Dorothea Schlegel
1763 - 1839
Die Geschichte des Zauberers Merlin
1804
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Dreyßigstes Kapitel.
Nachdem Uterpendragon lange Zeit in Frieden sein Reich regiert, verfiel er in eine schwere Krankheit; er hatte nämlich Gicht in den Händen, so daß er sie nicht brauchen konnte. Die Heiden fielen wieder in sein Reich und verheerten [217] es während seiner Krankheit; die Fürsten und Barone zogen zwar verschiedentlich gegen sie zu Felde, wurden aber immer geschlagen, die Heiden dagegen immer mächtiger im Lande. Merlin kam zu Uterpendragon, und sagte ihm, er würde mit seiner Hülfe die Feinde wieder vertreiben, nachmals aber nicht lange mehr leben; die Königin Yguerne war vorher schon gestorben. Merlin rieth ihm daher, sobald er würde gesiegt haben, alle seine Schätze und Reichthümer unter die Armen zu vertheilen; er solle noch bey seinem Leben so viel Gutes thun als möglich, weil er das Reich ohne Erben verlassen müsse. Der König fragte ihn nach dem Kinde, welches er ihm gegeben; du hast, antwortete dieser, dich nicht um ihn zu kümmern; doch darf ich dir wohl sagen, daß er schön und groß und wohlerzogen ist. Als Merlin darauf Abschied vom Könige nahm, und ihn noch einmal erinnerte, daß er nicht lange mehr zu leben habe, fragte der König ihn weinend: O weh, Merlin, soll ich dich denn niemals wieder sehen? – Noch einmal [218] sollst du mich sehen, antwortete Merlin, aber nicht öfter.Uterpendragon versammelte sein Heer, ließ sich ihm in einer Sänfte vortragen, und ertheilte die Befehle zum Angriff mit solcher Klugheit und mit so großem Muth, daß er dadurch den Muth des Heeres und der übrigen Anführer hob, die Feinde schlug, und sie völlig wieder aus dem Lande vertrieb. Darauf kam er wieder nach London zurück, und vertheilte alle seine Schätze, alles was er besaß, zwischen den Armen und den Kirchen, so daß er sich jetzt noch mehr als je die Liebe des ganzen Volks erwarb; verfiel aber hernach wieder in seine Krankheit, so daß die Aerzte sein Leben aufgaben. Da er nun immer schlimmer wurde, und endlich die Sprache verlor, so daß er in drey Tagen kein einziges Wort gesprochen hatte, kam Merlin wieder zu London an. Die Herren des Hofes, und das Volk, als sie ihn kommen sahen, gingen weinend ihm entgegen, und riefen: Unser König ist todt! – Er ist noch nicht todt, antwortete Merlin, führt mich [219] zu ihm, so sollt ihr ihn noch einmal reden hören. Als man ihn nun in das Zimmer führte, wo der König krank auf seinem Bette lag, ließ Merlin alle Fenster öffnen, und trat hinzu. Die Hofleute nahten sich dem Könige und sagten ihm: hier ist Merlin, welchen der König jederzeit geliebt. Da wandte der König sich zu ihm, erkannte ihn alsbald, und man nahm an seinen Mienen wahr, wie er sich freute, ihn zu sehen. Merlin neigte sich und sagte ihm leise ins Ohr: wisse, dein Sohn Artus wird König nach dir, und wird die Tafelrunde, welche du gestiftet, vollständig machen! – Darauf erhob der König seine Stimme und sagte: Sage ihm, daß er für mich bete zu Jesu Christo unserm Herrn. – Nun wandte Merlin sich zu den Herumstehenden und sagte : dieß waren die letzten Worte des Königs, niemand wird ihn weiter reden hören. – Darauf ging Merlin fort, und die andern blieben in Erstaunen zurück, sowohl darüber, daß der König noch mit ihm geredet, als über die Worte, welche er gesprochen, von denen sie den Sinn [220] nicht fanden, denn sie hatten nicht gehört, was Merlin dem Könige ins Ohr geredet. Dieselbe Nacht starb Uterpendragon, und das Reich blieb ohne Nachfolger. Die Fürsten und Barone versammelten sich zwar, um einen König aus ihrer Mitte zu wählen, sie konnten sich aber nicht darüber vereinigen. Endlich beschlossen sie, den Merlin, als den weisesten aller Menschen, um Rath zu fragen.Merlin wurde in die Rathsversammlung geholt, und ihm im Namen aller Fürsten die Frage vorgelegt, wen sie zum Könige an Uterpendragons Stelle erwählen sollten? – Da stand Merlin auf, und sprach: Ich habe stets dieß Reich geliebt, so wie auch die Bewohner desselben; wollt ihr also meiner Meinung folgen, so laßt es auf den Ausspruch Gottes ankommen, wer König werden soll. – Alle riefen einstimmig: Sag was wir thun sollen, wir glauben dir, und wollen alles, was du für Recht hältst, thun. – Vierzehn Tage sind es, fing Merlin an, seitdem der König starb, es war am St. Martinstage; wartet [221] noch bis zur Weihnachtsnacht, welche nicht mehr weit ist. Unser Erlöser, der König aller Könige, ward an diesem Tage geboren. Ich bin euch allen Bürge, daß wenn ihr diesen Tag in frommen Gebete zu unserm Herrn zubringt, er euch ein Zeichen geben wird, nach welchem ihr einen König erwählen dürft. Ihr alle, Fürsten und Volk, und ihr Bischöfe und Geistliche, betet zu ihm, daß er euch erleuchte, und euch durch ein Zeichen seinen Willen kund thue und euch denjenigen zeige, der würdig gefunden wird, dieß Reich zu regieren. Ich sage euch in Wahrheit, wenn ihr mit Inbrunst und mit wahrer Andacht allgemein zu ihm betet, das Zeichen wird euch erscheinen, woran ihr den König erkennen sollt, und so seyd ihr dann gewiß, nach dem Willen Gottes unsers Herrn erwählt zu haben.
Merlin in der Rathsversammlung
Die ganze Versammlung war mit diesem Rathe des Merlin wohl zufrieden, und es ward einstimmig beschlossen, darnach zu thun. Merlin beurlaubte sich jetzt von den Fürsten. Da sie ihn baten, zum Weihnachtsfeste wieder zu [222] kommen, um nachzusehen, ob alles so geschehe, wie er ihnen gerathen, sagte er, er würde eher nicht wiederkommen, bis alles vollkommen zugetroffen; ging darauf fort aus dem Rath zu seinem Meister Blasius und erzählte ihm das Geschehene, wodurch auch wir es jetzt erfahren.Die Barone ihrer Seits ließen alle Fürsten, Herren und Ritter des Landes zu Weihnachten nach London bescheiden, um sich im Gebete zu vereinigen, und zu sehen, durch welches Wunder Gott einen unter ihnen zum Könige auserwählen würde. Es geschah so, und es war nicht einer, der sich nicht zu Weihnachten in London einfand. Auch der brave Ritter Anthor kam nebst einem Pflegesohn Artus, der ein Knabe von wunderbarer Schönheit und in allen Dingen sehr artig und wohlerzogen war; auch seinen eignen Sohn brachte Anthor mit nach London, welcher ein Jahr älter war als Artus, und am Allerheiligen-Tage war Ritter geworden. Anthor liebte aber seinen eignen Sohn nicht mehr, als er den Pflegesohn liebte. [223]Am Vorabend vor dem Weihnachtsfeste versammelten alle Fürsten und Ritter, und vieles Volk sich in der Kirche, beteten, und hörten die Messe um Mitternacht mit großer Andacht; als aber die Mitternachtmesse vorüber war, und kein Zeichen sich noch wollte sehen lassen, fingen viele an zu zweifeln, und meinten, sie seyen wohl rechte Thoren, auf ein solches Zeichen zu warten. Darauf bestieg ein sehr gelehrter geistlicher Herr die Kanzel und hielt ihnen eine vortreffliche Predigt, worin er ihnen ihren Unglauben und Ungeduld verwies, und sie ermahnte, ihren Eifer im Gebete nicht sinken zu lassen, und auf Gott fest zu vertrauen; hielt ihnen auch ihre Pflicht vor, daß sie um die jetzige Stunde doch nicht allein aus der Ursache in der Kirche versammelt wären, um einen König aus ihrer Mitte zu erwählen, sondern sie wären auch um des Heils ihrer Seelen willen hier, und um den König aller Könige anzuflehen, welcher ihnen in dieser Nacht geboren worden. Die Predigt war so kräftig und vortreflich, daß die Fürsten, davon bewegt, ihre [224] Andacht erneuerten, und in inbrünstigem Gebete die Frühmesse abwarteten. Als aber auch diese gehört worden, und der helle Tag begann in die Kirche hinein zu scheinen, da gingen viele von ihnen hinaus; und siehe da, auf dem Platze vor der Kirchenthüre erhoben sich drey breite Stufen von einem fremden sonderbaren Stein, einige sagten, es sey Marmor; ein eiserner Ambos stand oben auf den Stufen, in diesem Ambos war ein Schwerdt befestigt, so daß es aufrecht auf dem Ambos stand. Die, welche aus der Kirche gekommen waren, liefen erstaunt und erschreckt zurück und verkündigten das Wunder dem Erzbischof Brice, der eben Messe las. Als er fertig war, ging er hinaus, und alles Volk und die Fürsten ihm nach; der Erzbischof stieg die Stufen hinauf, besah das Schwerdt und las die Schrift, welche auf beyden Seiten des Schwerdts mit goldnen Buchstaben eingegraben war, dem Volke laut vor. Es stand darauf: derjenige unter euch, welcher dieses Schwerdt aus dem Ambos zieht, soll König dieses Landes seyn auf Ermahnung Jesu Christi.“ [225]
Das Schwerdt auf dem Ambos
Alles Volk war erstaunt über dieses wunderbare Zeichen; der erhöhete Ambos und das Schwerdt ward zehn tapfern verständigen Männern zur Wache übergeben, von welchen fünfe weltlich, fünfe aber geistlich waren. Darauf verfügten sich alle wieder in die Kirche, und stimmten dem Herrn Dankgebete an für dieses Zeichen, das er ihnen gnädig gesendet, und sangen feyerlich ein Tedeum. Nachher fingen die Versuche mit dem Schwerdte an: erst kamen die Fürsten, die Barone, alle große Herrn und Ritter, jeder versuchte das Schwerdt aus dem Ambos zu ziehen, keiner war es aber im Stande. Der Erzbischof gab den zehn Männern, welche das Schwerdt bewachten, den Befehl, jedweden heran zu lassen, der den Versuch machen wollte, er sey von welchem Stande er wolle; sollte einer es herausziehen, so müßten sie aber wohl Acht geben, wer es sey, um ihn wieder zu erkennen. Während acht Tagen bis zum Neujahrstage versuchten es alle im ganzen Lande, denn sie kamen von weit und breit, um den Versuch zu machen; niemand [226] aber konnte das Schwerdt aus dem Ambos ziehen, obgleich viele hundert der tapfersten Ritter es versuchten.
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