Else Lasker-Schüler
1869 - 1945
Die Nächte Tino von Bagdads
1907
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Mein Liebesbrief
DURCH den goldenen Himmel blicken blau die Sterne, aber die Fenster des Harems sind schon dicht verhangen. Meinen schwarzen Perlenohrreif trägt der Eunuche am Daumen – dafür läutet er zeitiger zum Schlaf. Die Frauen träumen schon von ihrem neuen Naschwerk, von verzuckerten, roten Rosen; und der Schlummer liegt auf den Wangen der kleinen Prinzen und Prinzessinnen wie Tauben. Und ich bin heimlich durch den Vorraum des Harems entkommen, die herrlichen Türen des grossen Sultanssaal schliessen sich hinter mir, eherne schützende Arme. Und meine andächtige Freundin wartet auf mich, die schlanke Kerze auf dem Marmortisch; sie ist bereit, für mich ihr Leben zu lassen. · O, Abdul, Deine Augen schweifen immer über die Dämmerung und mein Herz ist blau geworden, dunkelblau wie der Garten des Jenseits. Auf dem Gipfel des Balkons sehe ich Dich herannahn, wie auf dem Buckel eines Dromedars. Abdul, ich bin verliebt in Dich und das ist viel rauschender als wenn ich Dich lieben würde. Wie der Frühling ist es verliebt zu sein ..... Immer kommen grosse Stürme über mein Blut; ich fürchte mich vor ihnen, aber sie überjubeln mich mit tausend blühenden Wundern. Und der Schleier vor meinem Antlitz ist zerrissen, zu stürmisch dachte ich an unser Wiedersehn. Aber die Stunde unseres Glückes muss stumm sein – nicht reden Abdul .... Und die Augen geschlossen halten, unsere Liebe selbst darf nichts ahnen, dass sie sich zwischen unsern Lippen verfing. Der grosse Prophet mag die Ungläubigen Deiner neuen Heimat und ihre Lehren nicht, und er könnte aus einer heimlichen Spalte der Nacht lauschen. Aber ich habe einen dunklen Stern auf meine Stirn gemalt und es wird alles nur ein unsichtbares Keimen sein und unsere Lippen werden Knospen bleiben, Abdul ............. |