BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Heinrich Mann

1871 - 1950

 

Lidice

 

1943

 

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24

 

Pavel, mit dem natürlichen Gang des Protektors, in seinem Arbeitszimmer. Er prüft sich im Spiegel über dem Kamin. Er berichtigt den Sitz des Bärtchens.

Zum Schreibtisch; ein unbedeutendes Werkzeug öffnet ihn spielend. Pavel entnimmt ihm Papiere: „Das Ernennungsschreiben des Führers. Ein Brief, mit der entschiedenen Anerkennung meines treudeutschen Wirkens. Da steht es: ein Wald von Galgen möge zum Himmel ragen. Und stinken! Auf mich ist Verlaß, mein Führer!“

Er steckt die Dokumente in die Tasche. Zwei weitere verdienen aufmerksam gelesen zu werden. Es dunkelt, aber er macht kein Licht.

Pavel: „Natürlich. Geheimrat Rumfutsch und Oberst Schalk denunzieren sich bei mir gegenseitig. Jeder der beiden läßt Tschechen, die bar bezahlt haben, bis zur Grenze entkommen, wo, versteht sich, eine Kugel hinterdreinfliegt. Mehrere sind dennoch drüben, dank dem Verräter Schalk, wenn nicht durch Schuld des Verräters Rumfutsch, und die Beweise bringt immer der andere.“

Das Bildnis des Führers sieht ihn an.

Pavel: „Der Führer kennt seine Leute und verdient sie, am meisten mich. Ich bin der Protektor, dem sein Herz gehört.“

Er geht vor dem lebensgroßen Bildnis des Führers auf und ab, zeigt sich ihm von allen Seiten, grüßt, erwartet die Ansprache. Anstatt ihrer naht das Rollen des Donners.

Pavel: „Gewitter. Dauert jetzt meistens stundenlang. Wer aus Brünn nicht hier wäre, käme vor morgen nicht. Ich bin hier.“

Es surrt im Apparat.

Pavel nimmt den Hörer: „Ich befehle der Zentrale, alle Anschlüsse der Burg mit einzuschalten. Die Worte des Führers sind stenographisch aufzunehmen, durch den Druck zu vervielfältigen und bei sämtlichen Stellen der Regierung noch heute abend auszuhängen. Ich bleibe am Apparat.“

Warten. Es wird dunkler.

Pavel reißt sich in die Höhe: „Heil Hitler!“ Er beantwortet die Anrede des Führers: „Zu Befehl, mein Führer. Ihre Stimmung?“ Er hört. „Ihr Gemüt zeigt heute Nordnordost; das muß man wissen, es ist das Wichtigste.“ Er hört. „Sie sind von Ihrer Größe gerührt. Heute ließen Sie Ihren Schädel für die Nachwelt wissenschaftlich messen und wiegen! Der heutige Tag und Ihr niedrigster Knecht Heydrich legen Ihnen sechshundert ordinäre Schädel von Tschechen zu Füßen.“ Er hört. „Das ist zu viel, sagen Sie? Verstehe, Sie haben gemeint: zu viel Glück. Nur so viel meinem Führer gebührt!“

Während der Führer zu ihm spricht, äußert Pavel die verschiedenen Laute des Erstaunens und Entzückens, der Hingerissenheit und Anbetung.

Pavel: „Mein Führer, Sie lassen alles Menschliche weit hinter sich. Wer faßt die märchenhaften Gaben, die Sie ohne weiteres im Busen wälzen. Sie haben wieder einmal alles von selbst gewußt. Daß der Aufstand in Brünn fast heiter und ernst nur der in Prag war. Befehlen Sie Bericht!“

Statt zu hören, redet der Führer. Pavel begleitet seine Reden mit Gebärden, wie sie vom Führer mit Recht zu erwarten wären. Endlich kommt Pavel zu Wort.

Pavel: „Mein Führer! Melde untertänigst, der Sieg in Brünn war nicht meiner. Der Ausfluß Ihrer Persönlichkeit war es, sonst gar nichts. Im Café des Grand Hôtel saßen immer noch zwei, drei alte Juden. Das Grand Hôtel mit Bomben belegt, zertrümmert das Zimmer Nummer zwei mit dem Bett von Ebenholz, worin weiland Kaiser Franz Josef übernachtet hatte. Ein Sieg über Franz Josef, das schien Ihrem Stellvertreter zu wenig. Insgeheim, nur Ihrem Geiste sichtbar, reiste ich nach Prag ab.“

Er horcht. Es blitzt und donnert. Auch der Apparat stößt donner­ähnliche Geräusche aus.

Pavel: „Ich höre bei Blitzen, die Ihnen, mein Führer, es gleichtun möchten, und inmitten des Donners, der Sie verwandtschaftlich umgibt. Ich höre: Sie aßen heute mittag Spinat –. Ich hätte falsch gehört? Salat aßen Sie. Ich bin nur ein Sterblicher, vor mir hat das Schicksal noch Geheimnisse.“

Donner aus Wolke und Apparat.

Pavel: „Nach Ihrer Mahlzeit nahmen Sie zwei Gläschen Enzian, eine Folge des russischen Winters, und nickten ein; nur zwei Minuten nickten Sie und sahen mich von tschechischen Knüppeln getroffen, daliegen als grünlichen Kadaver, immer denselben Kadaver Ihres unvergeßlichen – wie war das Wort?“

Er hat verstanden: „Henkers Heydrich. Ja, der bin ich und werde es noch ganz anders sein, nachdem am Prager Altmarkt, wo ich schon gefallen war, mein Führer persönlich mich von den Toten abkommandiert hat. Sie befahlen mir zu leben. Ich lebe. Ihr Enzian! Ihr hellseherisches Genie! Der tschechische Knüppel traf meinen Kopf, als ich den tückischen Aufstand niedergeworfen hatte. Nach Brünn waren wir tückisch verlockt worden, damit der Feind ungehindert in Prag losschlagen konnte. Schon beherrschte er den Altmarkt. Mein Adjutant Oberst Schalk war mit der Truppe in Brünn zurückgeblieben. Ich verfügte nur über zufällige Kräfte, keine Sturmwagen, die einzige Deckung ein alter Omnibus, auch der ganz voll von Tschechen. Mein Unterführer war Hauptmann Krach, ich wiederhole: Krach, K wie Köln, R wie Rostock, ach wie Air Force.“ Er hört. „Nein, gewiß nicht. Krach wahrte die Grenzen, nie wird er seinen Führer verdunkeln wollen.“

Donner im Apparat. Rede des Führers; Pavel, sein Schattenriß im Dunkeln, vollführt die zugehörigen Bewegungen; zeitweilig erhellt ein Blitz seine Maske.

Pavel: „Mein Führer! Ihre Verfügungsgewalt über Tod und Leben jedes einzelnen liegt beschlossen in der Geschichte.“ Er hört. „Die Namen Krach und Heydrich sollen in der Geschichte fortleben, dies Ihr Befehl. Die Geschichte gehorcht dem Stärkeren. Ihr Sieg am Altmarkt, o Führer, ist fortan historisch.“ Er hört. „Sie sagen, einzig in der Geschichte.“

Er legt den Hörer auf den Tisch. Abgewendet, die Stirn in den Händen: „Er redet, keine Macht der Welt hält das Rindvieh auf.“ – Er überwindet seine Ermüdung; er hört und antwortet: „So ist es. In diesem Lande soll das Blut so hoch stehen, daß nur die Galgen herausblicken!“

Um noch eine Rede des Führers anzuhören, macht Pavel es sich im Sessel bequem; er seufzt vor Erschöpfung. Im Apparat donnert es lange.

Pavel, endlich: „Mein Führer! Ich bitte um Nachsicht mit Oberst Schalk. Von Berufsmilitärs kann nicht erwartet werden, daß sie bis Prag denken, wenn sie in Brünn sind –. Ich höre. Mein Führer zieht in Erwägung, Oberst Schalk an die russische Front zu schicken.“

Nach einer Unterbrechung: „Sehr wohl, ich behalte die Entscheidung – über beide, Oberst Schalk, der fahrlässig in Brünn geblieben ist, und Geheimrat Rumfutsch, der mich aus ungeklärten Gründen über den Prager Aufstand nicht informierte. Beide Männer sind unbedingt in meiner Hand, zu Befehl. Die Gnade meines Führers leuchtet mir.“

Kurze Unterbrechung.

Pavel: „Freund! Ich höre immer Freund. Dies Wort aus diesem Munde! So wahr ich Heydrich bin, bin ich Ihr Freund, mein Führer. Was ich bin und wen ich hänge, verdanke ich dem Führer. Heil Hitler!“

Er legt den Hörer weg und streckt die Glieder von sich.