Friedrich Hölderlin
1770 - 1843
Gedichtein chronologischer Folge
1795
Textgrundlage:Friedrich Hölderlin, Sämtliche Werke, Bd. 1, Gedichte bis 1800Hrsg. von Friedrich Beißner, Stuttgart: Cotta, 1946
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An die Unerkannte
Kennst du sie, die seelig, wie die Sterne,Von des Lebens dunkler Wooge ferneWandellos in stiller Schöne lebt,Die des Herzens löwenkühne SiegeDes Gedankens fesselfreie Flüge,Wie der Tag den Adler, überschwebt?
Die uns trift mit ihren MittagsstrahlenUns entflammt mit ihren Idealen,Wie vom Himmel, uns Gebote schiktDie die Weisen nach dem Wege fragen,Stumm und ernst, wie von dem Sturm verschlagenNach dem Orient der Schiffer blikt?
Die das Beste giebt aus schöner FülleWenn aus ihr die Riesenkraft der WilleUnd der Geist sein stilles Urtheil nimmt,Die dem Lebensliede seine Weise,Die das Maas der Ruhe, wie dem FleißeDurch den Mittler unsern Geist bestimmt?
Die, wenn uns des Lebens Leere tödtetMagisch uns die welken Schläfe röthet,Uns mit Hofnungen das Herz verjüngt,Die den Dulder, den der Sturm zertrümmert,Den sein fernes Ithaka bekümmert,In Alcinous Gefilde bringt?
Kennst du sie, die uns mit LorbeerkronenMit der Freude beßrer RegionenEhe wir zu Grabe gehn, vergiltDie der Liebe göttlichstes Verlangen,Die das schönste, was wir angefangen,Mühelos im Augenblik erfüllt?
Die der Kindheit Wiederkehr beschleunigt,Die den Halbgott, unsern Geist, vereinigtMit den Göttern, die er kühn verstößt,Die des Schiksaals eh'rne Schlüsse mildert,Und im Kampfe, wenn das Herz verwildert,Uns besänftigend den Harnisch löst?
Die das Eine, das im Raum der Sterne,Das du suchst in aller Zeiten FerneUnter Stürmen, auf verwegner Fahrt,Das kein sterblicher Verstand ersonnen,Keine, keine Tugend noch gewonnen,Die des Friedens goldne Frucht bewahrt? |