BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Rudolf Diesel

1858 - 1913

 

Solidarismus:

Natürliche wirtschaftliche

Erlösung des Menschen

 

Zweites Buch.

Die solidaristischen Verträge

 

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II. Volksvertrag.

 

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1. Teil.

Grundlage und Zweck des Volksvertrags.

 

§ 1. Grundlagen.

Auf der Grundlage des Solidarismus wird gegenwärtiger Vertrag unter denjenigen Personen, welche demselben freiwillig beitreten, geschlossen.

Diese Personen werden im einzelnen je nach ihrem Geschlecht Bruder oder Schwester, in ihrer Gesamtheit aber ohne Unterscheidung Brüder genannt. Die Dauer dieses Vertrags ist nicht beschränkt.

 

§ 2. Zweck.

Die Brüder errichten unter sich die Deutsche Volkskasse, deren Tätigkeitsgebiet das Deutsche Reich und deren Sitz X ist.

Dieselbe ist eine der behördlichen Aufsicht unterstellte Sparkasse, welche unter Ausschluß der Erzielung eines Gewinns folgenden gemeinnützigen Zwecken dient:

1. Unter ihren Brüdern die Errichtung von Bienenstöcken zu veranlassen, zu unterstützen und zu fördern und möglichst zahlreiche Brüder zu Bienen, d. h. zu Mitgliedern von Bienenstöcken, zu machen.

Bienenstöcke sind Betriebe, welche unter Ausschluß der Erzielung eines Gewinns folgende Zwecke haben:

a. Ihre gesamten Erträgnisse den Bienen als Gegenwert ihrer Arbeit auszuzahlen und durch richtige Organisation der

Arbeit und der Güterverteilung die Einnahmen der Bienen zu erhöhen, deren Ausgaben zu vermindern und ihre

materiellen Bedürfnisse vollständig und in möglichst vollkommener Weise zu befriedigen.

b. Durch soziale Einrichtungen auch für die Befriedigung der körperlichen, geistigen und sittlichen Bedürfnisse der

Bienen und ihrer [88]Angehörigen, wozu auch ein ausreichendes Maß von Lebensannehmlichkeit gehört, möglichst

vollständig zu sorgen.

c. Durch vorsorgliche Maßnahmen die Bienen und ihre Angehörigen von der Geburt bis zum Tode vor den Folgen der

natürlichen Ungleichheiten (Gesundheit, physische und geistige Fähigkeiten, Lebensdauer) und sozialen

Schädlichkeiten (Unfälle, Arbeitslosigkeit) zu schützen.

d. Nicht zum Bienenstock gehörende Brüder in möglichst großem Umfang in den Mitgenuß der aufgezählten Vorteile

zu setzen.

2. Unter allen Umständen für das Kapital und den Zins der Anleihen zu haften, welche die Bienenstöcke mit Ermächtigung der Volkskasse aufnehmen.

3. Für die, zwischen den Bienenstöcken und ihren Bienen vereinbarten Normaleinkommen sowie für die Krankheits- und Unfallszuschüsse, zu welchen auch die Anteile für Invalidität infolge von Unfällen im Dienste rechnen, unter allen Umständen, ausgenommen bei Arbeits-Einstellungen infolge von Kriegen, Revolutionen und Streiken, zu haften, auch wenn die Erträgnisse des betreffenden Bienenstocks hierzu nicht ausreichen.

4. Die Auslagen der Bienenstöcke für die den Bienen vom vollendeten 65. Lebensjahre (Seniorenalter) an ausbezahlten Seniorenanteile sowie für Invaliden-, Witwen- und Waisenanteile und für die Erziehung von Doppelwaisen zu ersetzen und zwar aus einem für alle Bienenstöcke gemeinsamen Anteilfonds, welcher aus den Erträgnissen der Bienenstöcke erhalten wird.

5. Denjenigen Brüdern, welche noch nicht Bienen sind, folgende Rechte zu verleihen, soweit die Verhältnisse es jeweils gestatten:

a. in den Bienenstöcken Bienen zu werden;

b. von den Bienenstöcken Waren und Leistungen zu Bienenpreisen zu erhalten.

Bienenpreis einer Ware ist derjenige Preis, welcher entsteht aus der Verteilung der gesamten Betriebskosten des

Bienenstocks auf die Arbeitsprodukte desselben, also der wirkliche Selbstkostenpreis.

c. Lieferungen und Arbeiten für Bienenstöcke auszuführen;

d. überhaupt alle Rechte und Vorteile, welche durch das Bestehen des Volksvertrags und der Bienenstöcke vorhanden

sind oder sein werden.

6. Gelder und Ersparnisse der Brüder und Bienenstöcke in einem besonderen Sparkassenfonds zu verwalten und denselben den vollen, abzüglich der Spesen sich daraus ergebenden Zinsertrag auszuzahlen.

7. Etwaige über ihre Verpflichtungen hinausgehende Kapitalien zu sonstigen gemeinnützigen Zwecken für die Brüder und Bienenstöcke, zur Hebung ihrer wirtschaftlichen Wohlfahrt und Unabhängigkeit und zur Pflege der Künste und Wissenschaften zugunsten der Allgemeinheit zu verwenden. [89]

 

 

2. Teil.

Finanzen der Volkskasse.

 

§ 3. Vermögen der Volkskasse.

Dasselbe besteht aus:

a. dem Stammfonds;

b. dem Anteilfonds;

c. dem Eigentumsrecht an sämtlichen zur Errichtung gelangenden Bienenstöcken.

 

§ 4. Stammfonds.

Dessen Einnahmen bestehen aus:

a. den Beiträgen der Brüder (§ 26);

b. den für Kapitalhaftungen von den Bienenstöcken bezahlten Prämien (§ 35 b);

c. den Antragsgebühren bei Errichtung neuer Bienenstöcke (§ 32) und andern aus den geschäftlichen Abwicklungen

entstehenden Einnahmen;

d. zufälligen Einnahmen, Stiftungen u. dgl.;

e. den Erträgnissen der mit den Geldern des Stammfonds gemachten Kapitalanlagen.

Die Ausgaben des Stammfonds bestehen aus den ihn betreffenden Verwaltungskosten und aus sämtlichen für die Zwecke des § 2, mit Ausnahme von Ziffer 4 und 6, entstehenden Ausgaben, sowie aus zufälligen Verlusten.

Die Haftungsverpflichtungen der Volkskasse dürfen nur so hoch sein, daß sie durch den Stammfonds eine hinreichend gesicherte Deckung finden. Weist der Stammfonds dauernde, beträchtliche Überschüsse über den Wert solcher Verpflichtungen auf, so sollen dieselben zu solchen gemeinnützigen Zwecken verwendet werden, welche allen Brüdern zugute kommen. Entsprechend den rein wirtschaftlichen Zwecken der Volkskasse dürfen hierbei niemals gesonderte konfessionelle oder politische Interessen unterstützt werden.

 

§ 5. Anteilfonds.

Dessen Einnahmen bestehen aus den im Arbeitsvertrag der Bienenstöcke (§ 35) festgestellten Beiträgen der Bienenstöcke, aus den Erträgnissen der mit denselben gemachten Kapitalanlagen und aus solchen zufälligen Einnahmen, welche ausdrücklich diesem Fonds entstammen oder dafür bestimmt sind.

Dessen Ausgaben bestehen aus den ihn betreffenden Verwaltungskosten und aus den nach § 2 Ziff. 4 entspringenden Ausgaben für Anteile und Erziehung. [90]

Weist der Anteilfonds in einem Jahre ein Defizit auf, so werden vom darauffolgenden Jahre ab die Anteilsätze für alle Berechtigten in allen Bienenstöcken gleichmäßig prozentual herabgesetzt, so lange, bis das Defizit ausgeglichen ist.

Weist der Anteilfonds dauernde und beträchtliche Überschüsse auf, so sollen dieselben verwendet werden: in erster Linie zur langsamen, gleichmäßigen Herabsetzung des Seniorenalters (§ 2 Ziff. 4), in zweiter Linie für solche gemeinnützige Zwecke, welche allen Bienenstöcken bzw. Bienen gleichmäßig zugute kommen, jedoch niemals zur Unterstützung gesonderter konfessioneller oder politischer Interessen.

 

§ 6. Eigentumsrecht an den Bienenstöcken.

Die Volkskasse behält unter allen Umständen das Eigentumsrecht an allen zur Errichtung gelangenden Bienenstöcken; während die jeweils in demselben angestellten Bienen das Nutzungsrecht haben und zwar unter den Bedingungen eines besonderen Vertrags, welcher Arbeitsvertrag der Bienenstöcke heißt und einen integrierenden Bestandteil des Volksvertrags bildet.

 

§ 7. Sparkassenfonds.

Neben dem Fonds ihres eigenen Vermögens verwaltet die Volkskasse in einem besonderen Sparkassenfonds die ihr zu diesem Zwecke übergebenen Gelder und Ersparnisse der Brüder und Bienenstöcke. Die aus dieser Verwaltung resultierenden Erträgnisse werden den Einlegern – abzüglich der Spesen – in voller Höhe als Zinsen ausbezahlt.

Die Einleger können ihre Einlagen unter den durch besonderes Statut festgesetzten Bedingungen aus diesem Fonds entnehmen. Für die Verbindlichkeiten des Sparkassenfonds haftet die Volkskasse.

 

§ 8. Gewinne der Volkskasse.

Der Betrieb der Volkskasse geschieht nicht zum Erwerb. Das Vermögen derselben dient ausschließlich gemeinnützigen Zwecken. Die Erzielung von Gewinnen oder Überschüssen ist daher ausgeschlossen. Dagegen sollen alle Geschäftsspesen grundsätzlich nicht von der Volkskasse, sondern von denjenigen getragen werden, welche jeweils daraus Nutzen ziehen.

Es geschieht das bei den Anteil- und Sparkassenfonds dadurch, daß die aufgelaufenen Spesen dem Fonds verrechnet werden, beim Stammfonds dadurch, daß die Spesen den einzelnen verrechnet werden, wie z. B. in Form von Antragsgebühren bei Errichtung neuer Bienenstöcke (§ 32) oder in Form einer kleinen Bezahlung für jeden neuen Brüderschein (§ 28) usw.

 

§ 9. Jahresabrechnung.

Die Abschlußrechnung aller Fonds für jedes Kalenderjahr wird von der Regierungskommission geprüft und bei Richtigbefund bestätigt. Sie wird in den zu diesem Zwecke bestimmten Blättern veröffentlicht. [91]

 

 

3. Teil.

Verwaltung und Leitung der Volkskasse.

 

A. Volksrat.

 

§ 10. Bestellung des Volksrats.

Die Verwaltung der Volkskasse geschieht durch den Volksrat, welcher durch diejenigen Brüder, die das 25. Jahr vollendet haben, auf Grund einer besonderen Wahlordnung [26] aus dem Kreise der mindestens 30 Jahre alten Bienen durch allgemeine, direkte Wahlen auf je 5 Kalenderjahre gewählt wird.

Die Zahl der Volksräte beträgt einen für jede volle halbe Million Brüder, mindestens aber 9.

 

§ 11. Kompetenzen des Volksrats.

Der Volksrat ist Vertreter und Bevollmächtigter der Gesamtheit der Brüder und an keine Instruktionen gebunden. Er prüft die Legitimation seiner Mitglieder und entscheidet darüber. Er bestimmt selbst seine Geschäftsordnung.

Der Volksrat entscheidet über alle die Auslegung und Ausführung des Volksvertrags und die Verwaltung der Volkskasse betreffenden Angelegenheiten und die bestmögliche Verwertung und Anlage des Vermögens der letzteren.

Er wählt den Präsidenten und den Vizepräsidenten der Volkskasse mit absoluter Stimmenmehrheit der vertragsmäßigen Anzahl Volksräte und verpflichtet dieselben auf den Volksvertrag.

Er erwählt aus dem Kreise der Brüder und Bienen folgende Beamte der Volkskasse und bestimmt deren Einkommen, deren Geschäftsordnungen und Dienstanweisungen:

a. Die Direktoren der Volkskasse und unter diesen den vorsitzenden Direktor und dessen Stellvertreter (§ 20);

b. die Delegierten der Volkskasse (§ 23);

c. alle sonstigen Beamten, soweit er nicht dem Präsidenten der Volkskasse Vollmacht gibt, dieselben selbständig zu

ernennen.

Der Volksrat beschließt entweder aus eigener Initiative oder auf Antrag des Direktoriums oder auf Antrag der Brüder über die Errichtung von Bienenstöcken und die Ernennung von deren Vorständen.

Er prüft die Arbeitsordnungen der Bienenstöcke daraufhin, ob sie nichts den Grundsätzen des Solidarismus, dem Volksvertrag und dem Arbeitsvertrag der Bienenstöcke Zuwiderlaufendes enthalten und beschließt über deren Genehmigung.

Er hat das Recht, Beschlüsse von Bienenstöcken, welche den Grundsätzen des Solidarismus, dem Volksvertrag oder dem Arbeitsvertrag der Bienenstöcke zuwiderlaufen, aufzuheben. [92]

Der Volksrat entscheidet in Zweifelsfällen über die Höhe der Bienenpreise, d. i. der Produktionspreise, im Sinne des Solidarismus.

Der Volksrat hat das Recht einen Bienenstock aufzulösen wenn während zweier aufeinanderfolgenden Geschäftsjahre desselben die Deckungen für Fehlbeträge aus dem Stammfonds (§ 4) der Volkskasse zwei Zehntel des noch nicht zurückgezahlten Anleihekapitals überschreiten, oder wenn ein Bienenstock Bestimmungen des Volksvertrags oder des Arbeitsvertrags der Bienenstöcke nicht anerkennt, oder durch Streiks und Gewaltmittel sich Sondervorteile zu verschaffen sucht.

Der Volksrat entscheidet über Anträge, welche seine eigenen Mitglieder, der Präsident, das Direktorium, die Bienenstöcke und die Brüder an ihn richten.

Der Volksrat entscheidet in erster und letzter Instanz durch Schiedsspruch, unter Ausschluß der Gerichte, auf Antrag des einen Teils, über Differenzen der Brüder, Bienen oder Bienenstöcke mit dem Direktorium, den Delegierten oder den Beamten der Volkskasse, sowie über Differenzen der Bienenstöcke unter sich, letzteres aber erst nachdem die Angelegenheit dem Vorstandsausschuß eines unparteiischen von der Volkskasse zu ernennenden Bienenstocks zur Vermittlung vorgelegt wurde und diese Vermittlung mißlang.

Die Schiedssprüche des Volksrats sind kostenfrei und beziehen sich nur auf Begründung des Rechts und Unrechts sowie auf Bestimmung der Höhe des vom Unterliegenden dem Obsiegenden etwa zugefügten und diesem zu bezahlenden Schadens. Er kann keine Strafen verfügen.

Der Volksrat entscheidet alle Auslegungsfragen des Arbeitsvertrags der Bienenstöcke und hat die Initiative und Entscheidung über Änderungen desselben, letzteres jedoch niemals mit rückwirkender Kraft.

Der Volksrat beschließt über den Abschluß von Verträgen mit andern Volkskassen.

 

§ 12. Sitzungsordnung des Volksrats.

Der Volksrat versammelt sich zu seinen ordentlichen Tagungen am ersten Werktage des Februar, Juni und Oktober jeden Jahres und bleibt solange in Tagung, bis alle vorliegenden Geschäfte erledigt sind.

Ein Volksrat, welcher in einer Tagung mehr als dreimal ohne triftigen Entschuldigungsgrund den Sitzungen fernbleibt, gilt als Demissionär.

In der ersten Sitzung eines jeden Kalenderjahres erwählt der Volksrat seinen Vorsitzenden und dessen Stellvertreter mit einfacher Stimmenmehrheit.

Diese Posten dürfen nicht in zwei aufeinanderfolgenden Jahren von Vertretern derselben Industriegruppen besetzt sein.

In der Junitagung findet die Prüfung der vom Präsidenten vorgelegten Jahresrechnung der Volkskasse für das verflossene Kalenderjahr und die Vorlage an die Regierungskommission zur Prüfung und Bestätigung statt.

In der Oktobertagung wird das Budget für das folgende Kalenderjahr aufgestellt. [93]

In der letzten Sitzung der Oktobertagung des letzten Jahres der fünfjährigen Wahlperiode findet die Wahl des Präsidenten und Vizepräsidenten der Volkskasse aus dem Kreise der Mitglieder des Volksrates für die nächste Wahlperiode statt.

Außerordentliche Tagungen des Volksrates werden durch den Präsidenten der Volkskasse einberufen. Sie dürfen nur die bei der Einberufung angekündigte Tagesordnung beraten.

Der Volksrat hat das Recht, die Öffentlichkeit seiner Sitzungen für die Brüder zu beschließen. Alle Schiedsspruchsitzungen sind von Rechtswegen öffentlich für die Brüder.

 

§ 13. Abstimmungsordnung des Volksrats.

Der Volksrat kann seine Geschäfte im Plenum oder in Ausschüssen behandeln. Beschlüsse finden jedoch nur im Plenum statt.

Zu gültigen Beschlüssen ist die Anwesenheit von mindestens 3/4 der vertragsmäßigen Anzahl Volksräte erforderlich, wobei Bruchteile unter 1/2 nicht, 1/2 und darüber für voll gerechnet werden. [27]

Vor jeder Abstimmung über einen Antrag hat der Vorsitzende die Vorfrage zu stellen, ob derselbe der Erklärung des Solidarismus entspricht. Erst nach Bejahung dieser Vorfrage mit mindestens 3/4 Majorität der anwesenden Volksräte findet die Abstimmung über den Gegenstand selbst nach einfacher Stimmenmehrheit statt. Der Vorsitzende übt das Stimmrecht mit aus. Bei Stimmengleichheit entscheidet seine Stimme.

Die Beschlüsse des Volksrates werden unter Angabe der Namen und der Abstimmung der einzelnen Mitglieder in den hierzu bestimmten Blättern veröffentlicht. Abstimmungen bei Wahlen und zur Bestellung von Beamten sind geheim.

 

§ 14. Abänderung des Volksvertrags.

Der Volksrat entscheidet in eigener Initiative oder auf Antrag des Präsidenten der Volkskasse, ob Änderungen des Volksvertrags erforderlich erscheinen. Wenn dieses der Fall ist, so muß die Änderung in zwei aufeinanderfolgenden Tagungen mit mindestens 3/4 Majorität der vertragsmäßigen Anzahl Volksräte beschlossen werden um gültig zu sein. Solche Änderungen haben niemals rückwirkende Kraft.

 

§ 15. Bezüge der Volksräte.

Die Volksräte erhalten von der Volkskasse Ersatz ihrer Reisespesen und ein Einkommen von X Mark für jeden Tag, an welchem sie Sitzungen beigewohnt haben. Sie bleiben im vollen Bezuge ihrer Einkommen und Rechte bei demjenigen Bienenstock, in welchem sie zur Zeit der Wahl zum Volksrat Bienen sind. Sie dürfen weder Orden noch Titel annehmen.

[94]

 

B. Präsident der Volkskasse.

 

§ 16. Bestellung des Präsidenten.

Der Präsident und der Vizepräsident der Volkskasse werden durch den Volksrat aus dem Kreise seiner Mitglieder durch absolute Stimmenmehrheit der vertragsmäßigen Anzahl Volksräte gewählt (§ 11). Sie müssen geborene Deutsche sein und zur Zeit der Wahl mindestens 10 Jahre lang ihren Wohnsitz in Deutschland gehabt haben.

Im Falle der Vakanz des Präsidentensitzes durch den Tod oder andere Ursachen wird derselbe sofort vom Vizepräsidenten eingenommen.

Der Präsident hat seinen Wohnsitz am Sitz der Volkskasse.

 

§ 17. Kompetenzen des Präsidenten.

Der Präsident ist der höchste Beamte der Volkskasse, der ständige Bevollmächtigte des Volksrats und der Vermittler zwischen diesem und dem Direktorium der Volkskasse. Er ist der oberste Hüter des Solidarismus und des Volksvertrags.

Er eröffnet und schließt die Tagungen des Volksrats.

Er fertigt die Beschlüsse des Volksrats aus, verkündigt sie und überwacht deren Ausführung.

Er ernennt und entläßt in Vollzug der Beschlüsse des Volksrats die Beamten der Volkskasse, verpflichtet sie auf den Volksvertrag, schließt mit ihnen die Dienstverträge und überwacht deren Befolgung.

Er schließt im Namen der Volkskasse Verträge auf Grund der Beschlüsse des Volksrats.

Der Präsident beruft aus eigener Initiative oder auf Antrag des Direktoriums der Volkskasse den Volksrat zu außerordentlichen Tagungen unter Angabe der Tagesordnung. Er muß ihn einberufen auf Antrag von mindestens 1/3 der vertragsmäßigen Anzahl Volksräte.

 

§ 18. Geschäftsordnung des Präsidenten.

Die Verfügungen des Präsidenten geschehen im Namen des Volksrats und bedürfen der Gegenzeichnung eines Mitglieds des Direktoriums der Volkskasse, welches dafür die Verantwortung übernimmt.

Der Präsident kann keine seiner Rechte übertragen.

Im Namen des Präsidenten werden eigene Anträge und Vorlagen desselben oder solche der Direktion vor den Volksrat gebracht und hier von hierzu ernannten Mitgliedern des Direktoriums vertreten.

Der Präsident erstattet dem Volksrat alljährlich in der Eröffnungssitzung der Junitagung einen Bericht über die Lage und Verhältnisse der Volkskasse nebst Rechnungsabschluß für das voraufgegangene Jahr und legt demselben in der Eröffnungssitzung der Oktobertagung das Budget für das folgende Jahr vor. [95]

 

§ 19. Einkommen des Präsidenten.

Der Präsident bezieht von der Volkskasse ein jährliches Einkommen von X Mark. Dessen Auslagen in Ausübung seines Amtes werden von der Volkskasse vergütet.

 

C. Direktorium der Volkskasse.

 

§ 20. Bestellung des Direktoriums.

Die Leitung der Geschäfte der Volkskasse geschieht durch das Direktorium, welches aus einer durch den Volksrat zu bestimmenden Anzahl und von diesem zu erwählenden Direktoren besteht (§ 11). Der Vorsitzende des Direktoriums wird von dem Volksrate erwählt.

Ein Direktoriumsmitglied kann nicht gleichzeitig Volksrat sein.

Die Direktoren haben ihren Wohnsitz am Sitz der Volkskasse.

 

§ 21. Kompetenzen des Direktoriums.

Das Direktorium führt die Beschlüsse des Volksrats aus und leitet die Geschäfte der Volkskasse nach Maßgabe des Volksvertrags und seines Dienstvertrags.

Das Direktorium ist der gesetzliche Vertreter der Volkskasse nach außen.

Das Direktorium bearbeitet eigene Anträge oder die Anträge der Brüder auf Errichtung von Bienenstöcken und legt dieselben mit seinen Gutachten und Vorschlägen über die zu ernennenden Vorstände und Stellvertreter derselben dem Volksrate zur Beschlußfassung vor.

Es ernennt die vom Volksrate erwählten Beamten der Bienenstöcke, verpflichtet dieselben auf den Volksvertrag und den Arbeitsvertrag der Bienenstöcke und schließt mit ihnen die Errichtungsurkunden und Dienstverträge ab.

Es legt dem Volksrate seine Vorschläge und Gutachten über die in den Bienenstöcken anzustellende Anzahl von Bienen der verschiedenen Kategorien und die Höhe ihrer Normaleinkommen zur Genehmigung vor.

Es macht dem Volksrate laufende Berichte über alle wesentlichen Vorkommnisse bei den Bienenstöcken und im Kreise der Brüder, sowie über alle wichtigen Angelegenheiten der Volkskasse.

Es bringt die zu ernennenden Delegierten der Volkskasse und alle sonstigen für die Erledigung der Geschäfte erforderlichen Beamten der Volkskasse in Vorschlag.

Die Mitglieder des Direktoriums haben die Anträge des Präsidenten vor dem Volksrate zu vertreten und auf Wunsch des Volksrates dessen Sitzungen beratend beizuwohnen. Sie haben das Recht, den Sitzungen des Volksrats beizuwohnen und müssen auf Wunsch dort gehört werden.

Das Direktorium vertritt die Volkskasse in allen Rechtsstreitigkeiten.

 

§ 22. Geschäftsordnung des Direktoriums.

Zur Gültigkeit der im Namen des Direktoriums der Volkskasse erfolgenden Ausfertigungen ist die Unterschrift zweier Direktoren erforderlich.

[96]

Das Direktorium hat alljährlich bis Ende April dem Präsidenten die Jahresabrechnung der Volkskasse für das verflossene Kalenderjahr und bis Ende August das Budget für das nächstfolgende Kalenderjahr vorzulegen.

Die Mitglieder des Direktoriums sind solidarisch verantwortlich für die richtige Ausführung der Beschlüsse des Volksrats und einzeln verantwortlich für ihre persönlichen Handlungen.

Das Direktorium hat die Verpflichtung, in seine sämtlichen Verträge, Vereinbarungen, Abmachungen etc. über Käufe, Verkäufe, Lieferungen etc. folgende, einen integrierenden Bestandteil derselben bildende Bestimmung aufzunehmen:

„Die Volkskasse hat das Recht, diesen Vertrag (Vereinbarung etc.) aufzuheben, wenn sich herausstellt, daß derselbe durch Versprechung von Provisionen, Geschenken oder irgend welchen Sondervorteilen auf Kosten der Gesamtheit beeinflußt wurde, auch wenn die Ausführung des Versprechens nicht erfolgte.“

 

D. Die Delegierten der Volkskasse.

 

§ 23. Bestellung der Delegierten.

Die Vertretung der Volkskasse in den einzelnen Bezirken des Landes und bei den einzelnen Bienenstöcken geschieht durch die Delegierten, welche auf Vorschlag des Direktoriums vom Volksrate erwählt und durch den Präsidenten ernannt werden.

Ihr Wohnsitz wird von dem Direktorium bestimmt.

 

§ 24. Kompetenzen der Delegierten.

Die Delegierten sind die ständigen Bevollmächtigten der Volkskasse in den einzelnen Bezirken des Landes und bei den einzelnen ihnen zugewiesenen Bienenstöcken, sowie die Vermittler zwischen den Brüdern und Bienenstöcken einerseits und dem Direktorium der Volkskasse anderseits. Sie besorgen die Bezirksgeschäfte der Volkskasse und die Vertretung der letzteren bei den Bienenstöcken nach Maßgabe des Volksvertrags und der ihnen erteilten Dienstanweisungen. Sie haben über die Begebenheiten ihres Bezirks und ihrer Bienenstöcke laufend an das Direktorium der Volkskasse zu berichten.

Sie haben den Sitzungen des Vorstandsausschusses ihrer Bienenstöcke nach Bedarf beizuwohnen. In diesen Sitzungen haben sie beratende Stimme und das Recht, Anträge zu stellen, sowie gegen ihnen unberechtigt erscheinende Beschlüsse ein Veto einzulegen und deren nochmalige Beratung in einer späteren Sitzung zu verlangen.

Sie haben das Recht und die Pflicht, in die Bücher und Akten ihrer Bienenstöcke Einsicht zu nehmen, sämtliche Betriebe und Einrichtungen zu sehen und vom Vorstände jede Auskunft zu verlangen. [97]

Sie nehmen die Anträge der Brüder aus ihren Bezirken auf Errichtung neuer Bienenstöcke entgegen und übermitteln dieselben mit ihren Gutachten an das Direktorium der Volkskasse.

Solche Geschäfte, welche sie nicht verfassungsmäßig persönlich zu erledigen haben, können sie in Übereinstimmung mit der Volkskasse durch Ortsvertreter besorgen lassen.

Die Delegierten haben in allen Lagen das Interesse der Gesamtheit der Brüder gegen etwaige Sonderinteressen zu wahren.

Sie haben zu bestimmten Tagen und Stunden die sich meldenden Brüder und Bienen persönlich zu empfangen, deren Wünsche, Anträge und Beschwerden anzuhören und zu prüfen, und denselben die geeignete Folge zu geben.

Bei Differenzen zwischen den Bienenstöcken und Brüdern oder fremden Bienen müssen die Delegierten zunächst zu vermitteln suchen, haben aber, falls die Vermittlung mißlingt, die Entscheidung darüber durch Schiedsspruch in erster und letzter Instanz.

 

E. Allgemeine Bestimmungen für alle Beamten der Volkskasse.

 

§ 25.

Die Beamten der Deutschen Volkskasse können Männer oder Frauen sein. Sie müssen Deutsche sein. Sie dürfen keinerlei andere berufliche Beschäftigung haben und von keiner andern Seite Gehälter beziehen, auch nicht von Bienenstöcken. Sie stehen zur Volkskasse in demselben Verhältnis wie die Bienen zu ihrem Bienenstock, müssen also die für Bienen vorgeschriebenen Bedingungen erfüllen. Sie haben der Volkskasse gegenüber Bienenpflichten und Bienenrechte.

Da die Volkskasse nicht dem Erwerb dient, so kann dieselbe nicht die Normaleinkommen ihrer Beamten entsprechend den Jahreserträgnissen ergänzen, wie das in den Bienenstöcken stattfindet. Die Beamten werden jedoch hierfür durch höhere Normaleinkommen entschädigt.

Sie dürfen keine Titel und Orden annehmen.

Die Beamten der Volkskasse sind verpflichtet, den geschäftlichen Verkehr in Volkskassen- und Bienenstockangelegenheiten in den einfachsten Formen unter Weglassung von Titulaturen und nicht sachlichen Formeln und Formalitäten durchzuführen. 1) [98]

 

 

4. Teil.

Pflichten und Rechte der Brüder.

 

§ 26. Pflichten der Brüder.

Die allgemeinsten und vornehmsten Pflichten der Brüder sind das Wirken des einzelnen für die Gesamtheit im Sinne des Solidarismus, unantastbare Ehrenhaftigkeit und Wahrhaftigkeit.

Im besonderen haben die Brüder folgende Pflichten:

1. Zahlung regelmäßiger Beiträge an die Volkskasse, Brüderbeiträge, durch monatliches Einkleben einer entsprechenden, von der Volkskasse auszugebenden Wertmarke in eine hierzu bestimmte Karte, welche Brüderschein heißt. Diese Karte wird gegen eine kleine Vergütung für die Kosten von der Volkskasse geliefert.

2. Beziehen ihrer Lebensbedürfnisse und sonstiger Leistungen aus Bienenstöcken, soweit dieselben hierzu ausreichen.

3. Anerkennung des Volksvertrags.

4. Streitigkeiten in Sachen des Volksvertrags den Organen der Volkskasse unter Ausschluß der Gerichte vorzulegen und sich deren Schiedsspruch zu unterwerfen.

5. Alle Handlungen zu unterlassen, welche der Volkskasse, den Bienenstöcken, den Brüdern oder Bienen Nachteile bringen, und beizutragen mit voller Kraft und ganzem Können zur Förderung der Interessen und Zwecke der Volkskasse.

6. Auf Wunsch der Volkskasse kostenlose Übernahme kleiner Ämter, welche zur Pflege des Solidarismus oder im Interesse der Organisation der Volkskasse, der Bienenstöcke oder gemeinnütziger Zwecke notwendig erscheinen, soferne sie dadurch ihren Berufspflichten nicht entzogen werden.

7. Keinerlei Provisionen, Geschenke oder Sondervorteile für ihre Mitwirkung in den Angelegenheiten der Volkskasse und Bienenstöcke anzunehmen oder zu geben.

 

§ 27. Die Brüderbeiträge.

Brüder sind an einem bestimmten Zeitpunkte alle über 17 Jahre alten Personen, welche ihren Brüderbeitrag für die letztverflossenen 12 Kalendermonate ohne Einziehung des Brüderscheins (§ 30) geleistet haben.

Der Brüderbeitrag beträgt monatlich 1 Mark, darf jedoch für Brüder mit Jahreseinkommen unter 1500 Mark auf den Mindestbeitrag von 50 Pfennig pro Monat reduziert werden. Brüder mit Jahreseinkommen über 3000 Mark mögen selbst ihren Beitrag entsprechend erhöhen.

Da die Brüder die Pflicht der Ehrenhaftigkeit und Wahrhaftigkeit übernommen haben, so unterliegt die Höhe der Brüderbeiträge keiner [99] Kontrolle und wird nur geprüft, wenn die betreffenden Brüder es verlangen (z. B. bei Gelegenheit von Anträgen zur Errichtung von Bienenstöcken oder zur Anstellung als Bienen etc.)

Geleistete Brüderbeiträge werden niemals zurückvergütet.

 

§ 28. Brüderschein. Brüderakten.

Bei jeder Ausübung eines Brüderrechts (§ 29) ist der Brüderschein als Legitimation vorzulegen, wobei die jeweils noch nicht entwerteten Marken entwertet werden.

Der Brüderschein ist persönlich und darf unter keinen Umständen abgetreten werden.

Er enthält 12 Felder für Volkskassenmarken und muß jeweils nach Ausfüllung derselben dem zunächst wohnenden Delegierten zum Umtausch gegen einen neuen Brüderschein übergeben werden. Letzteres kann auch durch die Ortsvertreter oder durch Vermittlung eines Bienenstocks, auch durch die Post unter Vergütung der Spesen geschehen. Jeder neue Schein wird mit dem Stempel der Ausgabestelle, des Ausgabemonats und einer laufenden Nummer versehen. 2)

Der Delegierte legt für die betreffenden Brüder je einen Brüderakt an, in welchem die Personalien, alle geleisteten Beiträge und erworbenen Rechte, sowie die Unterbrechungen der Beitragsleistungen und etwaige Einziehungen des betreffenden Brüderscheins und deren Gründe eingetragen werden. Bemerkungen über das politische oder religiöse Bekenntnis der Brüder dürfen diese Akten nicht enthalten.

Auf Grund der Brüderakten werden verlorene, ganz ausgefüllte und schadhaft gewordene Brüderscheine gegen neue umgetauscht. Jeder neu ausgegebene Brüderschein enthält einen vollständigen Auszug aus dem betreffenden Brüderakt mit Ausnahme der Gründe für etwaige Einziehungen.

Beim Wechsel des Wohnsitzes eines Bruders wird dessen Brüderakt dem Delegierten seines neuen Wohnsitzes übergeben.

 

§ 29. Rechte der Brüder.

Das allgemeinste und vornehmste Recht der Brüder ist das Eintreten der Gesamtheit für jeden einzelnen im Sinne des Solidarismus.

Im besonderen haben die Brüder folgende Rechte:

1. Die Volksräte auf Grund der Wahlordnung zu wählen (§ 10);

2. Neue Bienenstöcke auf Grund des Volksvertrags und des Arbeitsvertrags der Bienenstöcke zu errichten, soweit der Stammfonds der Volkskasse jeweils für die entsprechenden Haftungen ausreicht.

3. In vorhandenen Bienenstöcken, soweit die Verhältnisse es jeweils gestatten, als Bienen angestellt zu werden (wenn sie ihren Brüderbeitrag mindestens 60 Monate ohne Einziehung des Brüderscheines geleistet haben und die sonstigen im Arbeitsvertrag der Bienen [100]stöcke genannten Bedingungen hierzu erfüllen) und damit in den Genuß aller den Bienen durch diesen Arbeitsvertrag erwachsenden Vorteile zu treten.

4. Von den Bienenstöcken Waren und Leistungen für ihren eigenen Bedarf und denjenigen ihrer unter 17 Jahre alten Angehörigen zu Bienenpreisen gegen Barzahlung zu erhalten, soweit die vorhandenen Bienenstöcke solche zu liefern imstande sind, und zwar in der Reihenfolge der Anmeldungen.

5. Lieferungen und Leistungen für Bienenstöcke auszuführen, soweit solche zu vergeben sind.

6. Die Volkskasse zur Verwaltung ihrer Gelder und als Sparkasse für ihre Ersparnisse zu benutzen gegen Auszahlung des vollen sich hieraus ergebenden Zinsertrages.

7. In den Genuß aller Vorteile zu treten, welche durch das Bestehen des Volksvertrags für die Brüder vorhanden sind oder sein werden, soweit die Verhältnisse es jeweils gestatten.

8. Bei Streitigkeiten in Sachen des Volksvertrags kostenlosen Schiedsspruch durch die Organe der Volkskasse zu erlangen.

 

Unterbrechung der Brüderrechte.

 

§ 30. Einziehung des Brüderscheins.

Die Erfüllung der Brüderpflichten ist eine freiwillige; die Nichterfüllung der in § 24 aufgezählten Brüderpflichten bedeutet demnach freiwilligen Austritt aus dem Volksvertrag und Verzicht auf die Brüderrechte.

In diesem Falle hat derjenige Beamte der Volkskasse oder des Bienenstocks, bei welchem in Ausübung seines Amtes und bei Ausübung eines Brüderrechts die Nichterfüllung der Brüderpflicht stattfindet, den Brüderschein der betreffenden Brüder einzuziehen.

Letztere können dagegen Einspruch bei demjenigen Delegierten der Volkskasse, welcher ihre Brüderakten führt, erheben. Dieser legt den Fall demjenigen unbeteiligten Bienenstock seines Bezirks vor, welcher darüber am besten zu urteilen in der Lage ist, und dessen Vorstandsausschuß in kürzester Frist in erster und letzter Instanz in einer Plenarsitzung darüber entscheidet, wobei die betroffenen Brüder auf ihren Wunsch gehört werden müssen. Zweifelhafte Fälle und solche, welche offensichtlich aus Unkenntnis, Irrtum und ohne Absicht stattfanden, sind stets zugunsten der betroffenen Brüder auszulegen. Bei Bestätigung der Einziehung wird der Grund derselben in die Brüderakten eingetragen, der Brüderschein eingezogen und durch Aufstemplung des Buchstaben E auf der letzteingeklebten Wertmarke entwertet. Die bis zum Tage der Einziehung des Brüderscheins erworbenen Rechte können unter keinen Umständen entzogen werden. Dagegen können die Brüder freiwillig darauf verzichten.

Nach Einziehung des Brüderscheins kann die Eigenschaft als Bruder laut § 27 durch 12 Monate langes Einzahlen eines Brüderbeitrags an die Volkskasse ohne neuerliche Einziehung wieder erworben werden. [101]

 

 

5. Teil.

Bedingungen zur Errichtung von Bienenstöcken.

 

§ 31. Anmeldebedingungen.

Bienenstöcke werden errichtet auf Initiative der Volkskasse oder auf Antrag der Brüder. Anmeldungen auf Bildung von Bienenstöcken können nur von solchen Brüdern eingereicht werden, welche ihren Brüderbeitrag zur Zeit der Anmeldung wenigstens 60 Monate lang ohne Einziehung des Bienenscheins geleistet haben und im Besitz des Ausweises darüber sind. Sie sind bei demjenigen Delegierten, welcher die Volkskasse in dem betreffenden Bezirk vertritt, oder in Ermangelung eines solchen bei dem Direktorium der Volkskasse anzubringen.

 

§ 32. Form des Antrags.

Der oder die Anmelder erhalten hierauf ein Formular zum Behufe des schriftlichen Antrags, welches wahrheitsgetreu auszufüllen und nebst den Brüderscheinen der Antragsteller einzureichen ist. Außerdem haben die Antragsteller alle Fragen über ihre Personalien und über den beabsichtigten Betrieb, welche die Volkskasse noch für notwendig erachten sollte, wahrheitsgetreu, genau und gewissenhaft schriftlich zu beantworten und alle Informationen schriftlich zu geben, welche zur Begutachtung des Antrags erforderlich sind. Fragen nach politischem und religiösem Bekenntnis dürfen dabei nicht gestellt werden. Die Antragsteller haben alle für die Beurteilung notwendig erscheinenden Papiere und Urkunden beizuschaffen. Die Antragsteller sind für die Richtigkeit dieses gesamten Informationsmaterials solidarisch haftbar.

Gleichzeitig mit dem Antrag ist seitens der Antragsteller für die Kosten des Verfahrens eine Summe bei der Volkskasse einzuzahlen, die für jede M. 1000 des Kapitals, welches der zu errichtende Bienenstock erfordert, eine Mark beträgt und der Volkskasse unter allen Umständen erworben bleibt. Die Antragsteller haben das Recht, nach Errichtung des beantragten Bienenstocks aus dessen Vermögen die Summe zurückzufordern.

 

§ 33. Prüfung des Antrags und Beschlußfassung darüber.

Hierauf erfolgt durch die Organe der Volkskasse eine eingehende Prüfung des Antrags unter Berücksichtigung aller einschlägigen persönlichen, geschäftlichen, finanziellen, technischen, örtlichen und allgemeinen Verhältnisse. Nach dieser Prüfung erfolgt mündliche Besprechung zwischen den Organen der Volkskasse und den Antragstellern, worauf das Direktorium der Volkskasse möglichst in der nächsten Tagung des Volksrats diesem den Antrag zur Beschlußfassung vorlegt.

Den Anträgen, welche nicht in allen Punkten wahrheitsgetreu sind, wird keine Folge gegeben und den Antragstellern hiervon Mitteilung gemacht unter Einziehung der Brüderscheine (§ 30). Die Brüderscheine [102] werden auch eingezogen, wenn die wissentlich unrichtigen Angaben erst nach Errichtung des Bienenstocks zum Vorschein kommen.

Der Beschluß des Volksrats über Annahme oder Ablehnung eines Antrags wird durch das Direktorium der Volkskasse den Antragstellern mitgeteilt, in letzterem Fall unter Angabe der Gründe.

 

§ 34. Ernennung der Vorstände.

Wenn der Volksrat den Antrag annimmt oder auf eigene Initiative die Errichtung eines Bienenstocks beschließt, so ernennt das Direktorium der Volkskasse die vom Volksrate erwählten Vorstände des betreffenden Bienenstocks, verpflichtet dieselben auf den Volksvertrag und schließt mit ihnen den Dienstvertrag ab, in welchem das Normaleinkommen, die Rechte und Pflichten der Vorstandsmitglieder in gegenseitigem Einvernehmen festgestellt werden.

 

§ 35. Errichtungsurkunde des Bienenstocks.

Die so ernannten Vorstände haben durch ihre Unterschrift die Errichtungsurkunde des betreffenden Bienenstocks anzuerkennen und sich für die genaue Durchführung derselben zu verpflichten.

Die Errichtungsurkunden enthalten die Verpflichtung der Vorstände auf den allen Bienenstöcken gemeinsamen Arbeitsvertrag der Bienenstöcke und außerdem folgende Bestimmungen, die für die einzelnen Bienenstöcke verschieden sind:

a. den Namen und die Firmenzeichnung des neuen Bienenstocks, seinen Sitz und sein Kapital;

b. die Bedingungen für die Aufnahme einer Anleihe von bestimmter Höhe zu bestimmtem Zinsfuß gegen Ausgabe von verzinslichen, spätestens innerhalb 50 Jahren rückzahlbaren Schuldscheinen, für deren Betrag und Zins die Volkskasse gegen eine zu vereinbarende Jahresprämie die Haftung übernimmt;

c. Bestimmungen über die Aufstellung der jährlichen Bilanzen, insbesondere über den Abschreibungsmodus und etwa zu bildende Reserven etc., welche der Bienenstock einzuhalten verpflichtet ist;

d. besondere Bestimmungen, welche je nach der Eigentümlichkeit jedes einzelnen Falles noch notwendig erscheinen sollten.

 

 

6. Teil.

Übergangsbestimmungen.

 

§ 36.

Da der gegenwärtige Text des Volksvertrags voraussetzt, daß die Volkskasse mit ihrer gesamten Organisation schon bestehe, so sind für den Anfang, solange das noch nicht der Fall ist, besondere Übergangs [103]bestimmungen erforderlich, welche sich auf die ersten Maßnahmen zur Herbeiführung dieser Organisation selbst, bis zu ihrem völligen Funktionieren, beziehen.

Diese Bestimmungen können hier nicht im einzelnen gegeben werden, da sie von den jeweiligen Verhältnissen abhängen. Sie beziehen sich u. a. auf die Wahl des ersten Volksrats, auf die Erwerbung der Brüder- und Bienenrechte bevor die Beiträge während der vorgeschriebenen Anzahl Monate geleistet werden konnten u. dgl. m.

 

 

7. Teil.

Beilagen zum Volksvertrag.

 

Beilage 1.

Wahlordnung für den Volksrat zu § 10 des Volksvertrags.

§ 1.

Wähler für den Volksrat sind alle deutschen Brüder und Bienen, welche das 25. Lebensjahr vollendet haben.

§ 2.

Wählbar zum Volksrat ist jede deutsche Biene, welche das 30. Jahr vollendet hat. Die Wahl findet auf je 5 Kalenderjahre statt.

§ 3.

Die Zahl der zu wählenden Volksräte beträgt einen für jede volle halbe Million Brüder und Bienen, mindestens aber 9. Sie wird von dem Präsidenten der Volkskasse im 4. Monate vor der Wahl auf Grund der sämtlichen durch die Delegierten der Volkskasse geführten Brüderakten festgestellt und gleichzeitig mit dem Tag der Wahl verkündet.

§ 4.

Die Wahl findet in ganz Deutschland am gleichen Tage statt, indem die wahlberechtigten Brüder und Bienen unter Vorlage des Brüder- oder Bienenscheins ihren Stimmzettel persönlich oder durch Vertreter oder durch die Post bei demjenigen Delegierten oder Bienenstock abgeben, bei welchem ihre Brüder- oder Bienenakten geführt werden.

§ 5.

Die abgegebenen Stimmzettel werden in eine Wahlurne niedergelegt. Sie können nach Belieben des Wählers offen oder geschlossen sein. Jeder Zettel darf nur den Namen eines einzigen Kandidaten tragen.

§ 6.

Die Wahlhandlung und die Ermittlung des Wahlergebnisses sind öffentlich. [104]

Die Stimmzettel werden bei jedem Delegierten durch eine genügende Anzahl von Vertrauensmännern und bei jedem Bienenstock durch den Vorstandsrat desselben eröffnet, welche auch über die Gültigkeit oder Ungültigkeit der Wahlzettel, vorbehaltlich der Prüfung durch den Volksrat selbst, entscheidet.

Die Namen der bei den Bienenstöcken gewählten Kandidaten werden, nach der Anzahl der erhaltenen Stimmen geordnet, am Tage nach der Wahl dem betreffenden Delegierten der Volkskasse zugestellt, welcher daraus zusammen mit den bei ihm gewählten Kandidaten eine Gesamtliste aller Kandidaten seines Bezirks, ebenfalls nach Stimmenzahl geordnet, herstellt und innerhalb 3 Tagen nach der Wahl dem Volksrate vorlegt.

§ 7.

Der Volksrat verkündet hierauf die Namen der gewählten Volksräte unter Angabe der erhaltenen Stimmenzahl. Es sind dies diejenigen Kandidaten, welche in der Gesamtliste die meisten Stimmen erhalten haben, bis zur vorgeschriebenen Anzahl der zu wählenden Volksräte; bei gleicher Stimmenzahl entscheidet das Loos. Die nach dieser Anzahl noch weiter gewählten Kandidaten dienen in der Reihenfolge der erhaltenen Stimmenzahl als Ersatzmänner bei eintretenden Vakanzen der Volksräte durch Tod, Demission oder andere Ursachen. [105]

 

Beilage 2.

Muster eines Brüderscheins.

 

 

Erklärung des Brüderscheins.

 

Heinrich Jung begann seine Brüderbeiträge im März 1897 und klebte ein:

 

Im Jahre 1897 10 Marken à 50 Pf. = M. 5.–

Im Jahre 1898 12 Marken à 50 Pf. = M. 6.–

Im Jahre 1899 12 Marken à 50 Pf. = M. 6.–

Im Jahre 1900   5 Marken à 50 Pf. = M. 2.50

_________________________________________________________________

Summa           39 Marken                  M. 19.50 [106]

 

Nach dieser Zeit, also im Juni 1900, geht er ins Ausland und unterbricht seine Beitragsleistungen. Nach seiner Rückkehr tritt er wieder ein, da er die Vorteile des billigen Bezugs seiner Lebensbedürfnisse, der Benutzung von Speisehallen, Krankenhäusern, Bibliotheken, der kostenlosen ärztlichen Pflege etc. voll würdigt. Er beginnt daher im Oktober 1901 wieder einzukleben, also nach einer 16 monatlichen Unterbrechung. Von da ab leistet er wieder regelmäßig seine Beiträge; auf seinem alten, noch unausgefüllten 4. Bienenschein sind noch 7 Felder frei, er braucht also erst im Mai 1902 seinen 5. und im Mai 1903 seinen 6. Schein, der obige Brüderschein ist sein sechster, den er im Mai 1903 erhält, er hat also bis zu dessen Ausgabe noch weiter geleistet 19 Beiträge à 50 Pf. (also seit Oktober 1901 bis April 1903 = 19 Monate), im ganzen mit seinen früheren Beiträgen also bis jetzt 58 Beiträge mit zusammen M. 29 bei 16 monatlicher Unterbrechung. – Der Brüderschein enthält links den Auszug seiner Brüderakten nach den eben geschilderten Angaben und rechts die Felder für das Einkleben der Marken und einige Bemerkungen bezüglich des Umtausches des Brüderscheins. Die kleinen Kreise in den einzelnen Feldern bedeuten Durchlochungen, durch welche die Marken entwertet werden, z. B. durch den Kassierer eines Bienenstocks bei Gelegenheit von Einkäufen oder bei einer Wahl oder bei sonstiger Ausübung eines Brüderrechts. – Zu den früher geleisteten 58 Monatsbeiträgen sind demnach nur noch 2 zu leisten, um Jung das Recht zu geben, Biene zu werden bzw. mit einer Anzahl anderer im gleichen Falle stehenden Brüdern einen neuen Bienenstock zu errichten. – Hätte er während seines Aufenthalts im Ausland sich das sehr geringe Opfer auferlegt, seine Beiträge ruhig weiter zu leisten, so hätte er diese Zeit um 16 Monate früher erreichen können.

 

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1) Um die verschiedenen Kategorien von Beamten in ihrem Verhältnis zur Volkskasse zu unterscheiden, genügt es, einfach Ordnungszahlen einzuführen und z. B. einen Anfänger oder Lehrling als Primus, einen ungelernten Gehilfen oder Handlanger als Sekundus, das gelernte laufende Personal für die niederen Arbeiten als Tertius, einen Vorarbeiter oder mittleren Verwaltungsbeamten als Quartus zu bezeichnen u. s. w. bis hinauf zu dem höchsten leitenden Beamten oder Dezimus. Mehr als zehn Stufen sind nicht erforderlich. Diese oder ähnliche Worte bezeichnen genau das Verhältnis zur Gesamtverwaltung, ohne die Bedeutung eines Titels zu haben oder als solche gebraucht werden zu können. 

2) Muster eines Brüderscheins siehe Beilage Nr. 2 zum Volksvertrag.