Heinrich Mann
1871 - 1950
Lidice
1943
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An der Landstraße zwischen Lidice und Prag, ein Schuppen, wo mehrere Personen auf den Autocar warten.Einer von ihnen: Ein gutmütiger Herr, trinkt einfach mit den Leuten sein Pilsener.“Ein zweiter: Leutselig auch, er fragt den Kindern die neueste deutsche Landkarte ab. Als ob sie ihm ein Märchen hersagen sollen.“Eine Frau: Man tut es, man darf ihn nicht reizen, alsbald käme der Deutsche zum Vorschein.“Ein freundlicher Alter: Was will aber der einzelne Mann gegen uns alle machen? Im Notfall, hör ich, schlägt er sich auf das Knie, und aus dem Fußboden wächst die Gestapo.“Der Autocar legt an. Hinter dem Schuppen tritt ein Mann hervor. Er ist im Regenmantel bis über den Kopf. Er läßt die Leute einsteigen. Die letzten erkennen ihn, entsetzt machen sie Platz; eine Verzögerung entsteht, der Wagenführer droht abzufahren. Ihm wird etwas zugeflüstert: er erstarrt.Der Wagen ist fast ganz besetzt. Der Fremde geht auf einen freien Platz zu, während die Abfahrt verschoben ist, bis er sitzen wird. Er legt in ganzer Größe seinen Mantel ab. Die Uniform! Das Gesicht, das die Zeitungen gebracht haben! Er hat gemessene Bewegungen, über Neugier und Schrecken der Fahrgäste sieht er unbeteiligt hinweg.Aus seiner Nähe flüchten alle. Sie stehen hinten eingekeilt. Pavel Ondracek unterdrückt die Genugtuung über den Erfolg seiner Maske. Mit der schneidenden Stimme, die er in der Rolle von selbst bekommt, befiehlt er: Kinder und Mütter, sitzen bleiben!“ Da niemand deutsch versteht, wiederholt er es tschechisch.Die eingekeilten Fahrgäste verständigen sich insgeheim. Einer: Ausgeschlossen, daß der hier ist, der ist in Brünn.“Ein anderer: Er sitzt aber da.“Verständnisvoll blickt einer den anderen an.Der Wagen rollt, unter tiefem Schweigen. Das Wort hat Pavel allein, und richtet es an die Kinder: Wie heißen diese Weiler und Gehöfte? Wer wohnt da? Kennt ihr wohl das Dorf Lidice?“Ein kleines Mädchen: Dort wohnt der Pavel Ondracek.“Pavel: Dort sind, hör ich, Leutchen, die mich kennenlernen möchten. Kann geschehen. Sagt mir, ihr unschuldigen Kleinen, was der Deutsche gewöhnlich im Sack mit sich führt. Einen Strick, zum Hängen? Ein Beil, ihr wißt wozu? Ich – habe Zuckerln für euch, und für mich die Zigarre. Im Wagen soll man nicht rauchen; mich aber schiert kein Verbot. Darum bin ich euer Herr, und ihr seid brave Kinder, mit Zuckerln im Maul.“Die eingekeilten Stehgäste hören Drohungen heraus.Eine Frau: Solche Kinderfreunde sind oft tückisch.“Der dürre Bauer: Um das arme Volk zu ängstigen, macht er seine Ausflüge in das tschechische Land allein – hat aber gewiß seine Leibwächter überall am Weg versteckt.“Der Alte: Nur Geduld bis zu der Ankunft in Prag! Wird das ein Glück sein!“Mehrere fragen: Was für ein Glück wird sein in Prag?“Der Alte: Wer mit zerbläutem Rücken davonkommt.“In Prag fährt der Wagen durch die Straße mit den entkleideten Toten. Niemand will sie bemerken.Plötzlich wendet der Gefürchtete den anderen das Gesicht zu, überrascht ihre haßerfüllten Mienen, und spricht eiskalt.Pavel: Ich rate euch, eure Pfeifen anzuzünden, das Rauchen besänftigt die Gemüter.“ Furchtbarer Blick: Ihr Tschechen seid ein sanftes Volk, eure Waffen habt ihr begraben, bis man euch selbst begräbt – nach hundert Jahren stillen Erduldens.“Die Angeredeten versuchen habtacht zu stehen.Als er wegsieht, werden sie kleiner.Zwei Männer vertrauen einander an: Der Pavel Ondracek, dummer Kerl, den hier will er nachmachen! Wer spielt auch den leibhaftigen Teufel. Der ist nur einmal erfunden. Dieser Deutsche schenkt uns das Leben, damit wir um so länger ein Dreck sind!“ |