BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Heinrich Mann

1871 - 1950

 

Lidice

 

1943

 

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101

 

Wokurka, gerät in Bewegung: „Wo ist die Zeitung?“

Lyda: „Pavel liegt darauf, Papier hält warm.“

Doktor Holar: „Ich habe sie unter ihm weggezogen, sie war zerrissen. Auch Sepsis ist von Zeitungen zu befürchten.“

Jaroslav: „Aber Doktor, was die Engländer schreiben! Ich hätte es aufgehoben.“

Milo Schatzova: „Ich habe die Fetzen hinunter in den Bach geworfen.“

Wokurka: „Aus.“ Aber er sucht um so eifriger.

Doktor Holar: „Sehr schade. Etwas kann darin stehen, was die Dinge verändert.“

Lyda, über Pavel: „Dein Angesicht bleibt auf immer, wie es ist. Du wirst nie wieder ein anderer.“

Pavel: „Lyda! Ich werde sterben, denn ich verdiene es. Erinnere dich, wenn alles verfehlt war, ich hatte doch das Glück, dir wahrhaft gut zu sein.“

Jaroslav: „Neuigkeiten versäumen ist oft das beste, diesmal hält man es nicht aus. Slecna Milo, warum mit der Neuigkeit in den Bach?“

Milo Schatzova: „Oh! hätt ich den Ozean gehabt, fort damit! Ich danke für historische Aufklärungen. In dieser Geschichte war ich drin, und verstehe sie noch weniger als jede andere.“

Wokurka: „Was lügst du so schrecklich, Milo?“ In seiner Hand erscheint die Zeitung. „Hinter deinem Lager in der Baumwurzel steckte das Blättchen, einen Meter 20 ist es hoch, und aufgeschlagen war die Stelle, die wir lesen sollen. Du kennst sie schon!“

Milo Schatzova: „Ich glaube kein Wort. Nimm dir nicht die Mühe!“

Wokurka, hat in die Zeitung gesehen, er teilt das Gelesene frei mit: „Der Protektor Heydrich, kurz und gut, er hatte von seinem verwahrlosten Führer den Auftrag gehabt, eine tschechische Legion gegen die Sowjetunion aufzustellen. Schon fertig.“

Ein Schweigen, das keinem zu lang wird.

Doktor Holar: „Da sagt man vernünftigerweise nichts. Wenn Heydrich gewagt hätte, die Tschechen zu bewaffnen, sie wären dem Feind natürlich schon in Prag begegnet. Wer sie an die russische Front zu schicken denkt, muß wahnsinnig sein.“

Jaroslav: „Heydrich war wahnsinnig. Der ihm die tschechische Legion zumutete, ist es auch.“

Lyda: „Ihr überseht das Nächste. Pavel! Sag ihnen, wie es gekommen wäre – ohne das Attentat auf Heydrich.“

Pavel: „Lidice stände noch. Keine Unschuldigen hätten für mich gebüßt.“

Lyda: „Für dich – büßt keiner. Die Toten von Lidice – retten unser Land.“

Jaroslav: „Soll das Mädchen klüger als wir alle sein? Wir sagen eigensinnig, kein Tscheche wird auf seine russischen Brüder schießen. Schön, werden sie nicht schießen. Aber an die Maschinengewehre gekettet wie üblich, wären sie vorgetrieben, und wären niedergemacht, eh daß die meisten sich ergeben können.“

Doktor Holar: „Das muß richtig sein, weil Erfahrungen es bestätigen. Ich wundere mich nicht, daß Lyda, ein Kind, meinem Verstand zuvorkommt. Immer noch erträglicher, Lidice, mit allen, die wir liebten, verschwindet vom Erdboden, als daß die tschechische Jugend ohne einen Überrest geopfert wird.“

Wokurka, bleich und bebend, nur die Stimme unerschüttert: „Das hätte gefehlt. Es ist, meiner Seel, nahe an uns vorbeigegangen. Jetzt, nach tausend Morden für den einen, muß auch ein Wahnsinniger auf die tschechische Legion verzichten.“

Milo Schatzova: „Wenn der Protektor sie je gewollt hat.“

Wokurka: „Der falsche Protektor war's, der hat es dahin gebracht, daß Heydrich Furcht vor der Legion bekam, lieber ließ er sich auf die Legende ein, die Legende vom falschen Protektor.“

Lyda: „Da war kein falscher Protektor – nie!“

Milo Schatzova: „Da war keiner. Glaube, wer Lust hat, an die tschechische Legion. Der Protektor ist nur Legende. Die Geschichte soll aus sein.“

Pavel: „Die Geschichte soll aus sein, und hat noch ein glückliches Ende – glücklich, unglücklich, man unterscheidet nicht.“ Er sitzt aufgerichtet und weint bitterlich.

Wokurka: „Das Unglück und das Glück treten oft in einer Person auf, wie ein Komiker, dem es traurig ist.“

Jaroslav, nimmt die Hand, hinter der Pavel weint, von dem Gesicht des Sohnes fort und behält sie.

Lyda, gibt dem Vater von selbst ihre Hand.

Aus der fernen Höhe, wohl von dem Paßweg her, wird ein einzelnes Hornsignal vernommen, hier klingt es schwach, bis in das Tal gelangt es schwerlich.

Doktor Holar: „Der Angriff.“

Milo Schatzova und Wokurka, aus einem Mund: „Darauf wart ich gerade.“

Lyda: „Müßten wir nur Pavel nicht hier verlassen!“

Jaroslav: „Getrost, Kind, wir erobern das Lazarett.“

Doktor Holar: „Ich hoffe, er muß nicht mehr hinein.“

Pavel: „Weil auch hier oben die Granaten einschlagen.“

Wokurka: „Gelebt wird, bittschön.“

Den Berg herab naht das Geräusch vieler Schritte und beförderter Maschinen. Einige Minuten noch, bis ein Trupp von Guerilla­mannschaften die tschechischen Soldaten in sich aufnehmen und sie talwärts tragen wird. Bis jetzt halten drei der Personen einander bei der Hand. Pavel ist aufgestanden. Die übrigen drei schließen sich der Kette an. Ihre Hände alle sind verbunden im Namen des gemeinsam Vollführten, das hinter ihnen zurückbleibt, und der vorne, dort vorne, von den Kämpfern verlangten Taten.

 

Jaroslav:

„Wenn wir alle tot sein werden,

Ist doch unsre Heimat frei.“

Milo:

„Denn so wollen sie's auf Erden,

Daß im Glück das Unglück sei.“

Doktor Holar:

„Schlachten wären längst nicht mehr erlaubt,

Gleichwohl lieber Held als hingerichtet –.“

Pavel:

„Als der Schrecken über jedem Haupt,

Trost sind nur Legenden, ungeglaubt –.“

Wokurka:

„Aber doch nicht schlecht erdichtet.“

Jaroslav:

„Unser Volk kann niemals unterliegen.“

Lyda:

„Dafür zeugt die Ondracek-Legende.“

Milo:

„Viele Völker sollen draußen siegen –.“

Wokurka:

„Auch zu Hause, hör ich.“

Pavel:

„So das Ende.“