BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Eduard Mörike

1804 - 1875

 

Die umworbene Musa

(dramatisches Fragment)

 

um 1825

 

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[3]

Zweiter Auftritt.

 

Musa in einem einfachen Zimmer.

Bedienter tritt herein.

 

Musa.

Was tun die Jungen?

Bedienter.

Gnäd'ge Frau, sie kehren

Soeben vom Spaziergehn zurück.

Musa.

Geh, rufe sie auf einen Augenblick,

Ich will die Lektion abhören.

(Bedienter ab.)

Die Burschen, ach, warum nur lieb' ich sie!

Sie haben Trank durch mich und Speiße,

So mag's wohl, daß [ich] ihnen Mutter heiße,

Die Göttin aber ahnen sie doch nie.

Von keinem andern dürfte mich's verdrießen,

Ich bin deß auf der Erden schon gewöhnt;

Kein Herz will unbedingt an mich sich schließen,

Und nur verkleidet bin ich nicht verpönt;

Doch kränkt es mich von niemand, wie von diesen.

Die Kinder kommen, auf Steckenpferden reitend.

Grüß' dich, Mutter!

Musa.

Seid ihr da!

Einer.

Ei, denk nur, mir hat der Papa –

Musa

Wie sagst du, Rudolf? Hab' ich nicht

Dies ungeschickte Wort verwießen?

Geh, schäme dich ins Angesicht,

Ihn anders als den „Herrn vom Haus“ zu grüßen! [4]

Nun sag', was hat er?

Alle.

Uns einen schönen,

Schönen, schönen Pudel gekauft!

Wir haben ihn auch schon getauft

Und taten ihn schon ins Wasser gewöhnen.

Musa.

So. Und was ist das für ein Stecken?

Erster.

Ei Mutter, das ist ja ein Pfeifenrohr.

Alle.

Wir haben alle!

Musa.

Ihr macht mir Schrecken.

Die Kinder (durcheinander).

Sieh', Mutter, welch ein Wassersack!

Und dieser Beutel mit Tabak!

Den Kopf!

Musa.

Wie eine Tonne, größer nicht.

Das ist ja lächerlich an dir, du kleiner Wicht!

Zweiter.

Du glaubst nicht, wie das schmeckt beim Biere,

Da sitzen wir so still, wir alle viere,

Nur kaum, daß wir manchmal ein bißchen schreien,

Weil man sonst eben gar nichts kann;

Zuweilen auch fangt einer an

Von seiner Quaste, seiner neuen,

Daß sie die schönsten Couleuren hab',

Und da setzt's öfters Händel ab;

Der Beleidiger muß vor das Ehrengericht,

Wo man ihm das Duell zuspricht [5]

So haben wir noch Sächlein allerhand:

Wir turnen, oder spielen auch mit – Sand 1.

Im ganzen aber, – nein, ich darf's nicht sagen

Musa.

Ei, mit der Mutter darfst du schon was wagen.

Zweiter (ihr ins Ohr).

– Geschieht's von wegen Deutschlands Freiheit.

Musa.

Wie meint ihr das?

Zweiter.

Wir meinen's – eben – gut!

Musa.

Wie macht ihr's aber?

Zweiter (besinnt sich).

Ach, – wir machen's, – machen's eben,

Wie machen wir's denn, Fritz?

Erster.

Das Näh're wird sich geben;

Denn was geht übers Vaterland,

Was über Völker-Recht und Treue!

Nein – ich – mir ist's – wie ich mich freue!

Kommt! Männer, Brüder! eure Hand!

Dritter.

Wir gehen einmal in den Krieg,

Und – Säbel – Pulver – Freiheit – Sieg!

Vierter (leise).

Hol' ich der Mutter nicht die netten Briefe,

Die wir als an einander schreiben?

Erster.

Nein, Bester, laß es lieber bleiben,

Bedenk den Eid, es geht sonst schief. [6]

Musa.

Nun, Liebchen, Spiel und Ernst hat seine Zeit;

Sagt an, was lehrte man euch heut'?

 

 

Zwischengespräch unter den Zuschauern.

 

Knoz, Professor (zu seinem Nebensitzer). Unfaßlich! Herr Kollega, es regt sich noch nichts unter den Studenten.

Professor Fatel. Ha! Ha! Ha! Hamlets Vater hätte lang sein „Licht! Licht!“ gerufen 2. Die Herrn da unten sollten sich auch welches ausbitten. Was meinen Euer Magnifizenz?

Doktor Kalzner. Lassen Sie mich! Ich bin außer mir vor Wut; der Direktor ist ein Schurke, er überschreitet meine Absicht. Verlangte ich eine Satyre gegen die Studentenschaft? Ich hätte Lust, das Weiterspielen zu verbieten.

Knoz. Sei'n Sie ruhig, eine lose Rede schläft in tauben Ohren.

Kalzner. Keinen Unglimpf, mein Herr! Ich respektiere die Studenten, und es macht ihnen nicht wenig Ehre, daß keinem einfällt, diese [7] abgeschmackte, unwahre Karikatur auf sich zu deuten.

Fatel. Sie haben recht; sie werden vernünftig sein. Nur begreif' ich nicht, wie sie den eigentlichen Speck an der Sache nicht riechen; um das übrige ist mir nicht bange; aber dort stecken doch einige die Köpfe zusammen.

(Einige Studenten haben einen Trupp gebildet,

einer tritt hervor und erhebt die Stimme:)

[Student.] Ich frage, ob die Posse uns zum Schimpf sein soll, ich frage im Namen aller übrigen.

Andere (lachen). Gott behüt'! in unserm Namen nicht. Inkommodieren Sie sich nicht, Herr Schauspieldirektor! um unsertwillen nicht! Ziehe die Sache auf sich, wer will. Wir gaudieren uns am Ganzen, denn die Allegorie, oder wie man's nennen will, wegen unserer Versetzung, ist doch wohl der Hauptcoup dabei.

Kalzner. Bravo, ihr Herren, bravo!

Die Ersteren (untereinander). Was brummen die da von einer Kategorie? – Sie sagen, sie seien nicht in Einer Kategorie mit uns. – Was wollen die Kamele 3 denn? – Ich wette, es steckt noch was andres dahinter. – Nur still, wir prügeln die Hunde eben nachher. – Ich fordre sie; wär' mir's nicht wegen dem hübschen Weib, das die Gräfin spielt, ich finge Skandal an auf der Stelle.

Die Andern. Weiter im Schauspiel.

 

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1) Anspielung auf den Studenten Karl Ludwig Sand, der im burschenschaftlichen Überschwang im Jahre 1819 den Schriftsteller Kozebue als „Verräter des Vaterlandes“ ermordete. 

2) D. h. Hamlets Stiefvater, der König, der (Akt 3, Szene 2) der bedeutungsvollen Aufführung ein Ende macht, indem er aufsteht mit den Worten: „Leuchtet mir! fort!“  

3) Bezeichnung der nichtkorporierten Studenten.