Paul Brandt
1861 - 1932
Von Athen zum Tempethal.Reiseerinnerungen aus Griechenland
1894
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4. Platää.
Hinter der letzten dieser meist trocknen Wasserrinnen erhebt sich die in mehreren Quaderlagen erhaltene Ostmauer von Platää, die gegen den heftigen Westwind gerade genügend Schutz gewährte, um uns an der Hand eines Planes über das von uns zu begehende Stadtgebiet zu orientieren.Platää, die Plateaustadt“, bildet, wie sie sich jetzt in ihren Ruinen darstellt, ein unregelmäßiges Dreieck, dessen Basis, die Nordmauer, auf dem ziemlich steil abfallenden Rande eines mäßig hohen Plateaus aufsetzt und dessen Spitze sich allmählich ansteigend am rauhen Fuß des Kithäron hinaufzieht, während an der flacheren Ost- und Westseite tief einschneidende Bachrinnen zur Festigung des Platzes beitragen. Dieses Dreieck nun ist von Ost nach West von zwei Quermauern durchzogen, einer nördlichen, welche auf einer niedrigen Terrasse aufsetzt und deren Zug noch jetzt unter den wogenden Getreidefeldern deutlich von uns verfolgt werden konnte, und einer südlichen, welche die an den Fuß des Gebirges hinaufreichende Spitze des Dreiecks abschneidet.Wie verhalten sich nun diese Mauerzüge zu einander und welches ist ihre Geschichte? Platää war eine kleine Stadt und nahm bis zum Erlöschen der griechischen Freiheit mehr und mehr ab: seit dem Jahre 519 mit Athen im Bunde, sandte sie 490 ein Aufgebot von 1000 Mann nach Marathon; in der Schlacht bei Platää kämpften nur noch 600 Mann mit, und während der von Thukydides (II, 75 ff., III, 20 ff., 52 ff.) so ausführlich und ergreifend geschilderten Belagerung im peloponnesischen Krieg, belief sich die gesamte waffenfähige Mannschaft nur noch auf 400 Mann, von denen die Hälfte, die sich nicht hatte nach Athen durchschlagen können, nach Übergabe der Stadt von den rachsüchtigen Thebanern und Lacedämoniern hingerichtet ward. Zwar wurde nach dem antalkidischen Frieden vom Jahr 387, der den griechischen Städten ihre Selbständigkeit zurückgab, auch Platää wieder hergestellt, aber schon 373 wurde es von Theben aufs neue zerstört. Auch jetzt wieder nahm Athen die Flüchtigen auf. Erst nach der Schlacht bei Chäronea konnten die Vertriebenen heimkehren und verdankten nun der makedonischen Politik, die alle Theben feindlichen Städte begünstigte, in den letzten Regierungsjahren Alexanders ihre völlige Wiederherstellung und wie wir gleich hinzufügen wollen, Erweiterung.
Die Ebene von Platää gegen Süden, im Hintergrund der Kithäron
Nach einer Seite hin freilich hat damals das Stadtgebiet eine Einschränkung erfahren. Die am Kithäron sich hinaufziehende Südspitze schien, obwohl hier eine natürliche, nicht eben hohe Felswand einigen Schutz bot, bei den Fortschritten der Belagerungskunst für die neue Stadtanlage nicht mehr gesichert genug, und so schnitt man diese Spitze durch die erwähnte südliche Quermauer ab, die mit ihren nach außen gerichteten Türmen durchaus die Technik der makedonischen Zeit aufweist. Dafür aber fand nach der Nordseite eine erhebliche Erweiterung des Mauerbezirks statt. Dort wurde die Stadtgrenze bis dahin durch die oben genannte nördliche Quermauer gebildet, über die man nun hinausging und ein das frühere Stadtgebiet weit übersteigendes Terrain mit Mauern und Türmen umgab, so daß der Gesamtumfang der Mauern jetzt 4 km betrug. Man wird daher annehmen dürfen, daß die Stadt unter makedonischer Herrschaft wenn auch nur vorübergehend einen Aufschwung genommen habe. Die Nordwestecke endlich dieses Raumes, welche besonders steil nach Westen abfällt, erhielt eine besondere Befestigung und ersetzte so die der Stadt mangelnde hochgelegene Akropolis.Daß diese Stadterweiterung in der That erst nach den Perserkriegen stattgefunden hat, davon sollten wir uns bald durch den Augenschein überzeugen. Nachdem wir uns nämlich im Schutze der Ostmauer an der Hand der Karte orientiert, gingen wir an der Mauer entlang nordwärts bis dahin, wo die nördliche Quermauer mit ihr zusammentrifft. An dieser nun entlang gehend trafen wir bald auf die von der amerikanischen Schule in Athen ausgegrabenem aber in ihrer Bedeutung nicht erkannten Fundamente des Heraion, in dessen Schutz das Centrum der Griechen sich vor der Schlacht zurückgezogen hatte. Es konnte kein Zweifel sein: es war ein Tempelgrundriß, von Ost nach West orientiert; das Fundament aus Brecciaquadern für Cella und Säulenumgang war gut erhalten, doch kamen wir eben hinzu, wie ein Bauer des nahen Dorfes Kokla eine Quader für seinen Bedarf losbrechen wollte. Man suchte ihm begreiflich zu machen, daß gewiß bald viele Fremde den Tempel aufsuchen und in seinem Dorfe einkehren würden, es sei daher in ihrem Interesse, die Fundamente nicht zu zerstören. Er ging, aber gewiß nur, um am nächsten Tag sein Zerstörungswerk desto ungestörter fortsetzen zu können. So wenig hat der Neugrieche Achtung vor den ehrwürdigen Resten einer ruhmvollen Vergangenheit, auf die er sich doch selbst immer wieder beruft, um seine Ansprüche auf eine glänzende Zukunft geltend zu machen.Nun aber liegt das Heraion innerhalb des Stadtgebiets, während Herodot doch berichtet, es habe vor der Stadt gelegen. Die Sache erklärt sich einfach so, daß durch die makedonische Erweiterung der Tempel, der an der Nordseite der alten Mauer lag, in das Stadtgebiet mit einbezogen wurde. So war denn wenigstens dieser für die Schlacht so wichtige Punkt zu unsrer Freude endgiltig bestimmt.
Stadtmauerreste (Quelle: Wikipedia) und der Stadtplan des alten Pagaiai
Vom Heraion aus gingen wir wieder südwärts und besichtigten die stattlichen Reste der südlichen makedonischen Quermauer, die mit ihren Türmen teilweise noch mehrere Meter über dem Erdboden hervorragt. Dann aber war es hohe Zeit, den zweistündigen Marsch nach Theben anzutreten, denn schon neigte sich die Sonne zum Untergang, und die Nacht bricht dort schneller herein als in unsern Breiten.An der Westmauer entlang, wo eine steingefaßte große Quelle der Oëroë zufließt, und an der erwähnten Akropolis vorüber schlugen wir durch das grüne Wiesenthal in nordnordöstlicher Richtung den Weg nach Theben ein. Noch leuchteten die Zacken des Helikon und die Schneegipfel des Parnaß zu uns herüber, während den dunklen Kithäron drohende Gewitterwollen umzogen, die auch bald das segensreiche Naß über unsre Häupter ergossen. Wir überschritten mehrere Wasserläufe der Oëroë, kamen, ohne von der niedrigen Wasserscheide zwischen dem Euripos und dem korinthischen Golf etwas zu merken, an den Asopos, über den wir mit einem tüchtigen Sprung hinüber setzten; aber auf halbem Wege überfiel uns jählings die Nacht. Eine athenische Opferkerze, die uns voranleuchten sollte, löschte trotz des vorgehaltenen Regenschirms der Wind immer wieder aus; da führte uns der Zufall auf ein Mittel, den Zusammenhalt der Marschkolonne zu wahren. Wir banden uns alle unsre weißen Taschentücher um den Hals, und so, dem schwachen Lichtschein nach, den wegkundigen Führer voran, gings durch die stockfinstre Nacht vorwärts, bis auf einmal, freudig von allen begrüßt, die bisher durch einen Hügel verdeckten Lichter Thebens vor uns aufleuchteten. Bei einem großen Brunnen mündete unser Feldweg in die von uns bei Kriekuki verlassene große Straße ein, nur noch einige hundert Schritte und wir befanden uns in der alten Kadmosstadt, um alsbald in der dichtbesetzten und von allen möglichen undefinierbaren Gerüchen durchfluteten Gartüche des Bellos die Hände nach dem, wenigstens nach neugriechischen Begriffen, lecker bereiteten Mahle auszustrecken. Gleich das erste Gericht war ein trefflicher Aal, der wahrscheinlich aus dem Kopaïssee stammte und dessen Urahnen schon die Feinschmecker des Altertums in Entzücken versetzt hatten. Gab es doch während der Blockierung Athens im dekeleischen Krieg für die athenischen Gourmands, wie Aristophanes spottet, keinen größeren Schmerz, als daß sie auf diese Zierde ihrer Tafel verzichten mußten. Freilich fand ich auch hier wieder eine Beobachtung bestätigt, die sich uns überall, wo uns in Griechenland Fische vorgesetzt wurden, aufdrängte, daß dieselben nämlich, in Olivenöl und reichlichem Grünzeug gebacken oder gesotten, völlig den jeder Art eigentümlichen Geschmack verlieren. Ich musste dabei des alten sicilischen Dichters Archestratos aus dem 4. Jahrhundert v. Chr. gedenken, der in seinem Wohlleben“ (Ἡδυπάθεια) überschriebenen Lehrgedicht gerade diese Unsitte bei den Bewohnern Großgriechenlands ausdrücklich rügt (Athenäus VII 311a): Aber laß mir ja keinen Sikuler oder Italioten an die Zubereitung, denn die verderben die besten Fische mit ihren Zuthaten von Öl, Käse und Gewürzen, als ob sie eine Katzenpastete anzurichten hätten!“Um halb neun Uhr waren wir in Theben angekommen und nach den mancherlei Eindrücken des Tages suchten wir gern in einem benachbarten Hause unser ziemlich sauberes Quartier auf, um auf bettartigen Gestellen die müden Glieder auszustrecken. |