BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Friedrich Hölderlin

1770 - 1843

 

Gedichte

in chronologischer Folge

 

1789

 

Textgrundlage:

Friedrich Hölderlin, Sämtliche Werke, Bd. 1, Gedichte bis 1800

Hrsg. von Friedrich Beißner, Stuttgart: Cotta, 1946

 

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Die Weisheit des Traurers

 

Hinweg, ihr Wünsche! Quäler des Unverstands!

Hinweg von dieser Stätte Vergänglichkeit!

Ernst, wie das Grab, sei meine Seele!

Heilig mein Sang, wie die Todtengloke!

 

Du, stille Weisheit! öfne dein Heiligtum.

Laß, wie den Greis am Grabe Cecilias

Mich lauschen deinen Göttersprüchen,

Ehe der Todten Gericht sie donnert.

 

Da unbestochne Richterin richtest du

Tirannenfeste, wo sich der Höflinge

Entmanntes Heer zu Trug begeistert,

Wo des geschändeten Römers Kehle

 

Die schweiserrungne Haabe des Pflügers stiehlt,

Wo tolle Lust in güldnen Pokalen schäumt,

Und ha! des Gräuels! an getürmten

Silbergefäßen des Landes Mark klebt.

 

Halt ein! Tyrann! Es fähret des Würgers Pfeil

Daher. Halt ein! es nahet der Rache Tag

Daß er, wie Bliz die giftge Staude,

Nieder den taumelnden Schädel schmett're.

 

Doch ach! am grimmen richtenden Saitenspiel

Hinunter wankt die zitternde Rechte mir.

In licht're Hallen, gute Göttin! –

Wandle der Sturm sich in Haingeflüster!

 

Da schlingst du liebevoll um die Jammernde

Am Grabe des Erwälten den Mutterarm,

Vor Menschentrost dein Kind zu schüzen,

Schenkest ihr Tränen, und lispelst leise

 

Vom Wiederseh'n vom seeligen Einst ins Herz –

Da schläft in deiner Halle der Jammermann

Dem Priesterhaß das Herz zerfleischet,

Den ihr Gericht im Gewahrsam foltert,

 

Der blaiche Jüngling, der in des Herzens Durst

Nach Ehre rastlos klomm auf der Felsenbahn

Und ach umsonst! wie wandelt er so

Ruhig umher in der stillen Halle.

 

Mit Brudersinn zu heitern den Kummerblik

Der Kleinen Herz zu leiten am Gängelband,

Sein Haus zu bau'n, sein Feld zu pflügen

Wird ihm Beruf! und die Wünsche schweigen.

 

Verzeih der bangen Träne du Göttliche!

Auch ich vieleicht! – zwar glühet im Busen mir

Die Flamme rein und kün, und ewig –

Aber zurük aus den Lorbeerhainen

 

Stieß unerweicht die Ehre den Traurenden

So lang entflohn dem lachenden Knabenspiel

Verhöhnend all' die Taumelfreuden

Treu und ∪ ∪ mein Herz ihr huldigt.

 

Drum öfne du die Arme dem Traurenden

Laß deines Labebechers mich oft und viel

Und einzig kosten, nenne Sohn mich!

Gürte mit Stolz mich, und Kraft und Warheit!

 

Denn viel der Stürme harren des Jünglings noch

Der falschen Gruben viele des Wanderers,

Sie alle wird dein Sohn besiegen

So du mit stüzendem Arm ihn leitest.