BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Karl Simrock

1802 - 1876

 

Das Nibelungenlied

 

Einunddreißigstes Abenteuer

 

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Wie die Herren zur Kirche giengen.

 

1944

«Mir wird so kühl der Harnisch,» | sprach da Volker:

«Die Nacht, wähn ich, wolle | nun nicht währen mehr.

Ich fühl es an den Lüften, | es ist nicht weit vom Tag.»

Da weckten sie gar Manchen, | der da im Schlafe noch lag.

1945

Da schien der lichte Morgen | den Gästen in den Saal.

Hagen begann zu fragen | die Recken allzumal,

Ob sie zum Münster wollten | in die Messe heut.

Nach christlichen Sitten | erscholl der Glocken Geläut.

1946

Der Gesang war ungleich; | kein Wunder möcht es sein,

Daß Christen mit Heiden | nicht stimmten überein.

Da wollten zu der Kirche | Die in Gunthers Lehn:

Man sah sie von den Betten | allzumal da erstehn.

1947

Da schnürten sich die Recken | in also gut Gewand,

Daß nie Helden wieder | in eines Königs Land

Beßre Kleider brachten. | Hagen war es leid;

Er sprach: «Ihr thätet beßer, | ihr trügt hier anderlei Kleid.

1948

«Nun ist euch doch allen | die Märe wohl bekannt:

Drum statt der Rosenkränze | nehmt Waffen an die Hand;

Statt wohlgesteinter Hüte | die lichten Helme gut,

Da wir so wohl erkennen | der argen Kriemhilde Muth.

1949

«Wir müßen heute streiten, | das will ich euch sagen.

Statt seidner Hemden sollt ihr | Halsbergen tragen

Und statt der reichen Mäntel | gute Schilde breit:

zürnt mit euch Jemand, | daß ihr wehrhaftig seid.

1950

«Meine lieben Herren, | Freund und Mannen mein,

Tretet in die Kirche | mit lauterm Herzen ein

Und klagt Gott dem reichen | eure Sorg und Noth:

Denn wißt unbezweifelt, | es naht uns allen der Tod.

1951

«Ihr sollt auch nicht vergeßen, | was je von euch geschah,

Und fleht vor eurem Gotte | andächtig da.

Laßt euch alle warnen, | gute Recken hehr:

Es wend es Gott im Himmel, | so hört ihr keine Messe mehr,»

1952

So giengen zu dem Münster | die Fürsten und ihr Lehn.

Auf dem heiligen Friedhof, | da hieß sie stille stehn

Hagen der kühne, | damit man sie nicht schied.

Er sprach: «Noch weiß ja Niemand, was von den Heunen geschieht.

1953

«Setzt, meine Freunde, | die Schilde vor den Fuß

Und lohnt es, beut euch Jemand | feindlichen Gruß,

Mit tiefen Todeswunden: | das ist, was euch Hagen räth.

So werdet ihr befunden, | wie's euch am löblichsten steht.»

1954

Volker und Hagen | die beiden stellten da

Sich vor das weite Münster: | was darum geschah,

Sie wolltens dazu bringen, | daß sich die Königin

Mit ihnen drängen müße; | wohl war gar grimmig ihr Sinn.

1955

Da kam der Wirth des Landes | und auch sein schönes Weib;

Mit reichem Gewände | war ihr geziert der Leib

Und manchem schnellen Degen, | der im Geleit ihr war.

Da flog der Staub zur Höhe | vor der Königin Schar,

1956

Als der reiche König | so gewaffnet sah

Die Fürsten und ihr Ingesind, | wie bald sprach er da:

«Was seh ich meine Freunde | unter Helmen gehn?

Leid war mir meiner Treue, | wär ihnen Leid hier geschehn.

1957

«Das wollt ich ihnen büßen, | wie sie es däuchte gut.

Wenn ihnen wer beschwerte | das Herz und den Muth,

So laß ich sie wohl schauen, | es sei mir wahrlich leid:

Was sie gebieten mögen, | dazu bin ich gern bereit.»

1958

Zur Antwort gab ihm Hagen: | «Uns ist kein Leid geschehn.

Es ist der Herren Sitte, | daß sie gewaffnet gehn

Bei allen Gastgeboten | zu dreien vollen Tagen.

Was uns hier geschähe, | wir würden es Etzeln klagen.»

1959

Wohl vernahm die Königin | Hagens Rede da.

Wie feindlich sie dem Degen | unter die Augen sah!

Sie wollte doch nicht melden | den Brauch in ihrem Land,

Wie lang bei den Burgunden | sie den auch hatte gekannt.

1960

Wie grimm und stark die Königin | ihnen abhold wäre,

Hätte Jemand Etzeln | gesagt die rechte Märe,

Er hätt es wohl gewendet, | was nun doch geschah:

In ihrem hohen Uebermuth | verschwiegen sie es Alle da.

1961

Da schritt mit vielem Volke | Kriemhild zur Kirchenthür:

Doch wollten diese Beiden | weichen nicht vor ihr

Zweier Hände Breite: | das war den Heunen leid.

Da muste sie sich drängen | mit den Helden allbereit.

1962

Etzels Kämmerlinge | die dauchte das nicht gut:

Wohl hätten sie den Recken | gern erzürnt den Muth,

Wenn sie es wagen dürften | vor dem König hehr.

Da gab es groß Gedränge | und doch nichts anderes mehr.

1963

Als nach dem Gottesdienste | man auf den Heimweg sann,

Da kam hoch zu Rosse | mancher Heunenmann.

Auch war bei Kriemhilden | manche schöne Maid;

Wohl Siebentausend zählte | der Königin Heergeleit.

1964

Kriemhild mit ihren Frauen | in den Fenstern saß

Bei Etzeln dem reichen; | gerne sah er das.

Sie wollten reiten sehen | die Helden auserkannt:

Hei! was man fremder Recken | vor ihnen auf dem Hofe fand!

1965

Nun war auch mit den Rossen | der Marschall gekommen.

Der kühne Dankwart hatte | mit sich genommen

Der Herren Ingesinde | von Burgundenland:

Die Rosse wohlgesattelt | man den kühnen Niblungen fand.

1966

Als zu Rossen kamen | die Fürsten und ihr Herr,

Da begann zu rathen | der kühne Volker,

Sie sollten buhurdieren | nach ihres Landes Sitten.

Da wurde von den Helden | bald gar herrlich geritten.

1967

Was der Held gerathen, | Niemanden wohl verdroß;

Der Buhurd und der Waffenklang | wurden beide groß.

In dem weiten Hofe | kam da mancher Mann;

Etzel mit Kriemhild | es selbst zu schauen begann.

1968

Auf den Buhurd kamen | sechshundert Degen.

Dietrichens Recken, | den Gästen entgegen.

Mit den Burgunden wollten | sie sich im Spiel ergehn;

Wollt es ihr Herr vergönnen, | so wär es gerne geschehn.

1969

Hei! Was gute Recken | ritten da heran!

Dietrich dem Helden | ward es kund gethan.

Mit Gunthers Ingesinde | das Spiel er verbot;

Er schonte seiner Leute: | das that ihm sicherlich Noth.

1970

Als Dietrichs Gefolge | so vermied den Streit,

Da kamen von Bechlaren | Rüdigers Geleit,

Fünfhundert unter Schilden, | vor den Saal geritten.

Leid wars dem Markgrafen: | er hätt es gern nicht gelitten.

1971

Er kam zu ihnen eilends | gedrungen durch die Schar

Und sagte seinen Mannen: | sie würden selbst gewahr,

Daß im Unmuth wären | Die Gunthern unterthan:

Wenn sie das Kampfspiel ließen, | so wär ihm Liebes gethan.

1972

Als von ihnen schieden | die Helden allbereit,

Da kamen die von Thüringen, | hörten wir Bescheid,

Und vom Dänenlande | der Kühnen tausend Mann.

Von Stichen sah man fliegen | viel der Splitter hoch hinan.

1973

Irnfried und Hawart | ritten zum Buhurd hin;

Ihrer harrten Die vom Rheine | mit hochfährtgem Sinn

Zum Lanzenspiel mit Denen | vom Thüringerland:

Durchbohrt von Stichen wurde | mancher schöne Schildesrand.

1974

Da kam der Degen Blödel, | dreitausend in der Schar.

Etzel und Kriemhild | nahmen sein wohl war,

Da vor ihnen Beiden | das Ritterspiel geschah.

Die Königin es gerne | aus Haß der Burgunden sah.

1975

Sie gedacht in ihrem Sinne, | schier wärs auch so geschehn:

«Und thäten sie wem Leides, | so dürft ich mich versehn,

Daß es zum Ernste käme: | an den Feinden mein

Würd ich dann gerochen; | des wollt ich ohne Sorge sein.»

1976

Schrutan und Gibeke | ritten zum Buhurd auch,

Hornbog und Ramung, | nach heunischem Gebrauch.

Sie hielten vor den Helden | aus Burgundenland:

Die Schäfte flogen wirbelnd | über des Königssaales Wand.

1977

Wie sie da Alle ritten, | das war doch eitel Schall.

Von Stößen auf die Schilde | das Haus und den Saal

Hörte man ertosen | durch manchen Gunthers-Mann.

Das Lob sich sein Gesinde | mit großen Ehren gewann.

1978

Da ward ihre Kurzweil | so stark und so groß,

Daß den Satteldecken | der blanke Schweiß entfloß

Von den guten Rossen, | so die Helden ritten.

Sie versuchten an den Heunen | sich mit hochfährtgen Sitten.

1979

Da sprach der kühne Volker, | der edle Spielmann:

«Zu feig sind diese Degen, | sie greifen uns nicht an.

Ich hörte immer sagen, | daß sie uns abhold sein:

Nun könnte die Gelegenheit | ihnen doch nicht günstger sein.»

1980

«Zu den Ställen wieder,» | sprach der König hehr,

«Ziehe man die Rosse; | wir reiten wohl noch mehr

In den Abendstunden, | wenn die Zeit erschien.

Ob dann den Burgunden | den Preis wohl giebt die Königin?»

1981

Da sahn sie Einen reiten | so stattlich daher,

Es thats von allen Heunen | kein Anderer mehr.

Er hatt in den Fenstern | wohl ein Liebchen traut:

Er ritt so wohl gekleidet | als eines werthen Ritters Braut.

1982

Da sprach wieder Volker: | «Wie blieb' es ungethan?

Jener Weiberliebling | muß einen Stoß empfahn.

Das mag hier Niemand wenden, | es geht ihm an den Leib:

Nicht frag ich, ob drum zürne | dem König Etzel sein Weib.»

1983

«Nicht doch,» sprach der König, | «wenn ichs erbitten kann:

Es schelten uns die Leute, | greifen wir sie an:

Die Heunen laßt beginnen; | es kommt wohl bald dahin.»

Noch saß König Etzel | am Fester bei der Königin.

1984

«Ich will das Kampfspiel mehren,» | sprach Hagen jedoch:

«Laßt diese Frauen | und die Degen noch

Sehn, wie wir reiten können: | das ist wohlgethan;

Man läßt des Lobs doch wenig | die Recken Gunthers empfahn.»

1985

Volker der schnelle | ritt wieder in den Streit.

Das schuf da viel der Frauen | großes Herzeleid.

Er stach dem reichen Heunen | den Sper durch den Leib:

Das sah man noch beweinen | manche Maid und manches Weib.

1986

Alsbald rückt' auch Hagen | mit seinen Helden an:

Mit sechzig seiner Degen | zu reiten er begann

Dahin, wo von dem Fiedler | das Spiel war geschehn.

Etzel und Kriemhild | konnten Alles deutlich sehn.

1987

Da wollten auch die Könige | den kühnen Fiedler gut

Unter den Feinden | nicht laßen ohne Hut.

Da ward von tausend Helden | mit großer Kunst geritten.

Sie thaten, was sie lüstete, | mit gar hochfährtgen Sitten.

1988

Als der reiche Heune | zu Tode war geschlagen,

Man hörte seiner Freunde | Wehruf und Klagen.

All das Gesinde fragte: | «Wer hat das gethan?»

«Das hat gethan der Fiedler, | Volker der kühne Spielmann.»

1989

Nach Schwertern und Schilden | riefen gleich zur Hand

Des Markgrafen Freunde | von der Heunen Land:

Zu Tode schlagen wollten | sie den Fiedelmann.

Der Wirth von seinem Fenster | daher zu eilen begann.

1990

Da hob sich von den Heunen | allenthalben Schall.

Abstiegen mit dem Volke | die Könge vor dem Saal;

Zurück die Rosse stießen | Die Gunthern unterthan.

Da kam der König Etzel | den Streit zu schlichten heran.

1991

Einem Vetter dieses Heunen, | den er da bei ihm fand,

Eine scharfe Waffe | brach er ihm aus der Hand

Und schlug sie all zurücke: | er war in großem Zorn.

«Wie hätt ich meine Dienste | an diesen Helden verlorn!

1992

«Wenn ihr diesen Spielmann | hättet drum erschlagen,

Ich ließ' euch alle hängen! | das will ich euch sagen.

Als er erstach den Heunen, | sein Reiten wohl ich sah,

Daß es wider seinen Willen | nur durch Straucheln geschah.

1993

«Ihr sollt meine Gäste | mit Frieden laßen ziehn.»

So ward er ihr Geleite. | Die Rosse zog man hin

Zu den Herbergen. | Sie hatten manchen Knecht,

Der ihnen war zu Diensten | mit allem Fleiße gerecht.

1994

Der Wirth mit seinen Freunden | gieng zum Saal zurück:

Da regte sich kein Zürnen | mehr vor seinem Blick.

Man richtete die Tische, | das Wasser man auch trug.

Da hatten Die vom Rheine | der starken Feinde genug.

1995

Unlieb war es Etzeln, | doch folgte manche Schar

Den Fürsten, die mit Waffen | wohl versehen war,

Im Unmuth auf die Gäste, | als man zu Tische gieng,

Den Freund bedacht zu rächen, | wenn es günstge Zeit verhieng.

1996

«Daß ihr in Waffen lieber | zu Tische geht als bloß,»

Sprach der Wirth des Landes, | «die Unart ist zu groß;

Wer aber an den Gästen | den kleinsten Frevel wagt,

Der büßt es mit dem Haupte: | das sei euch Heunen gesagt.»

1997

Bevor da niedersaßen | die Herren, das währte lang,

Weil zu sehr mit Sorgen | jetzt Frau Kriemhild rang.

Sie sprach: «Fürst von Berne, | heute muß ich flehn

Zu dir um Rath und Hülfe: | meine Sachen ängstlich stehn.»

1998

Zur Antwort gab ihr Hildebrand, | eine Recke tugendlich:

«Wer schlägt die Nibelungen, | der thut es ohne mich,

Wie viel man Schätze böte; | es wird ihm wahrlich leid.

Sie sind noch unbezwungen, | die schnellen Ritter allbereit.»

1999

«Es geht mir nur um Hagen, | der hat mir Leid gethan,

Der Siegfrieden mordete, | meinen lieben Mann.

Wer den von ihnen schiede, | dem wär mein Gold bereit:

Entgält es anders Jemand, | das wär mir inniglich leid.»

2000

Da sprach Meister Hildebrand: | «Wie möchte das geschehn,

Den ihnen zu erschlagen? | Ihr solltet selber sehn:

Bestünde man den Degen, | leicht gäb es eine Noth,

Daß Arme so wie Reiche | dabei erlägen im Tod.»

2001

Da sprach dazu Herr Dietrich | mit zuchtreichem Sinn:

«Die Rede laßt bleiben, | reiche Königin;

Mir ist von euern Freunden | kein solches Leid geschehn,

Daß ich sollt im Streite | die kühnen Degen bestehn.

2002

«Die Bitte ehrt euch wenig, | edel Königsweib,

Daß ihr den Freunden rathet | an Leben und an Leib.

Sie kamen euch auf Gnade | hieher in dieses Land;

Siegfried bleibt ungerochen | wohl von Dietrichens Hand.»

2003

Als sie keine Untreu | bei dem Berner fand,

Alsobald gelobte sie | Blödeln in die Hand

Eine weite Landschaft, | die Nudung einst besaß;

Hernach erschlug ihn Dankwart, | daß er der Gabe gar vergaß.

2004

Sie sprach: «Du sollst mir helfen, | Bruder Blödelein.

Hier in diesem Hause | sind die Feinde mein,

Die Siegfrieden schlugen, | meinen lieben Mann:

Wer mir das rächen hülfe, | dem war ich immer unterthan.»

2005

Zur Antwort gab ihr Blödel, | der ihr zur Seite saß:

«Ich darf euern Freunden | nicht zeigen solchen Haß,

Weil sie mein Bruder Etzel | so gerne leiden mag:

Wenn ich sie bestünde, | der König säh es mir nicht nach.»

2006

«Nicht also, Herr Blödel, | ich bin dir immer hold:

Ich gebe dir zum Lohne | mein Silber und mein Gold

Und eine schöne Witwe, | Nudungens Weib:

So magst du immer kosen | ihren minniglichen Leib.

2007

«Das Land zu den Burgen, | Alles geb ich dir,

So lebst du, theurer Ritter, | in Freuden stäts mit ihr,

Wenn du die Mark gewinnest, | die Nudung einst besaß.

Was ich dir hier gelobe, | mit Treuen leist ich dir das.»

2008

Als Blödel bieten hörte | des Lohnes also viel

Und ihrer Schöne willen | die Frau ihm wohlgefiel,

Im Kampf verdienen wollt er | das minnigliche Weib.

Da muste dieser Recke | verlieren Leben und Leib.

2009

Er sprach zu der Königin: | «Geht wieder in den Saal.

Eh man es inne werde, | erheb ich großen Schall.

Hagen muß es büßen, | was er euch hat gethan:

Ich bring euch gebunden | König Gunthers Unterthan.»

2010

«Nun waffnet euch,» sprach Blödel, | «ihr all in meinem Lehn,

Wir wollen zu den Feinden | in die Herberge gehn.

Mir will es nicht erlaßen | König Etzels Weib:

Wir Helden müßen alle | verwagen Leben und Leib.»

2011

Als den Degen Blödel | entließ die Königin,

Daß er den Streit begänne, | zu Tische gieng sie hin

Mit Etzeln dem Könige | und manchem Unterthan.

Sie hatte schlimme Räthe | wider die Gäste gethan.

2012

Wie sie zu Tische giengen, | das will ich euch sagen:

Man sah reiche Könige | die Krone vor ihr tragen;

Manchen hohen Fürsten | und viel der werthen Degen

Sah man großer Demuth | vor der Königin pflegen.

2013

Der König wies den Gästen | die Sitze überall,

Den Höchsten und den Besten | neben sich im Saal.

Den Christen und den Heiden | die Kost er unterschied;

Man gab die Fülle beiden, | wie es der weise König rieth.

2014

In der Herberge | aß ihr Ingesind:

Von Truchsäßen ward es | da allein bedient;

Die hatten es zu speisen | großen Fleiß gepflogen.

Die Bewirtung und die Freude | ward bald mit Jammer aufgewogen.

2015

Da nicht anders konnte | erhoben sein der Streit,

Kriemhilden lag im Herzen | begraben altes Leid,

Da ließ sie zu den Tischen | tragen Etzels Sohn:

Wie könnt ein Weib aus Rache | wohl entsetzlicher thun?

2016

Da kamen vier gegangen | aus Etzels Ingesind

Und brachten Ortlieben, | das junge Königskind,

Den Fürsten an die Tafel, | wo auch Hagen saß.

Das Kind must ersterben | durch seinen mordlichen Haß.

2017

Als der reiche König | seinen Sohn ersah,

Zu seiner Frauen Brüdern | gütlich sprach er da:

«Nun schaut, meine Freunde, | das ist mein einzig Kind

Und das eurer Schwester, | von dem ihr Frommen einst gewinnt.

2018

«Geräth er nach dem Stamme, | er wird ein starker Mann, |

Reich dazu und edel, | kühn und wohlgethan.

Erleb ich es, ich geb ihm | zwölf reicher Könge Land:

So thut euch wohl noch Dienste | des jungen Ortliebens Hand.

2019

«Darum bät ich gerne | euch, lieben Freunde mein,

Wenn ihr heimwärts reitet | wieder an den Rhein,

Daß ihr dann mit euch nehmet | eurer Schwester Kind;

Und seid auch dem Knaben | immer gnädig gesinnt.

2020

«Erzieht ihn nach Ehren, | bis er geräth zum Mann:

Hat euch in den Landen | Jemand ein Leid gethan,

So hilft er euch es rächen, | erwuchs ihm erst der Leib.»

Die Rede hörte Kriemhild | mit an, König Etzels Weib.

2021

«Ihm sollten wohl vertrauen | alle diese Degen,

Wenn er zum Mann erwüchse,» | sprach Hagen entgegen;

«Doch ist der junge König | so schwächlich anzusehn:

Man soll mich selten schauen | nach Hof zu Ortlieben gehn.»

2022

Der König blickt' auf Hagen; | die Rede war ihm leid.

Wenn er auch nichts erwiederte, | der König allbereit,

Es betrübt' ihn in der Seele | und beschwert' ihm den Muth.

Da waren Hagens Sinne | zu keiner Kurzweile gut.

2023

Es schmerzte wie den König | sein fürstlich Ingesind,

Was Hagen da gesprochen | hatte von dem Kind.

Daß sie's vertragen sollten, | gieng ihnen allen nah;

Noch konnten sie nicht wißen, | was von dem Recken bald geschah.

2024

Gar Manche, die es hörten | und ihm trugen Groll,

Hätten ihn gern bestanden; | der König selber wohl,

Wenn er mit Ehren dürfte: | so käm der Held in Noth.

Bald that ihm Hagen Aergeres, | er schlug ihn ihm vor Augen todt.