BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Otto Pick

1887 - 1940

 

Die Probe

 

1913

 

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Ein neuer Tag …

 

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Nach einer vierstündigen Eisenbahnfahrt kam Franz Laufer in der kleinen Stadt an. Er fühlte sich tüchtig durchgerüttelt. Mit halbgeöffneten Augen sah er, wie die beiden Geschäftsreisenden, seine Fahrtgenossen, den Koffer, der ihnen als Tisch gedient hatte, durch Umstürzen seinem ordentlichen Zwecke wiedergaben, die Spielkarten einsteckten, beinahe gleichzeitig einen dicken Schlüsselbund aus der Hosentasche nahmen und ihre Reisetaschen öffneten. Lächelnd konstatierte er die vollkommene Aehnlichkeit ihrer beiden schwarzen Wachsleinwandfutterale, in denen – ein leises Neidgefühl überschlich ihn – Kleider, Schuh- und Hutbürsten in guter Ordnung steckten. Er stieg nicht früher aus, als bis die Beiden tadellos gebürstet dastanden, die Kravatte zurechtgerupft und die glänzenden Schuhe auf das Trittbrett gesetzt hatten.

Er stand auf dem Bahnsteig. Die laue Luft wogte ihm entgegen. Vor der Ausgangstür stockte er unwillkürlich, besann sich und zog die ausgestreckte Hand, in der die Fahrkarte lag, zurück. Da war kein Uniformierter, die Ausgestiegenen zu kontrollieren. Draußen empfingen ihn tiefe Stimmen:

„Goldener Löwe … Stadt Prag … Wohin wünscht der Herr? … Schwarzes Roß am MarktPlatz! …“ [36]

Drei, vier Hoteldiener, die Zigarre im Mundwinkel, umwarben mit flauer Beflissenheit den Reisenden, der in seinem graugestreiften Anzug, mit dem staubbedeckten runden Steifhut bescheiden genug aussah. Er reichte den Koffer hin.

„Hallol Goldener Löwe!“ rief der Hausknecht, der Hotelwagen rumpelte heran. Die beiden Reisenden saßen schon darin.

„Fährt der Herr gleich mit?“ fragte der Mann, Franz Laufer nickte zerstreut, blickte auf und überlegte.

„Nein, ich komm' später. Können Sie mir sagen, wo die Goethestraße ist?“

„Ach da gehen Sie bloß hier links geradeaus, dort unten, wo „Stadt Prag“ ist, das gelbe Haus mit dem großen Garten, sehn Sie's? um die Ecke. Dort wird man's Ihnen schon weiter sagen.“

Der junge Mann hatte nicht zugehört.

Das Wort Goethestraße wollte ihm nicht aus dem Sinn. Er stellte sich zwei mächtige Häuserreihen vor, breite Gehsteige, Asphaltpflaster und elegante Passanten. Goethestraße … Warum? Wäre Goethe auch einmal in diesen Ort gekommen? Ihm fielen Verse ein, ganze Strophen. Vielleicht war ein Goethestandbild in dieser Straße? Er fühlte wohltuende Neugier erwachen. Eine Peitsche knallte. Der Omnibus mit dem Hausknecht auf dem Kutschbock rasselte ab. Der junge Mann schlenderte hinterdrein. Es war früher Nachmittag, die breite Landstraße mit den hartgetrockneten, staubgesüllten Wagenspuren mündete erst nach einer tüchtigen Strecke in die Stadt ein.

Gleich bei ihrem Eintritt verlor sie die hageren Pappeln, die auf der einen Seite – in kurzen Zwischenräumen [37] stehend – fallweise Oasen für den schattenbedürftigen Ankömmling gebildet hatten. Unter dem letzten Baum angelangt, machte er erschöpft halt.

Die Häuser waren niedrig; zwischen mehreren einstöckigen ragte hin und wieder eins um ein Stockwerk höher. Ein Fleischerladen war offen, ein dicker Mann mit fleckiger Schürze stand vor der Türe, an deren Pfosten geronnenes Blut klebte. Der Schweiß lief über seine roten Wangen; er hatte ein gutmütiges Doppelkinn, Franz Laufer mußte lächeln, als sein Blick von dem Wulst dieses Kinns auf das breite Schlachtmesser im Ledergurt des Meisters glitt.

Eine Turmuhr schlug. Der junge Mann sah hinter dem Häuschen des Fleischhauers zwei schlanke Kirchturmspitzen aufsteigen. Es war ein Viertel vor zwei Uhr. Die Straße belebte sich. Staubwolken wirbelten heran. Franz ging weiter mit dem nachlässigen Wunsche, ohne nach dem Wege zu fragen, in die Goethestraße zu gelangen. Aus den Staubwolken schossen kleine Radfahrer, Knaben, die aus der Umgebung des Städtchens zur Schule fuhren. Manche hatten die Schulbücher an die Lenkstange festgebunden, andere trugen Schultaschen aus braunem Fell auf der Schulter, die wie Tournister aussahen. Alle hatten hinter dem Sattel kleine Päckchen – Obst und Butterbrot – festgebunden.

Manchmal strich ein Windstoß erfrischend durch die Luft. Franz Laufer bog um die Ecke der Straße und sah eine lange Mauer vor sich, über welcher Baumwipfel rauschten. Angenehme Düfte waren in der Luft. Er ging längs der Mauer weiter und stand vor einem zierlichen Gebäude, das einer kleinen Villa glich. [38] Ueber dem Eingang war eine schwarze Tafel angebracht, „Hausbacher u. Co. Kanditen und Schokolade.“ Links und rechts waren die Worte „en gros“ und „en detail“ mit dünnen weißen Buchstaben gemalt.

Der junge Mann trat über zwei Stufen in das Haus ein, blieb dort im Hausflur stehen und besann sich, wie aus einem Traum erwachend: „Ach ja, das ist unsere Firma. Und ich bin Franz Laufer, Korrespondent der Prager Filiale der Kanditenfabrik Hausbacher u. Co. und habe mich hier als neueintretender Komptoirist zu melden. Und in der Goethestraße bin ich auch und hab' mich garnicht umgesehen. Doch das hat Zeit. Treten wir ein!“

Plötzlich verspürte er doch ein unbehagliches Gefühl. Er sah betrübt auf seine staubigen Hosen und Schuhe. Doch dann zuckte er mit den Schultern und ging weiter ––

Während er mit geringer Entschlossenheit die Klinke einer gelblackierten Türe niederdrückte, las er die Aufschrift, welche ein durch einen weißen Horizontalschnörkel geteiltes schwarzes Blechschild über der Türe trug. Oben stand „Chef“, unten in kleineren Buchstaben „Buchhaltung“ … Die Klinke war glücklich niedergedrückt, die Tür hatte sich geräuschlos geöffnet und der junge Mann stand in einem dunklen Vorzimmer, Da er annahm, daß das „oben“ des Blechschildes „rechts“ bedeuten sollte, ging er gegen die rechte Wand des Raumes und stieß plötzlich mit dem Fuß gegen eine Türe. Er erschrak. Die Türe wurde geöffnet. Er sah sich einem schlanken Herrn mit dunklem Spitzbart gegenüber, der ihn unwirsch anfuhr:

„Was wünschen Sie? Drüben ist das Bureau.“ [39]

Franz errötete, griff in die linke Innentasche seines Rockes und steckte dem Herrn ein großes Briefkuvert entgegen. Zugleich besann er sich und nahm erschrocken den Hut ab.

„Aber ich sag Ihnen doch, daß das Bureau drüben ist! Von welcher Firma kommen Sie denn? Werden bei Ihnen vielleicht die Briefe dem Chef persönlich übergeben?“

„Ich bin … Ich komme her … Mein Name ist Laufer … Mein Legitimationsschreiben, hier …“

„Sie sind ––? Gut. Ich habe Besuch. Ich werde Sie später rufen lassen. Drüben in der Buchhaltung melden Sie sich beim Herrn Schreiber. Sie übernehmen die Korrespondenz und werden außerdem das Hauptbuch führen. Haben Sie schon ein Logis?

„Ja, nein … Im Hotel ––“

Der Chef brach das Gespräch zwischen Türflügel und Schwelle ab und schloß:

„Schön. Ich werde Sie noch rufen lassen.“

Franz sah noch über dem Arm hinweg einen beleibten Herrn, der in einer Rauchwolke neben einem Schreibtische saß und in seinem Notizenbuch blätterte.

Er stand allein im Vorzimmer.

Da erst fiel ihm ein, was er vor allem hätte vorbringen sollen: Daß er noch nicht zu Mittag gegessen habe und zu diesem Behufe für heut Nachmittag um Urlaub bitten möchte. Das schroffe Wesen des Chefs hatte keinen angenehmen Eindruck auf ihn gemacht. Er fühlte sich verlassen und übersehen.

Er raffte sich auf und öffnete die gegenüberliegende Türe, nicht ohne vorhergehendes Anklopfen, das ohne Erfolg blieb. [40]

Eine fette pathetische Stimme beherrschte den Raum. Kurze Ausrufe fielen. Dazwischen, die Wörtchen: „ja … und? …,“ die leichthin von Zuhörern gemurmelt werden, um einen Erzählenden anzufeuern. Franz erkannte die Situation: Während der Chef Besuch hatte, hielt das Schreiberpersonal ein Plauderstündchen.

Die hellgelben Rolläden waren bis zur Fensterhälfte herabgelassen, die geräumige Kanzleistube war von jenem matten Helldunkel erfüllt, in welchem unzählige Staubteilchen lässig schweben, während dünne Sonnenpfeile von Zeit zu Zeit durchs Fenster huschen und in dunklen Ecken verschwinden.

Franz stelllte sich in einen Winkel und wartete ab. Er sah, daß man ihn bemerkt hatte, sich aber Zeit ließ für die Erledigung seiner Angelegenheit, denn etwas Wichtigeres machte die jungen Geschäftsleute, die zum Teil rücklings auf ihren Stühlen saßen, gierig aufhorchen.

Vor einem Schreibtisch stand ein alter aufgeregter Herr, eine dicke Zigarre feucht zwischen die gelben Zähne gepreßt, das rechte Bein vorgestreckt, und war mitten in gewaltigen Reden …

… „Ein reizendes Kerlchen war das. Damals in Prag. Vor zehn Jahren … nein, früher noch, wie die Ausstellung war … Da haben Sie noch nicht gewußt, was für Sachen Sie mal von mir hören werben, Herr Prstetz, was? …“

Ein vielleicht neunzehnjähriger Bursche, der auf der Schreibtischkante saß, lachte dem eifrigen Herrn zu und zeigte die schönen Zähne in seinem frischen Mädchenmunde. [41] Franz mußte über des Jünglings auffallend nette Kleidung lächeln. Die andern Angestellten in ihren schäbigen Bureauröcken lümmelten sich gemütlich auf ihren Sesseln.

„–– Also, ein tadelloser Kerl, sag ich Ihnen. Schlank, elegant, fesch, blond und einen Hals hat sie gehabt… und Brüsterlnl – Also, ich geh' einmal abends übern Graben aus der Ausstellung, und seh sie. Donnerwetter! denk ich, das wär was! Ich geh ihr nach, geh vorüber, schau ihr ins Gesicht – ein fescher Bursch war ich damals – Prstetz, lachen Sie nicht! … Ganz schwarzes Haar hab' ich gehabt, noch vor fünf Jahren – sie lacht, ich bleib stehn, sie geht langsam auf die andere Seite. In der Bergmannsgasse sprech' ich sie an. Ein fescher Kerl, sag ich Ihnen, solche dunkle Augen hatte sie – und sie lacht und geht mit mir, gleich zu mir hinauf. Natürlich war ich ein bissel baff, weil's so rasch ging – aber schließlich, die Weiber sind Ludern und damals hab ich ihrer gehabt! Mehr als ich verlangen konnte. Sie geht also mit mir. In der Gasse, wo ich wohnte – tadelloses Zimmer, sturmfrei – passiert noch etwas: Die Trafikantin steht im offenen Laden und sieht mich. Verflucht, denk ich, hoffentlich hält sie den Mund. Natürlich, die dumme Gans glaubt, weil ich mal Sonntag mit ihr einen Ausflug gemacht hab', darf ich mit keiner anderen gehn – und wie sie das Prachtmädel sieht, wird sie rot und schreit über die Gasse herüber:

„Má úcta, pane Schwendenheim“ – – Ich schaue weg, aber die Blonde macht sich garnichts daraus und lacht: „Also so ein Feiner sind Sie!“ Ein Prachtkerl war das. Und gelacht hat sie fortwährend. Bis zwei Uhr [42] ist sie bei mir geblieben. Ich sag' Ihnen, hundert Gulden hätt' ich's mich kosten lassen! So eine Nacht.“

Im Zimmer läuft ein lüsternes Schmunzeln über die Gesichter, alle starren bewundernd auf den kleinen Herrn, der sich reckt, in den längst erkalteten nassen Zigarrenstummel beißt und mit dem rechten Fuß kleine Bewegungen vorwärts macht, wie ein Fechter in der Angriffsstellung.

Der hübsche Prstetz ist rot geworden und blickt krampfhaft auf einen Abreißkalender an der Wand. Franz sieht, wie in seinem Gesicht Lust und Entrüstung zu kämpfen scheinen, wie seine Lippen sich öffnen und wieder zusammenklappen, als wolle er mit einer erregten Einwendung dem gemütlichen Vorgesetzten in die Rede fallen. Dieser setzt plötzlich eine düstere Miene auf, sein ungepflegter grauer Schnurrbart legt sich in die Verlängerung der Trauerfalten, die sich prompt neben seinen Nasenflügeln gebildet haben. Diese etwas verfrühte Stimmungsänderung kontrastiert mit der eingebildeten Stimme des Mannes.

„Also, eine feine Nacht war das. Um zwei Uhr zieht sie sich an, lacht – immerfort hat sie gelacht! Prstetz, ist Ihnen das schon einmal passiert? … gibt mir einen Kuß, ich Esel vergeß' ganz, sie zu fragen, wo sie wohnt, wann ich sie wieder treff' – und sie geht. Natürlich hab ich nicht mehr einschlafen können. So aufgeregt hat's mich. Und nicht einen Heller hat sie nehmen wollen –

Früh will ich ins Bureau zehn. Ganz wütend, weil ich nicht weiß, ob ich sie bald wieder treff! Da läutet es. Eine fremde Dame stürzt herein, verschleiert, ganz aufgeregt und schreit mich an: „Bei Ihnen war sie! [43] Bei Ihnen…?“ Und starrt mich an wie verrückt. Ich will sie fragen, was sie von mir will. Da spuckt sie aus vor mir und schreit wieder: „Bei Ihnen war sie! Meine Schwester! … Und wissen Sie, wo sie ist?! Am Franzensquai … In die Moldau ist sie gesprungen!“

Und sie dreht sich um und fährt zur Türe hinaus und fort war sie. Bis heute weiß ich nicht, war's wahr oder nicht. – Aber hundert Gulden hätt' ich's mich kosten lassen … Was, das sind Geschichten – so was gibt's heut nicht mehr, wie, Herr Prstetz?“

Da pustete der kleine Prstetz dem kleinen Herrn zornig und wutlachend ins Gesicht:

„Natürlich, natürlich! Das gibt's nicht, Herr Buchhalter. Aber Ihnen ist das auch nicht passiert. Die Geschichte hab' ich ja schon gehört, vor zwei Monaten, wie ich erst paar Tage im Geschäft hier war. Der dicke Reisende aus Brünn hat sie ja erzählt … Damals haben Sie sich ja so aufgeregt dabei!“

Und er machte sich wütend und beleidigt über ein aufgeschlagenes Kopierbuch her.

Die anderen Angestellten verbissen das Lachen und kehrten befriedigt auf ihre Plätze zurück. Der Buchhalter knurrte etwas, zündete hastig eine frische Zigarre an und tat, als habe er nichts gehört. Ganz freundlich wandte er sich rasch zu Franz: „Also, was bringen Sie, junger Mann? Ach! … Aus Prag, an Herrn Drehers Stelle … so! Warum haben Sie das nicht gleich gesagt? Also schön. Herr Dreher, seien Sie so gut, zeigen Sie dem Herrn, was er zu tun hat … Oder, warten Sie mal, ich will ihn erst vorstellen. Also, das ist Herr Laufer aus unserer Prager Filiale. [44] Schwegenheim heiß' ich, freut mich sehr,… Hier, der Herr Kassierer Brummel, Herr Paldus, mein Stellvertreter und Herr Schneider, auch Korrespondent und Buchhaltungsbeamter, wie Sie. Dann noch der Jüngling, der vorhin gesprochen hat, unser Praktikant, Herr Prstetz. Herrn Dreher kennen Sie jetzt bereits.“

Franz machte seine Verbeugungen und spürte schmale und breite, mehrfach schweißfeuchte Hände. Die Namen vergaß er sogleich.

Man wies ihn seinen Platz an; der stand neben dem Fenster in einer Ecke und die Sonne strich wärmend in einem breiten Strahle über des Sitzenden Rücken, während sein Kopf im lauen Schatten war,

Dieser Herr Dreher, dessen Nachfolger Franz werden sollte, war wohl ein tüchtiger Bureauarbeiter und Geschäftsmann – zum Pädagogen mangelte ihm alles. Er stellte sich mit wichtiger Miene neben Franz, zerknüllte hastig einen Brief, den er zur Hälfte vollendet hatte, warf ihn in den Papierkorb und begann, die Hände abwechselnd in die Hosentaschen tauchend, Franz denselben Brief, die Erledigung eines Lieferungsauftrags, zu diktieren.

„Also, immer schön oben paar Zeilen freilassen! Aber, aber … haben Sie denn noch keinen Brief geschrieben? Vier Finger vom obern Rand … mindestens … Also: In Erledigung – haben Sie's? – Ihres Geschätzten … Geschätzten groß!“ – – – – – – – – – – – – – – – – –

„So, Sie glauben also, daß es Ihnen hier gut gefallen wird? Bald einleben wollen Sie sich? Einöden, nicht einleben. Seh'n Sie mich nur so ungläubig an. Bald werden Sie andre Augen machen.“ [45]

Dreher saß mit Franz an einem Gasthaustisch und fuchtelte mit einer Aufgeregtheit herum, die ein wenig künstlich schien. Es war etwa zehn Uhr abends. Franz fühlte sich müde und horchte doch gespannt auf die Worte Drehers, die ihm wertvolle Winke für die Zukunft geben sollten.

"Ich kenn' das;“ fuhr Dreher fort. „Vier Jahre hab ich hier gelebt und jede Weile ist ein Neuer herausgekommen, Prager wie Sie. Und alle sagten: ich werde mich schon einleben. Ich will Ihnen was sagen; schauen Sie mich an. Als ich herkam, hab ich's auch gesagt. Und nach drei Monaten war ich soweit wie die Andern. Ins Bureau gehn, essen, trinken, Gasthaus, Kartenspielen, Billard. Und Sonntag zum Ueberfluß noch einen Ausflug, irgendwohin, wo man ein warmes Bier kriegt. Und Klatschereien und Feindseligkeiten, Sie wissen nicht, warum.

– – Und natürlich war ich's besser gewöhnt und hatte mir's anders vorgestellt. Natürlich dacht' ich – geben Sie acht, Sie werdens auch tun – ein Kaffeehaus wirds hier doch zum Teufel geben, wo du dich hinsetzest, in Ruh paar Zeitschriften liest. Und ein Theater, wenn's nicht groß ist, doch besser als nichts. Und paar Menschen, mit denen man reden kann – werden sich auch finden lassen. Gewiß! Aber das ist es ja, daß bei den paar Menschen, die einem passen, gleich die andern kleben. Die anderen – warten Sie, die werden Sie kennen lernen. Leute, die man nicht anspuckt, wenn man anderswo ist.

Hier sind Sie auf sie angewiesen. Doch wozu reg' ich mich auf. Sie werden ja alles selber sehn – Ich nicht mehr!“ [46]

Drehers Augen leuchteten sehr froh. Am nächsten Tage sollte er schon in Prag eintreffen, um dort zu bleiben.

Franz gab es auf, diesen Menschen, der in Gedanken schon fern von der kleinen Stadt weilte, weiter auszufragen. Er beschloß, abzuwarten. Und hatte er sich nicht freiwillig hierhergedrängt? Hatte er nicht beinah fluchtartig die Vaterstadt verlassen, um in diesem kleinen Orte ein stilles Leben zu beginnen?

Die beiden Jünglinge zahlten und gingen durch einige kurze ausgepflasterte Gassen nach Hause. Franz hatte das Zimmer seines Vorgängers in einem einstöckigen Häuschen, das von lauter jungen Geschäftsleuten bewohnt wurde, übernommen.

Dreher war schweigsam geworden. Auf der Gasse blieb er manchmal stehen und blickte hinter sich. Franz bemerkte verstohlene Abschiedsblicke und dachte lächelnd an Drehers komisch hochfahrendes Benehmen am Nachmittage und an das trübe Bild, das er von diesem Leben in der kleinen Stadt entworfen hatte, die er nun doch zögernd verließ.

Dreher schlief auf einem Sofa, das in Franzens neuer Wohnung stand. Franz legte sich in ein Bett mit hohen, kühlen Kissen und schlief sogleich ein.