B  I  B  L  I  O  T  H  E  C  A    A  U  G  U  S  T  A  N  A
           
  Karl Marx
1818 - 1883
     
   


G e d i c h t e   m e i n e m
t h e u r e n   V a t e r   z u m
G e b u r t s t a g e


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Einige Kapitel aus:
Scorpion und Felix.
Humoristischer Roman.


ERSTES BUCH.

10. KAPITEL.

     Es folgt hier, wie wir im vorigen Kapitel versprachen, der Beweis, daß besagte Summe von 25 Thalern dem lieben Gott persönlich zugehöre.
     Sie sind herrenlos! Erhabener Gedanken, keines Menschen Macht besizt sie, doch die hehre Macht, die über Wolken segelt, umspannt das All, also auch besagte 25 Thaler, sie streift mit ihren Fittigen, die aus Tag und Nacht, aus Sonne und Sternen, aus Riesenbergen und endlosen Sandflächen gewebt sind, die da klingen, wie Harmonien, wie das Rauschen des Wasserfalles, wo die Hand des Irdischen nicht mehr hinreicht, also auch an besagte 25 Thaler, und – doch ich kann nicht weiter, mein innerstes ist aufgeregt, ich blicke in das All und in mich und auf besagte 25 Thaler, welcher Stoff in diesen drei Worten, ihr Standpunkt ist Unendlichkeit, sie klingen, wie Engelstöne, sie erinnern an das lezte Gericht und den Fiskus, denn – es war Grethe, die Köchin, welche Scorpion, aufgeregt von den Erzählungen seines Freundes Felix, hingerissen von seiner Flammenreichen Melodie, überwältigt von seinem frischjugendlichen Gefühle an sein Herz drückte, eine Fee in ihr ahnend.
     Ich schließe daher, daß Feen Barte tragen, denn Magdalene Grethe, nicht die reuige Magdalene, sie prangte gleich einem ehrenfesten Krieger mit Backen und Schnauzbart, die sanften Locken schmiegten sich kräuselnd an das schöngeformte Kinn, das gleich einem Felsen auf einsamem Meere, die Menschen erblicken ihn aber von weitem, aus der platten Wassersuppschüssel des Gesichtes gigantisch und stolz seiner Erhabenheit sich bewußt, hervorragte, die Lüfte durchschneidend, Götter bewegend, Menschen erschütternd.
     Die Göttin der Phantasie schien von einer bärtigen Schönheit geträumt und sich in den zauberischen Gefilden ihres weitschweifigen Antlitzes verloren zu haben und, als sie erwachte, da war es Grethe selbst, die geträumt hatte und schreckliches, sie sei die große Buhle von Babylon, die Offenbarung Johannis und der Zorn Gottes, er habe ein spitziges Stoppelfeld auf der von zarten Wellenlinien durchfurchten Haut hervorsprießen lassen, damit ihre Schönheit nicht zur Sünde reitze und ihre Tugend geschüzt sei, wie die Rose durch Dornen, damit die Welt
     erkenne
und nicht für sie entbrenne.


12. KAPITEL.

     «Ein Pferd, ein Pferd, ein Königreich für's Pferd» sprach Richard der dritte,
     «Ein Mann, ein Mann, mich selbst für einen Mann» sprach Grethe.


16. KAPITEL.

«Im Anfang war das Wort und das Wort war bei Gott und Gott war das Wort und das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns und wir sahn seine Herrlichkeit.»
     Unschuldiger, schöner Gedanke! Doch die Ideenassociationen führten Grethen weiter, sie glaubte, das Wort wohne in den Schenkeln, wie Thersites bei Shakespeare, daß Ajax Caldaunen in seinem Kopf und sein Verstand in seinem Bauche, sie, Grethe, nicht Ajax, überzeugte sich und erfaßte es, wie das Wort Fleisch geworden, sie sah in den Schenkeln seinen symbolischen Ausdruck, sie erblickte ihre Herrlichkeit und beschloß – sie zu waschen.


19. KAPITEL.

     Sie hatte aber grosse blaue Augen und blaue Augen sind trivial, wie das Wasser der Spree.
     Eine dumme, sehnsüchtige Unschuld spricht aus ihnen hervor, eine Unschuld, welche sich selbst bedauert, eine wäß'rige Unschuld, wenn das Feuer ihr naht, geht sie auf in grauem Dampf und weiter liegt nichts hinter diesen Augen, ihre ganze Welt ist blau, ihre Seele ein Blaufärber, aber braune Augen, sie sind ein idealisches Reich, eine unendliche geistvolle Nachtwelt schlummert in ihnen, Seelenblitze schlagen aus ihnen empor und ihre Blicke klingen, wie die Lieder Mignons, wie ein fernes, zartes Gluthenland, welches ein reicher Gott bewohnt, der in seiner eig'nen Tiefe schwelgt und in dem All seines Daseins versunken, Unendlichkeit ausstrahlt und Unendlichkeit leidet. Wir fühlen uns gebunden, wie durch Zauberbann, wir möchten das melodiereiche, tiefe, seelenvolle Wesen an unsere Brust pressen und den Geist aus seinen Augen saugen und Lieder aus seinen Blicken machen.
     Wir lieben die üppigbewegte Welt, die sich uns erschließt, wir sehn im Hintergrunde riesenhohe Sonnengedanken, wir ahnen ein dämonisches Leiden und zartbewegte Gestalten führen vor uns den Reihentanz, winken uns zu und treten scheu, wie die Grazie, zurücke, sobald sie erkannt sind.


21. KAPITEL.
Philologische Grübeleien.

     Felix riß sich nicht gar sanft aus den Umarmungen seines Freundes los, denn er ahnte nicht dessen tiefe, gefühlvolle Natur und war eben mit der Fortsetzung – seiner Verdauung beschäftigt, der wir jezt ein für allemal gebieten, den Schlußstein ihres großartigen Wirkens zu setzen, da sie uns in der Handlung aufhält.
     So dachte auch Merten, denn ein heftiger Schlag, den Felix führte, war von seiner breiten historischen Hand geschlagen worden.
     Der Name Merten erinnert an Karl Martel und Felix glaubte sich wirklich von einem Hammer geliebkost, mit solcher Annehmlichkeit war die elektrische Erschütterung verbunden, die er verspürte.
     Er riß die Augen auf, wankte und dachte an seine Sünden und das lezte Gericht.
     Ich aber grübelte über die elektrische Materie, über den Galvanismus, über Franklins gelehrte Briefe an seine geometrische Freundin und über Merten, denn meine Neugierde ist höchst gespannt, zu entdecken, was dieser Name verbergen mag.
     Daß der Name selbst in grader Linie von Martel abstamme ist nicht zu bezweiflen: der Küster versicherte mir es, obgleich dieser Periode aller Wohlklang fehlt.
     Das l verwandelte sich in ein n und da Martel ein Engländer ist, wie jeder Geschichtskundige weiß, im englischen aber das a oft wie das deutsche «eh» lautet, welches mit «e» in Merten zusammenfällt, so möchte Merten wohl eine andre Form von Martel sein.
     Hienach zu schliessen, da bei den alten Deutschen der Name, wie aus mehreren Beiwörtern hervorgeht, als Krug, der Ritter, Raupach, der Hofrath, Hegel, der Zwerg, den Charakter seines Trägers ausdrückt, scheint Merten ein reicher, biederer Mann zu sein, obgleich er seines Gewerbes ein Schneider und in dieser Geschichte der Vater Scorpions ist.
     Dieses leztere begründet eine neue Hypothese, denn theils, weil er Schneider, theils weil sein Sohn Scorpion heißt, erhält es viele Wahrscheinlichkeit, daß er von Mars, dem Kriegsgott, Genitiv Martis, griechischer Accusativ Martin, Mertin, Merten, abstamme, denn das Handwerk des Kriegsgottes ist Schneiden, indem er Arme und Beine abschneidet und der Erde Glück zersägt.
     Der Scorpion ist ferner ein giftiges, mit dem Blick tödtendes Thier, dessen Wunden tödtlich, dessen Augenblitz zerschmettert, eine schöne Allegorie für den Krieg, dessen Blick tödtet, dessen Folgen dem Getroffnen Narben schlagen, die innerlich bluten, die nicht mehr zu heilen sind.
     Da indessen Merten wenig heidnische Natur besaß, im Gegentheil sehr christlich gesinnt war, so scheint es noch wahrscheinlicher, daß er vom heiligen Martin abstamme, eine kleine Verwechslung der Vokale gibt Mirtan, das i lautet oft in der Sprache des gemeinen Volkes, wie e, z.B. «gieb mer» statt «gieb mir», und das a im englischen, wie schon angedeutet, oft wie «eh», was in der Folge der Zeit sich leicht zu e umgestaltet, besonders bei wachsender Kultur, so daß der Name Merten ganz natürlich entsteht und einen christlichen Schneider bedeutet.
     Obgleich diese Ableitung durchaus wahrscheinlich und tief begründet ist, so können wir doch nicht umhin, noch einer andern zu gedenken, die sehr unsern Glauben an den heiligen Martin schwächt, der doch nur als Schutzpatron genommen werden könnte, da er nie, so viel wir wissen, verehlicht gewesen, also auch keinen männlichen Nachfolger besitzen konnte.
     Dieser Zweifel scheint durch folgendes Faktum gehoben zu werden. Die ganze Merten'sche Familie hatte die Eigenschaft mit dem Landpfarrer von Wakefield gemein, daß sie, sobald wie möglich, geheirathet, also frühzeitig und Geschlecht von Geschlechte im Myrthenkranze prangte, woraus auch allein, man müßte denn zu Wundern seine Zuflucht nehmen, zu erklären ist, daß Merten geboren wurde und in dieser Geschichte als Vater Scorpions erscheint.
     «Myrthen» müßte das «h» verlieren, da bei der Schliessung von Heirathen das «Eh» hervortritt, also das «he» wegfällt, woher dann aus «Myrthen» «Myrten» geworden.
     «Y» ist ein griechisches «υ» und kein deutscher Buchstabe. Da nun, wie dargethan die Merten'sche Familie eine echtdeutsche Kernsippe war, und zugleich eine sehr christliche Schneiderfamilie, so mußte das ausländische, heidnische «y» in ein deutsches «i» sich verwandeln, und weil die Ehe das vorherrschende Element in derselben Familie, «i» aber ein schrillender, auffahrender vocal ist, obgleich die Merten'schen Ehen sehr sanft und gelind waren, so wurde es in ein «eh» und später, damit die kühne Aenderung nicht auffalle, in «e» verwandelt, in dessen Kürze zugleich die Entschlossenheit bei Schliessung der Ehe angedeutet ist, so daß «Myrthen» in dem deutschen, vielsinnigen «Merten» die höchste Form der Vollendung erreicht.
     Nach dieser Deduktion hätten wir den christlichen Schneider des heiligen Martins, den gediegenen Muth des Martels, die rasche Entschliessung des Kriegsgottes Mars, mit dem Ehreichen verbunden, was aus den beiden e's in «Merten» hervorklingt, so daß diese Hypothese alle bisherigen in sich vereinigt und zugleich umstößt.
     Anderer Meinung ist der Scholiast, der Commentare zu dem alten Historiker, aus dem unsere Geschichte geschöpft, mit grossem Fleisse und anhaltender Anstrengung niedergeschrieben.
     Obgleich wir seiner Meinung nicht beitreten können, so verdient sie doch eine kritische Würdigung, da sie aus dem Geiste eines Mannes entsprungen, der mit einer ungeheuren Gelehrsamkeit eine grosse Fertigkeit im Rauchen verband, dessen Pergamente vom heiligen Tabaksdampfe umhüllt, also in einer pythischen Weihrauchsbegeist'rung mit Orakeln gefüllt worden.
     Er glaubt, daß «Merten» von dem deutschen «Mehren» und von «Meer» herrühren müsse, weil die Merten'schen Ehen sich «gemehrt», wie Sand am «Meere», weil ferner in dem Begriffe eines Schneiders der Begriff eines «Mehrers» verborgen liege, indem er aus Affen Menschen mache. Auf diese gründlichen, tiefsinnigen Forschungen hat er seine Hypothese gebaut.
     Als ich sie las, ergriff's mich wie schwindelndes Staunen, das Tabaksorakel riß mich hin, aber bald erwachte die kalt unterscheidende Vernunft und warf folgende Gegengründe ein.
     In dem Begriffe eines Mehrers, den ich besagtem Scholiasten in dem Begriffe eines Schneiders allenfalls einräumen kann, soll keinenfalls der Begriff eines Minderers eingeschlossen liegen, weil dieses eine contradictio in terminis, für die Damen, den Herrgott im Teufel, den Witz in einer Theegesellschaft, sie selbst aber als Philosophen sezte. Wenn aber aus «Mehrer» «Merten» geworden, so wäre das Wort offenbar um ein «h» vermindert, also nicht vermehrt worden, was seiner formellen Natur als substantiell widersprechend erwiesen ist.
     Also kann «Merten» keinenfalls von «Mehren» abstammen, und daß es aus Meer entsprungen, wird durch das Faktum widerlegt, daß die Merten'schen Familien nie in's Wasser gefallen, auch nie tarantelwüthig, sondern eine fromme Schneiderfamilie gewesen, was dem Begriff eines hochaufbrausenden Meeres widerspricht, aus welchen Gründen sich ergiebt, daß besagter Autor, trotz seiner Unfehlbarkeit geirrt und unsere Deduktion die einzig richtige ist.
     Nach diesem Siege bin ich zu ermüdet, um weiter fortzufahren und will im Glück der Selbstzufriedenheit schwelgen, wovon wie Winkelmann behauptet, ein Moment mehr werth ist, als das ganze Lob der Nachwelt, obgleich ich von diesem ebenso überzeugt bin, wie Plinius der jüngere.


22. KAPITEL.

     «Quocunque adspicias, nihil est, nisi pontus et aer,
     Fluctibus hic tumidis, nubibus ille minax,
Inter utrumque fremunt immani turbine venti,
     Nescit cui domino pareat unda maris.
Rector in incerto est, nec quid fugiatve petatve,
     Invenit, ambiguis, ars stupet ipsa malis.»
«Wo du auch immer hinblickst, du siehst Scorpion nur und Merten,
     Jenen in Thränen geschwellt, diesen umnebelt vom Zorn.» «Zwischen den beiden erdröhnt's, wie unendlich hinbrausender Wortschwal,
     Weiß nicht, wem es als Herrn, horche das fluthende Meer.»
«Ich der Rektor, ich schwank', und was ich laß', was ich schreibe,
     Find ich nicht, vor dem Skandal kriecht in den Ecken die Kunst.»
     So erzählt Ovid in seinen libri tristium die traurige Geschichte, die als die folgende der vorherigen nachgeht. Man sieht, er wußte sich nicht mehr zu helfen, ich aber erzähle, wie folgt: –


23. KAPITEL.

     Ovid saß zu Tomi, wohin ihn der Zorn des Gottes Augustus geschleudert, weil er mehr Genie, als Verstand besaß.
     Hier verwelkte unter den wilden Barbaren der zarte Dichter der Liebe und die Liebe selbst hatte ihn gestürzt. Sein sinnendes Haupt stüzte sich auf die Rechte und sehnende Blicke schweiften nach dem entlegnen Latium. Des Sängers Herz war gebrochen und doch mußte er noch hoffen und doch konnte seine Leier nicht verstummen und glühte in melodiereichen, süßberedten Liedern seine Sehnsucht und seinen Schmerz aus.
     Um die Glieder des gebrechlichen Alten sauste der Nordwind, ihn mit unbekannten Schauern erfüllend, denn er hatte ja im heissen Südenlande geblüht, seine Phantasie hatte dort ihre üppigen warmen Spiele mit Prachtgewanden geschmückt und wo diese Kinder des Genies zu frei waren, da schlug die Grazie ihren göttlichen, leisverhüllenden Schleierkranz um die Schultern, daß die Falten weit umherwehten und warme Thautropfen regneten.
     «Bald Asche, armer Dichter!» und eine Thräne rollte über die Wange des Greisen, als – Mertens gewaltige Baßstimme sich tiefbewegt gegen Scorpion vernehmen ließ. –––––


27. KAPITEL.

     «Unwissenheit, grenzenlose Unwissenheit.»
     «Weil (bezieht sich auf ein früheres Kapitel) seine Knie sich zu viel nach einer gewissen Seite hinbeugten!», aber das bestimmte fehlt, das bestimmte und wer mag es bestimmen, wer ergründen, welche Seite die rechte, welche die linke sei? Sage du mir Sterblicher, von wannen kömmt der Wind, oder trägt Gott eine Nase im Gesicht und ich will dir sagen, was rechts und links sei.
     Nichts, als relative Begriffe, es ist, um sich Narrheit, Raserei in der Weisheit zu trinken!
     O! vergebens ist all unser Streben, Wahn unsere Sehnsucht, bis wir ergründet, was rechts und links sei, denn zur linken wird er die Böcke stellen, zur Rechten aber die Schaafe.
     Dreht er sich nun, nimmt er eine andere Richtung, weil ihm Nachts geträumt, so stehn die Böcke rechts und die Frommen links nach unsren elenden Ansichten.
     Darum bestimme mir, was rechts und links sei und der ganze Knoten der Schöpfung ist gelöst, Acheronta movebo, ich deducire dir genau, wohin deine Seele zu stehn kömmt, woher ich weiter schliesse, auf welcher Stufe du jezt stehst, denn jenes Urverhältniß erschiene meßbar, indem dein Standpunkt von Seiten des Herren bestimmt wäre, dein hiesiger aber kann nach der Dicke deines Kopfes abgemessen werden, ich schwindle, wenn ein Mephistopheles erschiene, ich würde Faust, denn es ist klar, wir alle, alle sind ein Faust, indem wir nicht wissen, welche Seite die rechte, welche die linke ist, unser Leben ist daher ein Circus, wir laufen umher, suchen nach den Seiten, bis wir auf den Sand fallen und der Gladiator, eben das Leben, uns umbringt, wir müssen einen neuen Erlöser haben, denn – peinigender Gedanke, du raubst mir Schlummer, du raubst meine Gesundheit, du tödtest mich – wir können nicht die linke von der rechten Seite unterscheiden, wir wissen nicht, wo sie liegen –––––


28. KAPITEL.

     «Offenbar im Mond, im Mond liegen die Mondssteine, in der Brust der Weiber die Falschheit, im Meere Sand und auf der Erde Berge!» erwiderte ein Mann, der an meine Thür klopfte, ohne zu warten, bis ich ihn hereinrief.
     Rasch schob ich meine Papiere bei Seite, sagte ihm, daß es mich sehr freue, ihn bisher nicht gekannt zu haben, weil mir so das Vergnügen erwüchse, ihn kennen zu lernen, daß er grosse Weisheit lehre, daß alle meine Zweifel durch ihn beschwichtigt seien, allein, so schnell ich auch sprach, er sprach noch schneller, zischende Laute drängten sich zwischen seine Zähne hervor, der ganze Mann schien, wie ich mit Schauer bei näherer Durchsicht und Einsicht gewahrte, eine vertrocknete Eidechse, nichts als Eidechse, gekrochen aus moderndem Gemäuer.
     Er war von untersezter Grösse und seine Statur hatte viel Aehnlichkeit mit der meines Ofens. Seine Augen konnten eher grün, als roth, und eher Stecknadeln als Blitze, er selbst aber eher ein Kobold als ein Mensch genannt werden.
     Ein Genie! Das erkannte ich schnell und sicher, denn seine Nase war aus seinem Kopfe gesprungen, wie Pallas Athene aus dem Haupte des Allvater Zeus, woher ich mir auch ihre zarte Scharlachgluth erklärte, die auf ätherische Abkunft hinwies, während das Haupt selbst haarlos genannt werden konnte, man müßte denn eine dicke Rinde Pomade, die mit andern Luft– und Urerzeugnissen auf dem Primitivgebirge wucherte, eine Kopfbedeckung nennen wollen.
     Alles an ihm deutete auf Höhe und Tiefe, aber seine Gesichtsbildung schien einen Aktenmensch zu verrathen, denn die Backen waren, wie hohle, glatte Schüsseln und so vor Regen geschüzt durch die gigantisch hervortretenden Knochen, daß man Papiere und Regierungsdekrete in sie hineinlegen konnte.
     Kurz, aus allem wird man sehn, daß er der Gott der Liebe selbst gewesen, wenn er sich nicht selbst geglichen und daß sein Namen holdklingt, wie Liebe, wenn er nicht eher an einen Wachholderstrauch erinnert hätte.
     Ich bat ihn, sich zu beruhigen, denn er behauptete, er sei ein Heros, worauf ich ihm bescheiden einwarf, die Heroen seien etwas besser gebaut gewesen, die Herolde dagegen hätten eine einfachere, minder kombinirte, wohlklingendere Stimme gehabt und die Hero endlich sei eine verklärte Schönheit, eine wahrhaft schöne Natur, in welcher Form und Seele rängen, sich allein die Vollendung zuzuschreiben, sie passe also nicht für seine Liebe.
     Er aber warf dagegen ein, daß's's er'r'r einen starken Knochenbau besitze, daß er einen S'S'Schatten habe, so gut, und noch besser, wie and're Menschen, indem er mehr S'S'Schatten als Licht werfe, daß's's also sein Gemahl in seinem Schatten sich abkühlen, gedeihen und selbst ein S'S'S'Schatten werden könne, daß ich ein r'r'r'ruder Mensch sei und dabei ein Lumpengenie oder ein Dummkopf, daß's's er Engelbert heisse, und der N'Name klinge besser'r'r, wie S'Skorpion, daß's's's ich mich getäuscht im 19ten Kapitel, indem blaue Augen s's'schöner seien'n'n'n als braune, daß's's's Taubenaugen die Geistreichsten und er selbst, wenn auch keine Taube, doch wenigstens ein tauber für die Vernunft, dabei l'l'liebe er das Majorat und besitze einen Waschschrank.
     «S'S'Sie soll meiner'r'r R'Rechten angetraut werden und du laß's's deine Forschungen über Rechtes und Linkes, gegenüber wohnt sie und weder rechts, noch links.»
     Die Thüre war zugeklappt, eine Himmelserscheinung trat aus meiner Seele, das hold klingende Gespräch hatte geendet, aber wie Geisterstimmen rauschte es durch das Schlüsselloch: «Klingholz, Klingholz!»


29. KAPITEL.

     Ich saß sinnend da, legte Locke, Fichte und Kant bei Seite, ergab mich tiefer Forschung, zu finden, wie ein Waschschrank mit dem Majorat zusammenhängen möge, als es mich wie ein Blitz durchfuhr und Gedanke auf Gedanken thürmend meinen Blick verklärte und eine Lichtgestaltung vor mein Auge trat.
     Das Majorat ist der Waschschrank der Aristokratie, denn ein Waschschrank ist nur, um zu waschen. Die Wäsche bleicht aber, leiht also bleichen Glanz dem Gewaschenen. Ebenso versilbert das Majorat den ältesten Sohn des Hauses, leiht ihm also bleiche Silberfarbe, während es den andern Mitgliedern die bleiche romantische Farbe der Noth aufdrückte.
     Wer in Flüssen badet, der wirft sich entgegen dem brausenden Elemente, bekämpft dessen Wuth und ringt mit kräftigen Armen, allein, wer im Waschschrank sizt, bleibt eingeschlossen und betrachtet die Ecken der Mauern.
     Der gewöhnliche, d. h. der nicht Majoratsherrliche, kämpft mit dem tobenden Leben, stürzt sich hinein in das schwellende Meer und raubt prometheischer Rechte Perlen aus seiner Tiefe, herrlich tritt ihm die innere Gestaltung der Idee vor das Auge und kühn erschafft er, aber der Majoratsherr läßt nur die Tropfen auf sich fallen, fürchtet die Glieder zu verrenken und sezt sich daher in einen Waschschrank.
     Gefunden Stein der Weisen, gefunden!


30. KAPITEL.

     Eine Epopee kann daher in unsern Tagen nicht gedichtet werden, wie sich aus den zwei eben angestellten Untersuchungen ergiebt.
     Für's erste stellen wir nähmlich gründliche Betrachtungen über die rechte und linke Seite an, ziehn also diesen poetischen Ausdrücken ihr poetisches Gewand ab, wie Apollo dem Marsyas die Haut und machen sie zur Zweifelsgestaltung, zu dem ungestalten Pavian, der Augen hat, um nicht zu sehn und ein umgekehrter Argus ist, dieser hatte hundert Augen, um verlor'nes zu entdecken, er der grämliche Himmelsstürmer, der Zweifel, besizt hundert Augen, um Gesehnes ungesehen zu machen.
     Die Seite, der Ort ist aber ein Hauptkriterium der epischen Poesie und sobald es keine Seiten mehr giebt, wie bei uns nachgewiesener Weise geschieht, kann sie erst aus ihrem Todtesschlummer sich erheben, wenn Trompetenschall Jericho erweckt.
     Ferner haben wir den Stein der Weisen gefunden, alle zeigen bei uns auf den Stein und sie –––––


31. KAPITEL.

     Sie lagen auf dem Boden, Scorpion und Merten, denn die überirdische Erscheinung (bezieht sich auf ein früheres Kapitel) hatte ihre Nerven so erschüttert, daß die Cohaesionskraft ihrer Glieder in dem Chaos der Expansion, die, wie der Embryo sich noch nicht aus den Weltverhältnissen zur besonderen Form los gerissen hat, aufgelöst wurde, so daß ihre Nase bis zum Nabel und ihr Kopf auf die Erde sank.
     Merten blutete dickes Blut, es war viel Eisenstoff in demselben enthalten, wieviel vermag ich nicht zu bestimmen, weil es mit der Chemie im Ganzen noch schlecht bestellt ist.
     Die organische Chemie vorzüglich wird täglich combinirter durch Vereinfachung, in sofern täglich neue Ursubstanzen entdeckt werden, die das gemein haben mit den Bischöffen, daß sie Namen von Ländern tragen, die den Ungläubigen gehören und in partibus infidelium liegen, Namen, die ferner so lang sind, wie die Titel eines Mitgliedes vieler gelehrten Gesellschaften und der deutschen Reichsfürsten, Namen, die die Freigeister unter den Namen vorstellen, weil sie sich an keine Sprache binden.
     Ueberhaupt ist die organische Chemie ein Ketzer, das Leben durch todten Prozeß erklären zu wollen! Gefrevelt am Leben, als wenn ich die Liebe aus der Algebra entwickelte.
     Literarische Versuche
     Das Ganze beruht offenbar auf der Lehre vom Prozeß, die noch nicht gehörig ausgearbeitet ist und es nie werden kann, weil sie sich auf das Kartenspiel, ein Spiel des baaren Zufalles stüzt, in welchem die Aß eine Hauptperson ist.
     Die Aß hat aber die ganze neuere Jurisprudenz begründet, denn Irnerius hatte eines Abends sein Spiel verloren, er kam grade aus einer Damengesellschaft, und war fein gekleidet, trug einen blauen Frack, neue Schuhe mit langen Schnallen und eine seidene, karmosinrothe Veste, als er sich hinsezte, und eine dissertatio über das As schrieb, welches ihn dann weitertrieb, so daß er anfing, römisches Recht zu lehren.
     Das römische Recht schließt aber alles ein, auch die Lehre vom Prozeß, auch die Chemie, denn es ist der Microkosmus, der sich vom Macrocosmus losgerissen, wie Pacius dargethan hat.
     Die 4 Bücher der Institutionen sind die 4 Elemente, die 7 Bücher der Pandekten die 7 Planeten und die zwölf Bücher des Kodex die 12 Zeichen des Thierkreises.
     Kein Geist ist aber hineingetreten in das Ganze, sondern es war Grethe, die Köchin, welche zum Abendessen rief.
     Scorpion und Merten hatten in heftiger Aufregung die Augen zugehalten und so Grethe für eine Fee versehn. Als sie sich von ihrem spanischen Schrecken, datirt von der lezten Niederlage und dem Siege des Don Carlos, erholt, stüzte sich Merten auf Scorpion und stieg empor, wie eine Eiche, denn Ovid und Moses sagen, der Mensch solle die Sterne ansehn und nicht zur Erde schauen, Scorpion aber ergriff die Hand seines Vaters und gab seinem Körper eine gefährliche Lage, indem er ihn auf zwei Füsse stellte.


35. KAPITEL.

     «Bei Gott! der Schneider Merten ist ein guter Helfer, er läßt sich aber auch theuer bezahlen!»
     «Vere! beatus Martinus bonus est in auxilio, sed carus in negotio!» rief Klodwig aus nach der Schlacht bei Poitiers, als ihm die Geistlichen zu Tours erklärten, daß Merten seine Reithose zurechtgeschnitten, mit welcher er den muthigen Klepper ritt, der ihm den Sieg errang und als sie zweihundert Goldgulden für diesen Dienst Mertens verlangten.
     Das Ganze verhält sich aber so – – – – – – – – – – – – – – – – –
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36. KAPITEL.

     Sie sassen bei Tische, Merten an der Spitze, zu seiner Rechten Scorpion, zu seiner linken Felix, der Altgesell, tiefer unten, indem eine gewisse Lücke zwischen den Principes und dem Plebs blieb, die untergeordneten Glieder in Mertens Staatskörper, gewöhnlich Gesellen benamst.
     Die Lücke, welche kein menschliches Wesen einnehmen durfte, hielt nicht der Geist Banquos inne, sondern der Hund Mertens, der täglich das Tischgebet sprechen mußte, denn Merten, der die Humaniora bebaut, behauptete, sein Bonifacius, so hieß der Hund, sei ein und dieselbe Person mit dem heiligen Bonifacius, dem Apostel der Deutschen, indem er sich auf eine Stelle bezog, worin dieser meldet, er sei ein bellender Hund. (Siehe epist. 105, S. 145, Ed. Seraria.) Er hielt daher mit abergläubischer Verehrung auf diesen Hund, dessen Platz bei weitem der eleganteste war, eine zarte karmosinrothe Decke vom feinsten Casimir, gepolstert, wie ein üppiges Sopha, getragen von kunstvoll durcheinandergeschlungenen Federn, war der Sessel seines Bonifacius, seidene Quasten hingen herab und sobald die Sitzung aufgehoben war, wurde derselbe an den einsamen Ort eines abgeleg'nen Alkoven getragen, welcher derselbe zu sein scheint, den Boileau in seinem lutrin beschreibt als Ruhetempel des Probstes.
     Bonifacius war nicht an seinem Platze, die Lücke stand offen und die Wange Mertens entfärbte sich. «Wo ist Bonifacius?» rief er aus tiefgepreßtem Herzen und der ganze Tisch gerieth in sichtbare Bewegung. «Wo ist Bonifacius?» fragte Merten noch einmal und wie fuhr er erschrocken zusammen, wie bebte jedes Glied seines Körpers, wie sträubte sich sein Haar, als er hörte, Bonifacius sei abwesend.
     Alles sprang auf, ihn zu suchen, er selbst schien ganz von der gewöhnlichen Gemüthsruhe verlassen, er klingelte, Grethe trat herein, ihr Herz ahnte böses, sie glaubte –
     «Ha Grethe, wo ist Bonifacius?» und sie beruhigte sich sichtbar und er stolperte mit den Armen über das Licht, so daß Urdunkel alle umhüllte und eine Unheilsschwang're, Gewittervolle Nacht hereinbrach.


37. KAPITEL.

     David Hume behauptete, dieses Kapitel sei der locus communis des früheren und zwar behauptete er dieß, eh ich es noch geschrieben hatte. Sein Beweis war folgender: Indem dieses Kapitel ist, ist das frühere nicht, sondern dieses hat das frühere, aus dem es hervorgegangen, zwar nicht als Ursache und Folge, denn die bezweifelte er, verdrängt. Jeder Riese, also auch jedes Kapitel von 20 Zeilen sezt aber einen Zwerg, jedes Genie einen ledernen Philister, jeder Aufruhr der Meere Schlamm und, sobald die ersten verschwinden, beginnen die lezteren, nehmen Platz am Tische und strecken gewaltsam ihre langen Beine aus.
     Die ersten sind zu groß für diese Welt, drum werden sie hinausgeworfen. Die lezteren dagegen schlagen Wurzeln in ihr und bleiben, wie man sich denn aus Thatsachen überzeugen kann, denn der Champagner läßt einen bleibenden, widerlichen Beischmack, der Held Cäsar den Schauspieler Oktavian, der Kaiser Napoleon den Bürgerkönig Ludwig Philipp, der Philosoph Kant den Ritter Krug, der Dichter Schiller den Hofrath Raupach, der Himmel Leibnitz die Schulstube Wolf, der Hund Bonifacius dieß Kapitel.
     So schlagen die Basen als Bodensatz nieder, aber der Geist verraucht.


38. KAPITEL.

     Der lezte Satz von den Basen war ein abstrakter Begriff, also kein Frauenzimmer, denn ein abstrakter Begriff und ein Frauenzimmer, wie verschieden sind sie nicht? ruft Adelung aus. Ich aber behaupte das Gegentheil und werde es gründlich nachweisen, allein, nicht in diesem Kapitel, sondern in einem Buche, das aus gar keinen Kapiteln besteht, welches ich zu schreiben gedenke, sobald ich mich von der heiligen Dreieinigkeit überzeugt.


39. KAPITEL.

     Wer einen anschaulichen und keinen abstrakten Begriff von derselben, ich meine nicht die griechische Helena, auch nicht die römische Lukretia, sondern die heilige Dreieinigkeit, zu erlangen wünscht, dem kann ich nicht besser rathen, als Nichts zu träumen, bis er nicht eingeschlafen ist, sondern im Gegentheil, zu wachen im Herren und diesen Satz zu untersuchen, denn in ihm liegt der anschauliche Begriff. Steigen wir zu seiner Höhe, von unserem jetzigen Standpunkte 5 Stufen entfernt, wie eine Wolke drüber hingelagert, so tritt uns das gigantische «Nicht» entgegen, lassen wir uns hinab zu seiner Mitte, so erschrecken wir vor dem riesenhaften «Nichts» und senken wir uns in seine Tiefe, so versöhnen sich beide wieder harmonisch in dem mit aufrechtstehender kühner Flammenschrift entgegenspringenden «Nicht».
     «Nicht» – «Nichts» – «nicht»
     das ist der anschauliche Begriff der Dreieinigkeit, aber den abstrakten, wer möchte ihn ergründen, denn:
     «wer fährt hinauf zum Himmel und hinab?» «Wer faßt den Wind in seine Hände?» «Wer bindet die Wasser in sein Kleid?» «Wer hat alle Enden der Welt gestellt?» «Wie heißet er und wie heisset sein Sohn? Weissest du das?» sagte Salomon der Weise.


40. KAPITEL.

     «Ich weiß es nicht, wo er ist, aber das ist gewiß, ein Schädel ist es, ein Schädel!» rief Merten. Aengstlich beugte er sich herab, um im Dunkel zu erkennen, wessen Haupt seine Hand berührt, als er wie vernichtet zurückfuhr, denn die Augen –––––

41. KAPITEL.

     Jawohl! die Augen!
     Sie sind ein Magnet und ziehen Eisen an, weßwegen wir uns denn auch zu den Damen, aber nicht zum Himmel gezogen fühlen, denn die Damen sehn aus zwei Augen, der Himmel nur aus einem.


42. KAPITEL.

     «Ich beweise ihnen das Gegentheil!» sprach eine unsichtbare Stimme zu mir und als ich nach der Stimme hinblickte, da erblickte ich – sie werden es nicht glauben, allein ich versichere, ich beschwöre, es ist so, – da erblickte ich –, doch werden sie nicht böse, erschrecken sie nicht, denn es betrifft weder ihre Ehegenossin, noch ihre Verdauung –, da erblickte ich mich selber, denn ich selbst hatte mich zum Gegenbeweis erboten.
     «Ha! ich bin ein Doppelgänger!» durchfuhr es mich und Hoffmann's Elixiere des Teufels –––––


43. KAPITEL.

     – Lagen vor mir auf dem Tische, als ich grade nachgrübelte, warum der ewige Jude ein geborner Berliner und kein Spanier ist, doch ich sehe, es fällt zusammen mit dem Gegenbeweis, den ich zu liefern, weßwegen wir, der Präcision halb – keins von beiden thun wollen, sondern uns mit der Bemerkung begnügen, daß der Himmel in den Augen der Damen, die Augen der Damen aber nicht im Himmel liegen, woraus sich ergiebt, daß uns nicht sowohl die Augen, als vielmehr der Himmel anzieht, denn die Augen erblicken wir nicht, sondern nur den Himmel in ihnen. Zögen uns die Augen und nicht der Himmel an, dann würden wir uns zum Himmel und nicht zu den Damen gezogen fühlen, denn der Himmel hat nicht ein Auge, wie oben bemerkt, sondern gar keins, aber er selbst ist nichts als ein unendlicher Liebesblick der Gottheit, aber das milde melodiereiche Auge des Lichtgeistes und ein Auge kann kein Auge haben.
     Das Schlußresultat unserer Untersuchung ist daher, daß wir uns zu den Damen und nicht zum Himmel gezogen fühlen, weil wir die Augen der Damen nicht sehn, aber wohl den Himmel in ihnen, daß wir uns also, so zu sagen, zu den Augen hingezogen fühlen, weil es keine Augen sind und weil Ahasverus, der ewige ein gebor'ner Berliner ist, denn er ist alt und kränklich und hat viele Länder und Augen gesehn, aber er fühlt sich noch immer nicht zum Himmel, wohl aber zu den Damen gezogen, und zwei Magnete giebt es nur, ein Himmel ohne Auge und ein Auge ohne Himmel.
     Der eine liegt über uns und zieht nach oben, der andere unter uns und zieht in die Tiefen. Den Ahasverus aber zieht es gewaltig nach unten, würde er sonst ewig in Erdenlanden wallen? und wallte er ewig in den Erdenlanden, wenn er nicht ein gebor'ner Berliner und an Sandflächen gewohnt wäre?


44. KAPITEL.
Zweites Fragment aus Halto's Brieftasche.

     Wir kamen von einem Landhause, es war schöne dunkelblaue Nacht. Du hingst an meinem Arm und wolltest dich los machen, aber ich ließ dich nicht, meine Hand band dich, wie du mein Herz gebunden und du liessest dich halten.
     Ich murmelte Worte voll Sehnsucht und sprach das Höchste und Schönste, was ein Sterblicher sagen konnte, denn ich sagte gar nichts, ich war innerlich in mich versenkt, ich sah ein Reich aufsteigen, dessen Aether so leicht und doch so schwer wogte und in dem Aether stand ein göttliches Bild, die Schönheit selber, wie ich sie einst in kühnen Phantasieträumen geahnt, aber nicht erkannt hatte, sie funkelte Geistesblitze, lächelte und du warst das Bild.
     Ich staunte vor mir selbst, denn ich war groß geworden durch meine Liebe, riesenhaft, ich sah ein unendliches Meer, aber keine Fluthen brausten mehr in ihm, es hatte Tiefen und Ewigkeit gewonnen, seine Fläche war Chrystall und an seinen dunklen Abgrund waren bebende, gold'ne Sterne angeheftet, die sangen Liebeslieder, die strahlten Gluth von sich und das Meer selbst war warm!
     Wäre der Weg das Leben gewesen!
     Ich küßte deine süsse, weiche Hand, ich sprach von Liebe und von dir.
     Ein leichter Nebel schwebte über uns'rem Haupte, sein Herz brach, er weinte eine grosse Thräne, sie fiel zwischen uns, wir aber fühlten die Thräne und schwiegen.


47. KAPITEL.

     «Entweder ist es Bonifacius oder mein Beinkleid!» schrie Merten. «Licht, sag' ich, Licht!» und es ward Licht. «Bei Gott, es ist kein Beinkleid, sondern Bonifacius ist es, hier hingelagert, im finstren Winkel und seine Augen glühn in einem düstern Feuer, doch, was muß ich sehn?» «Er blutet!» und stumm stürzte er nieder. Die Gesellen betrachteten zu erst den Hund und dann ihren Herrn. Endlich riß sich dieser gewaltsam vom Boden. «Was gafft ihr Esel? Seht ihr nicht, daß der heilige Bonifacius verlezt ist? Ich werde strenge Nachforschungen anstellen und Wehe, dreimal wehe dem Schuldigen, doch nun schnell, tragt ihn in seinen Sessel, ruft den Hausarzt, bringt Essig und lauwarmes Wasser und vergeßt nicht den Schulmeister Vitus zu rufen! Sein Wort vermag viel auf Bonifacius!» So kurz gedrängt folgten die Befehle. Nach allen Seiten hin stürzten sie zur Thüre hinaus, Merten betrachtete Bonifacius genauer, dessen Auge noch immer keinen milderen Glanz annahm und bange schüttelte er das Haupt.
     «Uns steht ein Unglück bevor, ein grosses Unglück! Ruft einen Geistlichen!»


48. KAPITEL.

     Merten sprang einigemal verzweiflend auf, als noch immer keiner der Gerufnen erscheinen wollte.
     «Armer Bonifacius! Doch, wie wäre es, wenn ich selber wagte, vorläufig die Kur zu übernehmen? Du bist überhaupt erhizt, das Blut strömt aus Deinem Munde, du willst nicht essen, ich sehe gewaltsame Anstrengungen in Deinem Unterleibe vorgehn, ich begreife dich Bonifacius, ich begreife dich!» und Grethe trat mit lauwarmem Wasser und Essig herein.
     «Grethe! Seit wie viel Tagen hat Bonifacius Mangel an Oeffnung? Habe ich dir nicht vorgeschrieben, ihm wenigstens jede Woche einmal ein lavement angedeihn zu lassen, doch ich sehe, ich werde künftighin selbst Geschäfte von solcher Wichtigkeit übernehmen müssen! Bringe Oel, Salz, Kleie, Honig und ein Klystier!»
     «Armer Bonifacius! Deine heiligen Gedanken und Betrachtungen verstopfen dich, seitdem du sie nicht mehr in Rede und Schrift von dir geben kannst!»
     «O! du bewunderungswürdiges Opfer von Ideentiefe, o du fromme Verstopfung!»