Die Samländische Ode

1918

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Der Fünfte Gesang

Doch soll man nicht sprechen: bis hier ging' Land.

Gingen Landes Flächen. Und dann käm' ein Rand.

Wie mit Gottes Gartenrechen;

mit Gottes silbernem Gartenrechen gezogen: der Strand

aus Sand. Aus Steinen und Sand.

So soll man nicht meinen. Und darf auch nicht sprechen.

Denn: wo wär' Samland?

Wo wär' Samland: ohne das schier ewige Wellenbrechen,

Wellenteilen und -steilen und Wellenstechen von seiniger Wand?!

Wo wär's? Wo wär' es?

Wo blieb Samland – ohne es schlechtweg ein Ungefähres! –;

wo blieb Samland: ohne den Reichtum und ewigen Raub, ohne das Dasein,

ohne die Nähe und ständiges Zutun des unbändigen Meeres?!

Zum Exempel, Scholar:

Wenn du ausrastend abends grad einen Durchblick genießt.

Etwan durch silberleibiger Birken hellgrünes Laub wie durch aufgelöstes Mädchenhaar

aufs muschelrosige Meer hinaussiehst.

So denk' nicht, dir käme, der schöne Durchblick, bloß glücklich erglommen her.

Wie aus fremden Bezirken. Oder anderem Stern.

Käm' der so fern wie geschwommen her.

Sondern die haben, die beiden, wohl etwas zusammen, dies Land und dies Meer!

Haben etwas zusammen, die beiden: wie Gatten;

und ob sie sich auch nur ein einzig's Mal hatten!

Haben etwas zusammen: Eine «Sie» und ein «Er»;

dies Land und dies Meer!

Haben etwas Heimliches. Etwas wie ein heimliches Kind.

Wurden durch etwas zusammengetrieben (und trieben dann etwas zusammen).

Wie mit ganz fleischlichen Flammen.

Und sei's nur durch den Wind.

. . . . Oft sind die beiden nur schöne Dinge;

wie dekorativ überein-gebracht.

: Oft taucht das Meer so blau aus der Erdennacht,

wie wenn es – ein stählernes Schwert; eine damaszierte Klinge –

in morgendlich silbernem Ringe

quer-her an der Seidenbespannung des Himmelsgewölbes hinge.

. . . . Dann wieder – oh so unsagbar – scheint alles Gewässer

draußen erhöht und erhoben;

als eilt' es vom Land zum Meer (von täuschenden Horizonten hinaufgetan)

ein paar mächtige nie betretene Steinstufen hinan;

: Dann wieder weilt das Meer (von Samland aus) wie auf einem prächtigen Podium droben,

(Doch du weißt: es ist Wahn;

weißt: Horizonte, die tun nun zumeist so verschroben!)

Aber dann – geheimnisvoll webend –; und aber dann

lebt selbst Solches und Solches wie etwas, das nur zwischen Frau und Mann:

Aufblickt Samland zum Meer;

aufblickt Samland zum Meer oft – morgens –: wie eine Witwe zu ihres gefallenen Gatten Waffe und

so über ihr hängt. (Und Abgestorbener Schatten: die gehen ja immer um                                [Wehr,

von unserem Gedächtnis erhöht und erhoben wie droben auf einem prächtigen Podium . . . .)

Nein. Diesen Traum mußt du träumen als läg' hier Samland – ein Weib –

unter Wutschäumen neben dem Meere als wär' es des toten Gatten erhabener immer noch

(Und Torpedoboote fräßen sich gleich Aasgeziefer durch seinen blähenden Balg.  [unbegrabener Leib.

Und jede Erdperiode einmal übermannt die Riesin besonders tierische Lust

nach dem erschlagenen Riesen. Und zerrt sich selber die Brust.

Und wühlt mit den eigenen Händen tief ein in den brünstigen Schoß.

Und schabt von blaurosigen Wänden gelbgoldenes Liebesharz los.

Und wirft's untermischt mit schleimigem Tang,

mit Haifischzahnresten und namenlosem Alg;

wirft's aus so untermischt wie mit Büscheln von ausgerauften Haaren.

Aber in solch' scheußlichen Mengen. Wie zuletzt in den sechziger Jahren

in einer Herbststurmnacht: Da lagen den Katzensprung, den kleinen Kirchgang

von Nodems bis Palmnicken ganze Wälder von im Lendenkrampf ausgerodeten Haaren den Strand

Drinnen funkelten nach dieser ein-einzigen Nacht                                                                       [entlang.

viertausend Pfund Bernstein als Wollusttauperlen, gefördert aus schmerzlichem Witwenschacht.

(Und aber all' die seit Jahrhunderttausenden erstarrten gold'nen Ergüsse

bergend – oh köstlich! wie Küsse ..! köstlich dem Dichter! –

Fauna und Flora heutigen Japans als Einschlüsse!)