BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Carl Vogel

1798 - 1864

 

Die letzte Krankheit Goethe's

 

1833

 

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C. W. Hufeland

Nachschrift.

 

Ich rechne es zu den größten Vorzügen meines Lebens und zu den schönsten Seiten desselben, daß es mir vergönnt war, diesem großen Geiste, diesem Heros der teutschen Geisterwelt eine lange Reihe von Jahren hindurch persönlich nahe zu stehen und sie mit ihm zu verleben, so daß ich ihn als einen wesentlichen Bestandtheil meines eignen Lebens betrachten kann. Als Knabe und Jüngling schon sah ich ihn im Jahre 1776 in Weimar erscheinen in voller Kraft und Blüthe der Jugend und des anfangenden Mannesalters. Nie werde ich den Eindruck vergessen, den er als Orestes im griechischen Costüm in der Darstellung seiner Iphigenia machte; man glaubte einen Apollo zu sehen. Noch nie erblickte man eine solche Vereinigung physischer und geistiger Vollkommenheit und Schönheit in einem Manne, als damals an Goethe. – Unglaublich war der mächtige Einfluß, den er damals auf gänzliche Umgestaltung der kleinen Weimarschen Welt hatte. – Nachher hatte ich das Glück 10 Jahre lang (von 1783 bis 1793) als Arzt und Freund seines nähern Umganges zu genießen. Zwar gab er dem Arzte wenig zu thun, seine Gesundheit war in der Regel, wenige vom Einfluß der Atmosphäre herrührende rheumatische und catarrhalische Beschwerden, und besonders die schon damals vorhandene Disposition zu catarrhalischer Angina abgerechnet, vortrefflich; aber desto lieber unterhielt er sich mit dem Arzte als Naturforscher, und so genoß ich bei ihm manche Stunden der interessanten Mittheilung, Belehrung, und geistiger Erweckung.

Was seine physische Natur betrifft, so kann ich nur das, was der geistreiche Hr. Verfasser dieser ihres Gegenstandes so würdigen Schilderung gesagt hat, bekräftigen. Es ist mir nie ein Mensch vorgekommen, welcher zu gleicher Zeit körperlich und geistig in so hohem Grade vom Himmel begabt gewesen wäre, und auf diese Weise in der That das Bild des vollkommensten Menschen darstellte. Aber nicht bloß die Kraft war zu bewundern, die bei ihm in so außerordentlichem Grade Leib und Seele erfüllte, sondern mehr noch das herrliche Gleichgewicht, was sich sowohl über die physischen als geistigen Funktionen ausbreitete, und die schöne Eintracht, in welcher beides vereinigt war, so daß keines, wie so oft geschieht, auf Kosten des andern lebte, oder es störete.

Man kann mit Wahrheit sagen, daß dieses hauptsächlich seinen Geist auszeichnete, daß alle Geisteskräfte in gleich hohem Grade und in der schönsten Harmonie vorhanden waren, und daß selbst die bei ihm so lebendige, so schöpferische, Phantasie durch die Herrschaft des Verstandes gemäßigt und gezügelt wurde. Und eben dieß gilt von dem Physischen; kein System, keine Funktion hatte das Uebergewicht; alle wirkten gleichsam zusammen zur Erhaltung eines schönen Gleich­gewichts. – Aber Produktivität war der Grundcharakter sowohl im Geistigen als Physischen, und im letztern zeigte sie sich durch eine reiche Nutrition, äußerst schnelle und reichliche Sanguifikation und Reproduktion, kritische Selbsthülfe bei Krankheiten und eine Fülle von Blutleben. Daher auch noch im hohen Alter die Blutkrisen und das Bedürfniß des Aderlasses.

Solche Erfahrungen gehören zu den seltensten Geschenken des Himmels. Es ist Freude zu sehen, daß die Entstehung so vollkommner Menschennatur auch noch in unsern Zeiten möglich ist, die so manche für eine Periode der Abnahme des Menschengeschlechts halten.

Er endete mit den Worten: „Mehr Licht“ – Ihm ist es nun geworden. – Wir wollen es uns gesagt seyn lassen, als Nachruf, zur Ermunterung und Belebung.