BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Friedrich Gundolf

1880 - 1931

 

Jahrbuch für die geistige Bewegung

 

Jahrbuch 1910

 

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[19]

Das Bild Georges

von Friedrich Gundolf

 

Damit die darstellung eines lebenden dichters mehr als zufälligen wert habe, über den moment hinaus dem sie entspringt oder auf den sie wirken will, bedarf es zweierlei: die umfassende übersicht des betrachters und die sinnbildliche wucht des gegenstands. Sinnbilder schafft jede lebensauswahl, allgültigkeit haben nur die welche ein gesamtmenschliches verkörpern, deren eigenstes typisch und notwendig ist, weil unmittelbar beherrscht von den zentralen mächten: die jeweiligen schöpferischen mittelpunkte von zeitaltern und kulturen. Nicht jede zeit findet einen menschen als symbolischen ausdruck, am wenigsten solche die aus vielen splitter-tendenzen bestehn, und nicht jede tendenz kann sich gestalten: die begrifflichen vertreter sind kaum die träger der wirksamen kräfte, denn was begriff geworden, ist schon schale erstarrten oder verdunsteten lebens. Der tiefste trieb wirkt sich nur durch gebild oder tat aus, durch gestalt oder bewegung, nicht durch erkenntnis oder betrachtung. Bild oder tat stehen am ende jedes wegs den die schaffende kraft geht. Nach sinnbildern werden wir also da suchen wo sich die tiefste leidenschaft oder die grösste bewegtheit zeigt. Deshalb sind uns für die deutsche dichtung der gegenwart zwei dichter »bedeutender« als die andren, wobei wir absehen von »begabung« und aller bloss individualistischen wertung und terminologie, von der mehr oder minder eindringlichen »behandlung« moderner probleme, charaktere, zustände. Das sind peripherische dinge, sie haben mit der grundbewegung nichts zu tun. Nicht in bewusstseins- und sachinhalten lässt sich das leben einer zeit packen, das gibt nur allegorien, niemals symbole. Was nicht im pathos und in der haltung eines dichters ist, kann er durch keine einzelheiten künstlich-bewusst hereinbringen, und man drückt nicht modernes leben aus, wenn man kalisyndikat als reimwort benuzt. Wer sich dies verdeutlichen will, lese jenes »Buch [20] der Zeit«, gegen das gehalten der verblasenste Romantiker heute noch von heutigem leben zu strotzen scheint. Da zudem die sachinhalte mit jedem jahrzehnt wechseln, so wird dauernd nur der das leben einer zeit festhalten der mehr festhält als das leben seiner zeit, für den diese zeit nur welle eines stroms bedeutet und ist.

Das wissen davon haben viele, wenige das wesen – unter den heutigen deutschen dichtern nur Stefan George. Gerade das was man ihm vorwirft, weltflucht, lebensfremdheit, ist ein zeichen dafür. Er durfte und musste alle scheintiefe, vordergrunds-gegenwart und oberflächen-lebendigkeit abtun, verzichten auf »weltanschauung« und ausserdichterische zierden, damit durch ihn das werdende leben selber rede und fleisch werde in seinem wort. Man hat ihm nachgesagt dass er durch einen monumentalen solipsismus den dingen in seinem rhythmus ihr eigenleben nehme. Aber in keinem kunst-gebild haben dinge ein eigenleben und Georges solipsismus erscheint nur stärker, weil er die kunstwerdung der objekte strenger vollendet hat als unsre dichter vor ihm. Nur in der bekenntnis- begriffs- oder tendenzpoesie gibt es ein eigenleben der dinge – also in halb rohstoff gebliebner. Zu den dingen gehört auch das Ich selbst und muss genau wie alle andren inhalte im gebild aufhören um seinetwillen da zu sein. Dann aber kommt der schein des solipsismus daher dass George von einer noch nicht gebornen welt singt, deren realität und dinglichkeit kein auge sieht ausser seinem: dennoch ist sie so gut wie die schon gewordnen welten. Andre sehen an ihr notwendigerweise nur die züge der ihnen bekannten seele und meinen, das gesagte sei um der seele willen gesagt – wie ja auch in der geschichte noch jedes planen eines neuen zustandes als egoismus oder hirngespinst erschien, bis er tatsache war. Der dichter zieht die dinge heran, um in ihnen zu zeugen: die gedichte die so entstehen sind nicht selbstbesingungen, sondern geburten eines ἱερὸς γάμος zwischen Ich und dingen bei dem beide ihr eigenleben eingebüsst haben. Doch die kinder haben züge von beiden. Den vater, das zeugende Ich, kennt man, die mutter, die werdende welt, ist noch verborgen, und so sieht man in den kindern nur ihren vater. Insofern George allerdings einen erst werdenden [21] menschentag singt, der ihm schon wirklichkeit, uns noch fordrung oder sehnsucht ist, ist er für das gegenwärtigste der gegenwart bei weitem nicht so sinnbildlich wie Hugo von Hofmannsthal: der ist der eigentliche und dichterisch reichste vertreter der heutigen erregtheit und beweglichkeit, der zentrifugalität und des relativismus, der genusssucht und der werktätigkeit, der verfeinerungen und der geschäfte, der betäubungen und des verkehrs, nicht durch seine inhalte, sondern durch seine geste. Aber ein zeitalter wird minder verherrlicht und gefördert durch seine lober, spiegler, diener, benutzer als durch seine richter, propheten und täter, durch die bewahrer des ewigen feuers, durch diejenigen welche die höchsten forderungen stellen, die unerbittlichen gesetzlichkeiten und maasse des menschlichen vorhalten, aus der not der fülle, nicht aus ihrem genuss heraus reden. Den kampf gegen die oberflächen-tendenzen und das nur-zeitliche der zeit hat kein mensch so umfassend und entschieden aufgenommen und geführt als Stefan George, durch werk, nicht durch rede, durch produktion, nicht durch negation – daher der sonderbare irrtum, dass man in ihm einen »modernen« dichter sehen konnte. Den richtungen des zeitalters hat er nicht klagen, misswillen und vorschläge, sondern eine neue gestalt und ein schöpferisches pathos entgegengestellt das ihn zum führer in einem nicht mehr vermeidbaren geisterkrieg macht. Wer siegt, ist noch nicht abzusehen. Umsonst sind auch Catonen nicht .. aber es könnte sein dass eine ganze epoche nur durch ihren richter vor der nachwelt repräsentiert wird, wie es dem zeitalter Dantes geschah. Wenn man nicht nach massen, sondern nach kräften wertet, nicht fragt wieviel jemand auf einmal in bewegung sezt, sondern wie tief und nachhaltig er umformt, so ist Stefan George der wichtigste mann des gegenwärtigen Deutschland. Er ist der erste Deutsche der seit den tagen Goethes und der Romantik Seelen nicht nur ersch& uuml;ttert, angeregt, berauscht, entzückt hat (das taten manche) sondern völlig umbildend einen geistigen kreis, eine neue atmosphäre und ein neues niveau schuf und fortwährend schafft, nur durch die macht seines wortes, seines glaubens und seiner liebe. Er erweckt, über teilnahme und abneigung, bewunderung und spott hinaus, die leidenschaften, [22] und wer sich mit ihm befasst, stösst überall auf ein Allgemeines und wird getragen von der sinnbildlichkeit seines wesens und wollens, das mehr ist als ein persönliches. Von den zahlreichen aufsätzen und schriften über ihn scheiden wir alles aus was sich nur mit einzelnen werken abgibt oder ihn zum anlass philosophischer, sprachlicher, ästhetischer erörterungen nimmt, obwohl darunter sich aufschlussreiche und bedeutsame erörterungen befinden, wie die kunstphilosophische von Simmel, die ästhetische von Hofmannsthal, die historische von Breysig. Drei bücher aber haben einen symbolischen wert, weil sie ein bild von Georges gesamterscheinung festhalten oder es wenigstens mit einem ungewöhnlichen nachdruck versuchen: ein bild – das ist nicht wiedergabe eines eindrucks, sondern formung eines bewussten willens, die allerdings eindruck und anschauung voraussezt. Diese drei bücher sind: Ludwig Klages, Stefan George (Berlin 1902), Rudolf Borchardt, Rede über Hofmannsthal (Leipzig 1905), Friedrich Wolters, Herrschaft und Dienst (Berlin 1909). So verschieden sie unter sich sind, so gehören sie durch wesentliche merkmale in ein bereich und heben sich ab von den übrigen monographien über heutige dichtung durch ihr negatives wie durch ihre positionen. Sie haben alle drei mit »literatur« sowenig etwas zu tun als George selbst, sie haben es nicht auf »einführung« oder »würdigung« eines autors abgesehn. Allen dreien ist der dichter vertreter eines gesamt, nicht einzelperson. Sie sind nicht aus einem anlass um einer meinung willen, sondern aus einem fordern und einer überzeugung, ja einem glauben heraus verfasst. Sie kommen der allgemeinen bildung nicht entgegen, setzen die genaue kenntnis des dichters voraus und eine atmosphäre gesteigerten willens und gesteigerter empfänglichkeit, lehnen ein publikum aus schmeckern, warenkennern und spinnern ausdrücklich ab. Sie sind geschrieben, nach verschiedenen richtungen hin, in einem stil der weder überreden noch überzeugen will, sondern suggerieren, ja befehlen, in der sprache der gewissheit. Alle drei sind was man heut als einseitig bezeichnet, rückhaltlos mit ja und nein, ohne den wunsch des verstehens und verzeihens der heut literar-historien und verlagskataloge ziert. Ein wort über toleranz mag [23] hier am platz sein. Wer sich mit lebendigem befasst, kann nicht historiker sein, er nimmt partei, indem er es tut und soll wissen dass er partei nimmt. Jeder lebende ist teilhaber am chaos, am fluss der zeit und kann sich der gemeinsamen bedingtheit nicht entziehen. Alle urteile von zeitgenossen über zeitgenossen die sich als freischwebend geschichtliche geben, sind halbheiten und lügen. Wer sich aber weit genug dünkt alles leben schlechthin zu umfassen, der frage sich ob er nicht das vorhandene mit dem lebenden verwechsele. Beides ist grundverschieden. Jeder körper, jeder wille, jedes auge ist schon produkt und organ einer unbarmherzigen auswahl. Das ideal des allduldens kommt aus unsicherheit, lebensarmut und missverstandnem Goethe. Goethe kam in eine unangebaute deutsche welt und hatte die aufgabe sie zu kultivieren. Er musste alles heranziehen, jeden keim pflegen, jede kraft nutzen oder wenigstens jeden stoff als element und dung verwerten. Trotzdem, selbst er nahm im selben maass an toleranz ab als der bildungsstoff anschwoll, stiess immer mehr aus, zog den kreis des ihm gültigen immer enger: je mehr sich sein reich konsolidierte und er aus einem titanen ein gott wurde, desto schroffer wurde er nicht nur gegen halbheit und flachheit, sondern selbst gegen wirkliche kräfte, wie Jean Paul und Kleist. Von ihm stammen jene zwei tiefen worte, grund-sätze des weltgefühls dessen negation der Liberalismus ist: »ich halte für wahr, was mich fördert« und »ich kann lieber eine ungerechtigkeit als eine unordnung sehen«. Was aber dem reifen Goethe schon last war, wird fluch für ein geschlecht dem Goethes schultern und verdauungsorgane fehlen, für eine über und über bebaute, von stoffmassen, individualitäten, dingen beladene zeit. Nur im vereinfachen liegt heut das heil, nicht mehr im vermehren und erweitern. Ins ungeheure ist die flut des nichtigen, halben, lügnerischen, krüppelhaften gestiegen. Zu scheiden zwischen dem was ist und dem was scheint, ist die pflicht der sehenden und wollenden, unbarmherziges meisseln am block der zeit die pflicht der bildner. Wer es ernst meint, kann nicht alles gelten lassen. Drum ist ein lob der drei schriften, dass sie, ohne kompromiss und konvention, einen willen verkörpern, mit der einseitigkeit die ein zeichen der sicherheit ist – es gibt auch [24] eine der trägheit – und dass sie nicht vermitteln, sondern scheiden.

Klages zieht den kreis in dessen mitte er George stellt am weitesten. Ihm kommt es auf verkündigung eines weltgefühls an und George ist nur der konkrete anhalt dafür »die im bildnerischen einzelwesen wirksamen allgemeinen grundkräfte zu erfassen, durch die es zwar zum scheinlosen tropfen grosser geisterströme vermindert, aber auch erhöht wird zum körper des Alls«. Klages kommt von der metaphysik und der naturwissenschaft an des dichters werk heran und er sucht demgemäss darin nicht beziehungen, umrisse und entwicklungen, sondern gesetzlichkeiten, kräfte und substanzen. Er deutet George als den ersten bildnerischen verkörperer eines neuen weltgefühls. Sein buch, der gattung nach ein metaphysischer traktat, der form nach eine rhapsodie etwa Hamannscher art, befasst sich in einem allgemeinen teil über Georges künstlerische gesinnung – dem weitaus wichtigern – mit der darlegung wie ein kunstwerk überhaupt träger ausserkünstlerischer, kosmischer werte sein kann, wie überpersönliches sich in personen verfangen, grenzenloses gestalt werden kann: er gibt eine dichte lehre vom schöpferischen empfangen und zeugen, vom gestalten,von den mitteln, nöten, mächten, schauern die das ausserpersönliche gebild bedingen. Jenes weltgefühl ist, positiv gesprochen: kosmisch, negativ gesprochen: anti-individualistisch. Wir müssen es kurz charakterisieren, um zu wissen mit welchem recht George als sein vertreter gedeutet wird und wie weit Klages ihm seine eignen gedanken unterlegt. Sein blut empfängt jenes weltgefühl aus den urelementen über denen aller geist sich regt, wie luftwellen über meer und erde. Der einzelne kann nie mehr sein als ein organ der magisch siderischen und tellurischen kräfte, die höchsten schauer und offenbarungen sind für Klages wesentlich seismogramme der kosmischen erschütterung. Im All als dem komplex jener kräfte sucht er die schöpferischen quellen, anders als je ein früherer glaube. Ihm ist der mensch um des Alls willen da, nicht umgekehrt, das All ist nicht mutter, amme, haus oder gott, weder ein-gott noch all-gott. Der gottesglaube ist ihm nur die äusserste anmaassung der anthropozentrik: der geist als schöpfer der welt, [25] der mensch als schöpfer Gottes. Den menschen wertet Klages am höchsten dem jene urkräfte am vollsten eingeströmt sind, der am wenigsten eigne willkür hat. Der mensch kann sich nicht zum All erweitern, er steht unter der notwendigkeit des schaffenden und wirbelnden weltodems. Das wirklichste ist was am wenigsten der gewalt des Ichs untersteht: die glühenden augenblicke der entrückung mit ihren gesichten. Der künstler ist in erster linie nicht der welcher kann, sondern der welcher muss. »Künstlerisch nennen wir eine lebensrichtung die sich in werken erfüllt. Dazu nötigt ein unmittelbarer zwang der scheidet und wählt, wo ihm das Schicksal blinde massen entgegenwälzt. Selten erhebt sich zur bewusstheit was den geistlos webenden mächten alles wachstums verwandt ist. Geschieht es dennoch, so zerrinnt vor einem blicke ziel und willkür und nichts bleibt als bauendes müssen.« Das kunstschaffen ist die im bewusstsein sich vollziehende abbreviatur des kosmischen prozesses, drum verwirft Klages alle kunst die »ziel und willkür« hat, zweck- lehr- bekenntnis-dichtung, alles was dem Ich und den geschöpfen oder organen des Ichs dient und durch eine »persönliche deutung« erfasst werden kann. In George sieht er den unerbittlichen erneurer des glaubens und wirkens der Alten: das werk eine selbstgenugsame offenbarung der allkräfte, mythologisch gesprochen, der götter. »Nicht im bewusstsein, sondern im blut quillt die rauschwoge auf.« »Man verkennt George, solange man nach dargestellten affekten sucht oder gar um reinliche verse sorge trägt. Seine dichtungen sind die sprachlich bildnerische verwirklichung eines religiös gestimmten gesamtzustandes, der die jahreszeiten, schicksale, tiefen seines vielspältigen charakters durchschreitet.« Symbol ist einem solchen glauben alles andre eher als gleichnis oder mittel, vielmehr das wesenhafteste, die »achse um die zu unabsehbaren wirbeln seelenstoff zusammenschiesst«. Der dichter ist das fast nebensächliche menschliche medium worin allkräfte sich verlautbaren. »In kargen silben ist schall der urzeit verfangen: den löst und verlautbart der dichter«, »ein schaumkamm auf gebäumter welle spielt sein wort, nicht will es das meer in eimer füllen.« Dichterische sprache ist ausdruck eines zustandes worin das All selbst stimme und bewusstsein [26] wird. Wie der dichter selbst medium und nur als medium dichter ist, so ist die muttersprache nichts ihm angehöriges, kein seiner willkür unterworfener besitz, sondern »wie sein element, so auch ein teil seines schicksals«. Der unterschied zwischen dem wort als mitteilung und dem wort als dichtung kann nicht schroff genug betont werden, jezt wo gar der zwitterausdruck »wortkunst« verwirren hilft. »Im dichter sind nicht zwei dinge: ein erleben und eine mitteilung, sondern dichtend lebt er. Niemals hat er was sich mit ihm begibt auf andre weise inne als im lautgebilde.«

Wird ein betrachter dem George Offenbarer zeitloser urschauer, geschichtloser allkräfte ist, dem menschlichen und geschichtlichen seines werks rechnung tragen? Diese Schwierigkeit hat Klages nicht überwunden und er muss es schon als einen schritt ins anthropomorphe empfinden, wenn er Georges werk unter dem zeichen des heidnischen Eros und der christlichen Caritas sieht. Der mystiker Klages hat kein verhältnis zur geschichte. George als bildner kann nicht absehn von gegebnen formen menschlichen daseins, und wie sehr er träger der urschauer sein mag, erst insofern sie ihn als einen menschen treffen, haben sie wert für ihn. Wenn für Klages menschliches werk und wesen nur gelten, insofern sie von urschauern kunde geben, so sind für George alle urschauer nur um eines gesteigerten menschentums willen da, dem seine ganze arbeit gilt. Zu dieser arbeit bedarf er freilich auch der »urgebornen schauer«, aber seinem bildnerwillen sind sie auch nur ein mittel und stoff, neben dem geschichtlichen, ja gesellschaftlichen und persönlichen – und wenn er die menschliche organisation von heute bekämpft, so geschieht es um einer bessern willen, nicht um ins chaos zu tauchen. Wenn er den individualismus verwirft, so weiss er dass der menschentypus durch die vereinzelung verkümmert, aber nicht das menschenhafte daran wünscht er zu tilgen. Alles bei George drängt zur gestalt, ja zur organisation. Für ihn sind die Griechen nicht so sehr das volk der Titanen und der dionysischen taumel als die ausbildner der vollendeten leiblichkeit: wobei er freilich weiss wie sehr zu diesem höchsten vorausgegangnes ringen nötig war und wie sehr gestalt und schönheit erst preis furchtbarer kämpfe und überwältigungen ist. Er [27] bleibt beim schauer nie stehen, und Klages hat wohl den weg Georges richtig begriffen, aber nicht die richtung die er ihn geht: sie ist gerade umgekehrt als Klages meint. George kommt vom chaos zur form, nicht mittels der form zum chaos. Hier waltet nicht bloss ein persönliches missverständnis, sondern ein typisches, das überall statthat, wo ein mystiker, von den mystischen werten einer dichtung angezogen, einen dichter deuten will. Mystik im weitesten sinn ist der versuch, durch ernichtung oder verwandlung die bedingtheit der einmaligen form los zu werden: kunst die aufgabe, das wesen in form zu fassen. Die künstlerische anlage ist, wie Klages selbst sagt, »bauendes müssen«. Aber der dichter legt den ton auf »bauen«, der mystiker auf »müssen«. Beide erkennen das Wesen, das Gotthafte an, nur verehren sie es unter entgegengesezter form bzw. unform, und gehen verschiedne wege zu ihm. Der mystiker sucht in jeder gestalt das was sie sprengt oder verwandelt, der künstler in jedem chaos den bildsamen keim um den die künftige gestalt sich ansetze. Denn der mystiker findet überall formen vor und der künstler überall chaos. Daraus kommen alle einzelirrtümer denen ein kunstgebilde durch den mystiker ausgesezt ist. Wenn ein dichter bestimmte formen wählt, so ist das kein zufall, manifestiert vielmehr schon den zwang unter dem sein schaffen überhaupt steht. Wenn George sich in antikischen formen ausdrückt, so kommt das nicht daher »dass er rückkehr suchend ins eine All« wieder die ehemaligen gefässe der urschauer füllen will. Nur eine liebe, nicht eine flucht kann das primäre sein. Der mystiker will nicht sehn wie sehr die geschichte in schöpfern schafft, nicht minder wirksam als das zeitlose. Ein dichter wählt nicht antike, romantische, christliche formen, um sie mit urgehalt zu füllen, sondern schafft sie aus den inneren kräften jener zeiten heraus, die in ihm noch fortfruchten. »Jede zeit und jeder geist rücken, indem sie fremde und vergangenheit nach eigner art gestalten, ins reich des persönlichen und heutigen und von unsren drei grossen bildungswelten ist hier nicht mehr enthalten als in einigen von uns noch eben lebt.« So George. Klages ist ein zu tiefer kopf, um das nicht zu wissen, und gar in den Hirtengedichten [28] historismus zu sehn, wie man im Jahr der Seele lyriker-konfessionen sah. Dass durch die seele des dichters die welt selbst tönt, dass in später kultur urleben sein kann, dass in Georges werk geschichtliche erbschaft ist, betont er selbst, wie er denn auch einmal anerkennt dass Georges kunst menschlich ist und »das All in gotterfüllte leiber saugt«. Aber diese einsichten bleiben ihm isoliert und bestimmen seine deutung von Georges gesinnung und gehalt so wenig, dass sie ihr widersprechen. Weil, wenn nicht der erkenntnis, so doch dem gefühl des mystikers die persönlichkeit des dichters, der wahre zusammenhalt und träger seiner Schöpfung, im grund an sich gleichgültig ist und weil ihm die geschichtlichen inhalte und bedingtheiten lästig sind, so kommt er dazu, in Georges entwicklung eine scheidung zwischen wesens- und historischer notwendigkeit zu machen, die gewaltsam ist und das organische gebild verkennt. Klages sieht historie überall da wo er dem wesen nicht folgen mag. Dass Georges reiferes alter abbog von den frühen orgiastischen büchern zu bildnerisch hellenischen und gar zu dem domhaften Teppich scheint ihm ein bruch, weil er alle werke nur auf ihren gehalt an urschauer hin ansieht, also von einem punkt ausserhalb ihres schöpfers. Was für den dichter menschliche einheit, ununterbrochene auswirkung seiner fülle in neue Sinnbilder ist, ein dauernder aktus des formens quer durch raum und zeit, das sieht Klages als ergebnisse und teilt ab, wählt, wie es sein recht ist. Wenn er aber im Teppich gegenüber den heidnischen gluten des Algabal mit missbehagen den christlichen Logos walten sieht: so vergisst er dass die von ihm geschichtlich genommnen formen als geschichtliche nur dem bewusstsein angehören. Wie Christentum und Heidentum selbst grundkräfte der menschlichen seele sind und vor ihrer historischen verkörperung da waren, so nimmt sie auch der dichter, als der runde mensch, in sich auf, rein als elemente, und reproduziert sie nicht als geschichtliche, sondern als schlechthin menschliche. Gegensätze sind sie dem betrachter, dem bildner sind sie nebeneinander und ineinander möglich, wie weisse und rote blutkörperchen in seinem leib: nicht die farbe, sondern das fliessen ist seinem blut wesentlich. Diese scheidung heidnischer und [29] christlicher elemente ist der tribut den der orgiastiker und mystiker Klages dem begriffs-wesen zahlt: der bildner George ist darüber hinaus. Er hat das geschichtlich-gewesene als ungeschichtlich-werdendes im blut, ins bewusstsein kommt ihm davon höchstens der symbol- oder materialwert. Als einem müssenden sind ihm die kräfte die ihn treiben gleichgültig, sie sind ja das gegebne über das er nicht hinaus kann . . da kann für ihn also das problem nicht liegen. Als ein bauender aber hat er zu wählen unter den stoffen die er vorfindet: dazu gehört das was er in sich hat wie das was vor ihm liegt, freilich nicht, wie wir es hier ausdrücken müssen, als getrennte sphären, subjekt und objekt, sondern als Ein ganzes. Nur von aussen für den »kritischen« (scheidenden!) geist gibt es geschichte, natur, mensch, dem schaffenden sind sie untrennbar, ein Werden, nicht ein Gewordnes. Ihm kommt es nur auf die grade der erschütterung und der formung an, da er in jedem organismus immer das All fühlt. Die oberste stufe ist da wo grösste bewegung und völligste bändigung eins sind. Der grenzenloseste schauer strebt zur strengsten form, darin er sich banne und erlöse. Dafür ist der kreis das symbol: das unendliche fliessen in dem unentrinnbaren ring geschlossen. Kritische geister, seien sie nun mystiker oder intellektuelle, ästheten oder historiker, können selten bewegung und form zugleich werten. Kritiker sind nie rund, sie sind entweder pfeilgerade oder gebogen, das wesen des schöpfers ist die rundheit selbst. Klages ist ein hoher typus dessen der den dichter auf bewegung, auf schauer hin ansieht. In Rudolf Borchardt werden wir die entgegengesezte sehart bis zum fanatismus ausgebildet finden. (In beiden fällen rede ich nur von der grundrichtung der betrachter, nicht von dem umfang ihrer kriterien. Es versteht sich von selbst dass Klages auch die form in den kreis seiner betrachtung zieht, wie Borchardt das pathos Georges.) Uns geht hier nur an was sie vom bild Georges sehen. Mehrere einzelansichten geben zwar nicht durch kombination eine gesamtanschauung, aber die entgegengesezten einseitigkeiten gleichen sich aus und was viele gegner gemeinsam sehn, gehört dem urbild an und wird bestand künftiger beurteilung. Was sie verschieden sehn, gehört der zeit an und bildet verdeutlichenden hintergrund. [30]

Wenn es das verdienst von Klages bleibt, in George das erstemal die kosmische wucht gezeigt zu haben, als er noch allgemein für den ästheten und kunsthandwerker galt, so hat Borchardt zuerst in seiner Rede über Hofmannsthal die Stellung Georges in der zeit und gegen die zeit umrissen, den zustand von dem er sich abhebt und die wandlung deren träger und bote er ist Dazu bedurfte es vor allem eines sinns der Klages fehlt: des historischen. Borchardt kommt von der historie und philologie her. Das allgemeine das George ihm vertritt kann nur innerhalb des zeithaften liegen. Und als heutiger philologe sucht Borchardt nicht von einer erlebten gestalt, kraft, substanz aus sein bild aufzubauen oder abzuleiten, sondern durch abgrenzung, bezüge, antithese. Es ist das wesen heutiger philologie, relationen aufzusuchen, all ihre wege führen sie zu einflüssen oder zu gattungen. Sie hat damit nur am zug des zeitalters teil, dinge durch beziehungen auszudrücken oder zu ersetzen. In Borchardts Rede finden wir nirgends ein einfach hingestelltes, in sich gleichgewichtig beruhendes. Trotz der eindringlichkeit seiner redekraft gelingt ihm nirgends eine plastische darstellung einer sache oder eines menschen, wohl aber presst sich ins gedächtnis eine reihe leidenschaftlicher ja und nein und ein spiessrutenlaufen durch seitenblicke. Er kann keinen satz über ein ding niederschreiben ohne einen hinweis auf ein andres, nichts zeichnet er durch sich selbst, immer muss er es gegen ein andres stellen, von jedem gegenstand nimmt er nur die seite wahr die der seite eines andren gegenstands zugekehrt ist. Dadurch bekommt sein stil – verlockend durch eine meisterliche behandlung der rhetorischen periode – etwas schielendes. Man sizt zwischen zwei stühlen. Philologe durch relativismus, ist Borchardt historiker durch superfötation des gedächtnisses und den zwang der retrospektivität. Er sieht nur das gewordne, in geschichtsgrenzen verfangene, und hat gar kein verhältnis zum werden, also auch nicht zur substanz, die niemals sich im mitgebrachten gattungsnetz fangenlässt, sondern ein immer fliessendes, neuer leiber gewärtiges und begieriges »formumformendes weben« ist. Wem die gegenständliche sicherheit in sich und den dingen fehlt, dem gibt die geschichte freilich einen anhalt, er muss vom geformten der vergangenheit [31] leben, da ihm das formen des Künftigen verwehrt ist. Doch damit versagt er vor dem schöpferischen menschen seiner zeit. Er bringt für dessen einmaligen, vorwärts gerichteten geist nur gewesenes als maassstab und will den (in seinem wesen wie in seinen formen) das neue gestaltenden verwandler festlegen auf bekanntes. So behält er überall, wenn er die flutende woge zu fangen meint, das leere gewebe der gattung in den händen, ja selbst vom geschichtlichen nicht viel mehr als das gehäuse das die vergangne substanz sich gebaut. Überhaupt geht diesem bewegten und bis zur überladenheit gefüllten kopf ein wesentliches organ ab: das für die wirklichkeit. Er lebt in einer durchaus gedachten welt, die von der wesenhaften erregt und beleuchtet, aber nicht genährt und befruchtet wird. Er missversteht mit seinen historischen ansprüchen auf schritt und tritt Georges willen und völlig verschlossen ist ihm Georges wesen. Sein wesen, nicht seine Stellung. Hier half ihm seine antithetische leidenschaft, sein sinn für form und unform, der bis ins sittliche hinein ihn führt, wo der instinkt und das erlebnis ihn im dunkeln lässt. Form und gattung sind für ihn nicht konkrete gefässe, sondern gesetzlichkeiten, maassstäbe und wechselbeziehungen zwischen masse und geist. In George sieht er den ordner eines wirrwarrs von willkür und erniedrigung, den richter der anarchie, die brücke zwischen anarchie und vollendetem stil: zwischen literaten-chaos und Hofmannsthal. Aus der antithese die George ihm erst ermöglichte ist sein panegyricus auf Hofmannsthal entstanden, denn nur aus antithesen heraus kann Borchardt produzieren und Hofmannsthal war nicht unmittelbar gegen die zeit zu stellen. Erst aus der erscheinung Georges nahm er sich das pathos seiner rede: ohne sich mit ihm auseinanderzusetzen, konnte er nicht zu seinem eigentlichen gegenstand gelangen. In einer dreifachen antithese sucht er Georges gestalt, da er sie nicht durchdringen kann, zu umschreiben und abzugrenzen: gegen die geistige anarchie deren richter er ist, gegen Hofmannsthal, seinen erfüller und vollender, und gegen das sogenannte »leben«. Die erste ist Borchardt endgültig gelungen und ihre folgerung wird in seiner grossartigen fassung schon den nächsten jahrzehnten das urteil der geschichte sein: »Eine verwilderte [32] sprache ist gebändigt, eine bestimmte entfernung des gehaltes vom leben, ein stil, konstituiert, ein vorrat rechtmässiger formen geschieden und ausgebildet. Eine souveräne person, durch bedingungslose treue gegen sich selber vollendet, ist in die reihe derjenigen getreten, deren geistiger umriss eine ewige grundrichtung der menschlichen seele mit der einfachsten linie umschreibt, und hat zu den vorhandenen ein neues maass gestellt, an dem der strebende sich misst und seinen zustand richtet. . .« Hier wo zwei durchaus gegnerische gewalten gegeben waren, ein gedrungener mensch und eine zerfahrenheit ohnegleichen, festeste gestalt und haltloseste ungestalt, gewährte die grosse der kluft dem schilderer von selbst schwung und weite, wahrheit und gehalt. Problematischer ist schon sein vergleich zwischen George und Hofmannsthal. Da hiess es gestalt gegen gestalt halten, zwei bilder waren vorausgesezt und die blosse beziehung genügte nicht, es kam auf position an, zwei positionen waren abzuwägen, nicht position gegen negation: hier half keine pathetik über die lücken des schauens und wissens hinweg, und es gibt keinen ausweg vor dem konkreten. Dieser vergleich wird noch oft erneuert werden, da er ein typisches verhältnis ausdrückt. Borchardt ist schon im nächsten jahrfünft durch die produktion seines meisters selbst desavouiert worden. Denn er hat nicht, wie sein vorwort versprach, den unendlichen willen, sondern das endliche urteil aufgerufen, nirgends ein sittliches im mittelpunkt getroffen, sondern überall ein ästhetisch-philologisches an der peripherie. Unfähig wesensunterschiede zu begreifen, aber sehr begabt das fluktuieren von gattungen in der geschichte zu verfolgen, misst er die beiden dichter an ihrem verhältnis zu gattungen, stoffen, erlebnissen und konventionen, gleich nah dem deutschen durchschnitts-ästhetiker des neunzehnten jahrhunderts mit seinen unkontrollierten vorschriften und maassregeln wie dem von ihm verabscheuten impressionistischen kritiker »dem seelenschlüpfer, dem parteimakler auf dem stuhle des richters«, der zwischen dichters werk und dichters erlebnis blind hin und her läuft. Von beiden ist er so wesensverschieden nicht, wie sein grössrer takt und seine reifere bildung ihn glauben und scheinen lässt. [33]

Wenn er trotzdem seinem dichter Hofmannsthal fast bis ins zentrum dringt, wenn er hier mit umrissen fast gestalt, mit beziehungen fast wesen gibt, wenn er durch darstellung der elemente fast wirklich ein bild zeichnet, so hat dies einen zweifachen grund: einmal – von Borchardt aus gesehn – dass Borchardts betrachterisches und Hofmannsthals produktives erleben wesensverwandt sind, geist also hier gleichen geist begreift, dann – von Hofmannsthal aus: Hofmannsthal ist der dichter der bezüge, eindrücke, reaktionen, der former des geformten, der seher des gesehenen, kurz all das als synthetiker was Borchardt als analytiker: beide bedingen sich gegenseitig wie konvex und konkav – Borchardt wenigstens wäre überhaupt nichts, wenn es keinen Hofmannsthal gäbe*). George aber ist für den positiven der beiden ein unverrückbares maass, für den negativen wäre er die vernichtung, wenn diesem überhaupt aufgehen könnte wie sehr George wesen ist und nichts als wesen, und wie sehr er selbst von ableitungen aus abgeleitetem lebt, von spiegelung des gespiegelten. Er hat daher guten grund, oder vielmehr instinkt, den dichter zu verzerren der, gerade geschaut, ihn zerstören würde und den dichter zuhöchst zu stellen dessen dasein ihn selbst rechtfertigt, den bildungs-dichter, und den wert nach gaben zu bestimmen die die innere echtheit, die harte sachlichkeit, den opferwilligen schöpferzwang, den rein und tief ins künftige gerichteten blick nicht erheischen: wohl aber allaneignende beweglichkeit, sinnlich-sinnige durchdringung der kulturen und beseelte gewandtheit im gebrauch überlieferter formen. Diese sucht und findet er bei Hofmannsthal, vermisst er bei George, wertet Hofmannsthal nach dem was er hat, George nach eigenschaften die er weder hat noch haben will, die nicht zu haben einen teil seiner grösse ausmacht: traditions-beladnen geschmack, einschmeichelnde geläufigkeit. Der alte trick: einem grossen kämpfer vorzuwerfen dass er ein schlechter tänzer sei! Historiker am falschen ort, sucht er mit blindem erbenspürsinn in den ringenden, [34]

*) Seine eigne produktion ist angewandte philologie: zusammensetzung vorgefundener sprachelemente: wähle er nun den gräzisierenden, den biblischen oder den neuesten ton, oder wie bei seiner übertragung der Divina Commedia, das stationäre Deutsch der russischen Juden.

durchaus kosmischen erstlingsbüchern Georges – diesen qualvollen griffen und blicken in eine erst aufdämmernde welt – spiegelung einer kulturvergangenheit, »aneignungen, überladungen und französisches gefallen am absonderlichen«, immer nach dem aussenrand urteilend der ihm grad entgegenblizt, ausserstand in das ihm fremde vorzudringen, sobald seine reminiszenzenträchtige phantasie durch ein literarisches gefangen und geschlagen wird. Er sieht eine dichtung nur genau so weit als sie an überkommner, vorgeformter bildung teil hat, alles was einer künftigen angehört, was sie dem Chaos abringt oder der not und fülle einer einzig gearteten seele, bleibt ihm verschlossen und widerwärtig.

Man kann von Borchardt nicht verlangen dass er die angebornen grenzen seiner begabung überschreite, wohl aber dass er als historiker gewissenhaft den ursprüngen, verzweigungen und filiationen einer bewegung nachgehe. Sein berechtigtes entzücken über den umfang und die leichtigkeit, die formenfülle und anmutige sinnhaltigkeit von Hofmannsthals werk durfte ihn nicht verführen, in ihm den schöpfer des neuen tons zu sehn, mit dem er nur zuerst die Borchardt vertrauten gattungen belebt hat. Der schöpfer, nicht nur der wegbereiter, ist George. In George und nur in ihm ist das ursprüngliche feuer, dort entzündete der Wiener die kandelaber womit er seine schätzereichen, spiegelhellen säle beleuchtete, während George damit eine ungefüge erde durchglühen und fruchtbar lockernd erwärmen musste. Was George von den Franzosen lernte, ist handwerkliches, was Hofmannsthal von George empfing, ist die seelische substanz selbst, die ihn aus dem geschmackvollsten und reifsten epigonen Goethes – der war er noch in Gestern – zum ersten dichterischen Verbreiter des neuen geistes machte. Nicht gleichzeitig mit Georges ersten konzeptionen ist Der Tod des Tizian, Der Thor und der Tod und die grosse Lyrik Hofmannsthals geworden, sondern eingestandnermassen durch sie entzündet. Hofmannsthals klangliche süsse darf man freilich bei dem nicht suchen der nur »ein dröhnen der heiligen stimme« ist, auch nicht jene holde gewohnheit und gewandtheit des umbildens oder vielgestaltigkeit der gattungen (dabei muss man nicht einmal so [35] flach wie Borchardt es tut die vielseitigkeit einer kunstübung mit fülle des gehalts verwechseln). Amt, herkunft, anspruch beider dichter ist zu verschieden, als dass man ihre einzelleistungen gegeneinander abwägen könnte: aber als gesamterscheinungen stehen sie am eingang eines geistigen zeitalters wie zwei standbilder, daran eine ganze generation über ihren weg sich orientieren kann. Darum ist der vergleich nicht literarisch, aber sittlich notwendig und fruchtbar, ein vergleich der nicht einen am andern abmisst, sondern gestalt der gestalt rund gegenüberstellt.

Stefan George wurzelt bis in die mitte der schaffenden erde hinab, unerbittlich gebunden an die eine notwendigkeit, unfähig auch nur ein wort zu formen das ihm nicht von der tiefsten seelennot erzwungen, von dem innersten glauben geheiligt ward. Unbarmherzig fordernd von sich selbst, ringt er mit seinem Gott, mit seinem stoff und seinem Ich, unnachgiebig im kleinen wie im grossen, mit eiserner sachlichkeit und treue der titanischen arbeit hingegeben, eine entseelte welt durch gebild, nicht durch rede, zu begeisten, eine missbrauchte sprache wieder mit dem grossen hauch zu füllen, mit dem odem der Ewigen. Verwachsen mit dem boden und allem was zeugt, entreisst er den stoff zu seinem denkbild nur dem ungeformten leben selbst und bewältigt ihn in unablässigem kampf, ohne seitenblicke und ohne irgendeine der erleichterungen die der ichkult und das selbstbespiegeln gewähren, aufrecht gehalten nur durch die prophetische kraft, das gefühl der sendung und das wissen um die wirklichkeit seiner gesichte, genährt von den elementen, gestärkt durch den streit mit mensch und tier und erde, erschüttert und beschwichtigt durch die zart und tief mitschwingende, klaglos feste und weise menschlichkeit, belohnt durch das werk selbst, den sieg seiner gläubig umbildenden gewalt über aufruhr und wirrsal – das machtgefühl von der formung eines verses bis zu der einer neuen jugend. So steht er im schicksal und durchdringt, befruchtet und formt konzentrisch schicht um schicht seiner erde, von jahr zu jahr deutlicher ein finder und führer.

Ihm gegenüber Hofmannsthal: herr über die mittel und möglichkeiten, aber an keine gebunden, unverantwortlich schaltend mit [36] den gelockerten und ausgebreiteten gütern der zonen und zeiten, seelen und kulturen, ein beflügelter Merkur botenlaufend zwischen Himmel, Erde und Hölle – und nirgends daheim, mit glücklichen organen alles herausfühlend was durch ihn schön und schöner werden kann und ihn selber verschöne, »nichts für sich in der natur unternehmend, sondern sich in allen stücken nur auf bereits vorhandenes einlassend«. So erklärt Goethe »das würzhafte gewisser stauden, die zu den parasiten gehören, aus der steigerung der säfte, da sie nicht nach dem gewöhnlichen lauf mit einem roh irdischen, sondern mit einem bereits gebildeten ihren anfang machen«. Niemals festgelegt, stets bereit zur wahl, zu »mischung und entmischung«, Proteus der bildung, geschickt sich in alles zu verwandeln, ohne irgend etwas unentrinnbar zu sein, von jedem zu nehmen, ohne ihm schuldig zu werden, jedem zu geben, ohne zu opfern, sich allem und alles sich zuzueignen, an jede bezauberung glaubend und jeder entzauberung gewiss, macht er aus jeder augenblicklichen not eine dauernde tugend, saugt wurzellos aus allem nahrung, jeder schönheit und süsse bedürftig und in der sehnsucht ihrer spiegelung fähig, im schwelgen nur von der einen angst geplagt dass irgend etwas ihm entgehen könnte, irgendein reiz ihn nicht träfe, irgendein besitz einem andren zufalle, irgendein wissen ihm verborgen bleibe. Darum pocht er an allen pforten, lauert an allen höhlen, zittert jedem schauer nach und flüchtet kainhaft unter dem fluch des horror vacui, und lechzt die ganze aussenwelt zu sich heran, begierig nach immer andren stoffen, kleidern, leibern, betäubungen, entzückungen, um nur nicht allein sein zu müssen mit dem Ich oder zu entdecken dass da kein Ich ist. In immer glühenderen metaphern, gequälteren fragen, trostloseren antworten wandelt er von Gestern bis zum Ödipus dies eine problem ab: wie werde ich ein All, wenn ich kein Ich bin? »Wir besitzen unser Selbst nicht, von aussen weht es uns an«, »Unser Selbst ist eine metapher«, »Wir sind nicht mehr als ein taubenschlag«, »Charaktere im drama sind nichts als kontrapunktische notwendigkeiten«, »Meine menschen sind nichts als das lackmuspapier, das rot oder blau reagiert«. Das ist sein weltgefühl, dass der mensch nur ein schnittpunkt von lebenslinien, nichts an sich [37] ist. Von der dumpfen wonne dass alles uns durchschreitet und von der noch dumpferen trauer dass nichts unser ist, ja dass wir nichts sind, es sei denn ein wesenloser knäuel von beziehungen, sind all seine sätze und sänge voll, dies ist sein ethos: ihm entnimmt er seine trunkensten ausweitungen, seine höchstgreifenden gesichte, aus ihm kommt die hoffnungslose lähme, die nicht tun nur dulden kann, die empfänglichkeit, die nicht gebären kann, die betäubung, die bis ins ruchlose des zynismus führt, weil es keine werte gibt wo es kein Ich gibt, die sorglosigkeit sich allem preiszugeben, weil kein Ich dabei zerstört oder verloren werden kann, die stete angst den sinn und die fülle des daseins zu versäumen. So hat er, ohne eine not und richte in sich selbst, sich mehr und mehr der nächsten bezauberung dargeboten, mit den jahren weiter abgerückt von der mitte, durch erfolge selbst verlockt, sich mit immer zufälligerem und nichtigerem begattet, zersezt und erschöpft, die missbrauchten organe des dichtens bis zum krampf aufgepeitscht, bis zum taumel betäubt. Umsonst sucht er jezt das leben von aussen hereinzuleiten das von innen nimmer quellen will. Die zeit seines ἱερὸς γάμος, der morgenschauer einer frisch erschlossnen welt, der selige beginnerblick auf eine unverbrauchte erbschaft ist vorüber für ihn, und er erkennt selbst schmerzlich dass »schnellsein nicht zum laufen hilft«.

So sieht es mit der konkreten erfüllung aus mit der Borchardt George zurechtweisen will. Übrigens wird er wohl jezt selbst nicht mehr frivol genug sein, den heutigen Hofmannsthal der dialekt-komödien und operetten-texte der deutschen jugend als meister und vorbild zu preisen. Bei seinen eignen ansprachen, die er im namen des lebens (in dem abschnitt über Georges Werk und Theorie und »das Chimärische seiner Denkart«) an George macht und die eine kritik seines werks und wirkens sein möchten, brauchen wir uns um so weniger aufzuhalten als sie auf den abstraktionen eines unproduktiven, historisch belasteten menschen beruhen, dem schlechterdings unmöglich ist, menschliche haltung, naives werden, unbefangnen ausdruck von gesinnung und zustand auch nur dem wortsinn nach zu verstehn. In den einfach kargen, heute bereits (wie sie werden wollten) selbstverständlichen sätzen der Blätter für die Kunst, [38] die Georges werk begleiten und umlagern als eine dünnere sphäre, wittert er dekrete und ausgeklügeltes planen »durch theorie die einheit des daseins zu erzwingen!« Nur der anmaassung eines gehirn-fanatikers konnte überhaupt der gedanke kommen, durch lehrsätze sei geschichte zu machen, nie einem dichter. Jene merksprüche stellen einfach fest was ist, einen zustand, eine erfahrung, eine gesinnung. Sie ruhen genau so in sich wie die gedichte, nur freilich nicht vieldeutig, sondern eindeutig, und heben sich dadurch ab von der geforderten wie von der bestehenden umwelt . . sie sind gewiss das unchimärischste was sich denken lässt, von einem beinah staatsmännischen blick in die versteckspiele des zeitgeists mit sich selber, voll gesunden menschenverstands und guter laune. Das chimärische liegt wohl auch hier nicht in den arglosen und nützlichen windmühlen, sondern in dem armen ritter der sie für phantastische ungeheuer hält.

Doch wo Borchardt sich mit wirklichem einlässt, über gesinnung und rede hinaus mit dingen, selbst kleinsten, wird er unwissend und unwahr. Aber auch wo er mit scheinbarem fug sachen vorbringt, muss man sich hüten vor seinen oft geistreichen zergliederungen: denn es ist ebenso leicht als leer, mit einiger beredtheit jedes gebild, selbst Shakespeare-reden und Dante-terzinen in philologische einzelheiten zu zerpflücken. Um überhaupt zu sehen, braucht er antithesen und so konfrontiert er Georges werk und theorie, unsinnig genug gerade bei George, der nie eine theorie gekannt hat, sondern nur eine praxis und deren erfahrungen. So hält Borchardt auch immer noch den kreis der Blätter für die Kunst für einen listig und frevelhaft zusammengezwungenen geheimbund zum zweck der unterdrückung von individualitäten: er war nie etwas andres als die von menschen getragene oder in menschen gebrochene ausstrahlung von Georges weltgefühl, die er so wenig hindern als hervorrufen konnte: der kreis ist seine aura, und keins der mitglieder hat oder braucht den armen ehrgeiz, krampfhaft und bewusst eine »persönlichkeit« zu sein, da ihr sinn ist, luft und element zu bilden. Borchardt kann aber gemachtes von gewachsnem nirgends unterscheiden, und ficht gegen ein selbstersonnenes zerrbild, wenn er mit dem atem der entrüstung [39] Georges gewollte Organisation, gedachte theorie und absicht künstlich kultur zu schaffen befehdet. Gedacht, gewollt, an den haaren herbeigezogen sind Borchardts mahnungen. Bei George ist alles gewachsen und gemusst, nötiger ausdruck einer freilich mächtigen und herrischen seele, doch auch einer die vor dem leben demütig anbetet und jedes echte, fruchtbare, schwellende stumm und zärtlich umbildend in ihre sphäre zieht. Aber freilich hat in dieser sphäre weder das scheinhafte noch das eigensüchtige, weder das schmierige noch das dürre, weder das ärmliche noch das geblähte, weder das geschwätzige noch das versponnene, weder das betriebsam hurtige noch das gedunsen pathetische, nichts spielerisches und nichts anmassendes platz, und der unerbittlich geschärfte sinn mit dem George all diese auch-wirklichkeiten selbst hinter ihren lockendsten masken erkennt und abweist: das ist was man seine »weltflucht«, was Borchardt sein chimärisches nennt! Das ist sein »relatives!« Sein positives, seine gestalt, seinen willen und seine kräfte, sein werk und sein wirken von innen her zu begreifen und darzustellen, mit der ruhe und ferne des betrachters und doch mehr als bloss »einfühlender« stärke des mitlebens: das ist Friedrich Wolters gelungen in seinem »Herrschaft und Dienst«. Dies buch ist weit mehr als eine monographie und hätte auch unabhängig von seinem gegenstand seinen wert durch kraft und fülle der ideen, durch tiefe und helle und durch seinen Stil. Seine sonore, geschmeidige, anschauliche, durchleuchtende sprache bedeutet eine neue form des gehobenen sagens. Sie ist gleich entfernt vom fachlichen und rednerischen wie vom poetischen und salbungsvollen und trägt die elemente einer vieltältigen bildung und erfahrung, in einem glühenden erlebnis völlig umgeschmolzen, ohne stockung und wirbel mit gelassener und sichrer flut dahin, jeder buchtung des gegenstands nachgebend und im nachgeben selbst trieb und wille. Wolters, vor die neue aufgabe gestellt aus der dichtung heraus, nicht über sie zu reden, musste sich seine ausdrucksmittel erst an dem einmaligen erlebnis ausbilden, während der philosophische und der philologische betrachter die von ihren gattungen her mitgebrachten organe steigerten, Klages eine magisch metaphysische Symbolik, Borchardt eine sprachwissenschaftliche [40] rhetorik. Gegen die manchmal barbarische wucht und ballung der Klages'schen diktion, wie gegen die gespannte beredtheit Borchardts mit den seitenblicken, dem oft kindlichen seminarprunk und der gestelzten fremdwörterei ist Wolters' sprache gleich urban, anmutig und beherrscht: er hat vor Klages ebenmaass und leichtigkeit, vor Borchardt fülle und anschauung voraus, wie er den ersten an historischer bildung, den zweiten an philosophischem blick übertrifft. In jedem satz spürt man die völlige zulänglichkeit des verfassers, die kultur und schulung des geistes, das gewissenhafte, erfolgreiche ringen mit den sachlichkeiten worauf die wissenschaft beruht, und die freiheit gegenüber mitteln und massen, die das siegel der humanität ist. Aber um dies werk zu schreiben, einen neuen typus der geistigen betrachtung zu schaffen, bedurfte es mehr. Wolters hat das flutende geheimleben einer generation in seiner mitte gefasst und von da bis zu den zartesten, schon verschwebenden umrissen seiner verkörperung, bis in die atmosphäre hinaus nachgelebt und dies erlebnis nachher, im abstand der erinnrung, rund und abgeschlossen, mit seinem beginnlichen schauer vergegenwärtigt. Er spricht über den dichter mit dem fast berichtmässig ruhigen ton in dem man eine erfahrung mitteilt, der ton etwa mit dem Meister Eckhart seine erkenntnis vorträgt, sachlich und selig wie einer wiedergibt was er allein gesehn hat. Doch erzählt nicht ein Ich von seiner subjektivität, vielmehr das erlebnis selbst – ein drittes gezeugt aus Ich und gegenstand – entwickelt und gestaltet sich leibhaft. Der gegenstand selbst ist nicht als gegebnes beschrieben, sondern er wird vor uns. Dies ist das neue in der betrachtung eines dichters (denn die sogenannte historische entwickelung ist nur ein sukzessives aufreihen gegebner einzelheiten) wiewohl es zum wesen grosser denker von Platon bis Bergson gehört, derart ihren gott oder ihre welt vor uns entstehen zu lassen. Am anfang, der immer der mittelpunkt ist, da das schaffen sphärisch, nicht lineal vor sich geht, steht ein erlebnis mystischer art. (Nicht die art des erlebnisses, sondern die art seiner umformung macht den unterschied zwischen künstler und mystiker, zwischen sinnbildlichem und mystischem betrachten.) Bei Wolters fallen erlebnis, gegenstand, sinnbild zusammen, substanz des [41] gegenstands und substanz seines eignen geistes sind vereinigt, ja das betrachtete, der akt des betrachtens und der betrachter sind eine einheit . . durch das schauen entsteht nicht nur das bild, sondern das bild ist das schauen: wie ja schon die sprache tiefsinnig durch das eine wort »betrachtung« zugleich einen akt, einen zustand, und ein ergebnis bezeichnet. Drum sind hier stil, stoff, und inhalt nicht zufällig. Kein andrer dichter hätte gleiche gedanken entwickeln lassen: Wolters' schrift ist nicht rede über etwas, es ist dies rede-gewordne Etwas selbst, aber nicht mehr in sich ruhend als seiendes, sondern eingegangen in ein erlebnis.

Hier waltet ein ähnliches verhältnis wie das des lyrikers zu seinem erlebnis: man würde das buch eine dichtung über George nennen können, wenn seine mittel nicht gedanklich wären, und man würde es den mystischen schriften einreihen, wenn es sich nicht um eine bestimmte gestalt handelte. Gegen beide arten geistiger mitteilung grenzt es sich etwa ab wie Platons Apologie: eine gestalt als erlebnis, ein erlebnis als gestalt gefasst und beides dadurch ins überpersönliche erhoben: auf der obersten stufe dieser seh- und formungsart steht der mythus.

Schon der titel hebt Wolters' werk von aller literatur und ästhetik weg und zeigt dass es ihm nicht auf beschreibung eines individuums, auf erörterung eines problems ankommt, sondern auf die darstellung eines universalen menschlichen verhaltens und gehalts: Der dichter ist ihm ein wahres symbol, ein geistiges, ganz körper geworden, das ein werk in und mit seinem wirken, und ein kosmisches gesetz des wirkens in und mit dem werk ausdrückt. Wie sehr das schaffen nicht ein ästhetisches problem, sondern ein kosmisches ist, wie sehr alle scheidungen des verstandes nur behelfe sind, lässt Wolters' schrift uns deutlich begreifen. Er dringt bis zu den wurzeln, vor seinem durch viel-wissenschaft geschärften, nicht verwirrten blick verschwinden die schubfächer, nur die einfachsten grundformen des menschlichen bleiben, das zugleich das bild des kosmischen ist. Formen hören auf, gefässe und schachteln zu sein, sie sind energien die in verschiedenen richtungen das leben durchströmen und durchstrahlen und, indem sie die materie treffen, brechen und wirken, für uns leib gewinnen. [42] Für diesen blick wird alles leib, tat und gebärde, er scheidet nicht mehr künstlerisches, staatliches und sittliches tun, sondern sieht alles menschliche nur symbolisch und begreift warum es dem genius gleichgültig ist »ob er teller macht oder töpfe«. Darum fasst Wolters George nicht unter der engeren, schon abgeleiteten form des dichters, sondern als herrscher: denn das ist eine grundform. So erklärt er ihn, typischer, aus urbedingtheiten und misst ihn, umfassender, an urphänomenen. Und das ist auch ein individueller gewinn: denn alles was George sinnt und singt, ist tat und geschieht um der tat willen, mehr als vielleicht je bei einem deutschen dichter: er grenzt überall mehr an den aktiven geist als an den kontemplativen. Vielleicht hat erst Georges spezifische gestalt und haltung jene grosse und schlichte konzeption ermöglicht womit Wolters schauen und tun in eins zusammengreift, scheinbar getrennte geistersphären in eine kugel fasst und durch ein sinnbild ausdrückt, das zugleich das einfachste an sich, das unerschöpflichste an bezügen und das bezeichnendste im besondren fall ist. Schon allein aus der grundkonzeption ergibt sich hier jene seltene körperhaftigkeit, die ohne bruch und zwang von einem herzen aus bis in die feinsten nerven vordringt und alles mit dem gleichen spezifischen leben beseelt. Georges gott, gestalt, werk, wirkung ist wie eine erde behandelt, und derselbe sinn der ihre bewegung im weltraum bestimmt, ihre geographie und geschichte schreibt, spürt noch das wesen ihrer feinsten gewächse. Auch dies hat Wolters' werk, wie sehr immer erkenntnis, mit einem kunstwerk gemein: dass seine sätze noch nicht sein inhalt sind und dass es da wo er in bildern redet wie alles urdenken, nicht gleichnishaft, sondern erst recht wesenhaft ist. Wenn er George unter dem bild des herrschers darstellt, sein werk unter dem eines reiches, seine wirkung unter dem des dienstes, so sind dies nicht tropen eines phantasievollen kopfs, sondern gerade der aus tiefem gefühl kommende ausdruck des wirklichen. Immer packt seine anschauung den kern, und keine analytische definition trifft den schöpferischen prozess, das werden eines neuen ideals oder stils so nah, wahr und nackt wie seine bilder. Nicht zur verteidigung seiner redeweise, sondern als sachliche feststellung des tatbestands schreibt Wolters den [43] satz: »Wir reden nicht im bilde, wenn wir vom herrscher, doch reden wir im bilde, wenn wir vom menschen sprechen.« Ja, George ist das gleichnis und nicht der herrscher: nicht dass George mit einem herrscher verglichen wird, sondern dass sein individuelles wesen eine solche seinsform vergegenwärtigt, ist sein ruhm, dass seine seele so gross ist, seine werke tief genug hinab- und hoch genug hinaufreichen, um zum herzen und hirn der welt selbst zu führen, dass seine trauer, seine not, seine erlösung makrokosmische werden: und hier ist Wolters' blosse anschauung schon gewähr eines wissens. Wird man in des dichters schwermut immer noch die gewöhnliche melancholie eines beschaulichen gemüts, missmut und empfindsamkeit eines unerfüllten sehen, nachdem ein wahrhaft metaphysischer blick im Jahr der Seele den grund jenes weltschmerzes aufdeckt, der nicht schmerz über die welt, sondern schmerz der welt selber ist? »Es ist die spiegelschau des göttlichen weltleidens in der seele des dichters: das aus dem urquell bewegte fällt durch die kreise des lebens wieder zum urquell zurück, sein ziel ist die ruhe, aber sein weg die ungeheuerste bewegung und ihr schauplatz jede im körper eingeformte seele, deren sehnsucht zwischen leidenschaft und seligem erfülltsein wild geschüttelt wird und die sich nur erlösen kann, indem sie dem drange des ganzen folgt und im werk eine neue in sich vollendete einheit von ruhe und bewegung schafft. Darum ist das kunstwerk ein bild, mehr noch ein gebild des göttlichen geschehens und von hier aus beginnen »wir zu ahnen, warum die schwermut eines tanzes uns tiefer zu ergreifen vermag als jede noch so hell übersprudelnde fröhlichkeit, warum die tragödie aus dunkleren räumen zu uns spricht als die vollkommenste komödie. Denn sie sind nie die beruhte seligkeit, sondern ein kampfplatz auf dem sie unterliegen muss und wir dienen nur nach der minderen oder grösseren schwere unsres eignen unterganges dem ewigen ziele. So begreifen wir dass der bewegte rhythmus der Traurigen Tänze kein zufälliges, sondern die lezte mögliche steigerung der traurigkeit bedeutet: da der schmerz in der seele des dichters kein duldender zustand wird, sondern im werk sein eigenes fortlebendes widerspiel erschafft, zuckt er im körper [44] des gedichtes als leidenschaftliche erregung fort, kämpft mit dem zwingenden gesetz der form um das ruhende gleichgewicht, und leid und lust des herzens schwingen so in ihrer engen selbstgeformten kugel gleichlaufend mit den ewigen gegenpolen des kreisenden Alls. Was tief ruhen will muss im tanzschritt gehen! Keine klage gilt den edlen vor diesem innersten gebot: denn keine entsagung, kein verzicht, kein tod vermag sie aus dem ring des seins zu retten, und die begierde zu beharren, die lust sich in das wesenlose zu verlieren ist immer nur die erste und die lezte, die plumpste und die listigste verführung durch den geist der schwere, die erlösung der welt durch die erfüllung einer ihrer gegensätze vorzutäuschen, seine offenste und heimlichste versuchung, die befreiung jeder seele durch die stets erneuerte tat zu verhindern.« Wird man immer noch flach genug sein in Georges gehobenheit hochmut und eigenbrötlerische selbstbespiegelung zu finden oder wird man die wirklichkeit von Wolters' sätzen über das Vorspiel nachleben: »wessen herz noch nicht ganz vom gift einer kranken zeit zernagt ist, muss fühlen, dass hier eine menschensehnsucht grosse ziele sezt, die selbst schon in ringender mühsal über tausend ziele ging, dass eine werksicherheit vom göttlichen zwange des schaffens spricht, die selbst am gram der tiefsten zweifel litt, dass hier ein heimatstolz die marken seiner herrschaft zieht, der in den geistigen reichen am tiefsten heimweh litt, dass hier ein urteil über sünde und sitte, schön und unschön, würde und unwürde richtet, das seine maasse aus der unbedingtheit eines grossen lebens zieht und seinen anspruch aus dem wahrsten rechte, der einzigkeit einer hohen seele nimmt, die über jeder wertung ihrer zeit erhaben, dem markte fern, den edelsten ein führer, sich selbst nur an den höchsten meistern misst und die untragbare not der erkannten einsamkeit nur dadurch lindert dass sie ihr Selbst im Ewigen, ihr Göttliches, den Engel sucht«.

Viel gerede das um Georges schweigsame gestalt herum rauchte, muss verwehen, sobald der stumme im gebild verhaftete inhalt des werks stimme bekommt und in die ebene des gedanklichen hinaustritt. Das ist durch Herrschaft und Dienst das erstemal geschehen. Jezt spricht der sinn der dichtungen selbst und man [45] kann ihn jezt wohl noch bekämpfen und ablehnen, aber weder ableugnen noch missdeuten. In dem augenblick da Georges werk als verlautbarter wille unter die menschen tritt, scheidet es spreu und weizen. Solang es gestalt blieb, beruhte es in sich und nur um es her war kampf der gedanken: nun kämpft es selber und schneidet quer durch das gewoge der meinungen: denn es ist selbst als gedanke noch tat, selbst als ansicht noch wille, selbst als einsicht noch forderung. Deshalb redet Wolters nicht nur vom Reich und Herrscher, sondern auch vom Dienst: das ist die ausstrahlung, die wirkung, die ergänzung der herrschaft, ihre atmosphäre: herrschaft und dienst sind ein »wechselatem in der einheit«. Aus den schöpferischen kräften des herrschers selbst entwickelt Wolters auch das verhältnis von herr und diener, meister und jünger, das abermals eine kosmische, nicht eine bloss gesellschaftliche grundform darstellt. Auch hier ist das menschliche verhältnis nur sinnbild des göttlichen vorgangs: der einung der seele mit Gott. »Die einheit ist der stumme grund und weil das wort die vermittlung ist, kann es nur vom gegensatz zum gegensatze sprechen und vermag daher vom wege den die seele zur erfüllung geht, von der folge die in der einmal ergriffenen wirkt zu sagen, aber muss das wesen des erfülltseins als das undurchdringliche geheimnis jeder schauung, zeugung und schöpfung unberührt und unaussprechlich lassen. Darum ist alle offenbarung nicht die lehre vom geheimnis, sondern die lehre von der wegbereitung, die ein im höchsten erlebnis verwandeltes herz aus seiner immerwährenden liebe schöpft, um alles mit-menschliche das es als teil seines und des ewigen daseins fühlt, in das glück des heiligen stromes mitzureissen und alles Draussen zu einem glühenden Drinnen zu machen. Darum ist der dienst Gottes kein ergebnis noch so wichtiger oder grosser mitteilungen aus dem schatze der geschichte, der dogmatik oder andrer geheimschränke der Kirchen und Kasten, sondern der ausfluss eines zustandes in dem wir uns mit Gott in einer unbedingten einheit fühlen.«

Es handelt sich beim dienst also nicht um die willkür äusserer organisation: er ist ein seelisches geschehen wie das schaffen [46] selbst: Nicht freiheit und gleichheit ist sein gegensatz, obwohl man wissen muss was freiheit und gleichheit für einen sinn und wert bekommen haben, um den sinn und die forderung des dienstes zu begreifen. »Nachdem der einstmalige kampf um die freiheit der person, das hiess um das recht der politischen selbst- oder mitbestimmung, um die gleichheit der personen, das hiess vor einem anerkannten gemeinschaftszwange, dem gesetz, seine bedeutung verloren hatte, erweiterte ein teil der gesellschaft den begriff der gleichheit auf alle lebensrechte, ja bis zur narrheit einer gleichheit aller geister, übertrieb der andere teil den begriff der freiheit bis zur verneinung jeder seelischen ergebung, bis zur verleugnung jedes geistigen herrscherrechtes, zerrissen beide – der eine in einer scheinbaren liebe, der andre in einem falschen stolze, die adern des menschheitskörpers, die zwischen wirken und werden, zwischen bilden und geniessen, zwischen herrschen und dienen die lebendigen säfte auf- und niederleiten, so sehr, dass sich himmel und erde zu einem wohlgerundeten, auch dem kleinsten überschaulichen, dem bequemsten beschaulichen offenen teller verflachten, auf dem sie alle die gleichheit der würdelosen gebärde und die freiheit der ziellosen verneinung erlangten. Wenn sie sich ›objektive‹ nannten, maassen sie ihre werte an jedem ding das härter als ihre quallige masse war und sie durchdrang, wenn sie sich ›einzige‹ nannten, maassen sie ihre werte nur am seichten stand ihrer abgeschnürten gefässe, verliessen die sonne, verkrochen sich in das gehäuse ihrer eigenwärme und merkten nicht dass sie langsam verschrumpften.«

Das gleiche prinzip das den herrscher zur mitte einer lebenskugel macht, der trieb zur einheit, der dem trieb zur mannichfaltigkeit ewig die wage hält, planeten kreisen lässt und in bahnen bannt, einen lichtkern in millionen formen, bildern, strahlen bricht, der gleiche trieb bezieht im geistigen reich herrschende und dienende aufeinander, damit aus der einheit eine ganzheit werde« Vergebens hat Nietzsche der zentrifugalen zerbröckelung – der tiefsten not des Zeitalters – abhelfen, die ganzheit herstellen wollen, indem er den grossen Einzelnen zum selbstgenugsamen Sinnbild und inhalt des daseins machte: »er brach den einzelnen völlig aus seinem mütterlichen boden [47] los, stellte ihn auf den weg in eine zukunft, die kein liebendes Auf-und-nieder zwischen geben und nehmen mehr kannte . .« George hat sich und andre vom fluch der vereinzelung befreit, indem er mitte suchte und mitte ward: dem gefühlten gesetz sich unterwerfend, ging er nicht auf sein Ich aus, er gab es hin und liess es ganz durchdringen von seinem gotte. Wie seine werke zyklisch geordnet sind um eine göttliche mitte, so bildet sein wirken, soweit es reicht, geistige sphären und scheidet wie im sprachstoff, so im menschenstoff spreu und weizen. Was in den kreis seiner tönenden macht tritt, worte oder menschen, ordnet sich unter den klängen zu figuren: das ist der sinn des Orpheus, des Amphion: die umformende durchdringung einer gegenwelt mit der eignen musik. Dem zentrifugalen wirbel der zeit sezt George einen willen entgegen der die zerfahrenden kräfte zur einheit binden will, worin das All beschlossen ist, »der leib vergottet und der gott verleibt«. Dieser wille waltet in einer stufenfolge von durchdringungen, in graden des dienstes von der ehrfurcht bis zum opfer, von der hingabe bis zur einung. »Der Herrscher umgreift die weitesten forderungen des dienstes und weil er sie selbst in einer schrankenlosen hingabe erfüllt, fordert er sie seiner natur nach von allem was in den bann seines reiches tritt, als notwendigen ausgleich der ihm verliehenen mächte, ja gleichsam als den raum für den kreislauf seiner strömenden gewalten. Denn die selbsthingabe ist kein verlust der eigenkräfte, wie die schwachen toren glauben machen wollen, sondern das notwendige öffnen der empfänglichen kraft der seele, das berührtwerden der innersten keimzelle und das erlöstwerden aus dem toten kerker der kleinsten geistigen unteilbarkeit, des individuum infecundum. Nur das rückhaltlose opfer des eigenen wesens an die höhere wesenheit macht frei, nur die reinste aufnahme der Herrschaft weckt das gebundene.«

Zur erlangung dieser freiheit bedarf es freilich andrer Wesensart als diese zeit vom einzelnen fordert: ihr ideal ist der hurtige, durch nichts inneres gebundne, dessen geleis am weitesten nach aussen führt, der den egoismus des hirns mit dem altruismus der maschine vereint. Keine nebendinge sollen darüber wegtäuschen, dass krieg sein muss zwischen wesenhaftem und [48] scheinhaftem, dass jedes wesen mit fremdem ringen muss, bis im gegeneinanderwirken der sphären eins von beiden vernichtet oder verwandelt ist. Kein bündnis ist möglich zwischen der eigensucht der betriebsamen und bequemen und dem strengen willen zum leben im ganzen durch herrschaft und dienst. Den halben die gern mitgenössen von der neuen schönheit, ohne doch der reize und krönen des Heute verlustig zu gehn und die kleinen eitelkeiten zu opfern, lässt sichs nicht nachdrücklich genug sagen: man kann nicht zwei herrn zugleich dienen, nämlich einem und keinem, und sie mögen jener öden vorhölle gedenken, wo es heisst: non ragioniam di lor. Das bekenntnis zu George ist nicht das bekenntnis zu einer person: er hat keine eitelkeit und sucht keinen ruhm, geschweige erfolg, aber freilich die macht, mensch und erde nach dem bilde seines gottes zu formen. Diese macht übt er aus, indem er den sprachleib des kommenden geistes schafft und die seelen bildet für den kommenden glauben. Er weiss dass die erneuung nur aus dem fernsten kommt, dass aus dem gift der zeit selbst nur linderung und fristung, aber keine umschaffung zu ziehen ist. Nur ein morgendlicher blick, ein neuer zauber, ein blitz plötzlicher zuversicht, der aus der zusammengehaltnen seele bricht, kann die unrast bannen, die götter rufen, die menschen verwandeln. Den Deutschen die überhaupt einen dichter noch erleben können dämmert mit George die ahnung eines neuen tages und die lösung einer alten not.