Novalis
1772 - 1801
Jugendwerke (1788-1793)Übersetzungen
Vergil, 4. Ekloge
Textgrundlage:Hans-Joachim Mähl: Die Idee des goldenen Zeitalters im Werk des Novalis.Studien zur Wesensbestimmung der frühromantischen Utopieund zu ihren ideengeschichtlichen Voraussetzungen.Heidelberg 1965
|
|
______________________________________________________________________________
|
|
[Vergil, 4. Ekloge]
Sizelidische Musen, o tönet höhere WeisenAllen gefällt nicht das kleine Gesträuch, und die niedre Myrize,Singt ihr aber den Wald, so sey er des Konsuls nicht unwerth.Siehe! die lezte Zeit der cumaeischen Hymne ist kommen | |
5 | Und es beginnet der Jahre unermeßlicher Kreislauf,Schon kehrt wieder die Jungfrau, es kommt der Saturnische ZepterUnd es sendet ein neues Geschlecht der Himmel herniederSegne den Neugebohrnen, mit welchem die eiserne Brut sinkt,Und ein goldnes Geschlecht auf Erden überall aufkeimt. |
10 | Segne ihn keusche Lucina, schon jezt regiert dein Apollo.Pollio und du erblickst den Beginn des seligen Zeitraums,Konsul noch und der größeren Monde anhebenden UmlaufUnserer Bosheit Spuren Vertilgung, und welche noch übrigWird von ewiger Furcht der Erdkreis unter dir lösen. |
15 | Jener empfängt der Unsterblichen Leben, wird unter den GötternSchaun die Helden, und wird selbst unter ihnen gesehn seynUnd pflegt einst den durch Vatertugend entfehdeten Weltkreis.Knabe, die selbstgewachsenen Erstlinge strömt dir die ErdeAus willfährig, den wankenden Eppich, die Fülle, mit Bakkar |
20 | Und Colokasier um die schöne Akanthus geschlungenWillig schleppen nach Haus milchstrotzende Euter die GeißleinUnd der Stier und die Kuh scheun nicht den gewaltigen LöwenSelbst die Wiege bestreut mit schmeichelnden Blumen dein Antliz,Drach und Schlange verkümmern, es verwelkt das trügliche Giftkraut, |
25 | Und es entsproßt an jeglichem Ort der Aschyrische Amom,Aber wenn du die Feyer der Helden, die Thaten der AhnenLiesest und nun die treffliche Tugend vermagst zu erkennenDann wird allmählich die Flur die zarte Ähre vergoldenUnd die röthelnde Traube umhängt unbeschnittene Dornen |
30 | Und der bethauende Honig entträuft dem härtesten EichbaumAber ein Überrest bleibt von der Frechheit der VorweltDer es schafft, daß Thetis mit Schiffen befahren, umgürtetStädte mit Mauern werden, daß Tellus noch Furchen zerreißenDann wird ein zweyter Typhis erstehn, dann eine andere Argo |
35 | Tragend erlesene Helden, dann lodert ein anderer Krieg auf,Und ein Herrscher Achill wird wieder nach Troja gesendet.Wenn die gestählte Zeit dich dann zum Manne gebildetScheidet der Schiffer selbst vom Meere, die schwimmende FichteTauscht nicht mehr Waaren, es trägt dann alles jegliches Erdreich. |
40 | Nicht mehr duldet den Karst der Boden, die Hizze der Weinstock.Und es erlößt die Färsen vom Joch der rüstige Landmann.Dann lernt Wolle nicht mehr mit bunten Farben sich zu schmückenSondern auf Wiesen schmückt dann selbst das Fell sich der WidderBald mit rosigen Purpur und mit dem Golde des Strichkrauts |
45 | Und willfährig bekleidet die weidenden Lämmer die Sandyx.Rollt hin, selige Jahre, so sprachen zur Spindel die ParzenImmer vereint zum ewigen Schlusse des heiligen Schicksals.Strebe zum herrlichen Ruhm hinan, schon nahen die ZeitenTheurer Göttersohn gedeihe durch Jupiters Pflege. |
50 | Siehe wie mit der lastenden Wölbung sich neiget der WeltkreisUnd die Erd und das Meeresgefild, und der endlose Himmel,Siehe! wie alles entgegen sich freut der kommenden Folge.Bliebe vom langen Leben mir dann noch ein Endchen nur übrigUnd noch Athem, um würdig dein Heldenleben zu feyren |
55 | Mich besiegte dann nicht der Thrazier Orfeus mit HymnenNicht ob auch jenem die Mutter, der Vater dem hold wär;Kalliopa dem Orfeus, dem Linus der schöne ApolloPan auch stritt er mit mir vor ganz Arcadiens OhrenVor Arcadien müßte auch Pan besiegt sich erkennen. |
60 | Lieblicher Knabe beginne, die lächelnde Mutter zu kennenDer zehn zögernde Monde so manchen Ekel erzeugten.Lieblicher Knabe beginn, wen lächelnd die Eltern nicht grüßtenTraun! den bewirthet kein Gott und keine der Göttinnen kost ihn.
3 Myrize Sumpftamariske. 10 Eppich Efeu. Bakkar Baldrian. 21 Colokasier Ägyptische Wasserrose. Akanthus Bärenklau. Aschyrische Amom Assyrische Gewürzstaude. 33 Thetis Tochter des Nereus und der Doris; hier metonymisch für das Meer. 34 Tellus Römische Erdgöttin, metonymisch für die Erde. 42 Färsen junge Kühe. 45 Strichkraut - lutum, ein Kraut zum Gelbfärben. 46 Sandyx Eine Staude mit scharlachroter Blüte, metonymisch für die rote Farbe.
―――――――
Ecloga quartaSaeculi novi interpretatio.
Sicelides Musae, paulo maiora canamus!non omnis arbusta iuvant humilesque myricae;si canimus silvas, silvae sint consule dignae.Ultima Cumaei venit iam carminis aetas; |
5 | magnus ab integro saeclorum nascitur ordo.iam redit et Virgo, redeunt Saturnia regna;iam nova progenies caelo demittitur alto.tu modo nascenti puero, quo ferrea primumdesinet ac toto surget gens aurea mundo, |
10 | casta fave Lucina: tuus iam regnat Apollo.Teque adeo decus hoc aevi, te consule, inibit,Pollio, et incipient magni procedere menses;te duce, si qua manent sceleris vestigia nostri,inrita perpetua solvent formidine terras. |
15 | ille deum vitam accipiet divisque videbitpermixtos heroas et ipse videbitur illispacatumque reget patriis virtutibus orbem.At tibi prima, puer, nullo munuscula cultuerrantis hederas passim cum baccare tellus |
20 | mixtaque ridenti colocasia fundet acantho.ipsae lacte domum referent distenta capellaeubera nec magnos metuent armenta leones;ipsa tibi blandos fundent cunabula flores.occidet et serpens et fallax herba veneni |
25 | occidet; Assyrium vulgo nascetur amomum.At simul heroum laudes et facta parentisiam legere et quae sit poteris cognoscere virtus,molli paulatim flavescet campus aristaincultisque rubens pendebit sentibus uva |
30 | et durae quercus sudabunt roscida mella.Pauca tamen suberunt priscae vestigia fraudis,quae temptare Thetim ratibus, quae cingere murisoppida, quae iubeant telluri infindere sulcos.alter erit tum Tiphys et altera quae vehat Argo |
35 | delectos heroas; erunt etiam altera bellaatque iterum ad Troiam magnus mittetur Achilles.Hinc, ubi iam firmata virum te fecerit aetas,cedet et ipse mari vector nec nautica pinusmutabit merces: omnis feret omnia tellus. |
40 | non rastros patietur humus, non vinea falcem;robustus quoque iam tauris iuga solvet arator;nec varios discet mentiri lana colores,ipse sed in pratis aries iam suave rubentimurice, iam croceo mutabit vellera luto, |
45 | sponte sua sandyx pascentis vestiet agnos.«Talia saecla» suis dixerunt «currite» fusisconcordes stabili fatorum numine Parcae.adgredere o magnos - aderit iam tempus - honores,cara deum suboles, magnum Iovis incrementum! |
50 | aspice convexo nutantem pondere mundum,terrasque tractusque maris caelumque profundum,aspice, venturo laetantur ut omnia saeclo!o mihi tum longae maneat pars ultima vitae,spiritus et quantum sat erit tua dicere facta: |
55 | non me carminibus vincat nec Thracius Orpheusnec Linus, huic mater quamvis atque huic pater adsit,Orphei Calliopea, Lino formosus Apollo.Pan etiam, Arcadia mecum si iudice certet,Pan etiam Arcadia dicat se iudice victum. |
60 | Incipe, parve puer, risu cognoscere matrem:matri longa decem tulerunt fastidia menses.incipe, parve puer: qui non risere parenti,nec deus hunc mensa, dea nec dignata cubili est. |