Novalis
1772 - 1801
Jugendwerke (1788-1793)Fabeln und andere Prosastücke
5. Fabeln
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Fabeln
1. Der alte SperlingSchämt Ihr euch nicht, rief ein alter Sperling seinen Jungen zu, die mit muntern Weibchen tändelten und kosten, fühlt ihr nicht, daß dieses unanständig und erniedrigend ist; Ihr verschmäht die Weisheit, die unsre Seele zu den Unsterblichen hebt. Bleib du bey deiner Weisheit, riefen ihm die losen Jungen zu, und laß uns jezt genießen; wenn wir so alt sind als du, so wollen wir auch aus Unvermögen uns zur Weisheit begeben und über Liebe und Freuden philosophiren.
2. Die SchneckenEinst giengen zwei Jünglinge spatziren und fanden im Fahrweg einige Schnecken, die sie, besorgt, daß sie von einem Fuhrwagen zerdrückt werden möchten, in den Busch dabei warfen. Ihr Muthwilligen, riefen die Schnecken, warum stört ihr uns aus unsrer friedlichen Ruhe und werft uns so muthwillig hierher.Menschenbrüder, mit wem hadert ihr, wenn euch ein kleines Ungemach geschieht? Mit einem Allweisen? O! ihr Kurzsichtigen!
3. Die UebelEinst klagte ein Esel: Ich Unglücklicher! ich habe keine Hörner; ein Fuchs stand dabey: Ja! ich bin noch unglücklicher, ich habe keine langen Beine. Schweigt, rief der Maulwurf, bin ich nicht gar blind.Der ist sicher ein Tor, sprach das weise Pferd, der sich für den unglücklichsten hält.
4. Die BuhlerinnEine Buhlerinn verließ ihr Liebhaber und sie stellte sich untröstlich! Warum weinst du so sehr, fragte eine Nachbarinn. Ach! Daß ich ihm noch den schönen blauen Mantel ließ.Merkts, Jünglinge.
5. Die WiedervergeltungHastig verfolgte ein Habicht die zitternde Taube und folgte ihr sogar in den Taubenschlag. Da fieng ihn der Herr desselben und wollte ihn tödten.Was that ich dir? rief der Habicht. Was that dir die Taube? war die Antwort.
6. Das verworfne GeschenckJupiter wandelte in einem Walde, und alle Bäume schüttelten ihm ihre Früchte vor die Füße und er segnete sie. Da warf auch der Giftbaum seine schöne Frucht dem Jupiter hin. Nein! ich mag dein Geschenck nicht, sagte Jupiter, und segnete den Baum nicht.Fürsten, belohnt nicht das Genie, das seine Gaben zur Verderbniß der Sitten verwendet!
7. Der PhilosofVerzug schadet seltenLehre meinem Kanarienvogel, sprach ein Tyrann zu einem Philosofen, den Homer, daß er ihn auswendig hersagen kann, oder geh aus dem Lande; unternimmst du es, und es gelingt nicht, so mußt du sterben. –Ich will es ihm lehren, sprach der Weise, aber ich muß zehn Jahre Zeit haben. –Warum warst du so thöricht, fragten ihn hernach seine Freunde, und unternahmst etwas Unmögliches? Lächelnd antwortete er: In zehn Jahren bin ich oder der Tyrann oder der Vogel gestorben.
[8.] Die Eule und der SperlingUnverschämter! Stiehlst du nicht Kirschen am hellen lichten Tage, vor den Augen aller? O! schreckliche Frechheit! so rief eine Eule einem Sperling zu, der sich auf einem Kirschbaum gütlich that. Freylich ist es edler, erwiederte der Sperling, bey Nacht, wenn alle Thiere sorglos schlafen auf Mord und Raub auszugehn.
[9.] Das PferdEin Wolf sagte zu einem Pferde: Warum bleibst du denn dem Menschen so treu, der dich doch sehr plagt, und suchst nicht lieber die Freyheit? – Wer würde mich wohl in der Wildniß gegen dich und deinesgleichen vertheidigen, antwortete das philosofische Pferd, wer mich pflegen, wenn ich kranck wäre, wo fände ich solches gutes, nahrhaftes Futter, wo einen warmen Stall? Ich lasse dir gern für das alles, das mir meine Sklaverey verschafft, deine Chimäre von Freyheit. Und selbst die Arbeit, die ich habe, ist sie Unglück?
[10.] Der BärWohin, Gevatter Bär? sprach ein Wolf zu einem wandernden Bären. – Ich suche mir eine andere Wohnung, antwortete er. – Du hattest ja aber eine schöne, geräumige Höhle, warum verläßt du sie? – Der Löwe machte Ansprüche an dieselbe und ging an den Senat der Thiere. – Da brauchtest du dich nicht zu fürchten, du hattest ja eine gerechte Sache. – Gegen Könige ist jede Sache ungerecht, Gevatter Wolf.
[11.] Der FuchsHast du die Satyre gelesen, die der Löwe auf dich gemacht hat, fragte der Wolf den Fuchs, antworte ihm, wie sichs gebührt. Gelesen hab ich sie, aber deinem Rathe folg ich nicht, sagte der Fuchs, denn der Löwe könnte mir auf eine fürstliche Art antworten.
[12.] Der Tiger und der FuchsTiger, sprach der Löwe zu seinem Favoritten, ich kann den Fuchs nicht mehr ausstehn, er spöttelt unaufhörlich, schaft mir ihn mit guter Manier vom Halse. Freudig lief der Tiger zum Fuchse: Nichtswürdiger; du hast die Königinn beleidigt. Wann eher? sagte der Fuchs, ich weiß nichts davon. So hast du doch ehgestern den König verläumdet. Das ist eine eben so schändliche Lüge, als das Erste, schrie der Fuchs. O! himmelschreyendes Verbrechen! Du beschuldigst mich der Lügen! Das muß ich rächen! und hiemit fraß er ihn auf.
[13.] Die EfemerisEine alte Efemeris rief aus: Ich habe nun 22 Stunden gelernt; meine Weisheit, meine Kenntnisse sind die Größesten die ein endlich Wesen erlangen kann. Arme Thörinn! sprach ein Mensch, der sie hörte, ein unerfahrner Knabe besizt zehnmal mehr Kenntnisse und Einsicht.Raisonnirt ein Sterblicher nicht oft ebenso weise, wie die Efemeris.
[14.] Die MilbeNichts ist gewisser, sprach eine Milbe zu der Andern, als daß unser Käse der Mittelpunkt des erhabnen Weltsystems ist und daß wir die besondern Lieblinge des Allmächtigen sind, weil er uns die vollkommenste Wohnung erschuf. Thörinn, sprach ein Mensch, indem er sie mit ihrem Käse verschlang. Du denkst, wie viele meiner Brüder denken, du auf deinem Käse, sie auf den Ihrigen. |