Heinrich von Kleist
1777 - 1811
Sonderbare Geschichte,die sich zu meiner Zeitin Italien zutrug
Der Text folgt der Ausgabein den «Berliner Abendblättern»vom 3. Januar 1811.
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Sonderbare Geschichte, die sich, zu meinerZeit, in Italien zutrug.
Am Hofe der Prinzessin von St. C... zu Neapel, befand sich, im Jahr 1788, als Gesellschafterinn oder eigentlich als Sängerinn eine junge Römerinn, namens Franzeska N...., Tochter eines armen invaliden Seeofficiers, ein schönes und geistreiches Mädchen, das die Prinzessin von St. C..., wegen eines Dienstes, den ihr der Vater geleistet, von früher Jugend an, zu sich genommen und in ihrem Hause erzogen hatte. Auf einer Reise, welche die Prinzessinn in die Bäder zu Messina, und von hieraus, von der Witterung und dem Gefühl einer erneuerten Gesundheit aufgemuntert, auf den Gipfel des Aetna machte, hatte das junge, unerfahrne Mädchen das Unglück, von einem Cavalier, dem Vicomte von P..., einem alten Bekannten aus Paris, der sich dem Zuge anschloß, auf das Abscheulichste und Unverantwortlichste betrogen zu werden; dergestalt, daß ihr, wenige Monden darauf, bei ihrer Rückkehr nach Neapel, nichts übrigblieb, als sich der Prinzessinn, ihrer zweiten Mutter, zu Füßen zu werfen, und ihr unter Thränen den Zustand, in dem sie sich befand, zu entdecken. Die Prinzessinn, welche die junge Sünderinn sehr liebte, machte ihr zwar wegen der Schande, die sie über ihren Hof gebracht hatte, die heftigsten Vorwürfe; doch da sie ewige Besserung und klösterliche Eingezogenheit und Enthaltsamkeit, für ihr ganzes künftiges Leben, angelobte, und der Gedanke, das Haus ihrer Gönnerinn und Wohlthäterinn verlassen zu müssen, ihr gänzlich unerträglich war, so wandte sich das menschenfreundliche, zur Verzeihung ohnehin in solchen Fällen geneigte Gemüth der Prinzessinn: sie hob die Unglückliche vom Boden auf, und die Frage war nur, wie man der Schmach, die über sie hereinzubrechen drohte, vorbeugen könne? In Fällen dieser Art fehlt es den Frauen, wie bekannt, niemals an Witz und der erforderlichen Erfindung; und wenige Tage verflossen: so ersann die Prinzessinn selbst zur Ehrenrettung ihrer Freundin folgenden kleinen Roman.Zuvörderst erhielt sie Abends, in ihrem Hotel, da sie beim Spiel saß, vor den Augen mehrerer, zu einem Souper eingeladenen Gäste einen Brief: sie erbricht und überlies't ihn, und indem sie sich zur Signora Franzeska wendet: «Signora», spricht sie, «Graf Scharfeneck, der junge Deutsche, der Sie vor zwei Jahren in Rom gesehen, hält aus Venedig, wo er den Winter zubringt, um Ihre Hand an. – Da!» setzt sie hinzu, indem sie wieder zu den Karten greift, «lesen Sie selbst: es ist ein edler und würdiger Cavalier, vor dessen Antrag Sie sich nicht zu schämen brauchen.» Signora Franzeska steht erröthend auf; sie empfängt den Brief, überfliegt ihn, und, indem sie die Hand der Prinzessinn küßt: «Gnädigste», spricht sie: «da der Graf in diesem Schreiben erklärt, daß er Italien zu seinem Vaterlande machen kann, so nehme ich ihn, von Ihrer Hand, als meinen Gatten an!» – Hierauf geht das Schreiben unter Glückwünschungen von Hand zu Hand; jedermann erkundigt sich nach der Person des Freiers, den niemand kennt, und Signora Franzeska gilt, von diesem Augenblick an, für die Braut des Grafen Scharfeneck. Drauf, an dem zur Ankunft des Bräutigams bestimmten Tage, an welchem nach seinem Wunsche auch sogleich die Hochzeit sein soll, fährt ein Reisewagen mit vier Pferden vor: es ist der Graf Scharfeneck! Die ganze Gesellschaft, die, zur Feier dieses Tages, in dem Zimmer der Prinzessinn versammelt war, eilt voll Neugierde an die Fenster, man sieht ihn, jung und schön wie ein junger Gott, aussteigen – inzwischen verbreitet sich sogleich, durch einen vorangeschickten Kammerdiener, das Gerücht, daß der Graf krank sei, und in einem Nebenzimmer habe abtreten müssen. Auf diese unangenehme Meldung wendet sich die Prinzessinn betreten zur Braut; und beide begeben sich nach einem kurzen Gespräch, in das Zimmer des Grafen, wohin ihnen nach Verlauf von etwa einer Stunde der Priester folgt. Inzwischen wird die Gesellschaft durch den Hauscavalier der Prinzessinn zur Tafel geladen; es verbreitet sich, während sie auf das Kostbarste und Ausgesuchteste bewirtet wird, durch diesen die Nachricht, daß der junge Graf, als ein ächter, deutscher Herr, weniger krank, als vielmehr nur ein Sonderling sei, der die Gesellschaft bei Festlichkeiten dieser Art nicht liebe; bis spät, um 11 Uhr in der Nacht, die Prinzessinn, Signora Franzeska an der Hand, auftritt, und den versammelten Gästen mit der Aeußerung, daß die Trauung bereits vollzogen sei, die Frau Gräfinn von Scharfeneck vorstellt. Man erhebt sich, man erstaunt und freut sich, man jubelt und fragt: doch Alles, was man von der Prinzessinn und der Gräfinn erfährt, ist, daß der Graf wohl auf sei; daß er sich auch in Kurzem sämmtlichen Herrschaften, die hier die Güte gehabt, sich zu versammeln, zeigen würde; daß dringende Geschäfte jedoch ihn nöthigten, mit der Frühe des nächsten Morgens nach Venedig, wo ihm ein Onkel gestorben sei und er eine Erbschaft zu erheben habe, zurückzukehren. Hierauf, unter wiederholten Glückwünschungen und Umarmungen der Braut, entfernt sich die Gesellschaft; und mit dem Anbruch des Tages fährt, im Angesicht der ganzen Dienerschaft, der Graf in seinem Reisewagen mit vier Pferden wieder ab. – Sechs Wochen darauf erhalten die Prinzessinn und die Gräfinn, in einem schwarz versiegelten Briefe, die Nachricht, daß der Graf Scharfeneck in dem Hafen von Venedig ertrunken sei. Es heißt, daß er, nach einem scharfen Ritt, die Unbesonnenheit begangen, sich zu baden; daß ihn der Schlag auf der Stelle gerührt, und sein Körper noch bis diesen Augenblick im Meere nicht gefunden sei. – Alles, was zu dem Hause der Prinzessinn gehört, versammelt sich, auf diese schreckliche Post, zur Theilnahme und Condolation; die Prinzessinn zeigt den unseeligen Brief, die Gräfinn, die ohne Bewußtsein in ihren Armen liegt, jammert und ist untröstlich –; hat jedoch nach einigen Tagen Kraft genug, nach Venedig abzureisen, um die ihr dort zugefallene Erbschaft in Besitz zu nehmen. – Kurz, nach Verfluß von ungefähr neun Monaten (denn so lange dauerte der Prozeß) kehrt sie zurück; und zeigt einen allerliebsten kleinen Grafen Scharfeneck, mit welchem sie der Himmel daselbst gesegnet hatte. Ein Deutscher, der eine große genealogische Kenntniß seines Vaterlands hatte, entdeckte das Geheimniß, das dieser Intrigue zum Grunde lag, und schickte dem jungen Grafen, in einer zierlichen Handzeichnung, sein Wappen zu, welches die Ecke einer Bank darstellte, unter welcher ein Kind lag. Die Dame hielt sich gleichwohl, unter dem Namen einer Gräfinn Scharfeneck, noch mehrere Jahre in Neapel auf; bis der Vicomte von P...., im Jahr 1793, zum zweitenmale nach Italien kam, und sich, auf Veranlassung der Prinzessinn, entschloß, sie zu heirathen. – Im Jahr 1802 kehrten beide nach Frankreich zurück. |