BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Eduard Mörike

1804 - 1875

 

Wispeliaden

 

Sommersprossen

 

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[1]

Der Sträfling

Elegische Balladière.

Im Kerker zu Stuttgart gedichtet

d. 5. Ap. 1837.

 

In des Zwingers Mißgerüchen

Fröstelnd sitz' ich da;

Weil man mich der königlichen

Zwiebel dräuen sah. 

 

5

Denn ich wähnt', es wär' nicht übel,

Wenn wir unserem Aquavit, 1

Statt gemeiner Zähren-Zwiebel

Zärtern Schmälzling teilten mit. 2

 

Und ich schlich zum Herrscher-Garten,

10

Wo der Silberstölzling 3 schwimmt,

Wo die Afrikanen 4 schnarrten

Und die Tulpe flimmt.

 

[2]

«Ihre Knolle auszuzwarken,

Hilf, o Küpris 5, mir!

15

Niemand wird mir dies verargen,

Niemand lauschet hier!»

 

Und schon bohrt' ich auf die Neige,

Und schon gab sie nach,

Als aus nahem Lust-Gezweige

20

Still ein Bosmann brach. 

 

Und ich trat mit meinem Zweke

Floskelnhaft hervor,

Doch der goldbordierte Reke 6

Wismet' mir kein Ohr. –

 

25

Wie notwendig Junge brechen

Aus dem Hühner-Ei,

So folgt jeglichem Verbrechen

Stets die Polizei. 

 

In des Zwingers Mißgerüchen

30

Fröstelnd sitz ich da,

Weil man mich der königlichen

Zwiebel dräuen sah.

 

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1) Euphemism, pour Wasser-Soupe. 

2) Auch mein Kochwerk anzubessern *),

Pröblings wollt ich's tun;

Diesen Wissenszweig zu größern,

Kann mein Geist nicht ruhn.

*) Der Verf. beabsichtigte die Herausgabe eines Kochbuches nach

baichenen Ideen, welches sein Bruder drucken wollte.  

3) Der Schwan. 

4) Eine Art ausländischer Enten; sehr schön, aber von häßlichem Geschrei. 

5) Göttin der Botanique. 

6) Altteutsch pour: Portier.