Jacob Grimm
1785 - 1863
Von der Poesie im Recht
1815
|
|
______________________________________________________________________________
|
|
6> |
§. 14.[Beweis aus vergnügtheit.]Ich musz endlich noch zum beweis der poesie, die in dem alten recht, rechnen: seine vergnügtheit 1); worunter ich die neigung verstehe, den leuten nicht gerade zu alles und jegliches fest vorzustecken und auszumessen, so dasz sie alles gerade so wie es sich ereignet von weitem kommen sehen. durch das unendlich klein zu theilende und zu rechnende münzgeld, das in sich selbst fast keinen werth hat, sondern nur zum handel taugt, sind die meisten geschäfte kälter geworden und doch vervielfältigt. geben, zahlen und schätzen in naturalien beförderte und erregte eins der angenehmsten geschäfte: den tausch, wo beide theile vergnügt sind, weil jedes die ihm fehlende fremde sache am sinnlichsten und klarsten auf sein persönliches verhältnis beziehen kann. auch haben einkünfte, gefälle und zinsen, die aus solchen dingen bestehen, offenbar das vor den geldeinnahmen voraus, dasz sie, indem ihr werth bald ab- bald zunimmt, im einzelnen ertrag weit mehr erfreuen können, als gelderlös; im ganzen pflegt sich schaden und gewinn meistentheils auszugleichen.Das alles liegt nicht blosz am recht, sondern auch in der anders gewordenen lebensart und gewohnheit, deren unzertrennliches eingreifen in das recht bewiesen werden soll. es wäre zu weitläufig hier die beispiele von eigenthümlichen freiheiten, dienstbarkeiten, zinsen und abgaben, welche unter mancherlei gesetzlichen bedingungen standen, aus unserm alten recht zu sammeln. einige sind bereits oben (am schlusz des 8ten §.) angeführt. durch ihre allmälige auflösung und abkäuflichkeit in geld sind auch viele sitten im volk gestört oder eingeschränkt worden. die meisten zehnten z. b. wurden gleich bei der ernte selbst, oft unter lied und feierlichkeit an den gutsherrn abgeführt.Leibliche nothdurft, essen und trinken wird bei gesetzlichen bestimmungen nicht vergessen. für das einreiten (einlager, obstagium) schreibt der Sachsenspiegel II, 11. vor: ‚brot und bier, drei gerichte essen, einen becher weins; zwei gerichte dem knecht, fünf garben dem pferd tag und nacht, vornen beschlagen und nicht hinten‘ (damit der edelmann nicht fortreiten könne). eine gleiche vorsorge bei der gerade, welche die niftel nach der frauen tod dem witwer nimmt, davon soll sie ihm erst: ‚berichten sein bette, als es stund, die weil sein weib lebte und auch seinen tisch mit einem tischtuch und seine bank mit einem pfüle und seinen stuhl mit einem küssen.‘ (ebendas. III, 38.)Das setzen abgelebter eltern auf den alten theil, die gütergemeinschaft der ehgenossen, die aussetzung des withums gehören zu den trefflichsten stücken der germanischen einrichtung und haben blosz unter bösen verhältnissen böses, insgemein aber gutes, ruhe und frieden des haushalts gestiftet 2). die frau will an allem, was den mann betrifft, theil haben und die unschuldige, dem deutschen volk wiederum eigenthümliche neigung, dasz sie auch an titel und würde des mannes mitrecht und mitgenusz empfange (wie man ja königinnen und fürstinnen dasselbe zugesteht), musz daraus erklärt werden. es gefällt mir daher, dasz unsere gesetze, indem sie dem mann etwas zuweisen, auch seine frau bedenken. in der eichstädtischen erbmarschallsordnung 3) stehet folgendes: ‚wenn ein neuer abt zu Rebdorf wird, so soll der marschall von jedem haben ein pfund heller und seine frau ein fingerlein oder ringlein nach ihren ehren.‘ und noch näher auf das verhältnis der frau bezogen, so dasz sie das bewilligte gleichsam erst selbst verdienen muste, heiszt es im mehrgedachten Büdinger forstbuch: ‚ein jeglich geforstmann, der ein kindbett hat, ist sein kind ein tochter, so mag er ein wagen holz von urholz verkaufen auf den samstag; ist es ein sohn, so mag er es thun auf den dienstag und samstag von liegendem holz oder von urholz und der frau davon kaufen wein und schön brot, weil (solange) sie kindes inliegt.‘ denken unsere jetzigen gesetze und landesordnungen noch so an die lust und das vergnügen der familien?Auf den besuch der gutsherrn, der fürsten und des kaisers ist in den waldordnungen besonders bedacht genommen, im Dreieicher wildbahnsweisthum: ‚(wann) aber ein kaiser käme in der vorgenannten hof einen und wolle darin ruhen und essen, so soll man ihm geben einen wisch (bündel) stroh und wann der kaiser dannenfährt, so sol er dem hubner also viel lassen an kosten, dasz er und sein gesind acht tage wolfahren.‘ ebendaselbst: ‚auch theilten sie dem hof zu Dieburg, wann er will birschen (in der Dreieicher wildbahn) dasz er sol han einen ibanbogen (v. ebenholz) mit einer seidinen senewen (sehne) mit silberin stralen (pfeilen) mit eim lorebaumen zeinen (spitze) mit pfauenfedern gefettert; gelinget ihme dasz er schieszt, so soll er reiten zu hain in eines forstmeisters haus, da soll er finden einen weiszen bracken mit geträuften ohren, auf einer seiden kolter an einem seiden seile, und sol dem wald nachhängen (d.h. jagen); gelinget ihme bei scheinender sonnen 4), er sol den rechten birsch und bracken bei scheinender sonnen wiederantworten; gelinget ihme nicht, er mag den andern tag auch dasselb thun.‘ eine ähnliche vorschrift, blosz mit epischen varianten, stehet gleichfalls in dem försterbuch des Büdinger walds. in diesem wird unter andern folgende busze angeordnet: ‚wer den andern wund schlägt mit flieszenden 5) wunden, in des waldes freiheit, der hat jeglicher verwirkt zehn pfund pfennig dem forstmeister und jedem förster fünf schilling pfennig – auch wer dem forstmeister seine geschworne knecht oder den förstern sein pfand weigert, der ist verfallen mit der höchsten busz, mit namen (nämlich) ein fränkisch fuder weins und auf jeglichen reif einen weiszen becher und jeglichen förster einen grünen rock und zehn pfund pfündischer (gewichtiger) pfennig und jedem geforsten waldmann zwanzig pfennig.‘ ich zweifle nicht an dem hohen alter dieser art, die busze auszumitteln, weil das fasz mit wein und bechern auf jedem seiner reife mit der idee des sächsischen weizenbergs, seinen ruthen, nägeln und beuteln einstimmt.In solchen gemütlichen, bedächtigen und invergnügten bestimmungen läszt sich auch allerwärts die alte volkspoesie aus und ihrem leben widersteht jede bald dürre, bald motivierende ausführung.
―――――――― 1) vgl. Möser p. ph. IV, no. 7. 2) wird der groszvater hart gehalten und der pflicht gegen ihn vergessen, so erzählten märchen und sagen davon wie von andern unthaten. dasz er seine hausherliche macht in des sohnes hand übergeben hatte, war nicht an sich schuld daran: sonst müste man den ganzen staat mit lauter vorsichtsmaasregeln gegen mögliche verbrechen anfüllen. 3) Falkenstein, codex dipl. nordgav. p. 122. 4) vergl. oben §. 7. und §. 9. vor sonnenuntergang. 5) flieszend ist soviel als blutend, rinnend, dreorand. |