BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Else Lasker-Schüler

1869 - 1945

 

Die Nächte Tino von Bagdads

 

1907

 

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Ached Bey

 

ACHED Bey ist der Kalif und ich bin Tino – Prinzessin – und weile im Palaste meines Oheims. Von einem kleinen Kuppelfensterchen aus kann ich ihn betrachten, wenn er auf seinem Dache liegt und die Nacht erwartet. Ueber Bagdad ruht sein Bart und mit jedem Stern der aufsteigt am Himmel entschwindet eine Falte seiner faltenschweren Stirn. Müde Wüstenreisende reiten auf Dromedaren am Palaste vorbei – cha machalâa!!... im schläfrigen Karawanenton. Mein Oheim der Kalif grüsst mit seiner grossen Hand. Indessen ich durch heimliche Gänge über verwitterte Steinböden schleiche an vergessenen Götzengebilden vorbei – ich möchte kämpfen mit ihren schaurigen Krallen, aber der Duft der schwarzen Naëmirose seines Daches schwelgt mir entgegen. Naëmi .... es wissen alle am Hofe von der Jüdin seiner Jugend. – Mein Oheim der Kalif hebt seine grosse Hand: die schwarzen Fächerträger und Sudanneger gehorchen, nur der greise unter den Palastdienern nähert sich demütig seinem Ohre (ich bin unverschleiert) aber mein Oheim der Kalif wehrt ihm mit seiner grossen Hand. Wir rauchen samtumspannten Pfeifen Opium und trinken blaue Getränke aus Diamantkrügen und ich beuge mich über die Hieroglyphen seiner grossen Hand. Am andern Morgen müssen mir meine Sklavinnen Knabenkleider anlegen und seinen Dolch mit dem smaragdbesetzten Griff trage ich im Gürtel und wir reiten auf grauen Tierriesen nach den Vorhöfen, dort werden die Verräter des Landes enthauptet. .... Mein Oheim der Kalif ruht zwischen zwei Marmorsäulen auf einem Kissen, das ist rot wie ein Mal und er hebt und senkt die grosse Hand blutstrafend in den Tod. Enthauptete Söhne edler Mohamedanergeschlechter lehnen an Ungläubige, nur der Kopf des jungen Fremdlings sitzt noch trotzig im Nacken. Dreimal holten sie ihn und dreimal brachten sie ihn die knurrenden Henker – zurück in die vergitterte Nacht. Die grosse Hand meines Oheims flattert in meinen Schoss, aber ich kann den sich aufbäumenden Hieroglyphen im Pochen seines Pulses nicht deuten. Er senkt endlich seine grosse Hand. Durch die Risse der Steintore tropft des Fremdlings Blut über die rauhen, breiten Steine der Höfe hinweg bis vor die Füsse des Kalifen. Nie hörte ich einen ewigeren Fluss. Er singt, wie die Jehovahpriester an ihren Feiertagen, wie der Mosegipfel des Sinai.

Mein Oheim der Kalif liegt im Palast tot auf seiner grossen Hand.

In den Moscheen beten die Derwische und drehen sich in ihren funkelnden Trauerkleidern dunkle Sterne, die um seine Seele kreisen. Und morgens kommen die Totenweiber und heulen und vor dem Palaste stehen schwarzvermummte Frauen und bieten heilige Ware feil, Katzen mit goldglänzenden Fellen (für das Grab des Kalifen), die schläfrigen Augen der Tiere sind von der Farbe der Naëmirose. Und Juden ziehen gen Bagdad, Knaben mit schwermütigen Augen und Mädchen, wilde schwarze Tauben, und sie werfen Steine auf des Fremdlings Grab – ziehen fluchend die Strassen entlang, ballen die Fäuste vor dem Palaste meines Oheims des Kalifen. Er weilt bei Allah aber den Juden sehe ich überall wandeln ...... wie der Stein unter ihm ist sein Schritt, aber seine Lippen sind geöffnet, rosige Dichterlippen, wie des Tyrannen Lippen, wenn er auf dem Dache lag und an Naëmi dachte, der Jüdin seiner Jugend.

Alle meine schwarzen Perlen sind eingesunken wie Höhlen - von meinem Stirnreif hängen die dunklen Häupter meiner Vorfahren. Meine Lippen sind tot, aber aus meinen Augen steigen Feuersäulen, die drängen aller Sterne Spur nach seinem singenden Blute nach – ich tanze, tanze einen unendlichen Tanz, der zieht sich wie eine finstre Wolke über Bagdad, ich tanze über die Wellen der Meere, wirble den Sand der Wüste auf und vor dem Palaste lauscht das Volk und die jüdischen Knaben und Mädchen verstummen ...