Friedrich Hölderlin
1770 - 1843
Gedichtein chronologischer Folge
1798
Textgrundlage:Friedrich Hölderlin, Sämtliche Werke, Bd. 1, Gedichte bis 1800Hrsg. von Friedrich Beißner, Stuttgart: Cotta, 1946
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Der Mensch
Kaum sproßten aus den Wassern, o Erde, dirDer jungen Berge Gipfel und duftetenLustathmend, immergrüner HaineVoll, in des Oceans grauer Wildniß
Die ersten holden Inseln; und freudig sahDes Sonnengottes Auge die NeulingeDie Pflanzen, seiner ew'gen JugendLächelnde Kinder, aus dir geboren.
Da auf der Inseln schönster, wo immerhinDen Hain in zarter Ruhe die Luft umfloß,Lag unter Trauben einst, nach lauerNacht, in der dämmernden Morgenstunde
Geboren, Mutter Erde! dein schönstes Kind; –Und auf zum Vater Helios sieht bekanntDer Knab', und wacht und wählt die süßenBeere versuchend, die heil'ge Rebe
Zur Amme sich; und bald ist er groß; ihn scheunDie Thiere, denn ein anderer ist, wie sieDer Mensch; nicht dir und nicht dem VaterGleicht er, denn kühn ist in ihm und einzig
Des Vaters hohe Seele mit deiner Lust,O Erd'! und deiner Trauer von je vereint;Der Göttermutter, der Natur, derAllesumfassenden möcht' er gleichen!
Ach! darum treibt ihn, Erde! vom Herzen dirSein Übermuth, und deine Geschenke sindUmsonst und deine zarten Bande;Sucht er ein Besseres doch, der Wilde!
Von seines Ufers duftender Wiese mußIns blüthenlose Wasser hinaus der Mensch,Und glänzt auch, wie die Sternenacht, vonGoldenen Früchten sein Hain, doch gräbt er
Sich Höhlen in den Bergen und späht im SchachtVon seines Vaters heiterem Lichte fern,Dem Sonnengott auch ungetreu, derKnechte nicht liebt und der Sorge spottet.
Denn freier athmen Vögel des Walds, wenn schonDes Menschen Brust sich herrlicher hebt, und derDie dunkle Zukunft sieht, er muß auchSehen den Tod und allein ihn fürchten.
Und Waffen wider alle, die athmen, trägtIn ewigbangem Stolze der Mensch; im ZwistVerzehrt er sich und seines FriedensBlume, die zärtliche, blüht nicht lange.
Ist er von allen Lebensgenossen nichtDer seeligste? Doch tiefer und reißenderErgreift das Schiksaal, allausgleichend,Auch die entzündbare Brust dem Starken. |