BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Heinrich Mann

1871 - 1950

 

Lidice

 

1943

 

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56

 

Heydrich, seidener Schlafrock, liegt anmutig ausgestreckt, den Kopf im gebogenen Arm, unter den silbernen Geweben, die sein Bett verschleiern. Die indirekte Deckenbeleuchtung sickert zart durch Wolken desselben Stoffes. Sie schweben und flimmern, vermöge der Wände aus Spiegelglas, bis in endlose Tiefen.

Draußen spricht Hauptmann Krach: „Gnädigste sind angelangt.“

Milo Schatzova, noch unsichtbar: „Hauptmann Krach, ich bin mit Ihnen zufrieden. Die Leute auf den Treppen und Gängen flogen an die Wand, sobald sie uns erblickten.“

Hauptmann Krach: „Die öffentliche Ehrfurcht gebührt der mächtigsten Frau dieses Protektorates. Ein Wagen des Protektors steht jederzeit zu Ihrem Befehl. Genehmigen Sie weiter meine Begleitung?“

Milo Schatzova: „Warten Sie vor der geheimen Tür! Wenn ich hinaus will, kratze ich.“

Heydrich, auf seinem Bett: „Sie kratzt. Ich hoffe noch immer, daß es ein Kater ist.“

Milo Schatzova, erscheint im Hintergrund des Schlafzimmers, unter den Wolkenvorhängen. Wie diese, flimmert auch sie und wird von den Spiegeln vervielfacht.

Heydrich: „Nicht mal eine komische Alte ist es. Komme, was will!“

Milo Schatzova: „Lauter! Das ging nicht über das Orchester weg.“

Heydrich: „Wieso Orchester?“

Milo Schatzova: „Hier sind wir auf der Bühne.“

Heydrich: „Sie werden beeindruckt von dem Rahmen, den ich meiner Individualität verleihe.“

Milo Schatzova: „Unglücklicher! Wo ich beruflich jeden Abend der Mittelpunkt desselben falschen Zaubers sein muß, gerate ich hier in ein Kokottenzimmer.“

Heydrich: „Was ist hier falsch? Wer soll falsch sein?“ Er hat sich aufgesetzt. „Meine Dame, Sie sind nicht mehr erwartet worden.“

Milo Schatzova, übersieht sein Mißtrauen: „Meine leichte Verspätung verstimmt den hohen Herrn. Aber nur für ihn habe ich stundenlang meine Schönheit wiederhergestellt.“

Heydrich: „Hatte er sie zerstört?“

Milo Schatzova: „Grausamer! Verbietet mir die einfachste Erfrischung, selbst aber ruht er, ein lieblicher Ephebe, das edle Haupt in der Rundung des Armes, auf seinem märchenhaften Lager!“

Heydrich, nimmt die Stellung, die sie beschrieben hat, folgsam wieder ein: „Märchenhaft, wenn man will. Jedenfalls einsam.“

Milo Schatzova, setzt sich zu ihm, aber der durchsichtige Vorhang trennt die beiden. Sie betrachtet den Mann als Expertin: „Der ist nicht grausam. Er will es sein.“

Heydrich: „Ich bin gefälligst grausam! Keine Verwechslung mit dem deutschen Oberst in Norwegen, der immer jammerte, weil er die Norweger unterdrücken mußte!“ Er möchte nochmals hochkommen.

Milo Schatzova, deckt ihm den Schleier über das Gesicht: „Still! Daß ich dich bewundere!“

Heydrich, hält still.

Milo Schatzova: „Reinhard! Schönheit!“

Heydrich: „Ich kann mir nicht helfen, ich hör es gern, je unverhoffter die Dame erscheint.“

Milo Schatzova: „Ich, unverhofft? Sag nicht noch einmal Dame! Du hattest für mich andere Namen, in dem heißen Sturm einer Nacht, ich wäre – siebenmal darin untergegangen, nur deine Glockenstimme rief meine ertrinkenden Sinne an die Oberfläche zurück!“

Heydrich: „Berauschende Komödiantin! Mir ging in dem bewußten Sturm dein Name verloren. So ist es. Tatsächlich erscheinst du mir zum zweiten Mal unverhofft. Mit dem ersten meiner Blicke, im Theater, sah ich dich auch schon unglaubwürdig über dem Boden schweben, zu meiner Seele sprach ich, Reinhard, das gibt es nicht.“

Milo Schatzova: „Meine Rolle enthält keinen Luftakt.“

Heydrich: „Ich selbst taumelte.“

Milo Schatzova: „Meinen Namen vergißt man nicht. Ich bin die Schatzova.“

Heydrich: „Eine Wirklichkeit? Sozial? Amtlich?“

Milo Schatzova: „Du kannst meine Papiere prüfen.“ Sie zeigt ihm etwas Schriftliches durch den Schleier.

Heydrich, liest mit polizeilichem Ernst: „Das ist nicht in Ordnung.“

Milo Schatzova: „Ich bin verloren!“

Heydrich: „Es sollte deutsch sein, mindestens nicht fremdsprachig allein. Schatzova scheint sich zu bestätigen.“

Milo: „Nicht der andere Name? Den mein Freund in allen Stimmlagen sang?“

Heydrich: „Milo? Genehmigt.“ Er bemüht sich um Wohllaut: „Milo! Milo!“

Milo Schatzova: „Einen Viertelton höher!“

Heydrich: „Milo! War es das?“

Milo Schatzova: „Ob das der Klang war, der mich verführte!“

Heydrich: „Wahr? Ich hab dich verführt?“

Milo Schatzova: „Kühner du! Eine große Frau, aber er nimmt sie sich.“

Sie küßt sein Gesicht durch den Schleier, der ihn einwickelt und ihm hinderlich ist. Er versucht Bewegungen, die mißlingen, sie macht andere, ihm nicht erwünschte.

Heydrich: „Schluß mit der Spielerei!“

Milo Schatzova: „Das sag ich auch. Eh wir's denken, muß ich wieder im Theater sein.“

Heydrich: „Das verbiete ich.“

Milo Schatzova: „Absagen? Du wärest imstande und verführst mich auch dazu noch.“ Sie lacht auf.

Heydrich: „Meine Ahnung, ich bin lächerlich.“

Milo Schatzova: „Mir fällt nur die Geschichte vom Wokurka ein, wie er im Extrazug nach Czernowitz die Greislerova verführte.“

Heydrich: „Lächerlich ist höchstens dieser Wokurka.“

Milo Schatzova: „Was willst du von einem Komiker?“

Heydrich: „Aber den Komiker liebst du.“

Milo Schatzova: „Schon eifersüchtig!“

Heydrich, befreit sich gewaltsam aus der Umschleierung, verläßt das Bett: „Wenn dir das Leben deiner Liebhaber lieb ist, vergiß nicht, wer ich bin!“

Milo Schatzova ist von ihrem Platz gewichen, steht ihm gegenüber: „Henker Heydrich, sagen deine Schmeichler.“

Heydrich stelzt im Halbkreis um sie her: „Auf der Liste fehlt der Einundfünfzigste, Wokurka.“

Milo Schatzova: „Ich bin gekränkt, mein Name war dir weniger geläufig. Was soll es mit der Liste?“

Heydrich, unbeherrscht: „Morgen, spätestens übermorgen wird Prag sie auswendig wissen. In der Luft wird sie abzulesen sein, wo fünfzig Verschwörer hängen werden – jetzt einer mehr.“

Milo Schatzova, schreit auf: „Christi Himmels willen, mein armer alter Kamerad!“ Sie fällt gebrochen auf den Bodenbelag.

Heydrich, Triumph: „Hab ich dich?“

Milo Schatzova, starr: „Du hast mich.“ Sie stöhnt in ihren Schoß: „Ich hätte mir damit nichts anfangen dürfen.“

Heydrich: „Hinterher die Reue. Mich betrügt keiner.“

Milo Schatzova: „Läßt du mir dafür die Zeit? Die Kraft? Macht es mir denn Vergnügen? Ich kenne den männlichen Körper von der weniger erotischen Seite.“

Heydrich: „Von welcher? Gestehe!“

Milo Schatzova, steht auf: „Aus dem Pathologischen Institut. Bevor dein Amtsvorgänger unsere Universität zusperrte, war ich eine Medizinerin und sezierte Leichen.“

Heydrich: „Das mußte kommen. Der Revuestern geht über Kadavern auf. Der Stern des Protektors desgleichen. Schatzova! Milo! Du mit deinem Reinhard Heydrich, wir haben uns gesucht und gefunden.“ Er bietet ihr die Hand an.

Milo Schatzova, kurzes Zögern, sie nimmt die Hand: „Das Paar, wie man es träumt.“

Heydrich: „Dies, meine Beste, ist endlich nackte Wirklichkeit.“

Milo Schatzova: „Einverstanden. Daher hast du gewiß die Güte, mir nicht meine zweite Karriere zu verderben. Die Medizin wurde mir abgeschnitten. Wenn durch meine Schuld der Wokurka hängen muß, liegt auch die Bühnenlaufbahn hinter mir.“

Heydrich: „Beruhige dich!“

Milo Schatzova: „Ich bin ruhig, ich kenne dich. Reinhard! Von uns beiden bist du der größere Komödiant.“

Heydrich, geschmeichelt: „Man kann der Meinung sein.“ Er hat sich gesetzt, er zieht sie auf sein Knie.

Milo Schatzova, tändelt: „Einer mehr oder weniger auf deiner Liste, im Grunde läßt mein fünfzigjähriger Kollege dich kalt.“

Heydrich: „Wokurka, schon fünfzig?“ Mißtrauisch: „Er kam mir jünger vor.“

Milo Schatzova: „Unter der Schminke. Aber höre, mein Kleiner, deine Todesliste muß reizvoll sein.“

Heydrich: „Auch du? Schau einer die Flimmerdiva, ihre Augen leuchten, sie möchte hängen sehen.“

Milo Schatzova: „Ich bin wie du. Erfülle mir eine Bitte, die erste. Zeig deine Liste her!“

Heydrich: „Aber –.“

Milo Schatzova: „Du machst Geschichte. In der Geschichte labt immer der mächtige Despot sich mit seiner verruchten Geliebten an den Opfern, die sie abmurksen werden.“

Heydrich: „Entzückende Kanaille!“

Milo Schatzova: „Reini, dummer Galgenstrick, wo bleibt die Liste?“

Heydrich: „Aber die ist noch in der Anfertigung. Bei der Gestapo natürlich.“ Bereitwillig: „Der Kommissar heißt Blumentopf!“

Milo Schatzova: „Auf zu Blumentopf!“ Im Abgehen: „Bis morgen hütest du das Bett, du bist überreizt, dir könnte etwas zustoßen, ich überlebe es nicht.“ Sie eilt durch die Mitte, den Weg, den sie gekommen war.

Heydrich, gibt es auf, ihr zu folgen. Als sie fort ist: „Blumentopf wirft sie hinaus. Hätte er gar den Einfall, sie selbst auf die Liste zu setzen, dann war es Schicksal.“ Nach näherer Prüfung: „Nein! Verdammt, die will ich nicht los sein.“

Er geht zu Bett.