B  I  B  L  I  O  T  H  E  C  A    A  U  G  U  S  T  A  N  A
           
  Karl Marx
1818 - 1883
     
   


G e d i c h t e   m e i n e m
t h e u r e n   V a t e r   z u m
G e b u r t s t a g e


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Scenen aus:
Oulanem.
Trauerspiel.


Personen.
OULANEM.   Deutscher Reisender.
LUCINDO.   Sein Begleiter.
PERTINI.   Bürger einer Gebirgsstadt in Italien.
ALWANDER.   Bürger derselben Stadt.
BEATRICE.   Seine Pflegtochter.
WIERIN.
PORTO.   Ein Mönch.
Die Scene spielt in und vor dem Hause Pertini's, Alwander's und auf dem Gebirge.


ERSTER AKT.

Eine Gebirgsstadt.

ERSTE SCENE.
Strasse. OULANEM, LUCINDO, PERTINI vor seinem Hause.

PERTINI.   Ihr Herrn, die ganze Stadt ist übersezt
Von Fremden, welche Fama hergetrieben,
Die Wunder dieser Gegend zu beschaun,
Drum kurz und gut, ich biet' euch meine Wohnung an,
Da ihr kein Gasthaus offen finden könnt,
Und was nur meine schwache Kraft vermag,
Das will ich gern euch leihn, es zieht mich hin
Zu eurer Freundschaft, glaubt, ich schmeichle nicht.
OULANEM.   So danken wir dir Fremdling, doch ich fürchte,
Du magst zu grosse Meinung von uns hegen.
PERTINI.   Schon gut, schon gut, laßt Komplimente sein!
OULANEM.   Doch länger denken wir hier zu verweilen!
PERTINI.   Der Tag, der euch zu wenig hier bescheint,
Ist mir Verlust.
OULANEM.   Dir nochmals heissen Dank!
PERTINI.   (einen Knaben rufend.)
He Knabe! führ' die Herrn hinauf zum Saal,
Sie wünschen nach der Wand'rung wohl Erholung,
Und auch allein zu sein und wollen wechseln
Des Reisekleides lästige Beschwer.
OULANEM.   Wir lassen dich und kehren bald zu dir zurück.
(Oulanem und Lucindo mit dem Knaben ab.)
PERTINI.   (allein, sieht sich behutsam um.)
Er ist's! bei Gott, er ist's, der Tag ist da!
Den alten Freund, den konnt' ich nicht vergessen,
So wenig mein Gewissen mich vergißt.
Ha schön! jezt tausch' ich mein Gewissen um,
Und er wird's jezt, er ist's, 's ist Oulanem!
Nun mein Gewissen, wohl bekomm' es dir,
Du standest jede Nacht vor meinem Bette,
Schliefst mit mir ein und hobst dich mit mir auf, –
Mein Aug' dagegen, Mann, wir kennen uns!
Und mehr noch weiß ich, and're sind noch hier,
Die sind auch Oulanem, auch Oulanem!
Der Name klingt, wie Tod, er klinge fort,
Bis er im schnöden Träger ausgeklungen.
Halt! hab' ich's jezt? Es steigt aus meiner Seele,
So klar wie Luft, so fest wie meine Knochen,
Geharnischt steht sein Schwur mir vor dem Auge,
Ich hab's gefunden und ihn laß' ich's finden!
Mein Plan ist fertig, seine tiefste Seele,
Sein Leben bist du selber, Oulanem,
Willst dir das Schicksal ziehn, wie eine Puppe?
Den Kalkulator mit dem Himmel spielen?
Aus deinen morschen Lenden Sterne drechseln?
Mein kleiner Gott, bet' deine Rolle ab,
Doch halt – bis auf das Stichwort – das für mich!
(Lucindo kömmt.)


ZWEITE SCENE.
PERTINI, LUCINDO.

PERTINI.   Warum denn so allein, mein junger Herr?
LUCINDO.   Mich treibt die Neugier, Alten ist nichts neu!
PERTINI.   So! Euer Alter!
LUCINDO.   Nein, doch wenn die Seele je
'nen tiefen Wunsch in ihrem tiefsten Sitz,
Wenn ahndungsvolles Sehnen je genährt,
So wär's, ihn Vater nennen, Sohn ihm heissen,
Denn solch ein männlich tief begeistertes,
Die Welten in sich saugendes Gemüth,
Die Götter aus sich strahlend, warmes Herz,
Ihr ahnt's nicht, daß es einen Menschen gebe,
Bis ihr ihn kennt.
PERTINI.   Es klingt recht zart und fein,
Wenn aus der Jugend üppig warmem Mund
Des Alters Lob ertönt, wie Flammenwehn,
Es klingt moralisch, wie ein Bibelspruch,
Wie die Geschichte von der Frau Susanne,
Und jene Mähr' von dem verlor'nen Sohn,
Doch darf ich's wagen, kennt ihr jenen Herrn,
Dem ihr durch Herzensbund, wie's scheint, verknüpft?
LUCINDO.   Wie's scheint? und scheinen, nichts als Wahn und Schein,
Seid ihr ein Menschenhasser?
PERTINI.   Nun, zum wenigsten
Bin ich ein Mensch!
LUCINDO.   Verzeiht, wenn ich gekränkt!
Ihr seid dem Fremdling freundlich zugethan,
Und wer dem Wand'rer liebend näher tritt,
Deß weiter Geist ist nicht in sich gegrenzt! –
Doch Antwort wollt ihr, Antwort soll euch werden.
Uns beide knüpft ein seltener Verein,
Gewebt in uns'rer Herzen tiefstem Grund,
Den gleich wie Lichter lohe Fackelbäume,
Die Geister seiner Brust mit Glanz umweben.
Und als wenn Liebgesinnte Lichtdämonen
Uns für einander sinnend zart erwählt,
So kenn' ich ihn seit langer, langer Zeit,
Ja kaum, daß noch Erinn'rung leise spricht,
Wie wir uns fanden, denn beim grossen Gott,
Ich weiß es nicht.
PERTINI.   Das klingt romantisch, klingt,
Doch lieber junger Herr, es ist nur Klang,
Um klingend eine Bitte abzuschlagen.
LUCINDO.   Ich schwör's euch zu.
PERTINI.   Was schwört ihr zu mein Herr?
LUCINDO.   Ihn kenn' ich nicht und dennoch kenn' ich ihn.
Tief birgt er ein Geheimniß in der Brust,
Noch dürft' ich es nicht wissen, jezt noch nicht,
So tönt es jeden Tag und jede Stunde,
Denn seht, mich selber kenn' ich nicht!
PERTINI.   Hm! Schlimm!
LUCINDO.   So abgeschlossen steh' ich, so vereinzelt!
Was auch der Aermste prangend von sich rühmt,
Wenn er mit Schmunzeln von dem Stamm erzählt,
Der ihn erzeugt, wenn er den kleinsten Vorfall,
In treuem Herzen sorgend aufbewahrt,
Ich kann es nicht, Lucindo nennt man mich,
Man könnt' mich Galgen nennen oder Baum!
PERTINI.   Was wünscht ihr? Freundschaft mit dem Galgen,
Verwandtschaft gar? nun dafür schaff' ich Rath!
LUCINDO.   (ernst.) Ha, spielt mit leeren Sylben nicht und Tönen,
Wo mir mein Inn'res braust!
PERTINI.   Laßt's brausen, Freund, Bis es sich aus gebraust!
LUCINDO.   (auffahrend.) Was soll's?
PERTINI.   Was? Nichts!
Doch seht, ich bin ein trock'ner Hausphilister,
Ein Mensch, der jede Stunde Stunde nennt,
Und Abend's einschläft, daß er sich erhebe,
Wenn's wieder Morgen ist und Stunden zähle,
Bis er sich ausgezählt, das Uhrwerk steht,
Und nun die Würmer seine Zeiger wenden,
So fort bis zu dem lezten Reichsgericht,
Wenn Jesus Christ mit Engel Gabriel
Den Katalog von uns'ren Schuldregistern,
Aus seiner Zorndrommete richtend liest,
Und uns zur Rechten oder Linken stellt,
Und uns die Felle mit der Gottesfaust betastet,
Zu finden, ob wir Lämmer sind, ob Wölfe!
LUCINDO.   Mich nennt er nicht, weil ich nicht Namen trage!
PERTINI.   So recht, so mag ich's von euch hören!
Doch seht, weil ich ein Hausphilister bin,
So hab' ich Hausgedanken, fasse an
Gedanken, wie ihr Steine faßt und Sand.
So scheint mir denn, wer seinen Stamm nicht kennt,
Und doch bei einem andern Stamm sich findet,
Der sei ein Nebenstamm!
LUCINDO.   Mensch, Mensch! Was war das?
Denk' eher schwarz die Sonne, platt den Mond,
Und Alle, keinen Pfeil entsenden sie,
Doch hier ein Laut, – ein Ahnen – Leben wiegt's!
PERTINI.   Mein Freund, extemporirt mir nicht so wild.
Glaubt mir, ich leide nicht an Nervenkrampf!
Doch Nebenstämme sind oft grünend und bemoost,
Ja, ja, sie heben üppig ihren Lauf,
Und schiessen prangend bis zum Himmel auf,
Als wüßten sie, daß sie in Freud' entsprossen,
Daß nicht ein sklavisch Band sie dumpf erzeugt!
Seht, solche Nebenstämme sind Pasquille,
Natur ist Dichter, Ehe sizt im Sessel,
'ne Haube auf, nebst andrem Zubehör,
Das grämlichfade Antlitz dumm verzerrt,
Ein trocknes Pergament zu ihrem Fuß,
Des Pfaffen Lästerwort hineingekritzelt,
Der Kirche dumpfe Halln als Perspektiv,
Im Hintergrund des Pöbels schalkig Gaffen,
Da lob' ich Nebenstämme!
LUCINDO.   (auffahrend) Genug, genug,
Was ist es Mensch? Was meinst du? sprich es aus,
Doch bei dem Ewigen – ich spreche mit.
Was frag' ich? liegt's nicht klar vor mir entrollt,
Grinzt nicht die Hölle draus, steigt's nicht
Vor meinen Blick, wie dürre Todgestalt,
Und glozt mich an und murmelt Sturmesdrohn?
Doch Mensch, so leicht nicht, glaub' mir, nicht so leicht
Hast du den Fackelbrand mir in die Brust
Aus dürrer Teufelsfaust hinabgeschleudert,
Glaub' nicht, daß du mit einem Knaben würfelst,
Und ihm die Würfel an das kind'sche Haupt
Zerschmetternd wirfst, du spieltest rasch mit mir,
Nun sind wir, merk' dir's, sind wir Spielgenossen,
Schnell hast du dich vertraut gemacht, heraus,
Mit allem, was dein Schlangenbusen wogt,
Und ist es Argwohn nur und ist es Hohn,
Dann schleudr' ich ihn zurück dir in den Rachen,
Dann sollst du selbst dein Gift hinunter würgen,
Dann spiel' ich mit dir, doch nun sprich, ich will's!
PERTINI.   Ihr wollt's? Ihr denkt an Mephistopheles und Faust,
Habt euch wohl tief darein vertieft, doch seht,
Ich sage nein, den Willen laß' ich euch,
Und streu' ihm Sand in seine blöden Augen!
LUCINDO.   Schon' Deiner selbst und blase nicht die Gluth
Zu eng zusammen, bis sie aufwärtslodernd
Dich selbst verschlingt!
PERTINI.   'ne Phrase das, 'ne Phrase!
Der Einzige, den sie verschlingt, seid ihr!
LUCINDO.   Mich selbst! mich selbst! es sei! ich bin mir nichts,
Doch dich, dich fassen meine Jugendarme,
Sie klammern krampfhaft sich um deine Brust,
Der Abgrund gähnt uns beiden Nacht herauf,
Und sinkst du unter, lächelnd folg' ich nach,
Und raun dir zu, hinab! komm' mit Genosse!
PERTINI.   Ihr scheint mit Phantasie begabt zu sein,
Habt wohl schon viel geträumt in eurem Leben?
LUCINDO.   Getroffen habt ihr's, Träumer bin ich, Träumer!
Was will ich von euch wissen, der nichts weiß?
Ihr seht uns eben, seht uns, kennt uns nicht,
Und werft mir Spott und Lästerwort entgegen,
Was lang da zaudern? mehr von euch begehren?
Mehr habt ihr nicht – ich hab' noch was für euch –
Für mich – die Schuld, – Schmach, Gift, ihr sollt sie lösen,
Ihr habt den Kreis gezogen, zwei erträgt
Er nicht – braucht eure Springerkünste jezt –
Das Schicksal ziehe, was es zieht, es sei!
PERTINI.   Den Schluß last ihr wohl eurem Lehrer vor,
Aus 'nem vertrockneten Tragödenbuch?
LUCINDO.   Tragödie spielen wir zusammen, – recht,
Doch kommt, jezt gleich, wo wie, womit ihr wollt!
PERTINI.   Und wann und überall und irgendwann
Und nirgend!
LUCINDO.   He! Memme klaub're meine Worte nach,
Ins Antlitz zeichne ich die Memme hin,
Ich schrei es laut durch alle Gassen aus,
Und schlag' dich vor dem Haufen, folgst du nicht,
Wagst du mit abgedrosch'nem Basenwitz
Zu spielen, wo mein Herzblut starrend stockt,
Kein Wort mehr, keine Sylbe, folg', folg' nicht,
Dein Urtheil ist gesprochen, Memme, Bube!
PERTINI.   (auffahrend.) Noch einmal das, noch einmal sag' ich, Knabe!
LUCINDO.   Wenn's euch Vergnügen macht, noch tausendmal,
Wenn's euch die Galle kitzelt, bis sie strömt,
Bis Blut aus eurem Auge wüthend springt,
He, einmal noch, noch einmal, Bube, Memme!
PERTINI.   Wir sprechen uns, das schreibt in euer Hirn!
Ein Ort giebt's noch, der uns zusammenknüpft,
Es ist die Hölle! nicht für mich, für euch!
LUCINDO.   Was zählt ihr Sylben her, gleich auf der Stelle,
Ist's abgemacht, dann flieht zur Hölle, flieht,
Erzählt den Teufeln, ich hätt' euch gesandt!
PERTINI.   Ein Wort noch!
LUCINDO.   Nichts, was sollen Worte?
Ich hör' euch nicht, haucht Blasen in den Wind,
Schreibt Züge in's Gesicht, die dazu passen,
Ich seh's nicht. Waffen bringt, die sollen sprechen,
Das ganze Herz leg' ich in sie hinein,
Und bricht's nicht, – dann –
PERTINI.   (ihn unterbrechend.)
Nicht zu verwegen Knabe, nicht zu knabenhaft!
Zwar Du, du hast nichts zu verpfänden, nichts!
Du bist ein Stein, gefallen aus dem Mond,
Drauf hat man einen Consonant gekritzelt,
Du sahst den Consonant, er hieß Lucindo.
Sieh! an die leere Tafel wag' ich nicht
Mich, meine Ehre, Leben, alles dran.
Willst du mein Blut als Mahlertopf gebrauchen,
Ich soll der Pinsel sein, der Ton dir leiht?
Zu ungleich ist der Stand, zu fabelhaft,
Setz' ich mich gegen dich, so wie du bist,
Ich bin, weiß, was ich bin, doch du, was Du?
Du kennst dich nicht, bist nicht, hast nichts zu wagen,
Die Ehre willst du diebisch mir verpfänden,
Die nie in Deiner Bastardbrust geglüht?
Du wucherst deine leere Niete um
'gen meinen vollen Satz, mein Freund?
Nicht so, schaff' Namen an, schaff' Ehre, Leben,
Noch bist du nicht, dann setz' ich Namen, Ehre,
Dann setz' ich gern mein Leben gegen dich!
LUCINDO.   So Mann, ha so! willst du dich retten, Memme,
So witzig hat dein tölpelhaft Gehirn
Die Rechnung kalkulirt, so witzig, Memme?
Doch täusch' dich nicht, ich streich' das Facit aus,
Ich setz' 'ne Memme an die Stelle hin,
Ich höhn' dich, wie ein Wahnberauschtes Thier,
Ich schände dich, vor allen schänd' ich dich,
Dann magst erzählen, auseinandersetzen,
Der Base und dem Mann, dem Kind und jenem,
Ich heiß' Lucindo, heisse nicht Lucindo,
Man nenn' mich so und könn' mich anders nennen,
Ich ginge so und könne anders gehn,
Ich sei nicht, wie man Sein versteht, sei doch,
Doch du seist, was du bist, seist eine Memme!
PERTINI.   Schon gut, recht gut! doch sieh', wie war' es wohl,
Wenn ich dir Namen geben könnte, hörst es, Namen?
LUCINDO.   Du, der du selber keinen hast, ihn geben,
Du, der mich eben sah, und nie gesehn,
Und Sehn ist Lüge, ist der ew'ge Hohn,
Der uns verfolgt, wir sehn und das ist alles!
PERTINI.   Nun gut, wer mehr als Sehn versteht?
LUCINDO.   Du nicht,
Du sahst in allem, was du bist, 'nen Schurken!
PERTINI.   Sehr wahr, mich täuscht nicht leicht der erste Blick,
Doch weißt du, jener ist nicht grad' von heut!
Er hat schon manches durchgemacht, das glaubst du,
Wie? wenn wir uns gekannt?
LUCINDO.   Das glaub' ich nicht!
PERTINI.   Nicht wahr, es giebt 'nen wundersamen Dichter,
So 'ne ästhet'sche, finst're Blindekuh,
Der selt'ne Grübeleien hat und Stunden,
Das Leben zu 'nem Reime machen will,
Und gern das Leben selbst gedichtet hätte?
LUCINDO.   Ha! Zufall mag es sein, du täuschst mich nicht!
PERTINI.   Zufall! so heißt der Philosophentext,
Wenn die Vernunft nicht zufällt und sie rettet!
Zufall ist leicht gesagt, zwei Sylben nur,
Der Namen ist auch Zufall, Oulanem
Kann jeder heissen, der nicht anders heißt,
Drum ist es Zufall, wenn ich so ihn nenne!
LUCINDO.   Ihr kennt ihn? Himmel! sprecht, beim Himmel!
PERTINI.   Kennt ihr den Knabenlohn? er nennt sich – schweigen.
LUCINDO.   Es ekelt mir, von euch zu bitten, Mensch,
Doch ich beschwör', bei allem, was ihr schäzt!
PERTINI.   Was schätzen? handel' ich mit Scheidemünzen?
'ne Memme wißt, die läßt sich nicht beschwören.
LUCINDO.   Nun denn, ihr müßt, wollt ihr die Memme schütteln
Von eurem Haupt, so müßt ihr, dann an's Werk!
PERTINI.   Ich schieß mich jezt, so wie ihr seid, ich stehe,
Ihr seid mir gut genug, drum schieß' ich mich!
LUCINDO.   Ha! treibt mich nicht zum Äussersten, nicht dahin,
Wo keine Grenze steht, wo alles endet!
PERTINI.   Ei seht, wir wolln das Äusserste versuchen,
Das Schicksal ziehe, was es zieht, es sei!
LUCINDO.   Ha! keine Rettung, keine, nirgendwo?
Die undurchdringlich harte Eisenbrust,
Das Hohnverpestete, verdorrt Gemüth,
Es mischt das Gift und treibt's wie Balsam ein,
Und lächelt, Mensch, vielleicht die lezte Stunde,
Für dich die lezte, faß es an, saug's ein,
In einem Augenblicke stehst du vor dem Richter,
Drum lösch' des Lebens lange Lasterkette,
Durch eine lezte, lezte gute That,
Und nur ein Wort, so leicht, wie zarter Aether,
So leicht gehaucht!
PERTINI.   's war Zufall guter Freund!
Ich glaube selbst an Zufall, glaube mir!
LUCINDO.   Vergebens! – alles – alles – doch – halt seichter Thor,
So ist's nicht abgethan, so nicht bei Gott,
Noch einmal hat dein scharfer Blick getäuscht,
Ich ruf ihn selber her, dann steh' vor ihm,
Steh' vor ihm Stirn an Stirn und Aug' in Auge,
Und blicke drein, wie ein verzagtes Kind,
Mich holst du nicht mehr, weg, weg Bube laß!
(stürzt weg.)
PERTINI.   Ein größ'rer Plan errettet jezt dich Knaben,
Doch glaub' mir, Pertini heißt nicht Vergessen!
(ruft.) He da Lucindo! he! beim Himmel, komm!
(Lucindo kehrt zurück.)
LUCINDO.   Was soll's, doch weg!
PERTINI.   Ha schön, schön ehrenhaft,
Sag' auch dem würd'gen Herrn, wir stritten uns,
Du hättest mich gefordert, doch zu artig,
Zu artig seist du, seist ein frommes Kind!
Bereutest Deine Sünde, sprächst dich los,
Und wein' dann eine Thräne, küß' die Hand,
Und schneide dir die Ruthe selbst zurecht!
LUCINDO.   Du zwingst mich!
PERTINI.   Läßt zwingen dich, moralisch,
Moralisch klingt's, wie eine Kinderfiebel.
Glaubst du an Gott?
LUCINDO.   Soll ich dir beichten Mensch?
PERTINI.   Verlangst du nicht, daß ich dir beichten soll?
Schon gut, ich will's, doch sag', glaubst du an Gott?
LUCINDO.   Was soll es dir?
PERTINI.   Nun, 's ist nicht grad modern,
Drum möcht' ich's ganz bestimmt von dir vernehmen!
LUCINDO.   Ich glaub' ihn nicht, was man so glauben heißt,
Doch weiß ich ihn, wie ich mich selber weiß.
PERTINI.   Nun das bei mehr Gelegenheit und Laune,
Wie du ihn glaubst, es ist für mich dasselbe,
Du glaubst ihn, gut, so schwöre mir bei ihm!
LUCINDO.   Was? Schwören Dir?
PERTINI.   Daß nie der Zunge Lauf,
'ne Sylbe nur verrathend weiterträgt!
LUCINDO.   Ich schwör's, bei Gott!
PERTINI.   Dann, daß du mir nur Feindschaft hegst und Rache,
Ich bin so schlimm nicht, bin nur gradeweg!
LUCINDO.   Daß ich dich liebe, freundlich ehrend schätze,
Ich schwör's dir nicht für eine Welt, bei Gott,
Ich kann es dir, ich darf es nicht beschwören,
Doch was vergangen, das sei ausgelöscht,
Es sei ein widerwärtig böser Traum,
Dahingerafft, wie Träume denn vergehn,
Ich stürz' es in die Woge der Vergessenheit,
Das schwör' ich dir bei dem, der heilig ist,
Aus dem sich Welten kreisend aufwärts tauchen,
Der mit dem Blicke Ewigkeit gebiert,
Ich schwör's, doch jezt den Lohn für meinen Schwur!
PERTINI.   Komm' mit! ich führe dich an stille Stätte,
Zeig' dir noch dieß und jenes, Felsesschluchten,
Wo Seen sich vulkanisch aufgetaucht,
Die stille Wasser abgerundet wiegen;
Wo Jahresreihen stumm vorbei gerauscht,
Dann legt sich wohl der Sturm und dann –
LUCINDO.   Was? Steine, Buchten, Würmer, Schlamm?
Es thürmen überall sich Fels und Klippen,
Es braust an jedem Ort 'ne Quelle hin,
Ob allgewalt'ger, minder, mehr, was soll's?
Es bleiben uns Geheimnißvolle Stätten,
Die uns gebannte Sklaven an sich ketten,
Sie schaun, das reizt mich, mehrt den Sturm der Brust,
Und sprengt er sie, was ist's, 'ne Narrenposse,
Drum führ' mich, wo du willst, führ mich zum Ziele,
Drum zaud're nicht, bedenk nicht, fort, hinweg!
PERTINI.   Die raschen Donner müssen erst verhalln,
Soll Flammenblitz den Busen rein durchwalln,
Drum führ' ich dich vorher an einen Ort,
Fast fürcht' ich, kömmst von da nicht weiterfort.
LUCINDO.   Sei's, wo es sei, ich folg' auf jeder Bahn,
Führt sie zum Ziel und schreitest du voran!
PERTINI.   Mißtraun! (beide ab.)


DRITTE SCENE.

Saal in Pertini's Hause, OULANEM allein, sizt schreibend an einem Tische, Papiere liegen umher, rasch aufspringend, geht auf und ab, bleibt plötzlich stehn, mit verschränkten Armen.

OULANEM.   Verfall'n! Die Stunde, sie ist abgelaufen,
Die Horen stehn, der Zwergbau stürzt zusammen!
Bald preß' ich Ewigkeit an's Herz und heule
Der Menschheit Riesenfluch in sie hinein.
Ha Ewigkeit! das ist ein ew'ger Schmerz,
Ein unaussprechlich, unermeß'ner Tod!
Schnöd' Kunstwerk, uns zum Hohn ersonnen,
Wir Uhrwerk, blindmechanisch aufgezogen,
Des Zeitenraum's Kalendernarr zu sein,
Zu sein, damit doch irgendwas geschieht,
Zu fall'n, damit doch irgend was zerfällt!
Ein Ding mußt' sein, das für die Welten fehlt,
Des Schmerzes stumme Pein, der sie umklaustert,
Mit seiner Seele Riesenmacht in Lüfte wälzt,
Lebendig wird der Tod, trägt Strumpf und Schuhe,
Der Pflanze Leid, des Steines dumpf Vergehn,
Der Vogel, der umsonst die Töne sucht,
Zu klagen, was sein luftig Leben kränkt,
Des Alles blinder Zwist und Kampf, zu schütteln,
Sich von sich selbst, im Zank sich aufzureiben,
Das alles steht nun auf und hat zwei Beine,
Und eine Brust, den Lebensfluch zu fassen!
Ha! flechten muß ich mich an's Flammenrad,
Im Kreis der Ewigkeiten Lust zu tanzen!
Gab's ausser ihr ein etwas, das verschlänge,
Ich spräng' hinein, müßt' ich 'ne Welt zertrümmern,
Die zwischen ihn und mir sich aufgethürmt!
Zerschelln müßt' sie am langgedehnten Fluche,
Die Arme schlüg' ich um das harte Sein,
Und mich umarmend müßt' es stumm vergehn.
Und dann hinab, versinken in dem Nichts,
Ganz untergehn, nicht sein, es wäre Leben,
Doch so gewälzt hoch auf dem Strom der Ewigkeit,
Wahnmelodie zu brausen für den Schöpfer,
Hohn auf der Stirn'! Brennt ihn die Sonne weg?
Vermeß'ner Fluch in Zwanggebannter Seele!
Vernichtung jauchzt der Blick in gift'gen Strahlen,
Wälzt er die plumben Welten weg, die binden?
Gebunden, ewig, bang, zersplittert, leer,
Gebunden an den Marmorklotz des Seins,
Gebunden, ewig angebunden, ewig!
Die Welten fassen's und sie roll'n dahin,
Und heulen ihren eig'nen Todtensang,
Und wir, wir Affen eines kalten Gottes,
Wir hegen noch die Natter üppig warm,
Mit toller Müh' an voller Liebesbrust,
Daß sie zur Allgestalt hinauf sich dehnt
Von ihrem Gipfel aus uns anzugrinzen!
Und ewig braust die überdrüß'ge Welle,
Den Ekel zu erschöpfen, in das Ohr!
Jezt schnell – das Loos geworfen – alles fertig,
Zerstört, was Lügendichtung nur ersann,
Mit Fluch vollendet, was der Fluch begann.
(sezt sich an den Tisch, schreibt.)


VIERTE SCENE.
Haus des Alwander 's; im Anfang vor dem Hause.
LUCINDO, PERTINI.

LUCINDO.   Was soll ich hier?
PERTINI.   Ein zart Stück Weiberfleisch,
Das alles! steht's euch an und wenn sie Ruhe
In eure Seele sanft melodisch haucht,
Dann weiter!
LUCINDO.   Was Mensch? Zu Dirnen führst du mich?
In dem Moment, wo mir das ganze Leben
Zermalmend auf die Schulter niederstürzt,
Wo sich der Busen allgewaltig dehnt,
Begierig selbst sich irrend zu vernichten,
Wo jeder Hauch mir tausend Tode weht,
Und jezt ein Weib!
PERTINI.   Ha! sprudelt junger Mann,
Weht Tod und Flamme durcheinander hin,
Was Dirne? hab' ich recht verstanden Dirne,
Seht auch das Haus! Sieht's dirnenmässig aus
Glaubt ihr, ich woll' für euch den Pandor spielen
Und werd' den Tag gar als Lanterne brauchen,
's ist lustig, nur herein, vielleicht erfahrt
Ihr dort, was ihr begehrt!
LUCINDO.   Ich seh den Trug,
Habt ihn aus zu massivem Stoff gebaut,
Ihr wollt der Hand entschlüpfen, die euch hält,
Dankt dem Moment, wenn ich euch horchen muß,
Doch zaudert ihr, dann kostet's euer Leben!

(Sie gehn in das Haus, der Vorhang fällt, ein and'rer wird aufgezogen, Zimmer, modern elegant, Beatrice sizt auf dem Sopha, eine Chitarre neben ihr; LUCINDO, PERTINI, BEATRICE.)

PERTINI.   Beatrice, ich bringe hier,
'nen jungen Reisenden, 'nen art'gen Herrn,
Weitläufig ist er meinem Blut verwandt!
BEATRICE.   (zu Lucindo.) Ihr seid willkommen!
LUCINDO.   Verzeiht, wenn ich nicht Worte,
Nicht Sprache find' für mein erstaunend Herz,
So selt'ne Schönheit schlägt die Geister nieder,
Das Blut zuckt hoch empor, das Wort versagt.
BEATRICE.   Schön, junger Herr! ihr seid wohl gut gelaunt,
Und eurer Laune dank' ich's, nicht dem Reitz,
Den mir ungütige Natur versagt,
Wenn eure Zunge spricht, nicht euer Herz.
LUCINDO.   O dürft' mein Herz nur sprechen, dürft' es nur
Ausströmen, was ihr tief hinabgesenkt,
Die Worte würden Flammenmelodien,
Und jeder Hauch war' eine Ewigkeit,
Ein Himmel, ein unendlich grosses Reich,
In dem die Leben all' Gedanken blizten,
Voll zarter Sehnsucht, voller Harmonien,
Das All in ihrem Busen hold verschliessend,
Der Schönheit Aetherschein aus sich ergiessend,
Denn jedes Wort, es trüg' nur euren Namen!
PERTINI.   Ihr nehmt's nicht übel, Fräulein, sag' ich euch,
Ein Deutscher ist's, er wirft aus allen Ecken,
Mit Melodie und Seele um sich her.
BEATRICE.   Ein Deutscher! nun die Deutschen mag ich wohl,
Ich selbst, ich rühme mich desselben Stamms,
Sezt euch hieher, Herr Deutscher!
(bietet ihm einen Platz auf dem Sopha an.)
LUCINDO.   Dank' euch, mein Fräulein!
(heimlich zu Pertini.)
Hinweg! jezt gilt's noch, hier bin ich verloren!
BEATRICE.   (beschämt.) Hab' ich zu viel gesagt!-------------
(Lucindo will sprechen, Pertini läßt ihn nicht zu Wort kommen.)
PERTINI.   Ha! spart 'nen Einfall, spart 'ne Schmeichelei,
's war nichts, Beatrice, nur ein Geschäft,
Das ich dem Herrn noch rasch besorgen soll.
LUCINDO.   (verwirrt, leise.)
Was Pertini? Bei Gott, ihr spielt mit mir!
PERTINI.   (laut.)
Nun laßt euch das nicht grämen, nicht so bang!
Das Fräulein traut mir auf mein Wort, nicht wahr,
Nicht wahr, Beatrice, er darf verweilen,
Bis ich zurückgekehrt, Bedenklichkeit,
Ihr seid ein Fremder, drum nicht blöde.
BEATRICE.   Wie, junger Herr, hab' ich euch so empfangen,
Daß ihr mir denken könnt, ich werde euch,
Den Freund des alten Freundes Pertini,
Den Fremden aus dem Hause gastlos stoßen,
Das jeden willig gern in sich empfängt,
Nicht schmeicheln sollt ihr, aber billig sein!
LUCINDO.   Bei Gott! Es schlägt mich eure Güte nieder!
Ihr sprecht so mild, so wie die Engel sprechen,
Verzeiht, wenn ich beschämt, wenn hingerissen,
Vom wilden Strom vergeßner Leidenschaft,
Die Lippe sprach, was sie verschliessen sollte,
Doch blickt den Himmel, wenn er rein umflort,
Aus blauen Wolkeshöhn herniederlacht,
Schaut Farben, die in süssem Glanze wogen,
Von Schatten bald und bald von Licht umzogen,
Die sich melodisch voll und weich vereinen,
In einem Bild beseelet zu erscheinen,
Und schweigt dann, wenn die Lippe schweigen kann,
Ihr könnt nicht, 's zieht euch hin, wie Zauberbann,
Besinnung ach! und Vorsicht sind geschwunden,
Die Lippe bebet, wo das Herz empfunden,
So wie die Äolsleier weiterklingt,
Wenn seine Flügel Zephir um sie schwingt.
BEATRICE.   Die Schmeichelei'n, mein Herr, will ich verzeihn,
Ihr wißt zu süßen Schein dem Gift zu leihn!
LUCINDO.   (leise zu Pertini.)
Verdammter Schurk' und doch ein braver Schurk',
Was soll ich? fliehn, bei Gott, ich muß hinweg!
PERTINI.   (laut.)
Er kann es mir noch immer nicht vergessen,
Daß ich vorhin sein Wort ihm weggegessen,
Er hatte sich was Schönes ausgedacht,
Da hab' ich aus der Fassung ihn gebracht,
Doch 's ist schon gut, Beatrice, sie denkt,
Ihr hättet euren Einfall ihr geschenkt,
Er war wohl lang, wie alle deutsche Possen,
Schwer zu verdauen, wenn man sie genossen.
Ich geh!
LUCINDO.   (leise.) Ha! Mensch!
PERTINI.   (laut.)
Doch denkt an Sympathien,
Die aus dem Magen bald ins Herz uns ziehn,
Bald kehr' ich wieder, bring' euch rasch dann fort,
Zu fesselnd war' euch wohl der süsse Ort!
(für sich.) Ich muß hinweg. Der Alte soll's verderben,
Und er getrost um ihre Liebe werben.
(ab.) (Lucindo verwirrt.)
BEATRICE.   Soll ich noch einmal euch zu sitzen heissen?
LUCINDO.   Gern, wenn ihr wollt, so gern hier bei euch sitzen!
(sezt sich.)
BEATRICE.   Freund Pertini ist seltsam oft gelaunt!
LUCINDO.   Ja seltsam! wirklich seltsam! seltsam ist's! 's ist seltsam!
(Pause.)
LUCINDO.   Verzeiht mein Fräulein, schäzt ihr diesen Mann?
BEATRICE.   Er ist ein alter, treuer Hausgenosse,
Und mir stets freundlich zugethan gewesen,
Doch recht, ich weiß nicht, kann ich ihn nicht dulden,
Er ist oft springend roh, oft ruft versteckt,
Verzeiht, 's ist euer Freund, ein Wundergeist
Aus seinem Busen, glaubt, nicht, wie ich's möchte,
Es ist, als wenn er Nächt'ges in sich wälzte,
Was, bebend feig, des Tages offnen Liebesblick
Nicht offen auch erwiedern darf, was schlimmer,
Als seine Zunge spricht, vielleicht als selbst
Sein Herz es denken mag, doch nur Vermuthung,
Nicht recht, daß ich es euch so schnell vertraue,
Denn Argwohn ist es, Argwohn ist 'ne Natter!
LUCINDO.   Bereut ihr, mir vertraut zu haben, Fräulein?
BEATRICE.   Wär's ein Geheimniß, das mich selbst betrifft –
Doch ach! was sag' ich! habt ihr Recht erworben
Auf mein Vertraun? allein, nichts übles ist's,
Wenn ich euch alles sagte, was ich weiß,
Denn jedem könnt' ich alles anvertraun,
Weil ich nichts weiß, was nicht auch alle wissen.
LUCINDO.   So alle! schön! Ihr meint es wohl mit allen?
BEATRICE.   Ihr auch, nicht wahr?
LUCINDO.   O Engel, süsses Wesen!
BEATRICE.   Ihr macht mich bange Herr, was soll das hier?
Ihr springt so rasch von einem auf das andre!
LUCINDO.   Rasch muß ich handlen, denn die Stunde schlägt,
Was lange zaudern? Jeder Augenblick ist Tod.
Kann ich's verbergen? freilich seltsam, wunderseltsam.
Ich sah euch kaum, ich kann's mir nicht erklären,
Es ist, als wenn wir lang vertraut schon wären,
Als wenn aus Tönen, die ich in mir trug,
Lebendig jezt ein warmes Wesen schlug,
Als wenn ein Geisterband uns längst umschlungen,
Das jezt zur Wirklichkeit sich losgerungen!
BEATRICE.   Ich will's nicht leugnen, kann nicht fremd euch achten,
Und doch seid ihr ein Fremder unbekannt,
Allein, wie finst're Genien umnachten,
Die, eh' wir kamen, uns schon weggewandt,
So mögen and're süß'ren Trug ersinnen,
Durch magisch fernes Band uns zu gewinnen!
Und dann, dann sehe man noch mehr sich vor,
Der stärkste Blitz schlägt nicht aus dunk'lem Flor!
LUCINDO.   Ihr schöne Herzensphilosophin, Gott,
Ich kann nicht widerstehn, du zwingst mich, du,
Glaub' nicht, daß ich dir Ehrfurcht nicht empfinde,
Weil ich so kühn und schnell mich unterwinde;
Den Busen preßt's, die Nerven alle reissen,
Ich kann nicht widerstehn, bald bin ich fern,
Bald fort, von hier, von dir, von dir geschieden,
Dann Welten, taucht in Abgrund, taucht euch unter,
Verzeih', mein süsses Kind, verzeih' den Zeiten,
Die rasch mich drängen, Ungestümm bereiten,
Ich liebe dich Beatrice, bei Gott,
Beatrice und Liebe ist ein Hauch,
Ich kann sie nur in einen Athem wehn,
Ich wollt' in dem Gedanken untergehn!
BEATRICE.   Ach laßt die Rede, denn sie kann nicht frommen,
Gesezt, doch hört, 's ist nichts, als ein Gedicht,
Ihr solltet jezt sogleich mein Herz bekommen,
Gewiß, dann schäztet ihr mich weiter nicht.
Ihr dächtet, nun, 's ist ein gewöhnlich Kind,
Schnell hingegeben, wie es tausend sind,
Und wenn ihr den Gedanken nur gedacht,
Wär' ich um Lieb', um Achtung selbst gebracht,
Mein Herz, es könnte euch nicht weiter gelten,
Und ich, ich selber müßt' mich schmerzlich schelten.
LUCINDO.   O seelenvolles, üppig warmes Wesen,
O könntest du in meinem Busen lesen,
Ich habe nie geliebt, noch nie bei Gott,
Doch dein, dein Vorwurf ist der Liebe Spott.
Laß lang den schnöden Kaufmann mäkelnd sinnen,
Behutsam zaudernd will er mehr gewinnen,
Doch Liebe, sieh' das All in eins gefaßt,
Nicht weiter, weiter nichts, nichts, nichts zu hoffen,
Bedenken mag, was bindet und sich haßt,
Die Liebe schliesset sich, wie Zauber offen.
Es ist ein Lichtfunk, aus dem Sein entglüht,
Drum sei sie auch in dem Moment entsprüht,
Drum sei sie auch in dem Moment entsprüht,
Wo noch ein and'res liegt, da gilt das Wägen,
Rasch ist die Flamme, rasch der Liebe Segen.
BEATRICE.   Soll ich mich zieren? alles muß ich wagen,
Die Flammen mögen hoch zusammenschlagen,
Doch ach! Das Herz ist mir gepreßt, geengt,
Es ist, als sei der Lust der Schmerz gemengt,
Als steige zwischen uns'ren Bund ein Zischen,
Das die Dämonen höhnend in ihn mischen.
LUCINDO.   Es ist die Gluth, die dir noch nicht bekannt,
Das alte Leben, von uns abgewandt,
Noch einmal läßt's den Abschiedsgruß uns hören,
Dann wagt es nimmer mehr sich zu empören.
Doch wie Beatrice, wie wirst du mein?
BEATRICE.   Mein Vater will 'nem Menschen mich verbinden,
Ich haßt' ihn, wenn ich Menschen hassen könnte,
Doch sei gewiß, du sollst bald mehr von mir vernehmen,
Wo wohnst du, süsser, holder Herzensfreund?
LUCINDO.   Bei Pertini.
BEATRICE.   Ich werd' 'nen Boten senden,
Doch deinen Namen, sicher voll, wie Töne,
Die Sphärenlauf in seinem Kreise schlägt?
LUCINDO.   (ernst.) Ich heiß' Lucindo, ich!
BEATRICE.   Lucindo, süß,
Süß klingt der Namen, mein Lucindo
Ist meine Welt, mein Gott, mein Herz, mein alles.
LUCINDO.   Beatrice, das bist du selbst, und du
Bist mehr, wie alles, bist Beatrice.
(er drückt sie heftig an seine Brust, die Thüre springt auf, Wierin tritt ein.)
WIERIN.   Ha schön! ha Schlange, ha Beatrice,
Du marmorkalte Tugendpuppe, ha!
LUCINDO.   Was soll's, was soll's? Was hast du hier zu schaffen,
Bei Gott, ich sah noch nie 'nen schön'ren Affen.
WIERIN.   Verdammter Knabe, was es soll, es soll,
Wir sprechen uns, du mein Rivale, du,
Ein Mensch, geformt, um Menschenform zu hassen,
Ein Wicht, von eitler Frechheit aufgeblasen,
Ein Druckpapier, um Federn abzuwischen,
Ein Held für die Komödie, wie geschaffen.
LUCINDO.   Und wie gesagt, 'nen ganz vollkomm'nen Affen!
Doch schämt euch, Worte streitend hier zu wechseln,
Hier gleicht der Muth 'ner Strassenorgel nur,
Die zu 'nem Bildniß spielt und Schlachten lügt,
Bald kann er gelten.
WIERIN.   Bald, gleich, gleich Knabe laß mich mit dir sprechen,
Es es es, ha 's überrinnt mich kalt,
Beatrice, ich schaff' den Buhlen fort.
LUCINDO.   Schweig' Wicht, ich folg dir gleich, gleich auf der Stelle.
(Pertini tritt ein.)
PERTINI.   Was ein Geschrei? Seid ihr auf offner Strasse,
(Zu Wierin.)
Schreit ihr so Krähe, wart', ich stopf den Mund.
(für sich.)
Ich hab mich glücklich adressiert, der Kerl
Hat mich doch etwas mißverstanden!
(Beatrice fällt in Ohnmacht!)
LUCINDO.   Ha! Hilfe! ach, sie sinkt, o Gott,
(sich über sie lehnend)
Komm' zu dir Engel, süsses Seelenwesen, sprich!
(er küßt sie)
Fühlst du die Gluth, sie schlägt den Blick, sie athmet,
Warum mir das Beatrice, warum?
Willst du mich tödten, kann ich so dich sehn?
(er hebt sie auf, sie umschlingend, Wierin will auf ihn zustürzen, Pertini hält ihn zurück.)
PERTINI.   Freund Krähe, kommt, ein Wort in euer Ohr!
BEATRICE.   (schwach.) Lucindo, mein Lucindo, ach verloren,
Verloren, eh' ich dich, mein Herz, gewann!
LUCINDO.   Sei ruhig Engel, nichts ist zu verlieren,
Den Menschen will ich bald zur Ruhe führen.
(er trägt sie aufs Sopha.)
Hier ruhe, länger dürfen wir nicht weilen,
Den heil'gen Ort soll nicht der Greuel theilen.
WIERIN.   Nur weg, wir werden sprechen!
PERTINI.   Fort, ich auch,
Ein Sekundant bei zwein ist neuer Brauch!
LUCINDO.   Sei ruhig süsses Kind, wofür der Schmerz?
BEATRICE.   Leb' wohl.
LUCINDO.   Leb Engel wohl.
BEATRICE.   (tief seufzend.) Mein ahnend Herz!

(Vorhang fällt. Ende des ersten Aktes.)