Johann Peter Lyser
1804 -1870
Lieder eines wandernden Malers
I. Der Ausflug
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J. W. Goethe, Der Borschen bei Bilin, 1810
XV.Auf dem Borzen. 1)
Hoch auf der Kuppe des Felsens stand ich im Abendglühn.Tief unter mir zogen die Nebel,Und Dämmrung umhüllte das Thal.
Still und feierlich alles umher!Vom Kirchthurm herauf nurTönte leiseDer Abendglocken harmonisch Geläut.
Ich schau'te hinauf – ich schau'te hinab,Und es wallte mein HerzIn Andacht und Liebe.
Ja, ich liebe! ich liebe!Ich liebe Dich, prangende Erde!
Ich liebe! ich liebe!Ich liebe Dich, glühendes Abendroth!Ich liebe! ich liebe Dich,Tiefblauer Himmel! [34]Und euch ihr ewigen Sterne,Die ihr herabschau't so lächelnd und mild,Euch lieb' ich wie meine Sele.
Und was sonst noch?“ tönt's neben mirMit Nachtigallenlaut.
Ich wende mich. und vor mirSteht Sie! –Und schaut mich an,Mit AugenWovor die ewigen Sterne erlöschen! –Mit einem Lächeln,Wie es weiter die Erde nicht hat: –
Und was sonst noch, unstätter Wanderer! –Was sonst nochLiebst Du?“
Ich sage kein Wort! – im Anschau'n nurBin ich verloren – doch ach!Wie pocht mein Herz!! –
Sie sieht mich!Sie hört es, das Schlagen des Herzens!Und mich umschlingendFest und innig, [35]Preßt ihre Lippen sieAuf die meinen, und flüstert:Du liebst mich! Du liebst mich!“
Und einmal noch aufflammtIm Westen das Abendroth.
―――――――― 1) Ein hoher Felsen bei Bilin, der in seiner Form lebhaft an den Montserat erinnert. Die Aussicht von seiner Kuppe, besonders bei Sonnenuntergange, ist entzückend.
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