Heinrich Lautensack
1881 - 1919
Alfred de MussetDie Geschichte einer weißen Amsel
Übersetzt von Heinrich Lautensack
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II.
Mein Vater brachte soviel Grausamkeit auf, mich mehrere Tage in dieser abscheulichen Situation zu belassen. Trotz seiner Heftigkeit hatte er ein gutes Herz; und an den scheuen Blicken, die er zu mir heraufwarf, sah ich wohl, daß er mir gern verziehen und mich zurückgerufen hätte. Und meine Mutter gar sah immerwährend zu mir empor, die Augen nichts als Zärtlichkeit, ja, sie wagte es zuweilen, mich mit kleinen klagenden Schreien anzurufen. Aber meine schauderhafte weiße Befiederung flößte ihnen unwillkürlich immer wieder einen solchen Abscheu und einen solchen Schrecken ein, daß ich mir sagen mußte: Da ist keine Rettung, absolut keine....«Ich wäre überhaupt keine Amsel?» wiederholte und wiederholte ich mir. Und wahrhaft! Bei der Morgentoilette: wie ich mich im Wasser der Dachrinne abgebildet sah, erkannte ich nur zu genau, wie wenig ich meiner Familie ähnelte. «Gütiger Himmel! wiederholte und wiederholte ich, sag mir doch, was ich bin!»Eine Nacht, als es sehr stark regnete und ich, vor Hunger und Trübsinn ausgemergelt, just einschlafen wollte, setzte sich neben mich ein Vogel: Der war noch nasser, blasser und magerer, als ich es für möglich gehalten hätte. Ungefähr von meiner Farbe, soviel ich dies durch den Regen, der uns überschwemmte, sehen konnte; aber am ganzen Leibe kaum genug Federn, daß man einen Spatzen damit hätte bekleiden können; und aber größer und dicker und stärker als ich. Zu allererst dachte ich, das sei ein durchaus armseliger und elender Vogel; aber er bewahrte bei all dem Unwetter, das seinen Kopf, der wie geschoren schien, zerarbeitete, eine Miene, einen Stolz und Hochmut, der mich entzückte. Ich machte ihm bescheidenerweise eine tiefe Verbeugung, die er mit einem Schnabelhieb vergalt, der mich beinah vom Dach geworfen hätte. Als er aber sah, wie ich mich am Ohr kratzte und zerknirschten Herzens zurückwich, ohne ihm auf seine Art das geringste herauszugeben, fragte er mich mit einer Stimme, die ebenso heiser war als sein Schädel kahlköpfig:– Wer bist Du?– Ach! Euer Gnaden, antwortete ich (und fürchtete schon einen zweiten Paradehieb) ich habe keine Ahnung. Ich meinte, ich sei eine Amsel, aber man hat mich davon überzeugt, ich bin keine.Meine also schlichte Antwort und mein ehrliches Gesicht interessierten ihn. Er kam nahe, und ich mußte ihm meine Geschichte erzählen, was ich mit der ganzen Traurigkeit und mit aller Demut tat, wie sichs für meine Lage und die gemeine Witterung gehörte.– Wenn Du eine Ringeltaube wärst wie ich, sagte er zu mir, nachdem er mich angehört hatte, würden Dich die Albernheiten, derentwegen Du Dich betrübst, nicht einen Augenblick genieren. Wir reisen. Das ist unser Leben! Wir haben sehr wohl unsere Liebschaften. Aber ich weiß, wer mein Vater ist! Die Luft zerschneiden, den Raum durchkreuzen, tief zu unsern Füßen Berg und Tal, das Himmelsblau selber atmen und nicht die Ausdünstungen der Erde, und wie ein Pfeil auf ein gezeichnetes Ziel zuschießen und das mit absoluter Unfehlbarkeit, das ist unser Vergnügen und unser Beruf. Ich lasse an einem einzigen Tag mehr Weg hinter mir, als ein Mensch in zehn!– Mein Ehrenwort, mein Herr, sagte ich ein wenig beherzter, Sie sind ein Wandervogel.– Das gilt mir gleich, ich kümmere mich um nichts, sagte er. Ich habe keine Heimat. Ich kenne nur drei Dinge: Reisen, Frau und Kinder. Wo mein Weib ist, da ist mein Vaterland.– Aber was haben Sie denn da? Was Ihnen um den Hals hängt? Das ist ja ein zerknitterter alter Haarwickel!– Das sind Papiere von Bedeutung! tat er sich wichtig. Ich bin augenblicklich auf dem Weg nach Brüssel. Ich bringe dem bekannten Bankier *** eine Nachricht, wodurch die Rente eine Baisse von einem Franken achtundsiebzig Centimes erleidet.– Gerechter Gott! rief ich aus. Ein herrlicher Beruf, Ihr Beruf! Und ich bin sicher, dies Brüssel ist eine äußerst interessante Stadt! Würden Sie mich nicht mitnehmen? Da ich da ja doch keine Amsel bin, bin ich vielleicht ein Täubchen.Wenn Du eine Taube wärst, versetzte er, hättest Du mir den Schnabelhieb gleich zurückgezahlt!– Aber natürlich, Herr! Ich werde ihn Ihnen schon ersetzen! Keinen Streit um so eine Lappalie! Da fängt der Tag an und das Wetter hat aufgehört. Ich beschwöre Sie, lassen Sie mich mit! Ich bin verloren. Ich habe nichts auf der Welt. Wenn ich nicht mit darf, bleibt mir nur noch das Eine: ich stürze mich in die Dachrinne da....– Gut! Los! Folg, wenn Du kannst!Einen letzten Blick auf den Garten, wo meine Mutter schlief. Und zwei Tränen kugelten mir aus den Augen. Aber der Wind und der Regen nahmen sie mir fort. Ich breitete die Flügel und dahin gings. |