Friedrich Hölderlin
1770 - 1843
Gedichtein chronologischer Folge
1799
Textgrundlage:Friedrich Hölderlin, Sämtliche Werke, Bd. 2, Gedichte nach 1800Hrsg. von Friedrich Beißner, Stuttgart: Cotta, 1953
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Gesang des Deutschen
O heilig Herz der Völker, o Vaterland!Allduldend, gleich der schweigenden Mutter Erd',Und allverkannt, wenn schon aus deinerTiefe die Fremden ihr Bestes haben!
Sie erndten den Gedanken, den Geist von dir,Sie pflüken gern die Traube, doch höhnen sieDich, ungestalte Rebe! daß duSchwankend den Boden und wild umirrest.
Du Land des hohen ernsteren Genius!Du Land der Liebe! bin ich der deine schon,Oft zürnt' ich weinend, daß du immerBlöde die eigene Seele läugnest.
Doch magst du manches Schöne nicht bergen mir;Oft stand ich überschauend das holde Grün,Den weiten Garten hoch in deinenLüften auf hellem Gebirg' und sah dich.
An deinen Strömen gieng ich und dachte dich,Indeß die Töne schüchtern die NachtigallAuf schwanker Weide sang, und still aufDämmerndem Grunde die Welle weilte.
Und an den Ufern sah ich die Städte blühn,Die Edlen, wo der Fleiß in der Werkstatt schweigt,Die Wissenschaft, wo deine SonneMilde dem Künstler zum Ernste leuchtet.
Kennst du Minervas Kinder? sie wählten sichDen Oelbaum früh zum Lieblinge; kennst du sie?Noch lebt, noch waltet der AthenerSeele, die sinnende, still bei Menschen,
Wenn Platons frommer Garten auch schon nicht mehrAm alten Strome grünt und der dürftge MannDie Heldenasche pflügt, und scheu derVogel der Nacht auf der Säule trauert.
O heilger Wald! o Attika! traf Er dochMit seinem furchtbarn Strale dich auch, so bald,Und eilten sie, die dich belebt, dieFlammen entbunden zum Aether über?
Doch, wie der Frühling, wandelt der GeniusVon Land zu Land. Und wir? ist denn Einer auchVon unsern Jünglingen, der nicht einAhnden, ein Räthsel der Brust, verschwiege?
Den deutschen Frauen danket! sie haben unsDer Götterbilder freundlichen Geist bewahrt,Und täglich sühnt der holde klareFriede das böse Gewirre wieder.
Wo sind jezt Dichter, denen der Gott es gab,Wie unsern Alten, freudig und fromm zu seyn,Wo Weise, wie die unsre sind? dieKalten und Kühnen, die Unbestechbarn!
Nun! sei gegrüßt in deinem Adel, mein Vaterland,Mit neuem Nahmen, reifeste Frucht der Zeit!Du lezte und du erste allerMusen, Urania, sei gegrüßt mir!
Noch säumst und schweigst du, sinnest ein freudig Werk,Das von dir zeuge, sinnest ein neu Gebild,Das einzig, wie du selber, das ausLiebe geboren und gut, wie du, sei –
Wo ist dein Delos, wo dein Olympia,Daß wir uns alle finden am höchsten Fest? –Doch wie erräth der Sohn, was du denDeinen, Unsterbliche, längst bereitest? |