Ernst Theodor Amadeus Hoffmann
1776 - 1822
Haimatochare
1819
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4.Derselbe an denselben.
Hanaruru auf O-Wahu. den 12. Dezember 18..
Nein! ich bin kein Träumer, aber es giebt Ahnungen – Ahnungen, die nicht trügen! – Eduard, ich bin der glücklichste Mensch unter der Sonne, auf den höchsten Punkt des Lebens gestellt. Aber wie soll ich dir alles erzählen, damit du meine Wonne, mein unaussprechliches Entzücken ganz fühlst? – ich will mich fassen, ich will versuchen, ob ich im Stande bin, dir das alles, wie es sich zutrug, ruhig zu beschreiben.Unfern Hanaruru, König Teimotus Residenz, wo er uns freundlich aufgenommen, liegt eine anmuthige Waldung. Dorthin begab ich mich gestern, als schon die Sonne zu sinken begann, Ich hatte vor, wo möglich einen sehr seltenen Schmetterling (der Name wird dich nicht interessiren) einzufangen, der nach Sonnenuntergang seinen irren Kreislauf beginnt.
Die Luft war schwül, von wollüstigem Aroma duftender Kräuter erfüllt. Als ich in den Wald trat, fühlte ich ein seltsam süßes Bangen, mich durchbebten geheimnißvolle Schauer, die sich auflösten in sehnsüchtige Seufzer. Der Nachtvogel, nach dem ich ausgegangen, erhob sich dicht vor mir, aber kraftlos hingen die Arme herab, wie starrsüchtig vermochte ich nicht von der Stelle zu gehen, nicht den Nachtvogel zu verfolgen, der sich fortschwang in den Wald. Da wurde ich hineingezogen, wie von unsichtbaren Händen, in ein Gebüsch, das mich im Säuseln und Rauschen wie mit zärtlichen Liebesworten ansprach. Kaum hinein getreten, erblicke ich – o Himmel! – auf dem bunten Teppiche glänzender Taubenflügel liegt die niedlichste, schönste, lieblichste Insulanerin, die ich jemals gesehen! Nein, nur die [197] äußern Contoure zeigten, daß das holde Wesen zu dem Geschlechte der hiesigen Insulanerinnen gehörte. Farbe, Haltung, Aussehen, alles war sonst anders. Der Athem stockte mir vor wonnevollem Schreck.
Behutsam näherte ich mich der Kleinen. Sie schien zu schlafen; ich faßte sie, ich trug sie mit mir fort; das herrlichste Kleinod der Insel war mein! Ich nannte sie Haimatochare, klebte ihr ganzes kleines Zimmer mit schönem Goldpapier aus, bereitete ihr ein Lager von eben den bunten, glänzenden Taubenfedern, auf denen ich sie gefunden. Sie scheint mich zu verstehen, zu ahnen, was sie mir ist! Verzeih mir, Eduard, ich nehme Abschied von dir, ich muß sehen, was mein liebliches Wesen, meine Haimatochare macht, – ich öffne ihr kleines Zimmer, sie liegt auf ihrem Lager, sie spielt mit den bunten Federchen. O Haimatochare! – Lebe wohl, Eduard!Dein treuester etc. etc. |