Karl Abraham
1877 - 1925
Amenhotep IV. (Echnaton)Psychoanalytische Beiträge zumVerständnis seiner Persönlichkeit unddes monotheistishen Aton-Kultes
1912
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Einleitung
Anmerkung zu den Abbildungen: Die Kunst der Amarna-Zeit wird heute gewöhnlich in zwei Phasen unterteilt: in einen älteren Stil - in der Frühzeit der Herrschaft von Amenophis IV. (Echnaton) in Theben und in einen jüngeren Stil - in Amarna. (vgl. dazu: Julia Budka, Die Kunst der Amarna-Zeit, Universität Heidelberg 2002)
Im Jahre 1880 wurde in der Nähe des ägyptishen Dorfes Tell-el-Amarna eine große Anzahl von Tafeln mit asiatischen Texten aufgefunden. Diese Tafeln stellten sich als wichtige historische Dokumente heraus und brachten insbesondere über König Amenhotep IV. und seine Regierungszeit die merkwürdigsten Aufschlüsse. Die aus jener Epoce erhaltenen hieroglyphishen Texte setzten in Gemeinschaft mit den «Amarna-Tafeln» die Forschung in den Stand, von der Persönlichkeit des Königs ein anschauliches Bild zu entwerfen. Wir besitzen eine Reihe von Quellenbüchern und Bearbeitungen der ägyptischen Geschichte, die eine Fülle des Interessanten über jene Epoche mitzuteilen wissen 1). Sie lieferten die materiellen Grundlagen der nachfolgenden Untersuchung. Ich verweise namentlich auf die Werke von Breasted, dessen «Geschichte Ägyptens» vor kurzem in einer vorzüglichen deutschen Bearbeitung erschienen ist, sowie auf Weigalls ausgezeihnete Monographie über das Leben Amenhoteps IV.
Echnaton, Kolossalstatue Karnak (älterer Stil)
Nofretete, Amarna-Zeit (jüngerer Stl)
Die Ägyptologen haben sich des «Ketzerkönigs», der sich selbst den später zu erklärenden Namen Echnaton beilegte, mit besonderem Interesse, ja mit einer Begeisterung angenommen, die dem Uneingeweihten seltsam und unverständlich erscheinen muß. Trennen uns doch drei Jahrtausende und einige Jahrhunderte von der Amarna-Periode! Wenn aber ein so berufener Forscher wie Breasted den König als die merkwürdigste Gestalt in der älteren orientalischen Geschichte bezeichnet, ja geneigt ist, ihm in der Weltgeschichte einen ganz besonderen Platz einzuräumen, so werden wir zu erfahren wünschen, durch welche Eigenschaften oder Taten Amenhotep IV. sich eine solche Ehrenstellung verdient hat.Amenhotep IV., welcher der achtzehnten Dynastie angehört, lebte im vierzehnten Jahrhundert vor Christo. Er war weder ein Eroberer noch ein staatskluger Herrscher wie so mancher seiner Vorfahren. Vielmehr ging unter seiner kurzen Regierung das von jenen gegründete Weltreich zugrunde, indessen der junge König der Katastrophe untätig zusah. Seine Größe liegt auf anderem, auf ideellem Gebiet. Man staunt, wenn man nur in einigen Andeutungen den Inhalt dieses kurzen Lebens erfährt. [335]Zehn Jahre alt, besteigt Amenhotep IV. den Thron, mit achtundzwanzig Jahren stirbt er. In den wenigen Zwischenjahren führt er auf den Gebieten der Religion, der Ethik, der Weltanschauung und der Kunst eine großartige Umwälzung herbei. Alles, was wir über diese geistige Revolution erfahren, läßt uns darauf schließen, daß der König seiner Zeit weit vorausgeeilt war. Er erscheint als der Träger von Ideen, die zum Teil erst nach mehr als tausend Jahren wieder aufgenommen wurden. Waren seine Vorfahren gewaltig in der Tat, so ist der letzte direkte Sproß der achtzehnten Dynastie ganz Träumer, ganz Denker und Idealist, ganz Ethiker und Ästhet. Er ist der erste Große im Reiche des Geistes, von dem die Geschichte der Menschheit meldet.Wer sich gewöhnt hat, alles Seelische unter den Gesichtspunkten der Freudschen Forschungen zu betrachten, den fordert das Leben Amenhoteps IV. gleichsam dazu heraus, es psychoanalytisch zu durchdringen. Denn es läßt in einzigartiger Durchsichtigkeit erkennen, wie ein Mensch in jener weit entlegenen Kulturepsche von den gleichen «Komplexen» beherrscht wurde, wie die gleichen psychischen Mechanismen in ihm wirkten, welche die Neurosen-Forschung Freuds und seiner Schule bei Individuen unserer Tage aufgedeckt hat.
―――――――― 1) Breasted, Ancient Records of Egypt., Vol. 2, Chicago 1906. – Breasted, History of Egypt, Chicago 1905. Deutsche Ausgabe: Geschichte Ägyptens. Deutsch von Dr. H. Ranke. Berlin 1911. – Weigall, The Life and Times of Akhnaton Pharao of Egypt. Edinborough und London 1910. – Niebuhr, Die Amarna-Zeit. In: Der alte Orient. Jahrgang 1, Heft 2. Leipzig 1899. – Sethe, Urkunden der 18. Dynastie. Bd 4 der Urkunden des ägyptischen Altertums, Leipzig 1906. – Flinders Petrie, A History of Egypt., Vol. 2, London 1896. |