Friedrich Hölderlin
1770 - 1843
Gedichtein chronologischer Folge
1803
Textgrundlage:Taschenbuch für das Jahr 1805.Der Liebe und Freundschaft gewidmet,Frankfurt a. M.: Wilmans, S. 83-84Faksimile: Institut für Textkritik
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6.Ganymed.―――――――
Was schläfst du, Bergsohn, liegest in Unmuth, schief,Und frierst am kahlen Ufer, Geduldiger!Denk'st nicht der Gnade du, wenn's an denTischen die Himmlischen sonst gedürstet?
Kennst d'runten du vom Vater die Boten nicht,Nicht in der Kluft der Lüfte geschärfter Ziel?Trifft nicht das Wort dich, das voll altenGeists ein gewanderter Mann dir sendet?
Schon tönet's aber ihm in der Brust. Tief quillt's,Wie damals, als hoch oben im Fels er schlief,Ihm auf. Im Zorne reinigt aberSich der Gefesselte nun, nun eilt er
Der Linkische; der spottet der Schlacken nun,Und nimmt und bricht und wirft die ZerbrochenenZorntrunken, spielend, dort und da zumSchauenden Ufer und bei des Fremdlings
Besondrer Stimme stehen die Heerden auf,Es regen sich die Wälder, es hört tief LandDen Stromgeist fern, und schaudernd regt imNabel der Erde der Geist sich wieder.
Der Frühling kömmt. Und jedes, in seiner Art,Blüht. Der ist aber ferne; nicht mehr dabei.Irr' gieng er nun; denn allzugut sindGenien; himmlisch Gespräch ist sein nun. |