Max Herrmann-Neiße
1886 - 1941
Empörung, Andacht, Ewigkeit
1918
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Dialog an den Drei-Steinen
Der Mann:Ich weiß den Winter noch, mit den erstarrtenhungernden Händen durch den Schnee im Traumempor sich grabend, und in einem Gartenuns zwei erwachend, hier, am blauen Saum | |
5 | unendlich aufgetaner Farbigkeit –und schon die Tage zählend, die zum Turmmit neuen Opferflammen himmelweitaufzüngelten im ewigen Koppensturm –wie Maulwurf stoßend aufwärts nach dem Licht, |
10 | was ewige Lampe der Erinnerung strahlt,schon Frühling, der das göttliche Gedichtder bunten Matten um die Bauden malt . . .so träumte ich –
Die Frau:Und nun es wahr gewordenund Regenbogen überm Weg uns ist, |
15 | fühl' ich nur dies: wie fern du von mir bist!Oft lauerst du, als möchtest du mich mordenum irgendeiner unbewußten Schuldund nicht gewollter alter Sünde willen;dann rührt dich nicht die Demut, die Geduld, |
20 | zu der sich meines Blutes Stürme stillen . . .
Der Mann:Verzeih! . . ich weiß, du mußt viel Nachsicht haben:es quälten dort mich, in der Niederung,zuviele Schatten, die sich kleiner gaben,als ihnen gut war, und Zergliederung |
25 | der eignen Schwäche stets aufwühlend wieSelbstmord hat mich so sehr betäubt, erblindet,daß meine Freude keinen Pfad mehr findet,auf dem sie fußfrei schreitet –
Die Frau:Du, ich schrie,als ich dein Antlitz sah, dort an der Bahn, |
30 | so überwältigt von geheimem Wahn,vom Zwiespalt war es als wie eines HenkersGesicht! – ich schrie trostlos in mich hineinund betete nur dieses: tot zu seinvor deinem Tod! –
Der Mann:Ich bin vor dir sehr klein! |
35 | Ich wollte mit der Fülle des Beschenkers,des Früchtereichenden, des Spendenden,mit goldnen Festen, niemals endenden,dir nahn – ich wollte diese hohen Tagezu einem Reigen reiner Lust dir machen, |
40 | verheimlichen, wie ich mich selbst zernageim Leid, und wollte lachen, über Trümmern lachen! –
Die Frau:Du – dieser Ton zerschneidet mir die Sinne!Glaubst du noch immer: opfern hieße lieben?
Der Mann:Jetzt werd' ich erst mit Mörderreue inne, |
45 | wie sehr mein Mut vor dir zurückgebliebenund zahm geworden ist; ich war ein Hund,den nur sein Hunger auf die Fährte hetzte,ich jagte, jagte mir die Füße wund –
Die Frau (innig):Du bist der Erste und du bist der Letzte; |
50 | du hast mich nie getäuscht; oft war es schwer,dir gut zu sein – was wäre denn die Güte,wenn sie uns mühelos im Gärtchen blühte –ohne dich wäre mein Erleben leer!
Der Mann:– Deute mir dies: ich wandle auf den Höhen, |
55 | die ich ersehnte wie ein Hungerbrot,wandle mit dir allein, und spüre Notund Nichtigkeit, und ist mir nun, als flöhenmich alle Engel dieser grünen Gründeund aller ihrer Felsen In-Sich-Ruhn |
60 | und ihrer Teiche Paradies, als stündeauf heiligem Boden ich mit staubigen Schuhnunwürdig, anzubeten!
Die Frau:Was ist Sünde?Wir tun ja doch nur, was wir müssen tun!Und du hast immer so an dir gelitten, |
65 | daß tausendfach dir längst vergeben ist.
Der Mann:Vielleicht war meine Einsamkeit nur List,das zu erschleichen, was sich die erstritten,die Freundschaft über sich ergehen ließenund nicht verzweifelten, wenn Liebe schlug . . .
Die Frau: |
70 | . . . und die im ersten Bilde Helden hießen,im letzten: töricht vor dem kleinsten Trug.
Der Mann:Du reifst und reifst mit dieser Berge Reifen,ich schrumpfe immer widriger zum Zwerg.
Die Frau:Denk' an dein Werk, an nichts als an dein Werk, |
75 | so wirst du dich als Siegenden begreifen!
Der Mann:Ich schäme mich der Unrast, die mich knechtet:nicht eine Stunde leb' ich meinem Stern!Ich setzte meinen Sklaven mir zum Herrnund hab' mich selbst aus Eigennutz entrechtet. |
80 | Wie schäm' ich mich vor dieser Dinge Größe,wie wünschte ich, ein Baum, ein Fels zu sein:Zwecklosigkeit des Gottes ist im Stein,im Zweige mehr als in der Menschenblöße,die immer nach dem Mantel jagen muß |
85 | und immer, in ein kleinlich Ziel gezäunt,zum Finstern Feind sagt und zum Frohen Freund!
Die Frau:Du quälst dich so . . . ich weiß nicht . . . dieser Kußauf deine wehzerquälte Stirn, das Letzte,was ich zu geben habe . . . ich bin arm . . . |
90 | ein Obdach nur . . . ich weiß wie dich der Schwarmder bösen Ängste durch das Dickicht hetzte . . .o hetzte er dich doch an meine Brust!ich will dich hüten und ich will dich halten,und wenn du wieder einsam wandern mußt, |
95 | will ich zu Haus sein und die Hände falten,für dich zu beten, will gern einsam bleibenund nur mit deiner Einsamkeit vermählt!
Der Mann:Ich habe dich so namenlos gequält . . .
Die Frau:Wie du dich selbst gequält hast!
Der Mann:Sieh, es treiben |
100 | die Nebel durch den schmalen Klippenspalt . . .die Wälder singen . . . Orgelfugen rauschen . . .
Die Frau:Es rauscht mein Blut! – Hier will ich stehn und lauschen,ob unserm Weh kein Echo widerhallt . . .Gott, sei uns gut!
Der Mann:Versuche nicht die Tiefen, |
105 | wenn du mit mir bist, denn an mir ist Fluch,seit Kain!
Die Frau (mutig):Wie meine Mütter einst dich riefen,rufe ich dich: laß jenen durch ein Buch,durch eine schemenhafte Pflicht . . . um kleinerHingebung willen nicht zuschanden werden! |
110 | Gott, sei uns gut! – – oder du hast auf Erdennicht einen Spiegel mehr! . . .
Der Mann (mit ihr knieend):Gott! mach' uns reinerals Morgenröte über Gipfelwiesen!Laß deine Liebe sich mit ihrer Liebeverschwistern! – Gott! Ich Zwerg vor ewig Riesen! . . . |
115 | Und daß mir nur ein Traum von ihren bliebe!
Die Frau:Nimm ihm die Demut, nimm ihm alles Bangeund mach' ihn so mit meinem Leben reich! – –Ich sterbe gern . . .
Der Mann:Wir sterben Wang' an Wange . . .
Stimme aus den Wolken:Und werdet Ihm mit Stein und Sternen gleich. |