BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Dorothea Schlegel

1763 - 1839

 

Die Geschichte des Zauberers Merlin

 

1804

 

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[54]

Siebentes Kapitel.

 

Zur selben Zeit regierte ein König, Namens Constanz. Wir erwähnen hier nichts von den Königen, die vor ihm regierten; wer aber ihre Anzahl und ihre Geschichte zu wissen verlangt, der muß die Historia von Bretagna lesen, welche Brutus genannt wird; Meister Martin von Glocester hat sie aus dem Lateinischen in die romanische Sprache übertragen. – König Constanz hatte drey Söhne, die hießen: Moines, Uter und Pondragon. Auch lebte in seinem Lande ein Mann, Namens Vortigern, ein sehr tapferer und mächtiger Ritter von großem Ansehen. Als König Constanz starb, berathschlagte das Volk sich, wen es zum Nachfolger erwählen sollte; der größte Theil des Volks, wie die meisten Edlen, waren dafür, den Moines, ältesten Sohn des verstorbenen Königs, zu erwählen, ungeachtet er nur noch ein Kind war; [55] ihm aber, und keinem andern gehörte das Reich von Rechtswegen; Vortigern, als der mächtigste und verständigte im Lande, war auch derselben Meinung. Der junge Moines ward also zum Könige, und Vortigern einstimmig zu seinem Seneschall ernannt.

Damals war das Reich im Kriege mit den Heiden; sie kamen von Rom und von andern Seiten her, verheerten das Land und bekriegten die Christen. Vortigern aber regierte das Reich nach eigner Willkühr, ohne sich des jungen Königs anzunehmen, der noch zu unverständig und zu kindisch war, um sich selber rathen zu können. Nachdem Vortigern nun sich erst des ganzen Regiments benächtigt, so daß niemand ihm entgegen seyn durfte und das ganze Reich nur von ihm abhing, ward er hochmüthig und geldgeizig, bekümmerte dabey sich weder um den König noch um das Land, denn er wußte wohl, daß niemand, als er, etwas unternehmen oder ausführen konnte, zog sich von allem zurück und lebte blos für sich. Die Heiden versammelten, als sie diese Nachricht [56] über den Seneschall erhielten, sogleich ein großes Heer und fielen damit in das Land der Christen.

König Moines ward sehr bestürzt, daß sein Seneschall sowohl das Regiment als das Heer verlassen und sich zurückgezogen hatte; begab sich auch sogleich in seiner Bestürzung zu ihm hin und bat ihn flehentlich, doch das Heer wieder gegen den Feind anzuführen. Vortigern aber entschuldigte sich gegen den König mit seinem hohen Alter, das ihm nicht mehr erlaube, in den Krieg zu gehen, noch sich der Regierungsgeschäfte viel anzunehmen. Nehmt, sprach er zum Könige, einen andern zu Euerm geheimen Rath; Euer Volk haßt mich, weil ich stets zu sehr auf Euern Vortheil bedacht gewesen war; erwählt also einen unter ihnen und übergebt ihm mein Amt, denn ich will sicher nichts mehr damit zu schaffen haben.

Die, welche mit dem Könige bey Vortigern waren, beschlossen, da sie ihn so reden hörten, der König selber solle sich an ihre Spitze stellen, und sie wollten mit ihm gegen den Feind [57] ziehen. Hastig wurde also ein Heer zusammengerafft, und sie zogen ins Feld, König Moines an ihrer Spitze; er war aber viel zu jung und zu unerfahren in Kriegssachen, auch war das Heer der Heiden viel stärker, als das ihrige, auch ihre Anführer sehr tapfer und verständige Männer, daher kam es, daß das Heer des Königs Moines geschlagen ward und floh; er selber entfloh mit ihnen.

Nun jammerte und klagte das Volk um seinen Seneschall. Hätte Vortigern, riefen sie, das Heer angeführt, nimmer hätte er die Schlacht verloren, nimmer hätten die Heiden so viel Christen erschlagen! Auch murrten viele der Großen und Edlen des Reichs gegen den König; er hatte sie durch unvorsichtiges Betragen und durch allerley Zumuthungen, die nicht ganz schicklich waren, sich zu Feinden gemacht.

Es entstand also eine große Empörung unter dem Volke, und die vornehmsten und mächtigsten darunter gingen zum Vortigern, und riefen ihn zu Hülfe. Wir sind ohne Oberhaupt, sagten sie, denn unser König thut seine Pflicht [58] nicht, wir bitten Euch, nehmt Euch um Gotteswillen unserer an, seyd Ihr unser König und unser Herr; kein Mann auf Erden ist weiser und tapferer als Ihr, also gibt es auch keinen, der dieses Amt besser als Ihr bekleiden könnte, und darum verlangen wir auch keinen andern als Euch.

Darauf antwortete Vortigern: Solange Euer rechtmäßiger König noch lebt, kann und werde ich niemals Euer König seyn. Ey, riefen die andern, wir wünschten ihn lieber todt als lebendig zu sehen. Nun, sagte Vortigern, so bringt ihn um, denn so lange er am Leben ist, kann ich nicht Euer König seyn. Bey dieser Rede blieb er, was jene auch sagen mochten. Sie gingen also wieder fort, berathschlagten sich aber, und hielten eine Versammlung, zu welcher sie ihre besten Freunde und nächsten Verwandte zogen; hier beschlossen sie, den König Moines wirklich ermorden zu lassen, in der Hoffnung, daß wenn Vortigern durch ihren Verrath würde König geworden seyn, er ihnen alsdann diesen Dienst wohl belohnen würde, [59] und sie durch ihn die eigentlichen Herrscher des Landes seyn würden. Sie erwählten zwey der stärksten und gewandtsten Männer unter ihnen; diese gingen hin und ermordeten den jungen König Moines auf eine schändliche verrätherische Weise, denn er war noch ein schwacher wehrloser Knabe, und hatte keinen Menschen um sich, der ihn bewachte oder vertheidigte; keiner kümmerte sich um ihn, und so ließen sie ihn hülflos ermorden.

 

Die Ermordung des Königs Moines

 

Nach vollbrachter That eilten die Mörder zu Vortigern, und erzählten ihm, was sie gethan hätten, um ihn zum Könige zu erheben, und daß sie den jungen König Moines erschlagen haben. Vortigern, als er dieß vernahm, stellte sich äußerst erschrocken und bis zum Tode betrübt: Ihr habt übelgethan, rief er, daß Ihr Euern Herrn, Euern gesalbten König erschlagen habt; Ihr sollt auch dafür bestraft werden; erfährt das Volk Eure That, so müßt Ihr sterben. Darum flieht, flieht, meidet dieß Land und das Reich, denn wenn sie Euch fangen, so müßt Ihr alle sterben! Warum mußtet [60] Ihr hierher zu mir kommen, um mir eine solche Botschaft zu bringen! Weh Euch! Geht, kommt nie wieder vor meine Augen! Die Mörder entfernten sich schnell, und meinten, Vortigern wäre im Ernst sehr betrübt und erzürnt wegen ihrer That.

 

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