Novalis
1772 - 1801
[Athenäums-Fragmente]
1798
Textgrundlage:Athenaeum. Eine Zeitschrift vonAugust Wilhelm Schlegel und Friedrich Schlegel.Ersten Bandes Zweytes Stück. Berlin 1798(Quelle: Zenodot Verlagsgesellschaft mbH)
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[Im zweiten Stück des ersten Bandes der Zeitschrift «Athenaeum» erschienen 1798 unter dem Titel «Fragmente» Beiträge von Friedrich Schlegel, August Wilhelm Schlegel, Friedrich Schleiermacher und Novalis, von dem die hier zitierten Nummern 282 bis 293 stammen.]
Fragmente
[282]Wenn der Mensch nicht weiter kommen kann, so hilft er sich mit einem Machtspruche, oder einer Machthandlung – einem raschen Entschluß.
[283]Wer sucht wird zweifeln. Das Genie sagt aber so dreist und sicher, was es in sich vorgehn sieht weil es nicht in seiner Darstellung und also auch die Darstellung nicht [in] ihm befangen ist, sondern seine Betrachtung und das Betrachtete frey zusammenzustimmen, zu Einem Wercke frey sich zu vereinigen scheinen. Wenn wir von der Außenwelt sprechen, wenn wir wirckliche Gegenstände schildern, so verfahren wir wie das Genie. Ohne Genialitaet existierten wir alle überhaupt nicht. Genie ist zu allem nöthig. Was man aber gewöhnlich Genie nennt – ist Genie des Genies.
[284]Der Geist führt einen ewigen Selbstbeweis.
[285]Der transscendentale Gesichtspunct für dieses Leben erwartet uns – dort wird es uns erst recht bedeutend werden.
[286]Das Leben eines wahrhaft canonischen Menschen muß durchgehends symbolisch seyn. Wäre, unter dieser Voraussetzung nicht jeder Tod ein Versöhnungstod? – Mehr oder weniger, versteht sich; und ließen sich nicht mehrere höchst merckwürdige Folgerungen daraus ziehen?
[287]Nur dann zeig ich, daß ich einen Schriftsteller verstanden habe, wenn ich in seinem Geiste handeln kann, wenn ich ihn, ohne seine Individualitaet zu schmälern, übersetzen und mannichfach verändern kann.
[288]Wir sind dem Aufwachen nah, wenn wir träumen daß wir träumen.
[289]Ächt geselliger Witz ist ohne Knall. Es giebt eine Art desselben, die nur magisches Farbenspiel in höhern Sfären ist.
[290]Geistvoll ist das worinn sich der Geist unaufhörlich offenbart – wenigstens oft von neuem, in veränderter Gestalt wieder erscheint – Nicht blos etwa nur Einmal – so zu Anfang – wie bey vielen philosophischen Systemen.
[291]Deutsche giebt es überall. Germanitaet ist so wenig, wie Romanitaet, Graecitaet, oder Britannitaet auf einen besondern Staat eingeschränckt – Es sind allgemeine Menschenkaractere – die nur hie und da vorzüglich allgemein geworden sind. Deutschheit ist ächte Popularitaet und darum ein Ideal.
[292]Der Tod ist eine Selbstbesiegung – die, wie alle Selbstüberwindung, eine neue, leichtere Existenz verschafft.
[293]Brauchen wir zum Gewöhnlichen und Gemeinen vielleicht deswegen so viel Kraft und Anstrengung, weil für den eigentlichen Menschen nichts ungewöhnlicher – nichts ungemeiner ist als armseelige Gewöhnlichkeit?
[294]Genial[isch]er Scharfsinn ist scharfsinniger Gebrauch des Scharfsinns. |