BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Heinrich Lautensack

1881 - 1919

 

Alfred de Musset

Die Geschichte einer weißen Amsel

 

Übersetzt von Heinrich Lautensack

 

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I.

 

 

Oh, es ist ruhmreich, aber es ist auch mühselig, hienieden eine Ausnahme-Amsel zu sein! Ich bin absolut kein Fabeltier; der große, feine Buffon hat mich beschrieben. Aber ach! ich komme so sehr selten vor und bin so außerordentlich schwer zu finden. Wollte der Himmel, ich wäre ganz und gar nicht!

Mein Vater und meine Mutter waren zwei rechtschaffene Leute. Sie wohnten seit Jahren in einem alten moorerdigen *) Garten. Und es war eine Musterwirtschaft. Hübsch dicht und warm in unserm Strauch: legte meine Mutter regelmäßig dreimal das Jahr ihre Eier, die sie sodann unter einem Dauerschläfchen mit wahrhaft patriarchalischer Frömmigkeit ausbrütete, während mein Papa, schon in den Würdenjahren und immer noch sehr tüchtig und sehr feurig, den ganzen Tag um sie her auf Beute aus war und ihr schöne Insekten heimbrachte, die er aber stets und geschmackvoll genug an ihrem hintersten Endchen zu erwischen wußte, um sie seiner Frau nicht zu verleiden. Und wenn dann die Nacht kam, versäumte er, bei angenehmen Wetter, nie, das Weibchen mit einem Lied zu regalieren, daß die ganze Nachbarschaft entzückt war. Nie hatte ein Zwist, nie hatte das mindeste Wölkchen dies traute Vereinigtsein gestört.

Und da! ich war noch kaum zur Welt gekommen, als mein Erzeuger, das erste Mal in seinem Leben! anfing, üble Laune zu haben. Trotzdem ich anfangs nur ein verdächtiges Grau zur Schau trug, wollte er aus mir weder die Färbung noch das Talent seiner vielköpfigen Nachkommenschaft heraussehen können.

– Ein scheußlicher Balg, sagte er des öftern und sah mich scheel an; wo der Lausbub wohl überall hineinkriechen muß, in allen Morast und in jeden Haufen Dreck, den er auftreibt, um immer so abscheulich und so ekelhaft bespritzt zu werden!

– Ach, du lieber Gott! antwortete da meine Mutter, die in dem alten Napf, daraus sie das Nest gemacht hatte, immer zu einer Kugel aufgerollt war. Siehst du denn nicht, Männchen, daß das von seinem Alter kommt? Bist du in deiner Jugendzeit denn nicht selber so ein süßer Taugenichts gewesen? Laß unser Amselchen nur erst groß werden. Dann sollst du einmal sehen, wie schön der geworden ist. Er gehört mit zu den besten, die ich überhaupt gelegt habe.

Bei aller Verteidigung war sich meine Mutter keinen Augenblick im Unklaren; sie sah, wie mein unglückseliges Gefieder, diese Monstrosität, ausschlug; aber sie war darin, wie alle Mütter sind; die hängen an solchen Kindern, gerade weil sie von der Natur verschimpfiert sind; just wie wenn die Schuld bei der Gebärerin läge oder wie wenn sie im vorhinein gut machen wollte, was das Schicksal an ihnen einst sündigen wird.

Als die Zeit meiner ersten Mauserung kam, verfiel mein Vater ganz in Nachdenken und betrachtete mich mit aller möglichen Sorgfalt. Wie meine Federn abfielen, behandelte er mich noch gütig und gab mir sogar selber die Stopfnudel. Wie ich, fast splitternackt, in einer Ecke, vor Kälte mit dem Schnabel klapperte.... Aber sobald als meine erstarrten Floßfedern sich mit neuen Flaum bedecken wollten, mit jedem weißen Federchen mehr, das er auftauchen sah, geriet er in eine solche Wut, daß ich fürchtete, er würde mir nie wieder, so lang ich lebe, das Fell abwollen. Ach, ich hatte doch keinen Spiegel! ich ahnte nicht, was ihn so wütend machte und fragte mich, wieso der beste aller Väter zu mir so unendlich wild sein konnte.

Eines Tages, als ein goldener Sonnenstrahl und mein wachsender, gewachsener Pelz, als die beiden mir wider Willen das Herz in Freude versetzt hatten und ich so herumflatterte, fing ich leider, leider, zu meinem Unglück zu singen an. Aber bei der ersten Note, die bis zu meinem Vater drang, fuhr der wie eine Rakete in die Luft.

– Was, was ... was hör ich da? schrie er. Pfeift eine Amsel so? oder pfeife ich so? oder pfeift man überhaupt so?

Und ließ sich nah bei meiner Mutter mit schrecklicher, wie mit geschlagener Fassung nieder und sagte:

– Unglückliche ...! Wer hat dir das ins Nest gelegt, wer?

Bei diesen Worten schoß meine Mutter entrüstet aus ihrem Napf in die Höhe, nicht ohne sich an einem Fuße weh zu tun; sie wollte reden, aber ein Schluchzen erstickte sie, und sie fiel halbohnmächtig zur Erde. Ich sah sie schon sterben und warf mich entsetzt und vor Furcht bebend vor meinem Vater auf die Knie.

– Vater, Vater! sagte ich, wenn ich falsch pfeife und wenn mein Federkleid nicht richtig ist, laßt es Mutter nicht entgelten! Ist es denn ihre Schuld, wenn mir die Natur eine Stimme wie die Euerige weigerte? Ist es ihre Schuld, wenn ich keinen so schönen Gelbschnabel wie Ihr habe und kein so schönes schwarzes Gewand à la française, das zusammen Euch das Ansehen eines eierkuchenschlingenden Kirchenvorstehers gibt? Wenn der Himmel aus mir ein Monstrum wollte und eins daran schuld sein soll, laßt mich wenigstens den einzigen Unglücklichen sein!

– Darum handelt sichs nicht, sagte mein Vater. Was erlaubst du dir für eine blödsinnige Art zu pfeifen? wer lehrte Dich, so ganz gegen Sitte und Gesetz drauf los zu schmettern?

– Ach! mein gestrenger Vater, antwortete ich sehr kleinlaut, ich pfiff, wie ich konnte ... wie mir der Schnabel stand. Und das ... weil ich mich freute, daß schönes Wetter ... und vielleicht, weil ich zuviel Fliegen gestopft habe.

– So pfeift man nicht in meiner Familie, versetzte mein Vater, der außer sich schien. Seit Jahrhunderten pfeifen wir von Vater auf Sohn, und wenn ich nachts meine Stimme erschallen lasse, hab Du wohl acht, wie im ersten Stock ein alter Herr und unterm Dach eine junge Grisette ihre Fenster aufmachen und mir zuhören. Genügt es nicht, die scheußliche Farbe Deiner blödsinnigen Federn vor Augen zu haben, als ob Du mit Mehl gepudert wärst wie ein Jahrmarktpickelhering? Wenn ich nicht der gutherzigste aller Amselpapas wäre, hätt' ich Dich schon hundertmal gerupft, so sehr, wie ein Huhn am Spieß.

– Gut, gut! rief ich aus, voller Empörung über diesen ungerechten Vater, wenns so ist, verehrter Herr, und weiter nichts ist, will ich von Euerer Nähe ausziehen und Euern Blicken diesen unglücklichen weißen Schwanz schenken, daran Ihr mich den ganzen Tag zerrt. Ich geh fort, Verehrter, ich fliehe. Ihr habt genug andere Kinder, die Euch in Euerem Alter trösten sollen.... Mama legt alle Jahr dreimal! Ich geh weit von hier, um Euch dies Grausen zu ersparen, und vielleicht – fing ich zu schluchzen an – finde ich im Küchengarten des Nachbarn oder in den Dachrinnen ein paar Regenwürmer oder ein paar Spinnen, um dies traurige Leben weiterleben zu können.

– Wie Du willst, versetzte mein Vater, der nicht daran dachte, davon gerührt zu werden. Wenn ich Dich nur nicht mehr sehe! Du bist nicht mein Sohn. Du bist keine Amsel.

– Bitte? Bitte, was bin ich denn dann?

– Ich weiß nicht. Aber Du bist keine Amsel.

Nach diesen niederschmetternden Worten ging mein Vater mit langsamem Schritt davon. Meine Mutter stand tiefbetrübt auf und hinkte nach ihrem Napf, um sich auszuweinen. Ich aber, verstört und verzweifelt, flog so gut ich konnte davon und setzte mich, wie ich es voraussagte, auf die Dachrinne eines Hauses in der Nachbarschaft.

 

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*) Hier irrt Lautensack: Das Wort «Marais» bedeutet hier nicht «Moor» sondern bezieht sich auf den Pariser Stadtteil Marais. Also etwa: «in einem alten Garten, entlegen im Maraisviertel von Paris» (U.H.)