BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Karl Simrock

1802 - 1876

 

Das Nibelungenlied

 

Neunzehntes Abenteuer

 

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Wie der Nibelungenhort nach Worms kam.

 

1135

Als die edle Kriemhild | so verwitwet ward,

Blieb bei ihr im Lande | der Markgraf Eckewart

Zurück mit seinen Mannen, | wie ihm die Treu gebot.

Er diente seiner Frauen | willig bis an seinen Tod.

1136

Zu Worms am Münster wies man | ihr ein Gezimmer an,

Weit und geräumig, | reich und wohlgethan,

Wo mit dem Gesinde | die Freudenlose saß.

Sie gieng zur Kirche gerne, | mit großer Andacht that sie das.

1137

Wo ihr Freund begraben lag, | wie fleißig gieng sie

Sie that es alle Tage | mit trauerndem Sinn

Und bat seiner Seele | Gott den Herrn zu pflegen:

Gar oft bejammert wurde | mit großer Treue der Degen.

1138

Ute und ihr Gesinde | sprachen ihr immer zu,

Und doch im wunden Herzen | fand sie so wenig Ruh,

Es konnte nicht verfangen | der Trost, den man ihr bot.

Sie hatte nach dem Freunde | die allergrößeste Noth,

1139

Die nach liebem Manne | je ein Weib gewann:

Ihre große Treue | ersah man wohl daran.

Sie klagt' ihn bis zu Ende, | da sie zu sterben kam.

Bald rächte sie gewaltig | mit großer Treue den Gram.

1140

Sie saß in ihrem Leide, | das ist alles wahr,

Nach ihres Mannes Tode | bis in das vierte Jahr

Und hatte nie zu Gunthern | gesprochen einen Laut

Und auch Hagen ihren Feind | in all der Zeit nicht erschaut.

1141

Da sprach von Tronje Hagen: | «Könnte das geschehn,

Daß ihr euch die Schwester | gewogen möchtet sehn,

So käm zu diesem Lande | der Nibelungen Gold:

Des mögt ihr viel gewinnen, | wird uns die Königin hold.»

1142

«Wir wollen es versuchen,» | sprach der König hehr.

«Es sollen für uns bitten | Gernot und Geiselher,

Bis sie es erlangen, | daß sie das gerne sieht.»

«Ich glaube nicht,» sprach Hagen, | «daß es jemals geschieht.»

1143

Da befahl er Ortweinen | hin an Hof zu gehn

Und dem Markgrafen Gere: | als das war geschehn,

Brachte man auch Gernot | und Geiselhern das Kind:

Da versuchten bei Kriemhilden | sie es freundlich und gelind.

1144

Da sprach von Burgunden | der kühne Gernot:

«Frau, ihr klagt zu lange | um Siegfriedens Tod.

Der König will euch zeigen, | er hab ihn nicht erschlagen:

Man hört zu allen Zeiten | euch so heftig um ihn klagen.»

1145

Sie sprach: «Des zeiht ihn Niemand, | ihn schlug Hagens Hand.

Wo er verwundbar wäre, | macht ich ihm bekannt.

Wie konnt ich michs versehen, | er trüg ihm Haß im Sinn!

Sonst hätt ichs wohl vermieden,» | sprach die edle Königin,

1146

«Daß ich verraten hätte | seinen schönen Leib:

So ließ' ich nun mein Weinen, | ich unselig Weib!

Hold werd ich ihnen nimmer, | die das an ihm gethan!»

Zu flehn begann da Geiselher, | dieser waidliche Mann.

1147

Sie sprach: «Ich muß ihn grüßen, | ihr liegt zu sehr mir an.

Von euch ist's große Sünde: | Gunther hat mir gethan

So viel Herzeleides | ganz ohne meine Schuld:

MeinMund schenkt ihmVerzeihung,|meinHerz ihm nimmerdieHuld.»

1148

«Hernach wird es beßer,» | ihre Freunde sprachen so.

«Wenn ers zu Wege brächte, | daß wir sie sähen froh!»

«Er mags ihr wohl vergüten,» | sprach da Gernot.

Da sprach die Jammersreiche: | «Seht, nun leist ich eur Gebot:

1149

«Ich will den König grüßen.» | Als er das vernahm,

Mit seinen besten Freunden | der König zu ihr kam.

Da getraute Hagen | sich nicht, zu ihr zu gehn:

Er kannte seine Schuld wohl: | ihr war Leid von ihm geschehn.

1150

Als sie verschmerzen wollte | auf Gunther den Haß,

Daß er sie küssen sollte, | wohl ziemte sich ihm das.

Wär ihr mit seinem Willen | so leid nicht geschehn,

So dürft er dreisten Muthes | immer zu Kriemhilden gehn.

1151

Es ward mit so viel Thränen | nie eine Sühne mehr

Gestiftet unter Freunden. | Sie schmerzt' ihr Schade sehr.

Doch verzieh sie allen | bis auf den Einen Mann:

Niemand hätt ihn erschlagen, | hätt es Hagen nicht gethan.

1152

Nun währt' es nicht mehr lange, | so stellten sie es an,

Daß die Königstochter | den großen Hort gewann

Vom Nibelungenlande | und bracht ihn an den Rhein:

Ihre Morgengabe war es | und must ihr billig eigen sein.

1153

Nach diesem fuhr da Geiselher | und auch Gernot.

Achtzighundert Mannen | Frau Kriemhild gebot,

Daß sie ihn holen sollten, | wo er verborgen lag

Und sein der Degen Alberich | mit seinen besten Freunden pflag.

1154

Als man des Schatzes willen | vom Rhein sie kommen sah, |

Alberich der kühne | sprach zu den Freunden da:

«Wir dürfen ihr wohl billig | den Hort nicht entziehn,

Da sein als Morgengabe | heischt die edle Künigin.

1155

«Dennoch sollt es nimmer,» | sprach Alberich, «geschehn,

Müsten wir nicht leider | uns verloren sehn

Die gute Tarnkappe | mit Siegfried zumal,

Die immer hat getragen | der schönen Kriemhild Gemahl.

1156

«Nun ist es Siegfrieden | leider schlimm bekommen,

Daß die Tarnkappe | der Held uns hat genommen,

Und daß ihm dienen muste | all dieses Land.»

Da gieng dahin der Kämmerer, | wo er die Schlüßel liegen fand.

1157

Da standen vor dem Berge, | die Kriemhild gesandt,

Und mancher ihrer Freunde: | man ließ den Schatz zur Hand

Zu dem Meere bringen | an die Schiffelein

Und führt' ihn auf den Wellen | bis zu Berg in den Rhein.

1158

Nun mögt ihr von dem Horte | Wunder hören sagen:

Zwölf Leiterwagen konnten | ihn kaum von dannen tragen

In vier Tag und Nächten | aus des Berges Schacht,

Hätten sie des Tages | den Weg auch dreimal gemacht.

1159

Es war auch nichts anders | als Gestein und Gold.

Und hätte man die ganze Welt | erkauft mit diesem Gold,

Um keine Mark vermindern | möcht es seinen Werth.

Wahrlich Hagen hatte | nicht ohne Grund sein begehrt.

1160

Der Wunsch lag darunter, | ein golden Rüthelein:

Wer es hätt erkundet, | der möchte Meister sein

Auf der weiten Erde | wohl über jeden Mann.

Von Albrichs Freunden zogen | mit Gernot Viele hinan.

1161

Als Gernot der Degen | und der junge Geiselher

Des Horts sich unterwanden, | da wurden sie auch Herr

Des Landes und der Burgen | und der Recken wohlgestalt:

Die musten ihnen dienen | zumal durch Furcht und Gewalt.

1162

Als sie den Hort gewannen | in König Gunthers Land,

Und sich darob die Königin | der Herrschaft unterwand,

Kammern und Thürme | die wurden voll getragen;

Man hörte nie von Schätzen | so große Wunder wieder sagen.

1163

Und wären auch die Schätze | noch größer tausendmal,

Und wär der edle Siegfried | erstanden von dem Fall,

Gern wäre bei ihm Kriemhild | geblieben hemdebloß.

Nie war zu einem Helden | eines Weibes Treue so groß.

1164

Als sie den Hort nun hatte, | da brachte sie ins Land

Viel der fremden Recken; | wohl gab der Frauen Hand,

Daß man so große Milde | nie zuvor gesehn.

Sie übte hohe Güte: | das muste man ihr zugestehn.

1165

Den Armen und den Reichen | zu geben sie begann.

Hagen sprach zum König: | «Läßt man sie so fortan

Noch eine Weile schalten, | so wird sie in ihr Lehn

So manchen Degen bringen, | daß es uns übel muß ergehn.»

1166

Da sprach König Gunther: | «Ihr gehört das Gut:

Wie darf ich mich drum kümmern, | was sie mit ihm thut?

Ich konnt es kaum erlangen, | daß sie mir wurde hold;

Nicht frag ich, wie sie theilet | ihr Gestein und rohes Gold.»

1167

Hagen sprach zum König: | «Es vertraut ein kluger Mann

Doch solche Schätze billig | keiner Frauen an:

Sie bringt es mit Gaben | wohl noch an den Tag,

Da es sehr gereuen | die kühnen Burgunden mag.»

1168

Da sprach König Gunther: | «Ich schwur ihr einen Eid,

Daß ich ihr nie wieder | fügen wollt ein Leid,

Und will es künftig meiden: | sie ist die Schwester mein.»

Da sprach wieder Hagen: | «Laßt mich den Schuldigen sein.»

1169

Sie nahmen ihre Eide | meistens schlecht in Hut:

Da raubten sie der Witwe | das mächtige Gut.

Hagen aller Schlüßel | dazu sich unterwand.

Ihr Bruder Gernot zürnte, | als ihm das wurde bekannt.

1170

Da sprach der junge Geiselher: | «Viel Leides ist geschehn

Von Hagen meiner Schwester: | dem sollt ich widerstehn:

Wär er nicht mein Blutsfreund, | es gieng' ihm an den Leib.»

Wieder neues Weinen | begann da Siegfriedens Weib.

1171

Da sprach König Gernot: | «Eh wir solche Pein

Um dieses Gold erlitten, | wir solltens in den Rhein

All versenken laßen: | so gehört' es Niemand an.»

Sie kam mit Klaggebärde | da zu Geiselher heran.

1172

Sie sprach: «Lieber Bruder, | du sollst gedenken mein,

Lebens und Gutes | sollst du ein Vogt mir sein.»

Da sprach er zu der Schwester: | «Gewiss, es soll geschehn,

Wenn wir wiederkommen: | eine Fahrt ist zu bestehn.»

1173

Gunther und seine Freunde | räumten das Land,

Die allerbesten drunter, | die man irgend fand;

Hagen nur alleine | verblieb um seinen Haß,

Den er Kriemhilden hegte: | ihr zum Schaden that er das.

1174

Eh der reiche König | wieder war gekommen,

Derweil hatte Hagen | den ganzen Schatz genommen:

Er ließ ihn bei dem Loche | versenken in den Rhein.

Er wähnt', er sollt ihn nutzen; | das aber konnte nicht sein.

1175

Bevor von Tronje Hagen | den Schatz also verbarg,

Da hatten sie's beschworen | mit Eiden hoch und stark,

Daß er verhohlen bliebe, | so lang sie möchten leben:

So konnten sie's sich selber | noch auch Jemand anders geben.

1176

Die Fürsten kamen wieder, | mit ihnen mancher Mann.

Kriemhild den großen Schaden | zu klagen da begann

Mit Mägdlein und Frauen; | sie hatten Herzensnoth.

Da stellten sich die Degen, | als sännen sie auf seinen Tod.

1177

Sie sprachen einhellig: | «Er hat nicht wohlgethan.»

Bis er zu Freunden wieder | die Fürsten sich gewann,

Entwich er ihrem Zorne: | sie ließen ihn genesen;

Aber Kriemhild konnt ihm | wohl nicht feinder sein gewesen.

1178

Mit neuem Leide wieder | belastet war ihr Muth,

Erst um des Mannes Leben | und nun, da sie das Gut

Ihr so gar benahmen: | da ruht' auch ihre Klage,

So lang sie lebte, nimmer | bis zu ihrem jüngsten Tage.

1179

Nach Siegfriedens Tode, | das ist alles wahr,

Lebte sie im Leide | noch dreizehen Jahr,

Daß ihr der Tod des Recken | stäts im Sinne lag:

Sie wahrt' ihm immer Treue; | das rühmen ihr die Meisten nach.

1180

Eine reiche Fürstenabtei | hatte Frau Ute

Nach Dankrats Tod gestiftet | von ihrem Gute

Mit großen Einkünften, | die es noch heute zieht:

Dort zu Lorsch das Kloster, | das man in hohen Ehren sieht.

1181

Dazu gab auch Kriemhild | hernach ein großes Theil

Um Siegfriedens Seele | und aller Seelen Heil

Gold und Edelsteine | mit williger Hand;

Getreuer Weib auf Erden | ward uns selten noch bekannt.

1182

Seit Kriemhild König Gunthern | wieder schenkte Huld

Und dann doch den großen Hort | verlor durch seine Schuld,

Ihres Herzeleides | ward da noch viel mehr:

Da zöge gern von dannen | die Fraue edel und hehr.

1183

Nun war Frau Uten | ein Sedelhof bereit

Zu Lorsch bei ihrem Kloster, | reich, groß und weit,

Dahin von ihren Kindern | sie zog und sich verbarg,

Wo noch die hehre Königin | begraben liegt in einem Sarg.

1184

Da sprach die Königswitwe: | «Liebe Tochter mein,

Hier magst du nicht verbleiben: | bei mir denn sollst du sein,

Zu Lorsch in meinem Hause, | und läst dein Weinen dann.»

Kriemhild gab zur Antwort: | «Wo ließ' ich aber meinen Mann?»

1185

«Den laß nur hier verbleiben,» | sprach Frau Ute.

«Nicht woll es Gott vom Himmel,» | sprach da die Gute.

«Nein, liebe Mutter, | davor will ich mich wahren:

«ein Mann muß von hinnen | in Wahrheit auch mit mir fahren.»

1186

Da schuf die Jammersreiche, | daß man ihn erhub

Und sein Gebein, das edle, | wiederum begrub

Zu Lorsch bei dem Münster | mit Ehren mannigfalt:

Da liegt im langen Sarge | noch der Degen wohlgestalt.

1187

Zu denselben Zeiten, | da Kriemhild gesollt

Zu ihrer Mutter ziehen, | wohin sie auch gewollt,

Da muste sie verbleiben, | weil es nicht sollte sein:

Das schufen neue Mären, | die da kamen über Rhein.