BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Adalbert Stifter

1805 - 1868

 

Briefe

 

Briefe an Franziska Greipl

 

Quelle: Adalbert Stifter, Die Mappe meines Urgroßvaters,

Schilderungen, Briefe, München: Winkler-Verlag 1968

Digitale Version: Liebesbriefe - eine Sammlung von Dorothea Stasch

(Leider sind diese schönen Seiten nicht mehr im Netz).

 

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7. November 1828

3. Februar 1828

15. Mai 1829

1. Oktober 1829

15. November 1829

14. Februar 1830

20. August 1835

 

 

Wien, am 7. November 1828

Liebe teure Freundin!

 

Ich habe Dir versprochen, oder besser gesagt, Du hast mir erlaubt, an Dich schreiben zu dürfen; und von dieser Erlaubnis mache ich daher Gebrauch, und sende Dir diese Zeilen von Wien, nebst meinen tausendfachen Gruß. Beinahe unerträglich ist mir wieder das Leben in Wien auf jene glückliche goldene Zeit, in weicher ich in so angenehmer Gesellschaft im Budweiser Kreise herumfuhr. Ich werde jener Tage in Ewigkeit nicht vergessen, es waren die schönsten Ferien meiner ganzen Studienzeit. Für jedem Menschen von Bildung und feinem Gefühle ist es ein inniges Lebensbedürfnis, sein Herz an andere Menschen anzuhängen, die er lieben, mit denen er in herzlichem Verkehre leben kann. Darum ist es mir bei Euch so wohl, weil ich weiß, daß Ihr mir alle gut seid, und weil ich das seelige Gefühl genießen kann, Euch recht von Herzen lieben zu dürfen. Vergiß nicht, liebe Fany! auf das, was ich Dir in den Ferien sagte, es kam aus dem aufrichtigen Herzen Deines besten Freundes – doch das wirst Du längst vergessen haben, nur eines bitte ich Dich, spotte nie über meine Schwäche, es würde mich ungemein schmerzen, denn ich habe Dich wirklich recht mit ganzem Gemüte lieb, und werde Dich immer lieben. Ich weiß es ja, es ist nur ein liebliches Phantom, es ist nur ein Kartenhaus, an dem ich mich so sehr ergötze, doch mir ist dieses Phantom dieses Kartenhaus so lieb, und mich wird der Wind sehr betrüben, der es gewiß über kurz oder lang umblasen wird. Wenn es eine Torheit ist, die ich begehe, so ist jenes Herumfahren schuld, wo wir uns beide so nahe kamen – doch es mögen die Sachen stehen, wie sie wollen, über dies einzige sei überzeugt, daß ich stets Dein Freund in der vollen, Bedeutung des Wortes bleiben, und nie zweideutig gegen werde, sondern jederzeit offen redlich und wahr. Ich hätte Dir unendlich viel zu sagen, was man alles einem Briefe nicht einschalten kann. Schreibe ja gewiß, ich bitte Dich herzlich.

 

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Teuerste Freundin!

Wien, am 3. 2. 1829

Ich bin so eitel, mir einzubilden, daß Du schon recht ungehalten sein wirst, weil Dein freundliches Zuschreiben keine Antwort erhalten hat. In der Voraussetzung also, daß Du meine Antwort und aber auch mein Stillschweigen nicht gleichgültig sei, entschuldige ich mein langes Schweigen damit, daß ich wirklich keine Minute Zeit mir abnötigen konnte, in dem ich, da der Hofmeister des Grafen Colloredo krank war, die ganzen Geschäfte desselben zu besorgen hatte, so daß ich in der Frühe fortging, und 1/2 9 Uhr abends nach Hause kam, und dies täglich, so lange der Hofmeister krank war. Es ist die zwar eine abgenützte Entschuldigung, die des Zeitmangels, aber ich denke, Du wirst Deinem Freunde das Zutrauen schenken, daß er Dich nicht hintergehen will. Dein Schreiben, das Du so ungerechter Weise ein Gekritzel nennest, hat mich im höchsten Grade entzückt, da es mich doch einiger Maßen überzeugt, daß meine Freundschaft und Dein Wohlwollen gegen mich doch nicht jenen flüchtigen Charakter hat, der der Zuneigung eigen ist, die man gewöhnlich einem guten Bekannten, mit dem man sich einige Zeit hindurch gut unterhält, so lange er da ist, weiht, und wenn er fort ist, nach und nach des fröhlichen Gesellschafters vergißt. Verzeihe mir anfangs glaubte ich fast, die mit Euch Mädchen in den langen Ferien geschlossene Freundschaft, die so enge zusammen gezogen wurde, daß Ihr uns das brüderliche Du erlaubtet, würde nichts weiter sein, als das momentane Aufwallen eines fröhlichen Augenblickes, wo das jugendliche Gemüt von dem allgemeinen Vergnügen hingerissen, sich zu etwas verpflichtet, was doch, wenn die Zeit so nach und nach ihre Schleier darüber legt zuletzt so verhüllet wird, daß es schwächer und schwächer durchschimmert, – und endlich ganz aus dem Bewußtsein sinkt.

Es würde mich sehr schmerzen, wenn die gegenseitige Zuneigung in unserem Zirkel, die sich auf Offenheit und Vertrauen im Umgange gründet, diesen Gang alles Menschlichen nehmen müßte, obwohl Liebe und Vertrauen als Kinder des Geistes gleich ihrem Vater unabhängig von dem Gesetze der Sinnenwelt und des Vergänglichen unsterblich sein sollen, und ewig!

Zürne nicht, wenn ich noch zweifle ob nicht der Geist des Flüchtigen doch ein Mal unsere Freundschaft anhauchen werde! – Ich fürchte mich schon auf die Zeit, wo das so schöne bruderliche Band sich allmählich lösen wird, und wo der Jugendzeit, der Zeit unbefangenen freudigen Liebens, als eines schönen Traumes gedacht werden wird, der der gemeinen Wirklichkeit Platz machen mußte. Und so wird man von Tag zu Tag ärmer, wie sich eine Jugendfreundschaft nach der andern von dem Herzen ablöset; denn nur der ist reich, der geliebt wird, und lieben darf. Dann habe ich nichts mehr auf der Welt, wenn ich nicht einen Bruder oder Freund mehr habe, den ich lieben, für den ich fürchten, hoffen, und sorgen darf. Aber nicht wahr ich mache Dich nur verstimmt mit meinen düsteren Betrachtungen. Sieh ich bin recht gut versorgt was die Bedürfnisse des Lebens anbelangt, und doch werde ich, der sonst so lebenslustige, ich möchte sagen ausgelassen lustige, von Tag zu Tag ernster, wie Du es schon bemerkt hast, daß ich in den vergangenen Ferien nicht mehr so lustig war, als früher, und meine Stirne verfinstert sich. Einen großen Teil davon mag das Bewußtsein haben, daß ich einen gewissen Wunsch, der mein höchster ist, nie und nimmermehr erreichen werde. Nun er fahre hin, aber lieb wird er mir bleiben, so lange ich lebe.

Laß Dich nicht traurig machen durch Obiges!

Mathis hat mich nicht recht verstanden. Ich schrieb ihm, daß ich einen lithographierten Abdruck von Grünau wüßte (er war nämlich in der Kunsthandlung am Michaelsplatz) und daß ich mich zu etwas entschließen könnte, nämlich ihn zu kaufen, und für Dich zu malen. Aber denke Dir meinen Zorn und Verdruß, als ich, freilich erst nach langer Zeit, hinging, und erfuhr, daß er Weg, und der letzte gewesen sei. Es ist mir sehr leid, daß ich einen Wunsch, den zu befriedigen nun nicht mehr in meiner Macht steht, in Dir erregte; aber Dein Friedberg soll recht, recht schön werden. Ich habe es schon 2 Mal angefangen, alleine jedes mal wieder herabgerissen, da es mich nicht befriedigte. Laß es bis ins Frühjahr, wo es lichter wird, denn jetzt kann keine Farbe rein und klar aufgetragen werden, da das so notwendige Bedürfnis, helles Sonnenlicht gänzlich fehlt. Dein Vater wird es Dir bei seiner nächsten Wienerreise bringen. – Wenn Du mir nur einen Beutel als Belohnung für meine Arbeit machest, so ersuche ich Dich, mir keinen zu machen – ich hätte ihn lieber Deiner Zuneigung verdankt.

Unterhältst Du Dich gut im Fasching? Warst Du schon auf Bällen? Was macht die Nani? Hat wohl – das geht mir im Kopfe – hat wohl der heurige Karneval wieder ein Unglück unter Deinem Busentuche angerichtet??? Schreibe mit bald, bald gleich nach Empfang dieses, und alles, alles, was Du Dir und der Nani weißt, und N.B. sagen willst. Lebe wohl, grüße die Nani tausend mal.

Dein Freund Stifter

 

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[Wien] Am 15. Mai 1829]

Teuerste Freundin!

 

Dein letztes Schreiben, so sehr mich das Erblicken der bekannten Schriftzüge erfreute, hat mir sehr großes Mißvergnügen gemacht, da es mich so tief in meinem Selbstgefühle ergriff und verletzte. Ich achte Dich und Deine Freundschaft zu mir viel zu hoch, als daß ich nicht die Mittel, die mir so gerechte Weise zu Gebote stehn, ergreifen sollte, um meine Ehre vor Dir und deinem Bruder, der ebenfalls an mir zweifelt, zu rechtfertigen. Um dies um so bündiger tun zu können, so will ich Deinen Brief Zeile für Zeile durchgehen, beantworten, und wo es nötig ist widerlegen. Du schreibst, daß ich gewiß nicht zürnen würde über Deinen so langes Stillschweigen, wenn ich die Ursache wüßte, und doch gibst Du diese Ursache nicht an – soll ich also aufhören, über Dein Schweigen beunruhigt zu sein, so sage mir die Ursache desselben – Eine andere Stelle in Deinem Schreiben sagt: daß meine Freundschaft erkaltet sein müsse, da ich Mißtrauen in die deinige setze. Wirst Du das Mißtrauen nennen, wenn ein Mann ein Kleinod besitzt, ja noch nicht ein Mal besitzt, sondern es sehnlichst zu erlangen wünschet, und wenn er nun dies Kleinod wie sein Auge wahret, und es ängstlich gleich zu verlieren glaubt, sobald ein Umstand eintritt, der seinem Besitze Gefahr zu drohen, scheint – wirst Du dies Mißtrauen nennen können. Wer dabei gleichgültig bleiben kann, ob sein Freund ihm schreibt, oder nicht schreibt – der liebt nicht. Ich möchte um alles nicht, daß jemand, an dessen, Liebe mir gelegen ist, ruhig sein könnte, wenn ich ihm sehr lange nicht schriebe. Du darfst mir daher meine Zweifel und Besorgnisse schon verzeihen, es sind Kinder einer aufrichtigen Neigung. – Ferner lautet es in Deinem Briefe wörtlich: Die Frage, die Du in Deinem letzten Briefe an mich machtest, die laß mir unbeantwortet, warum, Stifter, soll ich Dir noch eine Erklärung über das machen, was Du vielleicht schon lange als Torheit erkennest – laß uns lieber von den Ferien nichts mehr schreiben, denn mir ist seit Deinem letzten Brief, als wäre Dir die Erinnerung an den Herbst die Störerin mancher Deiner Freuden etc. Was Du mit dieser Stelle sagen willst, verstehe ich durchaus nicht. Ist es Spott und Ironie, oder beleidigte Dich in meinem letzten Schreiben, daß ich meine Liebe – zu Dir eine Torheit nenne. Fany, wenn es Dich beleidigte, dann hast Du mich gewißlich mißverstanden. Nicht die Liebe zu Dir nenne ich Torheit, sondern das nenne ich Torheit, daß ich immer und immer Hoffnungen habe, immer eine schöne Zukunft träume, wo doch die Verhältnisse so stehen, daß sie vermutlich diese so süßen Hoffnungen nie – in Ewigkeit nie in Erfüllung werden treten lassen. Darum nenne ich sie Torheit, weil sie Dir und mir so manches Weh bereiten kann, darum meinte ich, es wäre besser, wenn sie nicht da wäre, um nur Dir nicht Unglück zu bereiten, da diese Leidenschaft nie zu Glücke führen kann, darum kämpfte ich schon im Herbste gegen das Aufkeimen derselben in meiner Brust an, um Deinen Frieden nicht zu stören, darum war ich traurig, weil ich doch nicht bezwingen konnte, und kein fröhliches Ende absah, und doch diese Liebe nicht lassen konnte, darum findest Du in mir den Widerspruch, daß ich Dich jetzt mit aller Macht des Herzens mein zu nennen wünsche, und jetzt wieder mich zwinge es für besser zu halten, wenn es wäre, wie früher – und darum nannte ich diese Liebe eine Torheit! und sage – hab ich Unrecht. Aber was ich unter Torheit verstehe, hat einen tieferen quälenderen Sinn als was Du meinest. Die Vernunft Bringe das Mädchen durch Deine Liebe nicht um ihre Ruhe und doch kann ich die Neigung meines Gemütes nicht vertilgen, wie es die kalte Vernunft fodert. So herrschen 2 Stimmen in mir, die sich widersprechen, und so geschieht es, daß ich Dir in demselben Augenblicke sage daß ich Dich liebe – und auch daß besser wäre, wir wären bloß Freunde. Könnte ich nur mein geheimstes Fühlen vor Dir entfalten wie ein Buch, damit Du mich verständest, aber nimmer und nimmer kann ich in Worte kleiden, was so lebendig vor der Seele steht, und Du mißverstehst mich vielleicht wieder. – Dieses Kämpfen und Ringen, dieser Widerspruch in mir oder besser gesagt, das Gewissen das mir vorwirft, ich zerstöre Deine Ruhe, selbst wenn ich Dich unaussprechlich treu liebe, ich als Mann sollte stärker sein – dies ists, was mich quält, und in diesem Sinne hast Du recht, wenn Du die Erinnerung an die Ferien eine Störerin meiner Freuden nennst. Verstehst Du aber darunter, es reue mich, weil ich nun kälter geworden bin – dann tust Du mir schweres Unrecht, das ich wahrhaftig von Dir am allerwenigsten verdienet habe, da ich alle Freuden nicht mit meiner Liebe vertauschen möchte, selbst wenn sie mir Schmerz bringt. Ferner heißt es in Deinem Briefe

" treten wir wieder zurück in unser ganz früheres Verhältnis, ich weiß Du wünschest es." Fany! das konntest Du schreiben!? Wäre es denn Dir so leicht zurückzutreten? Mir nicht. Auf Ehre, bei dieser Stelle mußte ich mich in die Unterlippe beißen und das Wasser trat mir in die Augen. Meinst Du, es sei so leicht, das vorige Verhältnis der Unbefangenheit und Ruhe herzustellen? Wo ein mal das Gleichgewicht gestöret ist, sei es durch Liebe, sei es durch Haß, dort ist es nimmer wieder herzustellen, denn es wird immer und ewig eine gewisse Spannung und Ängstlichkeit oder Befangenheit herrschen, die die Seele hindert, sich frei und freudig zu bewegen. Deshalb haben wir beide nur mehr die Alternative, daß wir uns recht lieben, oder ganz entfremden müssen, es gibt kein drittes. Mute mir ja nicht zu, daß ich das Zurücktreten in vorigen Stand wünsche – o Himmel! wenn es auf meine Wünsche ankäme, was so ganz anderes wünschte ich mit jedem Pulse meines Lebens – doch wenn Du meinst, es müsse ein Trennen und Vergessen sein – nun in Gottes Namen, ob auch ein Herz sich darob in Unmut und Verachtung jedes schönen Gefühles, das so belohnt wird, verzehret, das macht nichts – ganz und gar nichts.

Der Schluß Deines Briefes trieb mir die Röte des Zornes in das Gesicht, denn er ist höchst beißend, beinahe möcht' ich sagen: hämisch. Du schreibst, daß wenn ich aufrichtig sein wollte, Du in meinem nächsten Briefe sehen würdest, daß es mir in meinen Briefen schon Mühe kostete, so zu scheinen, wie ich im Herbste zu sein glaubte. Während ich hier sitze und an Zeichnungen für Euch arbeite, und mich schon im Voraus an Eurer Freude ergötze: bekomme ich einen Brief, wo solches darin steht!! Ich glaube Du solltest mich besser kennen, ich scheine nie, ich bin, und ich setzte jederzeit meine Ehre darein, auch das zu scheinen, was ich bin, Masken hab' ich stets gehaßt und sonst würdest Du wohl wenig von Meiner früheren Liebe wissen – ich hab' es nie verborgen, dazu bin ich zu stolz – ich will meine Taten nicht verheimlichen, sondern sie verteidigen gegen jedermann, der sie zu schmähen unternimmt. Du weißt, ich habe Dir nie geschmeichelt, ja oft unangenehmes gesagt, dadurch unterscheide den Mann von Ehre von den Stutzer und dem Heere der Cour – Macher – weshalb sollte ich denn jetzt auf ein Mal anfangen zu scheinen, was ich nicht bin. Ich hab gleich mit Beginn des Schuljahres alle Korrespondenz mit Linz gänzlich abgebrochen, weil ich es unter meiner Ehre achtete, nur in der entferntesten Berührung zu stehn mit jemand, den ich beschuldigt werde geliebt zu haben. – Sage mir doch um des Himmels willen, wie bist Du denn auf den Gedanken gekommen, zu meinen, ich habe mich geändert? Mein letzter Brief kann unmöglich die Ursache gewesen sein, oder Du hast ihn gänzlich mißverstanden – aber es ist nicht möglich. Warum, gabst Du denn den Grund nicht an, wegen dem Du mich für verändert hieltest. Dein Bruder war nicht so bedenklich, denn er hat mir geschrieben, daß in Friedberg die Meinung herrscht, daß ich die künftige Ferien nicht hinauf kommen werde, weil ich wegen einen Mädchen hier bleiben werde. Ich muß lachen und mich ärgern über diese bizarre Meinung. Wie fällt Euch denn so was ein, da ich den ganzen Tag so beschäftigt bin, daß ich nicht ein Mal Zeit hätte, ein Mädchen zu besuchen, selbst wenn ich mit einem bekannt wäre – nun aber kenne ich ja gar kein junges Frauenzimmer in ganz Wien, außer vom Sehen aus – und werde ich die Ferien da bleiben!!! Ja vergangenen Donnerstag unterhandelte ich recht lebhaft mit Herrn Jax, Mediziner im 2 Jahre, daß er bei dem Hofrat von Sommer während der Ferien statt meiner Stunde gebe, damit ich ja hinauf könne. Alles dieses wird Schiffler und Mugerauer bezeugen – so stehn die Sachen, und nun verkenne mich, wenn Du darfst! Es hat mir tief weh getan, jedoch ich weiß nicht ohne Fehl – und hoffe mich vor Dir rechtfertiget zu haben. Und nun, Fany, wiederhole ich meine Frage des vorigen Briefes. Ich bitte Dich, weiche mir nicht aus, sag es mir gerade zu – ich kann und will nicht länger in diesem Zwitterverhältnis zwischen Freundschaft und Liebe schweben – mag die Antwort sein wie sie wolle, ein Mal muß entschieden werden – nur zweifle nicht mehr an meiner Liebe und Aufrichtigkeit – fürwahr mit keinem Mädchen bin [ich ] so redlich umgangen. Schreibe mir recht recht bald. Der Nanni alles schöne.

Stifter

 

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[Wien] Am 1.Oktober 1829

Meine herzinnigstgeliebte Freundin!

 

Die schlechte stinkende Luft, der Lärmen, und vor allem Herzweh sagen mir, daß ich in Wien bin. Gestern Abends d.i. Mittwoch am 30. September kamen wir bei noch scheinenden Sonne in Nußdorf an, und es ist heute mein einziges tröstliches Geschäft, diese Zeilen an Dich zu schreiben. 0 Fanni! in meinem ganzen Leben habe ich noch keinen so innigen Schmerz gefühlt, als der war, mit dem ich am Mondtage Morgens vor Deinem Bette stand und Abschied nahm. Mir war, als müßte ich von allem, was die Erde nur immer Liebes und Freundliches für mich hat, scheiden, als stände mir ein unglücksvolles Jahr bevor. In den Mantel gehüllt, ging ich, ohne mit den andern zweien ein Wort zu reden bis auf den Friedauer – Berg voraus. Dort setzten wir uns auf, warfen aber schon in dem Walde vorn um, jedoch ohne uns zu beschädigen. Bis in den Weißenbach waren wir fast schon durch und durch naß, und in der Zwettl mußten wir vor Nässe Rock und Stiefel ausziehen. Allein das schlechte Wetter war das geringste Ungemach, was mich traf; eine unaussprechliche Wehmut war in meinem Herzen, und ich mochte auf die verschiedenste Weise mich zu zerstreuen suchen: immer und immer stieß ich wieder auf irgend einen Gegenstand oder Gedanken, der mich auf Dich erinnerte. In Linz sprach die Jungwirtin von Dir, erkundigte sich nach Euch – ich sog ihr jedes Wort von den Lippen. Bei dem Mugerauer Barthl schickte ich Euch die letzten Grüße, und ging auf das Wasser –

o Gott! es war nicht lustig. Entweder ich mußte recht übertrieben und toll durch einander schwärmen, lachen, und poltern: oder ich saß auf dem Dache oder ganz vorn auf dem Spitze des Schiffes, und dachte an die Vergangenheit, und hing Luftschlösser bauend meinem Schmerze nach, der in aller seiner Wehmut doch das Süße hatte, daß er das Bewußtsein mit sich führte, daß ich von Dir so herzlich geliebt werde. Wien hat meine Traurigkeit nicht vermindert, sondern im Gegenteile vermehrt. 0 mir ist die Stadt und ihre Menschen und all ihr Treiben und Wogen und Lärmen verhaßt, wie der Tod. Alles hier verwundet mich, und alles ist mir widerwärtig, weil es hier so ganz anders ist, als bei Euch, wo Güte und Redlichkeit des Gemütes und Liebe zu Hause ist. Wir wissen erst, wie teuer uns unsere Freunde sind, wenn wir sie nicht mehr haben. Jetzt erst weiß ich, wie unendlich ich Dich liebe, da 32 Meilen zwischen uns liegen, da ich Deinen freundlichen Blick nicht sehe, Deine Stimme nicht höre, und Dir nicht sagen kann, wie mir um die Seele ist. Überall, wo ich gehe und stehe, überall gehst Du mir ab, immer ist mir, als sollte ich Dich wo aufsuchen, als sollte ich Dir dies oder das sagen, als müßte ich Dich irgend wo finden: aber wo mein Auge hintrifft, begegnen ihm kalte und fremde Blicke, die mich daran mahnen, daß ich wieder in den herzlosen Wien bin. Lächle nicht, wenn ich Dir sage, daß mir selbst das Essen nicht schmeckt, und daß ich mich schon allemal auf die Nacht freue, wo ich entweder schlafend von gar nichts weiß, oder ein Traum mich täuscht, daß ich bei Dir bin.

Fanni, liebe liebe Freundin! wenn ich den Gedanke denken sollte, daß wir uns einst trennen müßten – ich bitte Dich übereile Dich nicht, wenn man Dir eine Partie vorführt – Du zerissest mir das Herz, wenn ich Dich unglücklich wüßte und doch was wird es anders sein? – ein Fremdling wird kommen und mit kalter Hand Dein Herz dahinführen, das mich und Dich unendlich glücklich gemacht hätte. Er wird Dich nicht kennen, Dich nicht nach Verdienst würdigen können – und mir – mir bricht das Herz, wenn ich Dich in rohen liebeleere Händen wüßte. Doch wenn irgend Treue und Glauben in der Welt ist, so bitte ich Dich, baue und traue auf mich, eher verlasse ich das Leben, als ich Dich verlasse. Wenn Du Mut hättest und Vertrauen auf mein Ehrenwort oder, besser gesagt, auf meine Rechtschaffenheit! Feste Ausdauer muß endlich zum Ziele führen. Was mich betrifft, so wollte ich jede Kraft, die nur immer in mir liegt, aufregen zur Tätigkeit, ich will arbeiten was ein Mensch arbeiten kann – aber Du müßtest aus Liebe Vertrauen in mein Versprechen Dich selbst zum Lohne meiner Mühe aufsparen. Es müßte doch ein Mal eine Zeit kommen, wo ich mit Ehren vor Deine Eltern treten könnte, und sie bitten, daß sie mir Dich als mein Liebstes auf Erden geben möchten. Dann soll Deine Mutter ein Beispiel erleben, daß doch nicht jede Studentenliebe vergänglich sei. Denke nicht, Fanni, daß ich schwärme, nein, seit dem ich eine weitläufigere Unterredung mit dem Hofrate Sommer hatte, (die Du nächstens erfahren sollst) seit dem ist es mein nüchterner, unabänderliche Entschluß, Dich, zu gewinnen, oder ich verlange mir sonst gar keine Anstellung und keine Freude auf der Welt. Freilich wirst Du mir einwenden, es gehe zu lange her; aber ein starkes Gemüt steckt sich ein weites Ziel, allein es läßt nicht ab, bis es dasselbe erreicht – und wenn es wahr ist, wenn Du mich liebst, wie ich Dich, – dann ist auch Dir das Ziel nicht zu weit, und die Ausdauer nicht zu lange. Und überdies, was ist denn an dem ganzen Plane Unmögliches und Zweifelhaftes? Im schlimmsten Falle kann es 6 –8 Jahre dauern, und warum soll treue Liebe diesen Zeitraum nicht überwinden können? Nur kleine und schwache Seelen schrecken vor großen, und weit aussehenden Planen zurück. Anderer Seits aber hat man auch Beispiele, daß es schnell geglückt ist. Heute erzählte mir, der Reißer, daß einer (den Namen habe ich vergessen) der im vorigem Jahre absolviert hat, nun in Linz mit 600fl.C.M. angestellt ist. Hat es diesem geglückt, wer kann es mir absolut absprechen? Ich habe Gönner, und zwar große, meine Liebe gibt mir Mut, und Gott hat mit Talente verliehen, die mich zu großen Erwartungen berechtigen, warum soll ich bei Anwendung alles dessen nicht vorwärts kommen? Darum fasse Mut, und verzage nicht, bleiben nur wir uns treu und harren standhaft aus, so muß auch das Glück uns treu bleiben. Von meiner Seite setze ich Dir meine Seligkeit zum Pfande, (ich sage nicht viel und weiß wohl, was ich da sage und verspreche) daß ich, nur Dich nehme, falls Du treu bleiben willst, und solltest Du hundert Jahre alt sein. Jetzt weißt Du alle meine Beschlüsse. Antworte mir darauf aufrichtig, und wie Dir 's um das Herz ist. Schreibe mir sogleich, ich bitte Dich herzlich, Mädchen! und alle Deine Meinungen, Deine Gefühle, alles, alles was auf Dich Bezug hat. War Dir denn auch so weh und bange? Wie brachtest Du denn die Tage zu? Deine Krankheit quälet mich auch immer. Noch ein Band will ich heuer zwischen Dir und mir anknüpfen, das so manches freundliche Wort zu Dir bringen kann – ich meine das Bürgerblatt. Alle Gedichte, die Du mit dem Namen Ostade unterzeichnet finden wirst, sind von mir. Sage aber niemanden etwas davon, denn es könnte so manches darinnen sein, was einer Deutung fähig wäre. – Pflege den Cactus, er ist von meinen Händen gepflanzt. Grüße mir die Nanni zu 1000 Mal, auch die Minna, ich habe das Mädchen recht lieb gewonnen. Warte mit Deiner Antwort nicht erst, bis der Mathis schreibt, sondern laß Dir von ihm ein Couvert über Deinen Brief machen.

Ich wohne nicht bei dem Schiffler und Mugerauer. Lebe wohl zu tausend und tausend Malen, und wenn Du mich ein wenig liebst, so schreibe mir recht, recht bald, ich bin

Dein Dich ewig liebender Freund Stifter

 

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Teuerste Freundin!

Wien, am 15.11.1829

Deine Zeilen habe ich am 20. dieses Monates erhalten. Ich habe schon mit einer unerwartlichen Ungeduld auf eine Antwort von Dir geharrt, und Du kannst Dir denken, mir welcher Hast ich, da es Nacht war, und ich nach angezündetem Lichte Deinen Brief auf dem Tische liegen fand, das Siegel auf riß, und Deine Worte überflog. Aber schon bei der Entfaltung des Blattes wollte mich Mißmut beschleichen, als ich sah, daß der Inhalt desselben gar so kurz sei. Es ist so ein schönes Gefühl, das wir haben, wenn wir die Schriftzüge eines entfernten lieben Freundes erblicken, und durchwandern, und wenn wir aus jeder Zeile seinen Geist, sein Herz, sein Leben und Weben hervorblicken sehen: so scheint mir dies eine Art geistigen Umganges und Genusses, die Worte vertreten die Stelle des abwesenden Lieblings, und jede Kleinigkeit hat Wert für den begierigen Leser. Ein so kurzer Brief kömmt mir vor, als ob zwei Freunde, die sich lange nicht gesehen haben, an einem Ort zusammenkämen, sich da einen guten Morgen wünschten, und wieder von dannen gingen. Hat man sich denn nicht unendlich viel für die Herzen so wichtige Kleinigkeiten zu sagen? Ist denn nicht das Schreiben selbst eine Unterredung mit dem Freunde? Mir wenigstens ist es fast eben so süß an ferne Liebe zu schreiben, als von ihnen Briefe zu empfangen, und wenn ich Dir ein ganzes Blatt klein angeschrieben habe, so ist mir immer noch, ich hätte Dir noch eine Menge zu sagen. Sieh alles dies drängte sich sogleich vor mein Gemüt, und ich konnte des unangenehmen Gefühles nicht Meister werden, so zwar, daß es mir sogar schien, als sei selbst die Form des Briefes obenhin und kalt. Mag sein, daß der Anflug der trüben Stimmung bei Erblickung der Kürze des Schreibens auch dem Inhalte desselben eine dunklere Farbe lieh, mag auch sein, daß ich zu viel erwartete, denn wie viel hat man nicht dem abwesenden Freunde in dem ersten Briefe zu sagen, wie viel wünscht er nicht zu erfahren, jede Regung der Seele nach seiner Abreise, jedes Wort, jede Kleinigkeit von seiner Geliebten möchte er erfahren – daher entschuldige ich Dich gerne, und will mich bemühn zu glauben, mein unangenehmes Gefühl rühre daher, daß ich den Brief in einer andern Stimmung gelesen, als Du ihn geschrieben hast.

Den Inhalt in Bezug auf den Punkt unseres Verhältnisses muß ich durchaus billigen und ich achte tief die Offenheit Deiner Gesinnungen. Ich habe mir die Antwort ungefähr so vorgestellt, wie sie wirklich erfolgt ist, nur über eins, und zwar über das Wichtigste hast Du Dich nicht ausgesprochen, nämlich was Du meinest, daß wir tun sollen. Oder soll ich das aus dem Zusammenhange Deines Schreibens erst erschließen? Ich habe es versucht und bin auf 3 mögliche Fälle gestoßen, einen 4. Ausweg gibt es nicht. Entweder das Verhältnis fortführen wie es jetzt besteht, oder es ganz aufheben, oder das Ganze Deinen Eltern offenbaren, und ihrem Gutachten anheim stellen – dies sind die 3 Wege, die es in unserer Lage zu gehen gibt. Was den ersten betrifft, so verwirfst Du ihn geradezu, wie Deine Worte sagen: "und immer unter lauter Heimlichkeiten fortleben – dies kannst auch Du selbst unmöglich gut heißen". Du hast recht, auch ich liebe diesen Weg nicht, weil es mir scheinen will, er sei nicht der edelste. Was den zweiten betrifft, nämlich, es Deinen Eltern zu offenbaren, so wäre es der schönste und geradeste, und mein Herz neigt sich sehr zu ihm hin. Oft drängte es mich in den Ferien, Deiner Mutter alles zu sagen, mir war als wäre ich dann von einer Sünde los, und könnte wieder von Herzen fröhlich sein, allein immer widersetzte sich meine Liebe zu Dir diesem Entschlusse, denn er ist es, der uns auch auf ewig trennen kann. Wenn Du aber meinst, liebe Fanni, daß es besser wäre, so schreibe mir darüber, und ich will Deiner Mutter schreiben, will ihr alles offen gestehen, will sie bitten, sie möchte mir nur das einzige erlauben, daß ich an Dich schreiben dürfe, und zwar so, daß sie alle Briefe lesen soll, nur nicht plötzlich und ganz soll sie uns trennen, das ertrüg` ich nicht, und gibt sie nur dies zu, wahrhaftig, sie soll durch mein Benehmen einsehen lernen, daß sie nicht von uns jungen Herrn, (wie Du Dich ausdrückst) gleich verachtend denken dürfe, denn ich will und muß mir ihre vollste Hochachtung in diesem Punkte erringen. Willst Du, so wagen Wir den Wurf. – Aber auch das ist zu bedenken, daß dieses Mittel auch alles zerstören kann; denn denke, wenn Sie von uns fodert, daß wir unser Verhältnis ganz aufheben sollen, was dann? Es dennoch fortführen? Das, Fanni, erlaubt dann unsere

Ehre nicht mehr; denn was jetzt nur Verheimlichung ist, wäre dann Betrug, und wahrlich Betrug verdienen Deine so herrlichen Eltern nicht – von Dir nicht weil Du ihr Kind bist, von mir nicht, weil ich Eurem Hause so unendlich viel zu verdanken habe, und weil sie mich lieben und Vertrauen zu mir haben. Es bliebe uns also nichts, als Trennung. Du selber scheinst an einen guten Ausgang zu zweifeln, denn Du schreibst: "du weißt, wie meine Mutter von euch jungen Herren denkt, daher muß ich jede Hoffnung aufgeben, daß sie jemals einwilligen werde" Aus diesem ergibt sich, daß weder Du den ersten Weg billigest, noch den

zweiten zu gehen getrauest – was bleibt also übrig? – der dritte, Aufhebung des Verhältnisses. Aber, Fanni, nein! Das kannst Du unmöglich in Deinem Schreiben gemeint haben, ich kanns und darfs und wills in Ewigkeit nicht glauben, daß Du das im Stande wärest zu tun, ohne vorher alle möglichen Wege versucht zu haben. Du weißt wie sehr ich Dich liebe, ich weiß, daß auch Du mich liebst, wie wäre es also möglich, daß nur eines von uns den Wunsch hegen könnte, die Liebe zu trennen. Was mich betrifft, ich bin stolz auf meine Liebe, und sei sie auch törich und hoffnungslos – sie ist meinem Herzen doch ein guter Geist, sie veredelt und erhebt mich – und ohne Scherz, liebe Fanni, seit ich weiß, daß Du mich liebest, seit dem ist mir, als wäre ich ein besserer Mensch geworden: ich bin großmütiger und sanfter, und so mancher tolle Einfall, zu dem mich sonst mein lebhaftes Temperament verführt hätte, unterbleibt jetzt, ich achte und liebe mich jetzt selber mehr, weil Du mich liebst, und in mein Leben ist Ordnung und Zweck gekommen. Aber auch so notwendig ist mir diese Liebe geworden, daß ich mich ohne derselben gar nicht denken kann. Ich zittere vor dem Gedanken, daß es einst anders werden könne. Oft, wenn ich mich jetzt in die Lage denke, daß Du einem andern gehörest, ist es mir, als wäre meine bürgerliche Existenz jetzt aus, als sei es gleichgültig, bin ich etwas oder nicht, denn das Einzige, dessentwillen das Leben schön und wünschenswert ist, dessentwillen ich hoch stehen, und in der Welt etwas gelten möchte, dies Einzige ist ja dann für mich nicht mehr in der Welt, – was soll mir also Unabhängigkeit, Ehre, Reichtum, und all das, was der Tor anbetet, wenn es mir nicht als Mittel dient, das zu erlangen, was das einzige Gut des Herzens ist auf der Erden – Familienglück – ein Weib nach meinem Herzen, das Licht und Leben des Mannes. Oder soll ich ein Beispiel mehr abgeben von so vielen 1000 unglücklichen Ehen, und ein Wesen wählen, die mich täglich daran mahnet, wie viel glücklicher ich mit Dir gewesen wäre? Nein eher gar nicht. Was auf Erden soll mich denn freuen, wenn mich mein Weib nicht freut? Ein Mann, unglücklich in seinem Hause, ist in dem Herzen in den innersten Pfeilern seiner Zufriedenheit zerstöret, und kein sogenanntes Glück von außen, vermag den Wurm zu töten, der an seiner Seele frißt. – Bist Du für mich hin: nun dann liegt mir auch nichts mehr an der Welt. Mögen sie mir dann die glänzendste Stelle geben, mir gleichviel – dann ist es für mich zu spät – doch wozu all dieses zu zergliedern – möge der Himmel Dich bewahren und glücklich machen, dann will auch ich versuchen, die Liebe, die nun Dein ist, überzutragen auf meine Arbeiten, und auf die Menschheit – ein wohltätiges Leben, sagt man, gibt ja auch Zufriedenheit. Mancher, der diese Zeilen lesen würde, würde glauben, meine Liebe sei Schwärmerei, allein nur der, der gleichen Reichtum trägt in seiner Seele, wird mich verstehn, und wird wissen, daß das Geistige und übersinnliche einer unendlichen Stärke und Ausdehnung fähig ist, die der Schwache nur anstaunen oder verspotten, aber nie fühlen kann.

Schreibe mir recht bald, mein Leben, nicht so lange erst, als ich Dich warten ließ. Ich glaubte nämlich, Dein Bruder werde herab kommen, und deswegen verschob ich das Schreiben, allein jetzt währt es mir schon zu lange. Schreibe mir viel recht viel, und recht bald. Grüße mir die Nanni. Lebe tausendmal wohl. Ich küsse Dich und bin

Dein Dich innigliebender Albert S.

 

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Wien, am 14. 2. 1830

Teure Freundin!

 

Da Du vielleicht im Vergnügen des Karnevals vergessen haben magst, daß in Wien einer lebt, dem 3 Zeilen von Dir sehr lieb wären, so gebe, ich mir mit diesem Blatte die Freiheit, Dich daran zu erinnern, insbesondere, da ich schon seit dem Anfange des November auf eine Antwort von Dir warte. Ich hatte sogleich nach Empfang Deines Briefchens geschrieben. Keine Antwort. Im Jänner schrieb ich wieder. Keine Antwort weder von Mathis, noch von Dir. Ich wollte mich ja daran gewöhnen, von Euch keine Briefe mehr zu empfangen, aber da begegnet mir der verfluchte Briefträger tagtäglich, und da denk ich immer an Friedberg, und bilde mir immer heimlich ein: vielleicht ist doch heute etwas da. Sage mir doch, was hat denn das zu bedeuten? Auch die Huber Therese beklagt sich, daß Du ihr seit den Herb keine Zeile zukommen ließest! Hast Du denn auch sie, die, wie ich meinte, sonst die erste Deiner Freundinnen war, vergessen können? Der Mensch kann vielerlei ertragen und verschmerzen; aber eines kenne ich, das er in keiner Nation, in keinem Himmelsstrich, bei keinem Temperament und Alter gleichgültig ertragen kann – was das sei? ich will es nicht nennen, aber immer argwohne ich, es hänge diese Wolke in meinen Horizont herein. Mag das sein wie es immer wolle, ich mag und kann nicht grübeln, sonst zerfalle ich heillos mit mir selber; daß ich so ein Narr, entsetzlicher Narr bin! Ich bin in der aller ausgelassen lustigsten Stimmung, und der Brief an Mathis ist eine Mustercharte aller Tollheiten; doch ich erinnere mich, daß die Rekruten, welche zum Militär abgeliefert wurden, an den eisernen Stäben ihres Fensters rüttelten, mit feuchten Augen die Hüte schwenkten, und aus ergrimmten Herzen himmelhoch jauchzten. Ich will Dir keine Vorwürfe machen, daß Du durch volle 4 Monate kein Wort an mich schriebest, ich will mich bemühen zu glauben, es sei Dir unmöglich gewesen, oder Du magst Deine gegründeten Ursachen gehabt haben: nur schreibe jetzt – schreibe nur eine Zeile, und erkläre mir Euer so seltsames Schweigen. Deinem Bruder bin ich Freund, wie ich es keinem Menschen auf Erden bin – und aufrichtig gesagt, er scheint es nicht erkennen zu wollen – doch das soll in meiner Brust begraben sein. Dich liebe ich so offen und rücksichtslos, wie ich kaum eine Schwester lieben kann: und vier Monate vergehen ohne eine Zeile. Ich verteidige Dich heftig gegen mich selber, aber der Mensch unterliegt seinen Schlüssen – wie gerne auch das Herz glauben möchte, es muß doch zuletzt der unbedingten Gewalt der klaren Einsicht des Verstandes notwendig und leidend Recht geben. Ob ich an Dir zweifle? noch nicht: aber rätselhaft bist Du mir, irre bin ich, und, offen gesagt, stehe an der Grenze des Zweifels. Wenn der Blitz des Himmels, wenn die Wasser des Wolkenbruches, wenn ein Erdbeben meine Hütte zu Grunde richtet: so erkenne ich das Walten der Gottheit, und trage den Verlust mit einem ruhigen Schmerze: aber wenn der falsche Nachbar, oder mutwillige Hände des Kriegers meine Habe zerstören, so muß der Schmerz, in lebendiges Gefühl beleidigten Rechtes sein, und ist um so unbändiger, da er sieht, es durfte nicht sein. Dann, wenn die Hütte und das Gärtchen sein einziges Gut war – dann verzweifelt er an der Würde der Seele – und wird ein Bösewicht. – ich wollte ja nicht grübeln! ...

Letzthin haben wir bei Frau von Schinko getanzt bis 3 Uhr morgens, und alles hat sich recht gut unterhalten. Ich bitte Dich, schreibe mir, schreibe gleich nach Empfang dieser Zeilen, wenn Du je einige Neigung zu mir hattest, schreibe recht viel. Lebe wohl.

Dein Dich innig liebender Freund

Albert

 

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Liebe teure Freundin!

Oberplan, am 20. August 1835

Oberplan ist mir fürchterlich leer, und nur Du allein beschäftigest immer mein Herz – ein unsägliches Gefühl, halb Trauer und halb Seligkeit, ist seit der Vermählung Schiffers mit Marie in mir – zweier Menschen deren Geschichte so enge mit unserer verbunden ist, und deren Glück so hart mit unserm Unglück kontrastiert, daß ich jenes Gefühls des tiefsten Mitleidens mit mir selber seit jenem Hochamte zu Christianberg nicht Meister werden kann. Seit dem weiß ich es, Du liebest mich noch – ich hab es wohl gesehen, wie Du während der heiligen Handlung etwas zurücktratest, um Dich dem Anblicke zu entziehen, und wie Du später verweinte Augen hattest, meinem Auge, das nur immer Dich suchte, ist es gar nicht entgangen wie Dein Inneres in schweren traurig schönen Erinnerungen arbeitete, und mein Herz sagte es mir, daß wir uns in diesem Augenblicke in gleichen Gefühlen begegnen. Du bist ein Engel, den ich nie verdiente, Du hast von Deinen Eltern die unerschöpfliche Herzensgüte geerbet, mein heiliger Engel bist Du, so rein und gut – – und ich konnte das an Dir tun, was ich tat! Seit Du sagtest, Du habest dergleichen nicht von mir erwartet, und ich habe Dir erbarmt, seither ist ein Schmerz in mir so heiß und strafend, daß ich nichts als die Sehnsucht habe: könnte ich doch an Deinem unschuldigen keuschem Herzen diese Last recht in bittren Tränen ausweinen, obs nicht doch Linderung gäbe. Als sie sagten: Du werdest Huber heuraten, fuhr der Geist der Eifersucht in mich, und da, wurde der Plan gedacht Dich und alle Vergangenheit zu vergessen, und weil der Schmerz doch zu nagen nicht aufhörte, so suchte ich, wie es in derlei Fällen immer zu gehen pflegt, in neuer Verbindung das Glück, das die alte erste versagte, und spiegelte dem verwaiseten Gefühle vor: nun bist du ja geliebt und glücklich – – – – ach und ich war es doch nicht. Es gibt nur eine einzige Liebe, und nach der keine mehr. Gekränkte Eitelkeit war es – zeigen wollt' ich Eurem Hause, daß ich doch ein schönes, wohlhabendes und edles Weib zu finden wußte – – – ach hätte über dem Experimente bald mein Herz gebrochen! Je weiter zu Vermählung hin ich es mit Amalien kommen ließ, desto unruhiger und unglücklicher ward ich. Dein Bild stand so rein und mild im Hintergrund vergangner Zeiten, so schön war die Erinnerung, und so schmerzlich, daß ich, als ich Amalien das Wort künftiger Ehe gab, nach Hause ging, und auf dem Kissen meines Bettes unendlich weinte – um Dich. Du warst ja doch immer trotz meiner vorsätzlichen Selbstverhärtung die Braut meiner Seele – Du warst doch immer die Heilige zu der mein besseres Innere betete – und wie oft suchte ich Deine Briefe hervor und las sie alle durch. Erst als ich stark genug war, das neue Band zu zerreißen und ihr alles zu sagen, und aus meiner Selbstquälung zu klarerem Entschluß zu kommen – erst da, als Amalie sagte: Ich danke Ihnen für Ihre Aufrichtigkeit, und achte Sie, daß Sie ihrer ersten Liebe treu blieben etc. erst dann kehrte wieder ein unendlich süßer Friede in mein Herz, als hättest Du gesagt: ich liebe dich ja noch, und verkenne dein gutes Herz nicht. Ich habe dieses alles nicht etwa gesagt, um mich zu rechtfertigen, nein sondern mein Benehmen zu erklären. Hätte ich Dein einfaches schuldloses Gemüt, so hätte ich still geduldet, nicht durch Trotz mein Herz herabgewürdigt, und einem anderm Wesen Kummer verursacht. Freilich sagen die Leute; du hattest nichts gegen sie gefehlt, euer Vertrag war ja aufgehoben – als ob ein Herzensbündnis mit Worten zu Null gemacht werden könnte!!! Wäre es von mir bloße Untreue gewesen, warum hätte ich dann plötzlich wieder gebrochen? als weil mir mein Verstand sagte, ich soll nicht mich und sie unglücklich machen; denn ich liebte sie nicht, und sollte mir ihr Kuß Wohlgefallen mußte ich mir Deine Lippen dazu denken. –

Aber gut, alles ist vorüber, und diese Begebenheit hat neuerdings gezeigt, wie unbesiegbar meine Liebe zu Dir ist, sie ist die letzte Verirrung meines Gefühls gewesen, und hat aber das gute bewirket, daß ich nun sanft und stille sein will, und in reiner schöner Liebe Dein Bild in mir aufhängen und schmückenwerde mit der liebreichsten Verehrung immer und immer fort. Ich fühle jetzt schon eine solche Zufriedenheit mit mir, wie ich seit 2 Jahren nicht gehabt habe, und ich fühle, wie sie immer steigen wird.

Nun noch eins: wenn Du ein Herz, das so hart von seinem wahren Ziele irrte, das aber bereute und umkehrte, nicht verschmähen willst, wenn Deine Güte noch einen Rest alter Liebe und Zärtlichkeit aufbewahret, so nimm meine Liebe, die ich Dir als eine demütige Gabe anbiete, wieder an, und heile meine Wehmut mit freundlicher Zärtlichkeit – ich weiß, was ich Dir dann schuldig bin, und nie, so lang ich lebe, soll ein unsanftes Wort Dein Herz betrüben, oder eine Handlung Dein Gemüt verletzen. Kein Mann auf Erden liebt Dich mehr, als ich, weil Dich keiner mehr kennt, als ich – und keiner kann Dich glücklicher machen. Sagst Du ja, (und Du wirst es, weil Du so gut bist) so werde ich mit Deinen Eltern reden, und ihnen dartun, daß eine Verbindung zwischen uns ganz und gar nicht ungereimt sei, und um ihre Einwilligung bitten. Sagst Du aber, Du liebest mich nicht mehr so will ich es leiden, wie auch das Herz wehe tue, und will nur allein Dich zur Braut meiner Ideen machen und Dich fort lieben, bis an meinen Tod. Ich schrieb dies alles, weil ich fürchte, daß zu einer Unterredung keine Zeit ist. Übrigens will ich keineswegs, daß dieses Blatt ein Geheimnis bleibe zwischen uns, im Gegenteile berate Dich mit Deiner Mutter, und bitte sie, daß sie mit mir rede.

Lebe wohl ich bin ewig

Dein Dich innigstliebender

A. Stifter