Max Herrmann-Neiße
1886 - 1941
Empörung, Andacht, Ewigkeit
1918
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Keiner Seele darf ich Antwort geben
Dem lieben, guten Fritz Grieger
Ihr im Sommer leeren Dächer, Dielen,Höfe, und ihr weißen Villen, derenschöne Fraun und Herrn an fernen Seenmit der Lässigkeit des Freiseins gehen; | |
5 | Bühnenhäuser, ausgebrannt wie Gruben;und ihr grün verstummten Vorstadtstuben,wo jetzt Stieglitze Verstecken spielen;Schulen, die in Ferien verwildern,Staub auf Bänken, Tafeln, Kaiserbildern, |
10 | o wie lehnt ihr arm in eurer Leere,jede stöhnt: Wie ich Getrieb entbehre!Wo sind meiner flinken Schwärme Füllen,daß sie mich in lauter Wärme hüllen,daß sie mich mit ihrem immer wachen |
15 | Atemwind zu einer Harfe machen?“;Ach, den Glocken auf den Korridorenist die strenge Stimme wie erfroren,und die Geige hat Gefühl und Jung-Seinund die Uhr ihr Augenlicht verloren, |
20 | und der Treppen frühes Auf-dem-Sprung-seinhängt wie umgebracht und ungeboren!
O wie fühl ich eure arme Leeretief im Herzen mit und dieser bangenlangen Weile laue Sonntags-Schwere!
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25 | Und der Barren und die Kletterstangenund der lustige Rundlauf sind Gespensterwie die Furcht der lautlos starren Fenster,die zuvor wie Morgenwälder sangen,wenn das Lineal verstohlen Takt schlug |
30 | und das Pfeifen auf dem Federkasteneinen Träumer zur beglänzten Schlacht trug . . .
Wie vergeh ich im erzwungnen Fastender Buffets und ungedeckten Tische,wo die hellen Frauen rastend saßen |
35 | und mit schmalen Gesten tastend aßen,und im Garten sterben eure Fische,denen Fremde gutzutun vergaßen!
Wie vergeh ich mit den leeren Stühlender Parkette und der Logen-Lücken, |
40 | und im Staub, wie eingestürzte Brücken,Trümmern so geblieben von Kulissenund Maschinen jäh gehemmt wie Mühlen,deren Rad mit Eins auf Halt gerissen!
Wie vergeh ich mit den Sofakissen |
45 | und den Vasen und dem Aschenbecherhinter den geschlossnen Jalousien –wann wird wieder heimlich an gewissenSonntagnachmittagen Schal und Fächerbei euch sein und jemand auf euch knien, |
50 | wann Beschwörung immer schwüler, wilderund verwirrter Zärtlichkeit Geraunrinnen über Spiegel, Buch und Bilderund euch wieder in das Leben baun?
Wie vergeh ich grau in eurem Graun!
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55 | Aber ihr seid nur für kurze Zeitleichthin weggelegt und fast vergessen,nur für Wochen sachte eingeschneit,ihr habt Pflicht und Werk besessen,und es wird euch immer wieder werden, |
60 | wenn mit weichen Wiederkehr-Geberdensich Willkommenkränze wehend windenund die ausgeruhten, muntern Füßeeuren Fliesen flinkre Tänze finden,und die alten guten Morgengrüße |
65 | und die alten guten Schluß-Chorälewieder Glied an Glied zur Kette binden.
Wie beneid' ich eure lauten Säle!
Denn ich bin ein ganzes banges Lebenhilflos leergelassen und verschüttet, |
70 | keiner Seele darf ich Antwort geben,keinem Lied im gleichen Echo schweben,keine müde Schwester betten, keinerDürstenden den Krug zum Munde heben;niemand, wär' er noch so wüst zerrüttet, |
75 | der vor meinem Haus um Obdach bittet,niemand, der mich lieben Lehrer“; nennt!Ungenützt verkümmern meine Gaben,weder Sommer darf, noch Herbst ich haben,und wie junges, grünes Gras verbrennt, |
80 | geh' ich ungeerntet aus als einer,der die eignen Kinder nicht erkennt. |