wagen harrt draußen auf unsere Flucht, wie aber bekomme ich dich in den Wagen, du Herrliche! Und wirst du es auf dem Trocknen aushalten? Wirst du es überleben? Denn ehe wir vor die Stadt zur Moldau kommen, vergeht wohl eine halbe Stunde und dann will ich dich ins Wasser zurückgleiten lassen und auf dem Ufer stehen und dir folgen, bis wir ein ruhiges Plätzchen finden, oder, wenn deine Sehnsucht dich ins Meer zurückzieht, will ich auf dem Ufer der Flüsse, dich im Angesichte wandern, bis wir ans Meer gelangen!»

Da richtete sich Lalanda vom Rande des Teiches auf, sie zog den Kopf Karolus' nahe, ganz nahe an ihren Mund heran und fragte fast geheimnisvoll noch einmal:

«Liebst du mich wahrhaftig, sehnst du dich nach mir? Schwöre mir, daß du mich liebst!»

Und Karolus schauerte zusammen, so feierlich war die Frage, er hob die beiden Finger seiner Rechten zum Schwure in die Höhe und sagte ernst:

«Ich liebe dich, ich sehne mich nach dir. Ich bin glücklich, daß du mich erhöht hast durch deine Liebe. Ich wünsche nichts anderes, als daß du mich liebst!»

«O du unglückseliger, armer, armer Karolus,» sagte Lalanda traurig, «daß du gerade mich lieben mußt, gerade mich, die ich halb Fisch, halb Mensch bin! Indes du wert wärest, daß dich ein schönes Menschenkind liebte und glücklich machte!»

«Aber ich will dich gar nicht anders, Lalanda,» jubelte Karolus, «ich liebe dich, weil du so bist, so herrlich, so über alle Maßen schön und wunderbar, so königlich und erhaben!»

«Du guter Karolus,» antwortete sie ihm, «ich weiß, daß du mir das Leid geringer machen willst, das ich empfinden müßte, wenn ich» – ihre Stimme wurde wieder feierlich, aber es lag doch wie ein Jubel in ihren Worten – «wenn ich dich nicht jetzt im nächsten Augenblicke zum glücklichen, glücklichen Menschen machen könnte! Schraube den Docht der Lampe zurück, ich will dir ein Geheimnis verraten, ich will deine Sorgen enden. Ich habe den ganzen Tag nachgedacht, ob ich dir's verraten soll, ob du würdig bist, es zu erfahren. Aber du liebst mich, du willst mich aus diesem Elende befreien, du sehnst dich nach mir, wir wollen glücklich werden!»

Karolus folgte ihrem Auftrage, seine Finger zitterten, da er den Docht zurückschraubte, so seltsam, wie eine Beschwörung klangen die Worte Lalandas; wie Jaromir war ihm zumute, da Kleophas, der Zauberer vom Moore, ihn in seine Höhle lädt. Und es ward fast dunkel im Gemach.

«Verschließe die Tür!» befahl sie.

Er drehte den Schlüssel um, er versuchte, ob die Tür fest verschlossen sei. Dann sprach Lalanda: «Wende dein Antlitz von mir und warte, bis ich dich rufe. Dann wende dich rasch um, schau mich rasch an! Aber nur einen Augenblick lang! Dann aber schließe die Augen, daß ich vor dir nicht sterbe!»

«Was beginnst du?» fragte Karolus in tiefster Erregung, «was soll ich erfahren?» Und er dachte nicht anders, als daß nun der Boden sich öffnen und er mit Lalanda tief, tief in einen Schacht versinken werde, um auf dem Grunde des Meeres vor ihrem Palaste zu erwachen. Er atmete auf, als wolle er noch einmal ordentlich Luft sammeln, ehe er versänke.

«So denke an unsere Liebe!» sagte Lalanda. «Und nun, Karolus, Karolus, sieh mich an!»

Da wendete sich Karolus zitternd um, er hob die Augen zum Rande des Teiches und machte unwillkürlich einen Schritt nach vorwärts. Aber er taumelte im gleichen Augenblicke, wie vor die Stirn geschlagen, zurück. Auf dem breiten Rande des Bottichs – stand Lalanda aufrecht, aufrecht auf zwei Beinen wie ein anderer Mensch auch, sie hatte das Mieder an, aber die Beine, üppige, pralle Beine, waren nackt! Und triumphierend, mit einem siegesgewissen Lächeln schwang sie die schillernde Fischhaut in der Hand, aus der sie geschlüpft war.

«Das tat ich für dich!» rief sie, «weil ich dich liebe! Bist du jetzt glücklich?»

Und schon sprang sie, wie ein ausgelassenes Kind, lachend in den Teich, um den Fischschweif unterm Wasser – zum letzten Male – anzulegen.

Karolus stand mit weit aufgerissenen Augen da, er fühlte ganz deutlich den Stoß, den er vor die Stirne bekommen hatte und hob wie abwehrend die Arme. Er wollte schreien, aber eine unsichtbare Hand hatte seine Gurgel umfaßt und schien ihn erwürgen zu wollen, seine Arme ruderten durch die Lüfte.

«Du bist ein Menschenweib!» schrie er mit furchtbarer Anstrengung; er hörte mit donnerndem Getöse den Kristallpalast seiner Träume zusammenkrachen, «eine schamlose Person, nackt, pfui, o pfui, nackt» .....

Er griff sich an die Stirn, ein unnennbarer Ekel erfüllte sein Herz, seine Augen waren trocken.

«Du hast mich betrogen!» schrie er, und seine Stimme überschlug sich.

Lalanda aber hob jetzt den Kopf wieder vom Wasser und schaute Karolus lachend an, ihre Perlenzähne schimmerten zwischen den geöffneten Lippen; denn sie hatte die Worte des Karolus nicht verstanden und hielt sein seltsames Gehaben für die Äußerungen seines freudigen Staunens. Und mit herausforderndem Lachen fragte sie:

«Nun sprich, Karolus, bist du glücklich, daß ich dir die Rettung so leicht gestalte? Gleich will ich mich fertig machen!»

Da hatte Karolus wieder Atem bekommen, seine Brust keuchte noch, er stürzte zum Teiche.

«Betrügerin, schamlose Betrügerin!» schrie er in ihre Worte und in ihr Lächeln hinein, er faßte Lalanda und hätte sie geschlagen, so sinnlos, so entsetzt, so betrogen und um sein Wunder beraubt fühlte er sich. «Betrügerin, schamlose Betrügerin!» schrie er.

Lalanda aber begriff seine Worte immer noch nicht, sie war zu fest davon überzeugt, daß sie klug gehandelt habe, sie sah ihn mit verständnislosen Augen an, sie hob den Fischschwanz spielend aus dem Wasser, wie sie gewöhnt war, und lachte dazu und machte eine Schwimmbewegung mit den Armen und rief neckend und schelmisch:

«So fang mich doch, Karolus, fang mich doch!»

Da griff Karolus nach ihr, eine heiße Blutwelle war ihm zu Kopfe gestiegen und verwirrte ihn, er umfaßte ihren Hals und zerrte die Erschrockene an den Rand des Bottichs; und er würgte sie in seiner sinnlosen Enttäuschung und schrie «Betrügerin, schamlose Betrügerin!», ohne es zu wissen, und hätte die Hände nicht vom Halse Lalandas gelassen, wenn sie in ihrer Todesangst und der plötzlichen Erkenntnis, wie sie sich um Karolus gebracht, in ihrer Wut und Empörung über seine Dummheit nicht ihre Nägel in seine Hände gebohrt und endlich seine Finger von ihrem Halse gezerrt hätte. Dann biß sie ihn blitzschnell tief in die Finger, tauchte unter und verschwand unter der Tür hindurch in das zweite Gemach.

Karolus erwachte vor Schmerz, dann packte er seinen Mantel, aus dem eine Flasche herausgefallen und zerbrochen war, und stürzte aus dem Gewölbe. Der Kutscher, den er gemietet hatte, schien schon auf diesen Augenblick gewartet zu haben, er fuhr aus dem Dunkel heran und öffnete rasch den Wagenschlag. Und Karolus warf sich in den Wagen, sinnlos lachend; und so fuhr er von dannen, der Moldau zu.

Karolus lag erschöpft in dem Wagen, der stolpernd über das schlechte Pflaster der Judenstadt holperte, er wurde von einer Seite zur anderen geworfen und geschüttelt und wußte nichts davon. Eine trostlose Niedergeschlagenheit hatte sich seiner bemächtigt, ein unsäglicher Ekel schnürte ihm die Kehle zu, und nur die Wunde an seiner Hand lehrte ihn, daß es Wirklichkeit war, was er erlebt hatte. Er wollte weinen, wie ein Kind, dem seine schönsten Weihnachtsträume nicht erfüllt worden sind und das unter dem schimmernden Weihnachtsbaum mit großen Tränen in den Augen steht und nur daran denken muß, wie ganz anders es sich den Weihnachtsjubel vorgestellt hat. Dabei fieberte er beinahe vor Scham, daß Lalanda sich ihm entblößt gezeigt hatte, wie eine Dirne in dieser Judenstadt, durch die sie fuhren, in der er manch einmal mit dem Gefühle des größten Ekels Mädchen mit nackten Busen an den Fenstern gesehen hatte, die ihm winkten.

«Wie eine Dirne,» sagte er laut vor sich in das Dunkel hin. «Und das war Lalanda, die Meerkönigin, das war mein Traum! Gott, Gott, wie werde ich das überleben!»

In diesem Augenblicke hielt der Wagen, der Strom lag im Mondesscheine glitzernd da und der Kutscher öffnete den Schlag und, wie hätte er den Sohn des reichen Werkmeister nicht kennen sollen, fragte mit einer höflichen Verbeugung:

«Will der Herr Werkmeister hier stehen bleiben oder sollen wir über die Brücke hinüber?»

Da schrak Karolus zusammen. «Fahrt zu, wohin Ihr wollt,» sagte er, und sich besinnend, fügte er bei: «bis ich Euch rufen werde, daß ich aussteigen will.»

Da stieg der Kutscher kopfschüttelnd wieder auf den Bock und der Wagen holperte weiter. Die Laternen wurden immer seltener und schon waren sie auf der einsamen Landstraße.

Wie eine Dirne! An dieses Wort klammerten sich seine Gedanken. Dirne! Er sprach das Wort laut aus, es hatte einen scharfen Klang, wie wenn Seide zerrissen wird. Schamlose Dirne! Er hatte das Wunder, die reine, kühle, königliche, ferne Meerkönigin geliebt, aber der schillernde Fischschweif war Lüge, Täuschung, schamloser Betrug, darunter steckte das Gewöhnliche, Schamlose – ihn schauderte, als wenn ein Frost ihn schüttelte – das Dirnenhafte! «Und diese Dirne schämt sich nicht, ihren Betrug zu entdecken, sie scheut sich nicht, die Fischhaut wie eine Trophäe in die Höhe zu heben, mit nackten Beinen vor mir zu stehen! O, ich hätte sie erwürgen sollen, diese Lügnerin, diese schamlose Dirne!»

Große Tränen rollten über seine Wangen, ein tiefes Mitleid mit seiner Enttäuschung, mit seiner Jugend erfüllte ihn, sein Herz ward leichter und eine warme Sehnsucht nach einem Menschen, dem er sich an die Brust werfen könnte, ergriff ihn. Er nahm einen ordentlichen Schluck Weines aus der Flasche, dann schaute er tränenden Auges zum Himmel empor, die Sternlein flimmerten wie Diamanten durch seine Tränen und er rief dem Kutscher zu, er möge ihn rasch nach Hause fahren. Da wendete der Kutscher die Rosse und der Wagen rollte dem nächtlichen Prag entgegen.

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Über die Unterredung, die Karolus mit seinem Vater in dieser Nacht gehabt, wie der Vater zuerst über das verstörte Gesicht, über die Wunde an der Hand seines Karolus erschrak, wie dieser dann allmählich sein Erlebnis, sein Glück und seine Enttäuschung beichtete, darüber steht nichts mehr – in der alten Chronik von Prag. Es steht kein Wort darüber, daß der Vater Werkmeister seinen Sohn ans Herz geschlossen und geküßt hat und daß er doch bei allem Mitleid lachen, lachen mußte über seinen verträumten Karolus und daß er dann den rätselhaften Ausspruch tat, daß im Leben jedes Mannes der Tag kommen müsse, an dem sein Ideal den glitzernden Fischschwanz von sich tue! Denn Chroniken sind nicht sentimental, und so wollen wir lieber kein Wort zu dieser historischen Erzählung hinzudichten. Es steht nur ein kurzer Nachsatz in der Chronik, daß Lalanda von da an aus Prag verschwunden war und nichts mehr von ihr verlautete.

Karolus muß sich wohl mit der Zeit getröstet haben; er wird wohl auch ein anderer geworden sein, sonst hätte er nicht verlangt, daß an dem fertigen, neuen Hause in der Karlsgasse das steinerne Konterfei Lalandas angebracht und das Haus ‹Zum Meerweibchen› genannt werde. In den alten Büchern ist nichts weiter darüber berichtet. Wohl aber steht in den Kirchenbüchern der alten Königlichen Hauptstadt Prag der Name Karolus Werkmeister, Prager Bürger und Besitzer des Hauses ‹Zum Meerweibchen› und daneben ein anderer Name, der gar nicht wie Lalanda und ganz und gar nicht romantisch klingt, Barbara Werkmeister, geborene Knobloch, Tochter eines Haus- und Gartenverwalters von der Kleinseite unter dem Hradschin, und es ist verbürgt, daß Karolus sie in zärtlichen Augenblicken Medulina nannte. Und in den Büchern folgt auf diese beiden Namen eine Menge Kinder.

So schließt diese merkwürdige Geschichte ebenso historisch, wie sie begonnen hat, und wer sie nicht glaubt, der möge ruhig in der Chronik der Königlichen Hauptstadt Prag nachlesen. Er wird sie darin aufgezeichnet finden und in der Karlsgasse noch heute das Haus sehen, das den gleichen Namen trägt wie diese Geschichte. Dann mag er kopfschüttelnd und nachdenklich durch die Karlsgasse weiterschreiten bis zur Moldau. Dort aber wird er die Augen weit öffnen und auf den Hradschin hinüberschauen, die Königliche Burg, die herrlich und majestätisch von der Höhe herübergrüßt, und er wird fühlen, daß man aus dieser Stadt, darüber der Hradschin thront, nur historische Geschichten erzählen kann, seltsame und wunderbare Historien, wie diese vom Meerweibchen.

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