BIBLIOTHECA AUGUSTANA
Otto Pick
1887 - 1940
Texte in der Zeitschrift«Die Aktion»
1916
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Seite 605
Franz Werfel – Erinnerungen an den Winter 1911/12.
Der erste Schnee war noch nicht gefallen. Aber wir wußten, bald würde er da sein und glitzern.Noch war „Der Weltfreund“ *) nicht erschienen, aber wir wußten, bald würde auch dieses Naturwunder Ereignis werden.Ein Wirbelwind war in unsere Ecke im Prager Café Arco gefahren, hatte uns die Literaturblätter aus den Händen gerissen; das Bild der schönen Dame am Nebentisch verblaßte, der freundlich dargereichten erotischen Büchlein des Obers ward heute nicht geachtet: Die Köpfe drängten sich zusammen über den ersten Bürstenabzug des „Weltfreunds“.Halbversiegter Quell jugendlicher Gefühle rauschte auf, Morgenwind der Kindheit wehte uns an. Milde Miene des skeptisch-traurigen Freundes ward glatt und herzlich. Belesenheit und philosophischer Ehrgeiz schwanden dahin. Schülerhaftes Geplänkel, Wettlauf der Talente, Überhebung des wühlenden Geistes, grotesker Indifferentismus und beharrliche Anrufung von Gazettengrößen – wie fortgeweht waren die abendlichen Spukgeister unseres Kreises.Und dann begann – wir kannten und kannten sie nicht – diese und jene Strophe, gesprochen-gedichtet vom Dichter, aufzusteigen in das Stimmengeschwirr, in das bläuliche Grau des Zigarrenrauchs, zu übertönen die Cafégeräusche.Stunden jenes Winters: wehe Dämmerträume des Alternden beschimmert die Erinnerung mit frohsilbernem Glanz. Abende, Nächte jenes seligen Winters! Wie waren wir eins, wie stimmten wir da zusammen. Wir saßen in den Cafés, wir tobten durch die nächtliche Stadt, wir erklommen den trotzigen Hradschin, wir strichen am breiten Strome entlang, wir vergaßen, schwärmend im Saal der gefälligen Mädchen, des Morgens im Fensterspalt.Und Werfel sprach, Werfel sang, Werfel wogte, Werfel wurde, nachdem er geworden.– – – Der zarte und kräftige Traum ward endlich Buch, Literatur, Besprochenes. Der Ruhm stampfte heran. Es entstanden die Werke, gebändigtere, eherne.Und nun, im Herbste des Jahrs und der Seele, grüßt das Herz in schmerzlicher Sehnsucht den fernen, den wissenden Dichter.Otto Pick (11. X. 1916)
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