Novalis
1772 - 1801
Klagen eines Jünglings
Novalis' erstes veröffentlichtes Gedicht istim April 1791 in Wielands «Neuem TeutschenMerkur» erschienen. (Band 1/1791, S. 410-413)Text und Abbildungen:Digitale Bibliothek der Uni Bielefeld
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Klagen eines Jünglings.
Nimmer schwanden undankbar die Freudentraumgleich mir in öde Fernen hin;Jede färbte, lieblicher im Scheiden,mit Errinnrung meinen trunknen Sinn; | |
5 | Mit Errinnrung, die, statt zu ermüden,neue, heilge Wonne mir entschloß,und mir süssen jugendlichen FriedenUm die rebengrünen Schläfe goß.
Seit ich mehr aus schöner Wangen Röthe |
10 | mehr aus sanften, blauen Augen las,oft, wenn schon die scharfe Nachtluft wehteim beseelterm Traume mich vergaß;meinem Herzen nachbarlicher, wärmer,da den Schlag der Nachtigall empfand, |
15 | und entfernt von meinem Klärchen ärmermich als jeder dürft'ge Pilger fand:
Lachet, ew'ge Gottheit in dem Blicke,mich mein sonnenschönes Leben an,Amor täuscht mich nicht mit List und Tücke, |
20 | Ganymeda nicht mit kurzem Wahn;Jedes Lüftchen nähert sich mir milder,das dort Blüthen wild herunter haucht;üppig drängen immer frische Bildersich zu mir, in Rosenöl getaucht.
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25 | Zypris Tauben warten schon mit Kränzenund mit Traubenbechern meiner dort,und in leichtverschlungnen Freudentänzenreisset Amors Bruderschwarm mich fort.Von der Grazien und Musen Lippen |
30 | schmachtet mir entgegen mancher Kuß;Götterwonne kann ich selig nippen,schwelgen da im freundlichsten Genuß.
Dennoch lodern öfters PurpurgluthenMir um meine Wang und meine Stirn, |
35 | wenn sich unter Stürmen, unter Fluthen,wie des Abends leuchtendes Gestim,mir, umstrahlt von ächter Freyheit Kranze,eines edlen Dulders Seele zeigt,den der Himmel nicht in seinem Glanze |
40 | nicht die Höll' in ihren Nächten beugt.
Kraftlos fühl' ich mich von dem Geschickezum unmännlichern Genuß verdammt;vor Gefahren beb' ich feig zurückeweil nicht muth in meinem Busen flammt. |
45 | Weibisch hat das Schicksal mich erzogen,nicht sein Liebling, nur sein Sclav bin ich;Amor hat mich schmeichlerisch umflogenstatt der Sorge, die mir stets entwich.
Statt der ernstern, rühmlicheren Lanze |
50 | wieget einen Hirtenstab mein Arm;nimmer wurde mir im Waffentanzeaber oft im bunten Reigen warm:alle großen, strahlenden GefahrenHat mein Schicksal von mir abgewandt, |
55 | und nur unter frohe Mädchenschaarenstatt in Feindes Haufen mich gesandt.
Parze, hast du jemals deine Spindelnach dem Flehn des Erdensohns gedreht,dem kein bald entwichner Zauberschwindel, |
60 | um die flammendheissen Schläfe weht:O! so nimm, was Tausende begehrten,was mir üppig deine Milde lieh,gieb mir Sorgen, Elend und Beschwerden,Und dafür dem Geiste Energie.
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65 | Ungeduldig soll die Flamme lodernmeines Dankes dann von dem Altar;nichts mehr sollen meine Wünsche fordern,frey und gnügsam macht mich die Gefahr;Doch versagest du mir diese Bitte |
70 | O! so kürze, wenn du streng nicht bist,mindestens geschwind nur meine Schrittenimm dies Leben, das nicht Leben ist.
v. H***g.
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Ich rücke manches Gedicht (vel quasi) in den Merkur ein, nicht weil es mir gefällt, sondern weil ich dem Verfasser einen kleinen Platz zu öffentlicher Ausstellung eines Products seiner Art und Kunst, worüber er die Stimmen der Liebhaber und Kenner zu hören wünscht, nicht versagen will oder kann. Aber dieses Gedichtchen, (den ersten, noch wilden aber anmuthigen Gesang einer jungen Muse) theile ich mit desto größerm Vergnügen mit, da der bescheidene Verf. durch mein unvermuthetes Wohlgefallen beynahe noch mehr überrascht wurde, als ich durch sein unvermuthetes Talent, und seine heut zu Tage an Jünglingen so seltene Bescheidenheit.W[ieland].
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