Heinrich Heine
1797 - 1856
Buch der Lieder.
Aus der Harzreise.
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Aus der Harzreise.
1824.
Prolog.Schwarze Röcke, seid'ne Strümpfe,Weiße, höfliche Manschetten,Sanfte Reden, Embrassiren -Ach, wenn sie nur Herzen hätten! | |
5 | Herzen in der Brust, und Liebe,Warme Liebe in dem Herzen -Ach, mich tödtet ihr GesingeVon erlog'nen Liebesschmerzen.Auf die Berge will ich steigen, |
10 | Wo die frommen Hütten stehen,Wo die Brust sich frei erschließet,Und die freien Lüfte wehen.Auf die Berge will ich steigen,Wo die dunkeln Tannen ragen, |
15 | Bäche rauschen, Vögel singen,Und die stolzen Wolken jagen.Lebet wohl, ihr glatten Säle!Glatte Herren! glatte Frauen!Auf die Berge will ich steigen, |
20 | Lachend auf Euch niederschauen.Illustration von Johann Peter Lyser zum Gedicht «Bergidylle», mit dem Portrait Heinrich Heines (1829) Bergidylle.I.Auf dem Berge steht die Hütte,Wo der alte Bergmann wohnt;Dorten rauscht die grüne Tanne,Und erglänzt der gold'ne Mond. |
5 | In der Hütte steht ein Lehnstuhl,Reich geschnitzt und wunderlich,Der darauf sitzt, der ist glücklich,Und der Glückliche bin Ich!Auf dem Schemel sitzt die Kleine, |
10 | Stützt den Arm auf meinen Schooß;Aeuglein wie zwei blaue Sterne,Mündlein wie die Purpurros'.Und die lieben, blauen SterneSchau'n mich an so himmelgroß, |
15 | Und sie legt den LilienfingerSchalkhaft auf die Purpurros'.Nein, es sieht uns nicht die Mutter,Denn sie spinnt mit großem Fleiß,Und der Vater spielt die Zitter, |
20 | Und er singt die alte Weis'.Und die Kleine flüstert leise,Leise, mit gedämpftem Laut;Manches wichtige GeheimnißHat sie mir schon anvertaut. |
25 | «Aber seit die Muhme todt ist,Können wir ja nicht mehr geh'nNach dem Schützenhof zu Goslar,Und dort ist es gar zu schön.«Hier dagegen ist es einsam, |
30 | Auf der kalten Bergeshöh',Und des Winters sind wir gänzlichWie vergraben in dem Schnee.«Und ich bin ein banges Mädchen,Und ich fürcht' mich wie ein Kind |
35 | Vor den bösen Bergesgeistern,Die des Nachts geschäftig sind.»Plötzlich schweigt die liebe Kleine,Wie vom eignen Wort erschreckt,Und sie hat mit beiden Händchen |
40 | Ihre Aeugelein bedeckt.Lauter rauscht die Tanne draußen,Und das Spinnrad schnarrt und brummt,Und die Zither klingt dazwischen,Und die alte Weise summt: |
45 | «Fürcht' dich nicht, du liebes Kindchen,Vor der bösen Geister Macht;Tag und Nacht, du liebes Kindchen,Halten Englein bei dir Wacht!»II.Tannenbaum, mit grünen Fingern,Pocht an's nied're Fensterlein,Und der Mond, der gelbe Lauscher,Wirft sein süßes Licht herein. |
5 | Vater, Mutter schnarchen leiseIn dem nahen Schlafgemach,Doch wir beide, selig schwatzend,Halten uns einander wach.«Daß du gar zu oft gebetet, |
10 | Das zu glauben wird mir schwer,Jenes Zucken deiner LippenKommt wohl nicht vom Beten her.«Jenes böse, kalte Zucken,Das erschreckt mich jedesmal, |
15 | Doch die dunkle Angst beschwichtigtDeiner Augen frommer Stral.«Auch bezweifl' ich, daß du glaubest,Was so rechter Glauben heißt,Glaubst wohl nicht an Gott den Vater, |
20 | An den Sohn und heil'gen Geist?»Ach, mein Kindchen, schon als Knabe,Als ich saß auf Mutters Schooß,Glaubte ich an Gott den Vater,Der da waltet gut und groß; |
25 | Der die schöne Erd' erschaffen,Und die schönen Menschen d'rauf,Der den Sonnen, Monden, SternenVorgezeichnet ihren Lauf.Als ich größer wurde, Kindchen, |
30 | Noch vielmehr begriff ich schon,Und begriff, und ward vernünftig,Und ich glaub' auch an den Sohn;An den lieben Sohn, der liebendUns die Liebe offenbart, |
35 | Und zum Lohne, wie gebräuchlich,Von dem Volk gekreuzigt ward.Jetzo, da ich ausgewachsen,Viel gelesen, viel gereist,Schwillt mein Herz, und ganz von Herzen |
40 | Glaub' ich an den heil'gen Geist.Dieser that die größten Wunder,Und viel größ're thut er noch;Er zerbrach die Zwingherrnburgen,Und zerbrach des Knechtes Joch. |
45 | Alte Todeswunden heilt er,Und erneut das alte Recht:Alle Menschen, gleichgeboren,Sind ein adliges Geschlecht.Er verscheucht die bösen Nebel, |
50 | Und das dunkle Hirngespinst,Das uns Lieb' und Lust verleidet,Tag und Nacht uns angegrinzt.Tausend Ritter, wohl gewappnet,Hat der heil'ge Geist erwählt, |
55 | Seinen Willen zu erfüllen,Und er hat sie muthbeseelt.Ihre theuern Schwerdter blitzen,Ihre guten Banner weh'n;Ei, du möchtest wohl, mein Kindchen, |
60 | Solche stolze Ritter seh'n?Nun, so schau' mich an, mein Kindchen,Küsse mich und schaue dreist;Denn ich selber bin ein solcherRitter von dem heil'gen Geist.III.Still versteckt der Mond sich draußenHinterm grünen Tannenbaum,Und im Zimmer unsre LampeFlackert matt und leuchtet kaum. |
5 | Aber meine blauen SterneStrahlen auf in heller'm Licht,Und es glühn die Purpurröslein,Und das liebe Mädchen spricht:«Kleines Völkchen, Wichtelmännchen, |
10 | Stehlen unser Brod und Speck,Abends liegt es noch im Kasten,Und des Morgens ist es weg.«Kleines Völkchen, unsre SahneNascht es von der Milch, und läßt |
15 | Unbedeckt die Schüssel stehen,Und die Katze säuft den Rest.«Und die Katz' ist eine Hexe,Denn sie schleicht, bei Nacht und Sturm,Drüben nach dem Geisterberge, |
20 | Nach dem altverfall'nen Thurm.«Dort hat einst ein Schloß gestanden,Voller Lust und Waffenglanz;Blanke Ritter, Frau'n und KnappenSchwangen sich im Fackeltanz. |
25 | «Da verwünschte Schloß und LeuteEine böse Zauberin,Nur die Trümmer blieben stehen,Und die Eulen nisten d'rin.«Doch die sel'ge Muhme sagte: |
30 | Wenn man spricht das rechte Wort,Nächtlich zu der rechten Stunde,Drüben an dem rechten Ort:«So verwandeln sich die TrümmerWieder in ein helles Schloß, |
35 | Und es tanzen wieder lustigRitter, Frau'n und Knappentroß;«Und wer jenes Wort gesprochen,Dem gehören Schloß und Leut',Pauken und Trompeten huld'gen |
40 | Seiner jungen Herrlichkeit.»Also blühen MährchenbilderAus des Mundes Röselein,Und die Augen gießen drüberIhren blauen Sternenschein. |
45 | Ihre gold'nen Haare wickeltMir die Kleine um die Händ',Giebt den Fingern hübsche Namen,Lacht und küßt, und schweigt am End'.Und im stillen Zimmer Alles |
50 | Blickt mich an so wohlvertraut;Tisch und Schrank, mir ist als hätt' ichSie schon früher mahl geschaut.Freundlich ernsthaft schwatzt die Wanduhr,Und die Zither, hörbar kaum, |
55 | Fängt von selber an zu klingen,Und ich sitze wie im Traum.Jetzo ist die rechte Stunde,Und es ist der rechte Ort;Staunen würdest du, mein Kindchen |
60 | Spräch' ich aus das rechte Wort.Sprech' ich jenes Wort, so dämmertUnd erbebt die Mitternacht,Bach und Tannen brausen lauter,Und der alte Berg erwacht. |
65 | Zitherklang und ZwergenliederTönen aus des Berges Spalt,Und es sprießt, wie'n toller Frühling,D'raus hervor ein Blumenwald;Blumen, kühne Wunderblumen, |
70 | Blätter, breit und fabelhaft,Duftig bunt und hastig regsam,Wie gedrängt von Leidenschaft.Rosen, wild wie rothe Flammen,Sprüh'n aus dem Gewühl hervor;Lilien, wie krystall'ne Pfeiler, |
75 | Schießen himmelhoch empor.Und die Sterne, groß wie Sonnen,Schau'n herab mit Sehnsuchtgluth;In der Lilien Riesenkelche |
80 | Strömet ihre Strahlenfluth.Doch wir selber, süßes Kindchen,Sind verwandelt noch viel mehr;Fackelglanz und Gold und SeideSchimmern lustig um uns her. |
85 | Du, du wurdest zur Prinzessin,Diese Hütte ward zum Schloß,Und da jubeln und da tanzenRitter, Frau'n und Knappentroß.Aber Ich, ich hab' erworben |
90 | Dich und Alles, Schloß und Leut';Pauken und Trompeten huld'genMeiner jungen Herrlichkeit!Der Hirtenknabe.König ist der Hirtenknabe,Grüner Hügel ist sein Thron,Ueber seinem Haupt die SonneIst die schwere, goldne Kron'. |
5 | Ihm zu Füßen liegen Schafe,Weiche Schmeichler, rothbekreuzt;Kavaliere sind die Kälber,Und sie wandeln stolzgespreizt.Hofschauspieler sind die Böcklein, |
10 | Und die Vögel und die Küh',Mit den Flöten, mit den Glöcklein,Sind die Kammermusizi.Und das klingt und singt so lieblich,Und so lieblich rauschen drein |
15 | Wasserfall und Tannenbäume,Und der König schlummert ein.Unterdessen muß regierenDer Minister, jener Hund,Dessen knurriges Gebelle |
20 | Wiederhallet in der Rund'.Schläfrig lallt der junge König:«Das Regieren ist so schwer,Ach, ich wollt', daß ich zu HauseSchon bei meiner Kön'gin wär'! |
25 | «In den Armen meiner Kön'ginRuht mein Königshaupt so weich,Und in ihren lieben AugenLiegt mein unermeßlich Reich!»Auf dem Brocken.Heller wird es schon im OstenDurch der Sonne kleines Glimmen,Weit und breit die BergesgipfelIn dem Nebelmeere schwimmen. |
5 | Hätt' ich Siebenmeilenstiefel,Lief ich mit der Hast des Windes,Ueber jene Bergesgipfel,Nach dem Haus des lieben Kindes.Von dem Bettchen, wo sie schlummert, |
10 | Zög' ich leise die Gardinen,Leise küßt' ich ihre Stirne,Leise ihres Munds Rubinen.Und noch leiser wollt' ich flüsternIn die kleinen Lilien-Ohren: |
15 | Denk' im Traum, daß wir uns lieben,Und daß wir uns nie verloren.Die Ilse.Ich bin die Prinzessin Ilse,Und wohne im Ilsenstein;Komm mit nach meinem Schlosse,Wir wollen selig seyn. |
5 | Dein Haupt will ich benetzenMit meiner klaren Well',Du sollst deine Schmerzen vergessen,Du sorgenkranker Gesell!In meinen weißen Armen, |
10 | An meiner weißen Brust,Da sollst du liegen und träumenVon alter Mährchenlust.Ich will dich küssen und herzen,Wie ich geherzt und geküßt |
15 | Den lieben Kaiser Heinrich,Der nun gestorben ist.Es bleiben todt die Todten,Und nur der Lebendige lebt;Und ich bin schön und blühend, |
20 | Mein lachendes Herze bebt.Und bebt mein Herz dort unten,So klingt mein kristallenes Schloß,Es tanzen die Fräulein und Ritter,Es jubelt der Knappentroß. |
25 | Es rauschen die seidenen Schleppen,Es klirren die Eisenspor'n,Die Zwerge trompeten und pauken,Und fiedeln und blasen das Horn.Doch dich soll mein Arm umschlingen, |
30 | Wie er Kaiser Heinrich umschlang;Ich hielt ihm zu die Ohren,Wenn die Trompet' erklang. |