BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Karl Abraham

1877 - 1925

 

Amenhotep IV. (Echnaton)

Psychoanalytische Beiträge zum

Verständnis seiner Persönlichkeit und

des monotheistishen Aton-Kultes

 

1912

 

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Die Sprache dieser Dichtung ist so klar, daß sie keiner Erläuterung bedarf. Nur auf einige besonders charakteristische Partien mag noch hingewiesen werden.

Die einleitende Strophe weist auf Atons Liebe hin, durch die er alle Länder und alle Wesen gefangen nehme. Wohl zum erstenmale im Geistesleben der Menschheit wird hier die Liebe als welterobernde Macht gepriesen. Hierauf wird zurückzukommen sein, wenn von Echnatons Ethik gehandelt wird.

Die Schilderung der göttlichen Güte, die allen Wesen ohne Unterschied zu teil wird, erinnert in hohem Maße an die hebräische Psalmenpoesie. Breasted und andere Autoren machen speziell auf die überraschende Ähnlichkeit aufmerksam, welche zwischen gewissen Stellen des Aton-Hymnus und dem 104. Psalm besteht. Namentlich Vers 20 bis 24 und 27 bis 30 zeigen bemerkenswerte Anklänge:

„Wirkst du Finsternis, so ist es Nacht, in ihr regen sich alle Tiere des Waldes. Die jungen Löwen brüllen nach Fraß, indem sie von Gott ihre Nahrung verlangen. Wenn die Sonne aufgeht, ziehen sie sich zurück und lagern in ihrer Behausung. Der Mensch geht an sein Werk und an seine Arbeit bis zum Abend. Wie sind deiner Werke so viel, Jahwe! Du hast sie alle in Weisheit geschaffen, die Erde ist voll von deinen Geschöpfen ...“

„Sie alle warten auf dich, daß du ihnen zu seiner Zeit ihre Speise gebest. Du gibst ihnen, sie lesen auf; du tust deine Hand auf, sie sättigen sich mit Gutem. Du verbirgst dein Antlitz, sie werden bestürzt, du ziehst ihren Odem ein und sie werden wieder zu Erde. Du entsendest deinen Odem, sie werden geschaffen,und du erneust das Angesicht der Erde.“

Es ist anzunehmen, daß der 104. Psalm unter dem direkten Einfluß der Poesie Echnatons entstanden ist 10). [352]

Flinders Petrie hebt in seiner Besprechung des Aton-Hymnus hervor, daß dieser nicht nur von allem, was an den Polytheismus erinnern könnte, völlig frei sei, sondern auch alles Anthropomorphe in der Auffassung des einzigen Gottes vermissen lasse. Das trifft nun freilich nicht ganz ohne Einschränkung zu, sicherlich aber in einem höheren Maße als für irgend eine andere monotheistische Auffassung. Man muß in Betracht ziehen, daß der Aton-Kultus seinem tiefsten Sinne nach die Verehrung einer Naturkraft, eines unpersönlichen Prinzips bedeutet.

Wie schon erwähnt, wurde Aton nicht bildlich dargestellt. Ein Symbol vertritt ihn: die Sonnenscheibe, von deren Strahlen jeder in eine Hand ausläuft. Die Hände aber umgeben auf den bildlichen Darstel­lungen den König, und mit ihm seine Gemahlin oder auch seine Kinder.

Wenn der König in Aton seinen Vater erblickte, so leitete er damit, streng genommen, seine Herkunft von einer unpersönlichen Kraft ab. Wir werden dadurch an die Zeugung Christi durch den Heiligen Geist erinnert. Nur ist Echnaton nicht von Aton mit einem menschlichen Weibe gezeugt – wenigstens finden sich keine Hinweise auf eine solche Vorstellung – sondern Aton ist ihm Vater und Mutter zugleich.

Echnatons Religion darf nicht für sich allein betrachtet werden. Sie wird in vollem Umfange erst verständlich, wenn man seine Ethik be­rücksichtigt, die recht eigentlich im Brennpunkt seiner gesamten Inter­essen, seines religiösen Empfindens und seiner Lebensführung steht.

Echnaton verwirft in seiner Ethik – ähnlich wie viele Jahrhunderte nach ihm Christus – jede Äußerung des Hasses, jede Gewalttat. Er möchte, ganz wie es im Hymnus von Aton heißt, durch Liebe herrschen. Er ist ein Gegner des Blutvergießens in jeder Form. Er läßt überall die Abbildungen von Menschenopfern austilgen. Kriegerische Gelüste sind i[h]m fremd. So wie er Aton als Herrn des Friedens verehrt, so will er auch in seinem eigenen Reiche nichts vom Kriege wissen. Es ist besonders interessant, Echnaton in dieser Hinsicht mit seinen Vor­gängern zu vergleichen. Man denke nur an den kriegerischen und grausamen Amenhotep II. Von ihm heißt es, daß er die syrischen Fürsten, die er auf einem seiner Feldzüge gefangen genommen hatte, an seinem Schiff aufhängen ließ, und so sein Schiff im Triumph den Nil hinaufführte. Und Echnatons Vater, unkriegerischer als seine Vorfahren, hatte seinen aggressiven Gelüsten noch in einem gewissen Maße Raum gegeben, indem er leidenschaftlich der Jagd frönte. Der Sohn unterdrückte nahezu jede Äußerung aggressiver oder grausamer Tendenzen. Seine Ethik beruht in erster Linie auf einer ungewöhnlich weitgehenden Sublimierung der sadistischen Triebkomponente. Für ihn selbst und sein Reich sollten aus der starren Befolgung dieser ethischen Prinzipien die schwersten Folgen hervorgehen [353]

Besonders seit dem Tode seiner Mutter suchte Echnaton seine Ideale in die Wirklichkeit umzusetzen, ohne mit den Hindernissen zu rechnen, die ihm entgegentreten mußten. Er wollte sein Reich – d. h. im Sinne der damaligen Zeit: die ganze Welt – mit Frieden beglücken. Dabei übersah er völlig, daß seine Zeit für solche ideale Bestrebungen nicht reif war, übersah ganz und gar die Rolle, welche Haß, Habsucht usw. im Leben der einzelnen Menschen und der Völker spielen. Er stand an der Spitze eines gewaltigen Reiches, das zerfallen mußte, wenn nicht eine starke Hand es zusammenhielt. Er aber versuchte, wie er es dem Aton zuschrieb, die Welt durch seine Liebe in Fesseln zu legen.

Echnaton verschmähte es nicht nur, durch Gewalt sein Reich zu erweitern oder zu erhalten, sondern er wollte auch in Friedenszeiten von der Herrschergewalt keinen Gebrauch machen. Er bestrebte sich, dem Volke als Mensch näher zu treten. Das bedeutete einen Bruch mit aller höfischen Tradition. Die Pharaonen hatten von altersher eine fast göttliche Verehrung im Lande genossen. Echnaton tritt schlicht und einfach, ohne Herrscherpose auf. In allen bildlichen Darstellungen erscheint er in menschlich-natürlicher Attitüde. Da findet sich nichts von der heroischen Geste der alten Pharaonenbilder. Er zeigt sich – wie das auf verschiedenen Bildwerken zur Darstellung kommt – mit seiner Familie dem Volke. Er gibt dem Volke immer von Neuem kund, daß er nicht der unnahbare und strenge Herrscher sei, wie ihn das Volk gewohnt war, daß er sich nicht am Herrschen und an der königlichen Machtfülle freue, sondern daß er nur ästhetische Freude kenne. Er nennt sich mit Vorliebe den König, „der in der Wahrheit lebt“.

Gerade dieses Streben nach Wahrheit bedarf einer besonderen Würdigung. Nach Echnatons Auftreten vergingen noch Jahrhunderte, ehe die bedeutendsten Kulturvölker zu einer Verurteilung der Lüge gelangten! Echnaton aber ging über die ethische Hochschätzung der Wahrheit hinaus, indem er sie sogar zum Prinzip in der Kunst erhob.

Wie Breasted sich ausdrückt, lehrte Echnaton die Künstler seines Hofes, „den Meissel und den Pinsel das erzählen zu lassen, was sie wirklich sahen“. „Der Erfolg“ – so heißt es weiter – „war ein einfacher und schöner Realismus, der klarer und richtiger sah, als irgend eine Kunst es früher getan hatte. Man hielt, wie in einem Momentbilde, die Stellungen der Tiere fest: den jagenden Hund, das fliehende Wild, den springenden Wildstier, denn alles dies gehörte zu der Wahrheit, von der Echnaton lebte.“

Echnatons sexuelle Ethik bedarf noch einer besonderen Erwähnung, obwohl schon einige hierher gehörige Züge zur Sprache gekommen sind. Seine monogamische Fixierung wurde bereits erwähnt. Alle uns zugänglichen Quellen zeigen, mit welch inniger Liebe Echnaton an seiner Gattin hing. Er unterließ es, eine zweite Frau zu heiraten, als der männliche Thronerbe ausblieb. Er benutzte [354] vielmehr jede Gele­genheit, sich dem Volke im Kreise seiner Familie zu zeigen. Nefer-nefru-Aton hatte ihm vier Töchter geboren, die er zärtlich liebte. Das Glück, welches Echnaton in seinem Familienleben fand, brachte er vor allem dadurch zum Ausdruck, daß er in allen öffentlichen Kundgebungen, Inschriften usw. seine Verehrung für die Königin besonders hervorhob. Er belegte sie mit mancherlei Beinamen, wie „Herrin seines Glückes“ und ähnlichen. So suchte er im Volke für eine neue Auffassung der Ehe, für eine veränderte Stellung des Mannes zum Weibe Propaganda zu machen. Schon früher wurde darauf hingewiesen, daß unter Echnatons Regierung die Frauen am Hofe einen früher nicht gekannten Einfluß erhielten.

Die Zartheit der Beziehungen zwischen König und Königin läßt am schönsten ein Relief erkennen, welches sich im Berliner Museum befindet. Es zeigt den König in jugendlicher, fast mädchenhafter Gestalt auf einen Stab gelehnt, und ihm gegenüber die Königin, die ihn an einem Blumenstrauß riechen läßt. Nirgends in der früheren ägyptischen Kunst findet man eine Darstellung, welche dieser bezüglich des Inhaltes oder der Auffassung an die Seite gestellt werden könnte.

 

Echnatons Familie (Ägyptisches Museum Berlin, vgl. die Reproduktion

in der deutschen Ausgabe von Breasted, Geschichte Ägyptens.)

[nach heutigem Kenntnisstand zeigt das Relief nicht Echnatons

Familie, sondern die des Tutanchamun U.H.]

 

Bezeichnend für die innigen Gefühle, die den König mit den Seinigen verbanden, ist auch eine Darstellung im Grabmale einer seiner Töchter, die früh verstarb. Nie zuvor hatte die Trauer einer Familie um ein totes Kind solchen Ausdruck gefunden.

Und welche Zartheit des Empfindens zeigt der Aton-Hymnus! Es sei nur an die Schilderung vom Ausschlüpfen des Küchleins erinnert.

In enger Verbindung mit dem Vermeiden alles Rohen steht bei Echnaton die Scheu vor dem Häßlichen, das Bedürfnis nach Schönheit. Der Aton-Hymnus setzt mit einer Schilderung der Schönheit des Gottes ein. Echnaton pflegte nicht nur die bildenden Künste. Er legte prächtige Gärten an und ergötzte sich an der Schönheit der Blumen und Tiere darinnen. Er wandte der Musik sein besonderes Interesse zu. So äußerte sich sein Verlangen nach veredelten Genüssen, sein Drang zur Sublimierung in mannigfachster Form.

Echnatons Religion, Weltanschauung und Ethik bilden in ihrer Gesamtheit ein Bauwerk, das uns nicht nur durch die Großartigkeit seiner Konzeption staunen macht, sondern auch durch die Konsequenz seiner inneren Ausgestaltung. Wollte der König aber solch umfassende, in das Volksleben tief eingreifende Reformpläne zur Durchführung bringen, so bedurfte er dazu der größten Tatkraft, nicht minder aber des praktischen Blickes, um bei seinem Vorgehen diejenigen Mächte zu würdigen, die ihm hindernd in den Weg treten mußten. Der Jüngling, der ein Weltreich ererbt hatte, plante ja nichts Geringeres, als die Einführung einer Weltreligion [355] mit einem einzigen Weltgott. Während er aber des Gottes Herrschaft aufzurichten begann, verlor er die eigene.

Es ist klar, daß Echnaton das Reich Atons nur dann befestigen konnte, wenn er sein eigenes Ansehen als König wahrte. Aber je mehr er, seinem Idealismus folgend, den Unterschied zwischen sich und dem Volke verwischte, je mehr er sich die Priester der alten Gottheit zu Feinden machte, je radikaler er seine Reformen zur Durchführung bringen wollte, um so mehr mußte sein Einfluß beim Volke abnehmen. Für seine Religion war außer ihm selbst allenfalls ein kleiner Teil von Auserwählten reif, während sie den Bedürfnissen der Massen in keiner Weise Rechnung trug. Weigall zieht einen Vergleich zwischen der Einführung des Aton-Kultes und derjenigen des Christentums. Er gelangt zu der Auffassung, daß das Christentum nur deswegen eine rasche und umfassende Verbreitung finden konnte, weil es dem Bedürfnis der Massen nach sinnlich greifbaren und anthropomorphen Objekten der Verehrung einen gewissen Spielraum gewährte. Da gab es neben dem einzigen Gotte die den Menschen viel nähere Gestalt Christi, da gab es den Teufel, gab es Engel, Heilige, Geister usw. Der Glaube an ein einziges, göttliches Wesen, das den Menschen unsichtbar blieb, wäre sicherlich beim Volke nicht dur[ch]gedrungen. Aus diesem von Weigall richtig erkannten Umstand erklärt sich wohl auch die geringe Werbekraft des mosaischen Monotheismus, der zeitlich dem Aton-Kultus bald folgte.

So vieles wir aus den Quellen über die inneren Umwälzungen erfahren, welche sich unter Echnatons Regierung vollzogen, so wenig erfahren wir von Ereignissen der äußeren Politik. Es geschah nichts. Und eben weil nichts geschah, begannen räuberische Stämme, die Grenzen des Reiches unsicher zu machen. Gleichzeitig lehnte ein Teil der syrischen Vasallenfürsten sich auf und griff die treu gebliebenen an. Diese wandten sich um Hilfe nach Ägypten. Aber alle ihre Bitten um Beistand blieben unerhört. Im sechzehnten Regierungsjahre Echnatons erfolgte dann der Einfall der Hethiter in Syrien. Der König litt um diese Zeit bereits an der Krankheit, die ihn zwei Jahre später dahinraffen sollte. Jedem gewaltsamen Eingreifen abgeneigt, überließ er die schwer bedrohten asiatischen Provinzen sich selbst. Um diese Zeit setzt nun jene merkwürdige Korrespondenz ein, die uns durch den Tafelfund von El-Amarna beinahe vollständig bekannt geworden ist. Es handelt sich um eine große Anzahl von Keilschrifttafeln, die im Laufe der nun folgenden Zeit aus Asien einliefen. Sie enthalten die immer dring­licheren Klagen der asiatischen Vasallen, die sich der aufrührerischen Gegner und der eindringenden Barbaren nicht mehr zu erwehren vermochten. Aus einem dieser Hilfegesuche, welches Breasted nach Knudtzons „Amarna-Briefen“ zitiert, sei ein charakteristischer Passus hier wiedergegeben. Die Ältesten der bedrohten Stadt Tunip bitten um Hilfe gegen den abtrünnigen Fürsten Aziru [356] mit folgenden Worten: „Wenn Aziru in Simyra eindringt, so wird er uns tun, was ihm gefällt auf dem Gebiete unseres Herrn, des Königs, und trotz alledem hält unser Herr sich von uns zurück. Und nun weint deine Stadt Tunip und ihre Tränen fließen, und es gibt keine Hilfe für uns. Seit zwanzig Jahren haben wir an unseren Herrn, den König von Ägypten, Boten gesandt, aber keine Antwort ist uns gekommen, nicht ein einziges Wort“.

Die Wirren in den Provinzen nahmen immer mehr zu, und nacheinander gingen die wichtigsten Städte und Stützpunkte ägyptischer Macht verloren, so die Städte, resp. Bezirke von Askalon, Tyrus, Sidon, Simyra, Byblos, Aschdod, Jerusalem, Kadesdh, Tunip, ferner die Täler des Jordan und Orontes und viele andere Gebietsteile. Echnaton aber blieb durch das alles ungerührt, lebte weiter in seinen Idealen, und ließ sein ganzes außerägyptisches Reich, das seine Vorfahren unter den größten Opfern aufgerichtet hatten, zugrunde gehen.

Wie ungerührt der Träumer auf dem Throne angesichts aller dieser Nöte seines Reiches blieb, das hat er noch in den letzten Monaten seines Lebens gezeigt. Anstatt der Gefahr zu wehren, die von außen kam, war er auf nichts anderes bedacht, als auf die Beseitigung aller Spuren des früheren Polytheismus. Die letzte wichtige Maßnahme seiner Regierung, von der wir Kunde haben, war, daß er die Namen der alten Götter, soweit dies nicht schon früher geschehen war, überall austilgen ließ. Sogar die Bezeichnung „Götter“ wurde ausgemerzt. Eine solche Handlung war in diesem Zeitpunkt am wenigsten angebracht. Denn da das Ansehen des Königs im Sinken war, so durfte man dem Volke oder vielmehr den Priestern, die es beeinflußten, keinen direkten Anlaß zur Empörung geben. Echnaton beging diesen Fehler gleichwohl, und es scheint, daß nur sein Tod, der kurz darnach eintrat, ihn davor bewahrte, das gewaltsame Ende seiner Herschaft zu erleben.

Kaum war Echnaton gestorben, da setzte die Gegenreformation der Amonspriester ein. Sie erlangten ihre Macht, auch äußerlich bald wieder. Denn Echnatons Schwiegersohn Smenkhara war nicht der Mann, das Werk seines Vorgängers zu schützen, auch war ihm nur eine kurze Regierungszeit beschieden. Echnaton aber wurde zum Ketzer gestem­pelt, und man zerstörte sein Werk mit der gleichen Gründlichkeit, mit der er selbst das Überlieferte ausgemerzt hatte. Sein Name verfiel dem gleichen Schicksal, das er selbst dem Namen seines Vaters und demjenigen des Gottes Amon bereitet hatte. Man hämmerte seinen Namen aus und drang selbst in das Grabgewölbe ein, um auch hier das verhaßte Wort, das an Aton erinnerte, zu vertilgen. Nicht zufrieden damit, entfernte man auch die Mumie der Königin Teje, die in der Nähe von Echnatons Resten ruhte, und bestattete sie an der Seite Amenhoteps III. Und wie Echnaton einst den Namen Amenhotep abgelegt hatte, so wurde einer seiner Nachfolger, die einander schnell ablösten, gezwungen, seinen Namen Tut-anch-Aton in Tut-anch-Amon zu verwandeln. [357]

Echnaton war ein Revolutionär – nicht freilich im gewöhnlichen Sinne des Wortes. Denn seine aggressiven Triebregungen hatte er in erstaunlichem Maße sublimiert und sie in eine zu allen Wesen überströmende Liebe verwandelt, so daß er selbst den Feinden seines Reiches nicht mit Gewalt entgegentrat. Seine stärkste Feindschaft richtete sich gegen den Vater, den sie doch in Wirklichkeit nicht treffen konnte, weil dieser eben nicht mehr zu den Lebenden zählte. Wir werden hier in frappanter Weise an das Verhalten gewisser Neurotiker erinnert, die, zu schwach, um gegen Lebende aktiv vorzugehen, ihren Haß und ihre Rachsucht an Toten auslassen, meistens freilich nur in Phantasien oder in Form neurotischer Symptome.

Wie schon erwähnt, konnte Echnaton – trotz aller Auflehnung gegen die Macht des Vaters – einer diese Macht vertretenden Autorität nicht entraten. Und so schuf er sich eine neue, auf seine persönlichen Bedürfnisse zugeschnittene Religion mit einem väterlichen Gott als Mittelpunkt. Ihn stattete er mit einer unbeschränkten Macht aus – mit der Allmacht, die jedes Kind ursprünglich seinem Vater zumißt. Er machte ihn zum einzigen Gotte, in durchsichtiger Anlehnung an die Einzigkeit des Vaters. Er wurde damit zum Vorläufer des mosaischen Monotheismus, in welchem der einzige Gott unverkennbar die Züge des Patriarchen, des Alleinherrschers in der Familie, an sich trug. Überdies aber schrieb er dem neuen Gotte die grenzenlose Liebe und Güte zu, die ihn selbst auszeichneten. So schuf er sich einen Gott nach seinem eigenen Bilde, um hernach – wie es die Menschen so oft getan haben – seine Herkunft von ihm abzuleiten. In Aton spiegelt sich also Echnaton selbst mit allen seinen Eigenschaften wieder. Und wenn er den Aton, der doch tatsächlich ein Kind seiner Phantasie, der doch Geist von seinem Geiste war, als seinen Vater bezeichnet, so lesen wir darin nichts anderes als Echnatons Wunsch: von einem Vater zu stammen, der die gleichen persönlichen Eigenschaften hätte wie er selbst.

Auch in unserer Zeit bilden sich viele Individuen – wie wir es besonders von den Neurotikern wissen – eine private Religion, manche unter ihnen auch einen privaten Kultus. Sie sind, wie die Psychoanalyse oftmals darzutun vermag, Menschen, die sich in der Tiefe ihres Un­bewußten gegen den Vater empören, ihr Bedürfnis nach Abhängigkeit aber auf ein göttliches – d. h. auch dem Vater übergeordnetes – Wesen übertragen. Nicht selten fühlen sie sich berufen, die in ihrem Vaterkomplex wurzelnden Ideen zu propagieren, dann werden sie zu Religionsstiftern oder Sektenführern.

In anderen Fällen sucht der Sohn an die Stelle des wirklichen Vaters einen von seiner Phantasie geschaffenen Ideal-Vater zu setzen. Dieser trägt dann, wie nicht anders zu erwarten, alle diejenigen Eigenschaften und Charakterzüge an sich, durch welche [358] der Sohn seinen Vater zu überragen meint. Als Kern dieser Phantasieprodukte ergibt sich der Wunsch, sich selbst erzeugt zu haben, der eigene Vater zu sein. Von Aton aber, der für uns nur ein mit väterlicher Allmacht versehenes, zum Gotte erhobenes Abbild Echnatons ist, heißt es in dem mitgeteilten Hymnus, daß er sich selbst erzeugt habe!

Erklärt es sich somit aus seiner Einstellung zum Vater, daß Echnaton zum Stifter eines monotheistischen Kultus wurde und daß er eine Religion der Liebe begründete, so bleibt noch zu beantworten, warum er gerade den Aton, und nicht einen anderen Gott in den Mittelpunkt des neuen Kultus stellte. Zwar wurden schon oben verschiedene Gründe angeführt, wie das Eindringen des asiatischen Adonis-Dienstes, die Bevorzugung Atons durch die Königin-Mutter und ihr Einfluß auf den minderjährigen Sohn. Allein mit diesen äußeren Gründen erklärt man weder die Inbrunst, wie sie z. B. aus dem großen Hymnus hervortritt, noch die Tatsache, daß Echnaton sein ganzes Denken, seine beste Kraft, ja sein Leben in den Dienst Atons stellte. Teils von psychoanalytischen Erfahrungen, teils von Tatsachen der Völkerpsychologie ausgehend werde ich versuchen, dem Verhalten des Königs eine innere Be­gründung zu geben.

Durch neueste Forschungen 11) sind wir auf die besondere Bedeutung der Sonne als Vatersymbol hingewiesen worden, Belege für diese Bedeutung finden sich nicht nur in der Psychologie der Neurosen und Geistesstörungen, sondern ebenso in den Vorstellungen der verschie­densten Völker. Als Symbol eines einzigen Gottes aber eignet sich die Sonne vor allem deshalb, weil sie, im Gegensatz zu den anderen Gestirnen, einsam am Himmel ihre Bahn zieht.

Echnaton verehrt nun, wie oben ausgeführt wurde, nicht eigentlich das Gestirn selbst, sondern die Glut der Sonne. Der Sonnenwärme kommt im Vorstellungsleben der Völker die Bedeutung einer zeugenden, lebenspendenden Kraft zu. So auch in Echnatons Auffassung. Aber hier tritt – zum Zeichen seiner ungewöhnlich starken Tendenz zur Sublimierung – eine zweite Bedeutung der Sonnenwärme hinzu: sie wird zum Symbol der allumfassenden Liebe Atons. Die ersten Verse des Hymnus lassen es deutlich erkennen. Die Strahlen der Sonne, welche alle Länder umarmen, werden mit Atons Liebe identifiziert, durch die er alle Länder gefangen nimmt. Diese Symbolik ist uns aus den Träumen gesunder und neurotischer Personen wohl bekannt. Ferner treten im Krankheitsbild der Neurosen abnorme Hitze und Kältegefühle sehr häufig hervor. Sie stehen mit der Erotik der Kranken in einem meist durchsichtigen Zusammenhang, auf den an dieser Stelle nur im Vorübergehen hingewiesen werden kann. [359]

Es wird gestattet sein, noch einen weiteren Schritt zu tun, der freilich auf das Gebiet der reinen Hypothese hinüberführt. Es wurde schon eingangs auf die Beziehungen zwischen Aton und dem syrischen Gotte Adonis hingewiesen. Adonis wurde in der Gestalt eines schönen Jünglings verehrt, der eines frühen Todes stirbt 12). Bedenkt man nun, daß der junge König in dem von ihm verehrten Gotte nur ein Ebenbild seiner selbst geschaffen hatte, so mag die Vermutung ausgesprochen werden, er habe sich in seiner Vorstellung zunächst mit Adonis identifiziert. Schwach und kränklich von Kindheit an, das Schicksal eines frühen Todes vor Augen tragend, durfte er sich wohl mit Adonis vergleichen. Und was er erstrebte, war ja nicht mannhafte Tat, sondern ein Leben in Schönheit. Mit seinem Gotte Aton stimmt Echnaton in einem besonderen Zuge seines Wesens überein: auch er ist ein Einsamer. Wohl hatte er um sich einen kleinen Anhang von Verehrern gesammelt. aber in lebendigem Kontakt mit seinem Volke stand er nicht, trotz aller Versuche der Annäherung. Eine übermäßige Sexualverdrängung stört die Gefühlsbeziehungen jedes Menschen zu den andern und beraubt ihn der Fühlung mit der Wirklichkeit. Es kommt zu der bei den Neurotikern, und oft gerade bei den Begabtesten, so häufigen auto­erotischen Einengung: die eigenen Wunschphantasien werden zum ausschließlichen Gegenstand des Interesses. Der Neurotiker lebt dann nicht mehr in der Welt der wirklichen Geschehnisse, sondern in einer anderen, von seiner Phantasie geschaffenen. Er wird teilnahmslos gegenüber den realen Begebenheiten, als existierten sie für ihn überhaupt nicht. Echnatons Verhalten ist dem geschilderten völlig entsprechend. Ganz in der Welt seiner Träume und Ideale lebend, in der es nur Liebe und Schönheit gibt, hat er kein Auge für alles das, was an Haß und Feindschaft, an Unrecht und Unglück in Wirklichkeit unter den Menschen herrscht. Auch in der Natur – der Hymnus läßt es deutlich erkennen – ignoriert er die Herrschaft des Stärkeren und die Not des Schwachen, er sieht alle Kreaturen nur voll fröhlichen Dankes hüpfen und springen, hört sie jubeln zur Ehre ihres Schöpfers.

So verschloß er denn auch sein Ohr den Hilferufen seiner asiatischen Untertanen, so war er blind für die Greuel, die sich in seinen Provinzen abspielten. Sein Auge sah nur Schönheit und Harmonie, während sein Königreich in Trümmer ging. „In Achet-Aton, der neuen und glän­zenden Hauptstadt, hallte der prächtige Tempel des Aton wider von den Lobgesängen, die dem neuen Gotte des Reiches gesungen wurden, – aber dieses Reich selbst existierte nicht mehr.“ (Breasted.)

Die griechische Mythologie erzählt uns von dem Jüngling Phaeton, dem Sohne des Helios, der sich vermaß, an seines Vaters Stelle den Sonnenwagen über den Himmel zu führen. Er verlor die Gewalt über seine Rosse, und aus dem Wagen stürzend, büßte er sein Leben ein. Das Schicksal dieses Sohnes der Sonne berührt uns wie ein Gleichnis zur Geschichte Echnatons. Mit kühnem Gedankenfluge trat auch dieser seine Fahrt an. Zu Sonnenhöhen strebend ließ er die Zügel fallen, die seine Väter mit starker Hand gehalten hatten, und es erfüllte sich an ihm das Schicksal so mancher Idealisten: während sie in einer Welt der Träume leben, gehen sie an der Wirklichkeit zugrunde.

 

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10) Weigall vermutet, daß auch der 19. Psalm sein eigentümliches Gepräge diesem Einfluß verdankt. In V. 6 bis 7 heißt es dort von der Sonne (deren Geschlecht in der hebräischen Sprache männlich ist):

„Und er gehet hinaus wie ein Bräutigam aus seiner Kammer, und freuet sich wie ein Held, zu laufen seine Bahn. Er gehet auf an einem Ende des Himmels und läuft bis an sein and'res Ende, und nichts bleibt vor seiner Glut verborgen.“

Sicherlich dürfte es sich hier um Reste eines Hymnus auf den Sonnengott handeln, ob sie ägyptischen Ursprungs sind, mag dahingestellt bleiben.  

11) Ich nenne hier besonders: Freud, Psychoanalytische Bemerkungen über einen autobiographisch beschriebenen Fall von Paranoia, sowie den Nachtrag zu dieser Arbeit. („Jahrbuch für psychoanalytische Forschungen“, Bd. III.)  

12) Vgl. hierzu die ähnliche Gestalt des Baldur in der germanischen Göttersage.