BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Heinrich Mann

1871 - 1950

 

Lidice

 

1943

 

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5

 

Der Wagenzug des neuen Protektors, umgeben von der motorisierten Begleitmannschaft, fährt durch Prag.

Heydrich sitzt nicht mehr im ersten Wagen, ein Mann mit möglichst vielen Orden, Litzen und dem Hoheitsabzeichen nimmt statt seiner den Platz ein, wo man den Protektor erwarten könnte. Aber weder auf den Straßen noch an den Fenstern wartet jemand. Heydrich bemerkt die Leere nicht, da er sich tief in seine Ecke drückt.

Heydrich: „Ein hoher Chef hat nicht das Recht, sich zu exponieren.“

Oberst Schalk sieht den Zustand der Stadt und sucht seinen Chef in angenehmer Art darauf vorzubereiten.

Oberst Schalk: „Ob der zurückgetretene Protektor eine Absicht damit verfolgte?“

Heydrich: „Womit? Erstens ist Neurath nicht zurückgetreten. Der Führer befiehlt, daß ich ihn ersetze.“

Oberst Schalk: „Daß Sie ihn in den Schatten stellen. Der Führer hat immer recht.“

Heydrich: „Sowieso.“

Oberst Schalk: „Als der schwächliche Herr von Neurath zuletzt doch einen kleinen Aderlaß vornahm – belanglos, aber von ihm war man es nicht gewohnt –, vielleicht wollte er Eure Exzellenz um Ihren ersten Erfolg bringen.“

Heydrich: „Sie meinen?“

Oberst Schalk: „Erreicht hat er, daß die Bevölkerung sich heute nicht auf die Straße wagt.“

Heydrich, beugt den Kopf vor: „Niemand da. Ich wußte es. Die Frage bleibt offen, ob auch die Dächer nach Schützen abgesucht sind.“ Er zieht sich so tief wie möglich zurück.

Oberst Schalk: „Ihrer Gestapo ist es zuzutrauen.“

Heydrich: „Vertraue keinem blind! Mit den erschossenen Demonstranten, darüber kann ich Sie aufklären, hat der arme Neurath nichts zu tun. Die Geheime Staatspolizei und ihr zweithöchster Chef –.“

Ein Schuß fällt.

Oberst Schalk: „Ein geplatzter Reifen, melde gehorsamst.“

Heydrich, aus seiner Deckung, aber metallene Stimme: „Anhalten! Untersuchen! Im Kugelregen die Flucht ergreifen, das erlebt dies Nest nicht von dem zweithöchsten Chef der Gestapo.“

Oberst Schalk: „Protektor von Böhmen-Mähren, zu Befehl, Exzellenz.“

Wo der Wagen hält, liegen auf dem Gehsteig sieben Leichen. SS-Männer stehen bei ihnen Wache.

Heydrich hat nur einen Blick hingeworfen. Alles Weitere spricht er aus dem entgegengesetzten Fenster, für die Posten, die auch dort stehen. Einen SS-Mann fragt er: „Was tut ihr hier?“

Der SS-Mann: „Passanten vertreiben, melde gehorsamst.“

Heydrich: „Vertreiben auch noch? Herschaffen sollt ihr sie. Wer hat den blödsinnigen Befehl erlassen?“

Ein Offizier, eilt von der anderen Seite herbei: „Direkter Befehl des Herrn Protektors.“

Heydrich: „Der bin ich, und Sie melden an der zuständigen Stelle, daß ich Sie wegen Unfähigkeit fortgeschickt habe.“

Der Offizier: „Zu Befehl.“ Er marschiert schon.

Heydrich: „Die Toten haben wenigstens den Anstand, mich zu begrüßen. Sie sind die einzigen.“

Oberst Schalk: „Sehr gut, Exzellenz.“

Heydrich: „Es kommt noch besser.“ An die Wachmannschaft gewendet: „Ihr glaubt, ihr seid auf Urlaub. Waldeinsamkeit. Deutsche Romantik. Ich will euch helfen. In fünf Minuten ist die Straße voll von Tschechen, sie steigen in den Blutlachen umher, besonders die Damen, und singen Deutschland über alles. Sonst holt euch alle der Henker.“

Er gibt das Zeichen weiterzufahren.

Oberst Schalk: „Die erschossenen Studenten liegen mindestens seit gestern dort, es war in der Tat kein verlockender Anblick. Alte Leute sind mir in diesen Fällen lieber.“

Heydrich: „In der Tat – soll heißen, ich hätte weggesehen? Merken Sie sich, daß ich mehr vertrage als Sie.“

Oberst Schalk: „Zweifel liegen mir fern, und die Jungen sind Eurer Exzellenz lieber, was ich nur bewundern kann.“

Ankunft im großen Hof der Burg. Allein der Wagen des Protektors fährt bis vor das Hauptportal des Gebäudes. Im Schatten eines Seitenflügels nehmen Soldaten einen Imbiß.

Heydrich, begleitet von Oberst Schalk und Herren des Gefolges, stelzt dorthin: „Die Burgwache – wie ich sie mir gedacht hatte, bei Bier und Würstchen!“

Die Soldaten stehen stramm, bis auf mehrere, die sitzen bleiben.

Heydrich: „Das übertrifft allerdings meine Erwartungen.“

Ein Offizier, stürzt aus der Wachstube, er reißt die Sitzengebliebenen von der Bank.

Einer der Soldaten fällt auf die Bank zurück, ein anderer will fortlaufen.

Heydrich: „Betrunken. Ich wundere mich über nichts mehr.“

Der Offizier: „Beide nur Slowaken, melde gehorsamst, Exzellenz.“

Heydrich: „Sie aber sind deutsche Herrenrasse – gewesen. Kassiert, degradiert, drei Tage Fasten, dann an die russische Front.“

Der Offizier: „Zu Befehl. Heil Hitler!“

Heydrich: „Wie viele Gefangene haben Sie heute gemacht?“

Der Offizier schüttelt wütend die beiden betrunkenen Slowaken: „Gefangene sollt ihr machen!“ Mit der linken und der rechten Hand schleudert er je einen Slowaken in Richtung des Ausganges. Sie torkeln, der Offizier befördert sie mit Fußtritten weiter. Er selbst springt bald vor, bald hinter ihnen, er feuert sie an: „Wen wir kriegen, fangen wir dem neuen Herrn Protektor. Heil Hitler!“

Oberst Schalk: „Melde Eurer Exzellenz gehorsamst, der Leutnant ist der Bezechteste von allen.“

Heydrich: „Dafür wird er als erster nüchtern werden.“

Hinter dem Ausgang des großen Hofes hat Publikum sich angesammelt, fast nur Frauen und Kinder. Der Offizier und die beiden Soldaten greifen in den Haufen. Widerstand und Flucht, ein Schuß geht los.

Heydrich, nach Oberst Schalk umgewendet: „Wieder ein Autoreifen. Nehmen Sie selbst den Leutnant gefangen! Sein Revolver war es, und er hat nach mir gezielt.“

Oberst Schalk, gibt es auf, eine andere Meinung zu äußern. Er geht.

Heydrich, ruft ihm nach: „In Eisen legen, den Leutnant!“

Worauf er das Haus betritt.